Popkulturelle Inszenierungen als Anpassung oder Subversion

Rezension von Heike Friauf

Paula-Irene Villa, Julia Jäckel, Zara S. Pfeiffer, Nadine Sanitter, Ralf Steckert (Hg.):

Banale Kämpfe?

Perspektiven auf Populärkultur und Geschlecht.

Wiesbaden: Springer VS 2012.

271 Seiten, ISBN 978-3-531-18213-1, € 39,95

Abstract: Populärkulturelle Erscheinungen wie etwa Fernsehserien eignen sich besonders, um hegemoniale Geschlechterverhältnisse zu analysieren, das zeigt der vorliegende Sammelband eindrücklich. Die größtenteils empirisch angelegten Studien loten den Verhandlungsspielraum aus, in dem widerständige Praktiken zur Veränderung der Geschlechterregime führen könnten. Doch wird häufiger eine Bestärkung statt Infragestellung der Verhältnisse festgestellt. Für ein besseres Verständnis dieses Phänomens fehlt allerdings in den meisten Beiträgen eine entsprechende theoretische Durchdringung. Dieses lesenswerte Buch bildet derart verschiedene kulturelle Phänomene ab, dass für jede/n Leser/-in garantiert etwas völlig Unbekanntes dabei ist, und verhilft so allen kulturwissenschaftlich Arbeitenden zu Erkenntnisgewinn.

Das Fragezeichen im Titel Banale Kämpfe? ist gut gesetzt. Sind die Deutungskämpfe um Frauenrollen und Männlichkeitsbilder wirklich banal und nicht beachtenswert, wenn sie in populären Genres wie Fernsehserien oder Unterhaltungsmusik stattfinden? Die Beitragenden zu diesem Sammelband sehen das anders. „Populärkultur“ ist für die fünf Herausgeber/-innen, wie sie in ihrer Einleitung schreiben, nicht einfach Popkultur, sondern meint darüber hinaus alle kommerzialisierten Gesellschaftsbereiche, die im weitesten Sinne mit Kultur zu tun haben und jeweils von größeren Bevölkerungsgruppen genutzt werden, also „populär“ sind. Dazu gehören Musik, Film, Comic, Trivialliteratur, Mode, Sport (S. 9). Diese Begriffsdefinition trifft ebenso auf Hundehaltung oder Yogakurse zu, die im Sinne der Cultural Studies durchaus zur Populärkultur gezählt werden können. Der Band enthält allerdings auch Beiträge zu Aktivitäten, die aus dieser Definition herausfallen. Genau genommen sind in ihm Studien versammelt, die sich medial vermittelten Kulturphänomenen widmen, unabhängig von ihrer Verbreitung.

Analysefeld für Geschlechterdiskurse

Für die Herausgeber/-innen ist Populärkultur „nicht das bloße Abbild ‚objektiver Wirklichkeiten‘, sondern produziert als ‚diskursproduzierende Instanz‘ […] Bedeutungen innerhalb gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die ständig verhandelt werden“ (S. 11 f.). Sie knüpfen an das Hegemonie-Konzept Antonio Gramscis an, nach dem gesellschaftliche Kämpfe nicht nur in der Politik, sondern auch in der Produktion, Rezeption und Zirkulation von Medien stattfinden, und konzentrieren sich dabei auf das „Verhandeltwerden“ des genderhierarchischen Machtregimes.

Zwischen zwei Deutungspolen bewegen sich alle Beiträge des Bandes: Einerseits kratzen popkulturelle Erscheinungen wie beispielsweise eine Fernsehserie, deren Heldinnen lesbisch sind, an herrschenden Geschlechtervorstellungen; andererseits ordnen sich auch solche Fernsehserien so ordentlich in die Verwertungsmechanismen der Medienwelt ein, dass fraglich ist, ob aus der „Verhandlung“ wirkliche Veränderung erwächst (Deutung A) oder nicht stattdessen hegemoniale Vorstellungen sogar bekräftigt werden (Deutung B). Ich möchte dies die Ambivalenz-Frage nennen.

In ihrer argumentierenden Einleitung zu den verschiedenen Beiträgen verfolgen die Herausgeber/-innen einen Schlingerkurs zwischen der Betonung subversiver, Veränderungen bewirkender Strategien (A) und der Feststellung affirmativer, das Geschlechterregime bestätigender Momente (B). Sie wechseln dreimal von A zu B und zurück und enden bei A: mit der Feststellung, dass in der Kulturindustrie „intensiv über den Zusammenhang von Geschlecht und Populärkultur diskutiert [wird]. Immerhin.“ (S. 16) Es scheint, als färbe der gute Wille, emanzipatives Veränderungspotential zu finden, die Deutung der Forschungsergebnisse, was ein Indiz für unzureichende theoretische Durchdringung wäre.

Grundwissen zu Geschlechterfragen in massenmedialer Kultur

Anders als Sammelbände, in denen oft heterogene Konferenzbeiträge unter einen Hut gebracht werden müssen, weist dieser Band einen durchgängigen Diskussionszusammenhang auf: den des geschlechterwissenschaftlichen Kolloquiums der Universität München. Dass sich Schlüsselbegriffe und Argumentationen in verschiedenen Texten wiederholen, ist von Vorteil und trägt zur Vertiefung bei.

In der Einleitung werden wesentliche Aspekte der Beiträge vorweggenommen. Auch der genial einfache Bechdel-Test wird hier erläutert, mit dessen Hilfe die Geschlechter-Asymmetrie in Film und Fernsehen ablesbar wird. Eine theoretische Vertiefung dazu bietet der Text der Kommunikationswissenschaftlerin Tanja Thomas („Zwischen Konformität und Widerständigkeit. Populärkultur als Vergesellschaftungsmodus“), der sich allerdings nicht anschließt, sondern weit hinten im Band zu finden ist, weil die Artikel in alphabetischer Reihe der Beitragenden folgen. Mit Blick auf die wissenschaftliche Diskussion von Fernseh-Castingshows wie Unser Star für Baku oder DSDS stellt Thomas fest: „Umstritten bleibt, ob und wie populärkulturelle Angebote überhaupt einen Beitrag zur Infragestellung hegemonialer Deutungen liefern können“ (S. 212). Damit formuliert sie zunächst sozusagen die B-Variante der Ambivalenz-Frage. Sie geht sogar noch weiter: Differenzsetzungen und Irritationen könnten „nicht als Störfaktoren, sondern als Produktivkräfte in Vermarktungsprozessen eingesetzt werden“ (S. 213). Trotz dieser von ihr selbst gut begründeten Skepsis ist für die Autorin „populärkulturelles Ringen um Bedeutungen Bestandteil sozialer Kämpfe und teilweise grundsätzlich eine Infragestellung von Hegemonie“ (S. 222). Inwiefern Hegemonie infrage gestellt wird, bleibt offen. Letztlich bleibt Thomas in der Ambivalenz-Frage unentschieden.

Neue alte Frauen- und Männerbilder im Film

Julia Jäckel fragt nach dem Frauenbild und nach dem Handlungsspielraum, den weibliche Figuren in der Fernsehserie True Blood haben („,How Fucking Lame‘? Zur Konstruktion von Weiblichkeit und Agency in True Blood“). Diese Fragestellung ist bedeutsam, weil die Serie zum Fantasy- bzw. Mystery-Genre gehört, in dem neuartige Wesen und Rolemodels eingeführt werden können. Für die von ihr untersuchten vier Frauenfiguren sieht Jäckel auch einen Entwicklungsraum, dieser bleibe jedoch weiblich konnotiert. Statt herrschende Geschlechternormen zu brechen, „scheint dieses Feld bevorzugt stereotype Ausarbeitungen von Gender und Race zu produzieren“ (S. 58).

Annette Kecks Text „Working Girls Go Grotesque. Zur Reflexion von Selbstregierungstechniken in der westlichen Populärkultur seit den 1990er Jahren“ setzt einiges Spezialwissen voraus. Keck widmet sich dem US-amerikanischen Unterhaltungsfilm-Motiv des Working Girl und stellt dasselbe wie Jäckel fest: Geschlechterhierarchien erweisen sich als stabil. Allerdings könne „Elementen der romantischen Komödie eine sowohl widerständige als auch affirmative Funktion zukommen“ (S. 85). Das Film-Remake der TV-Serie Charlie’s Angels sei in der Fachliteratur „sowohl als subversiv gefeiert als auch als reaktionär gegeißelt“ worden (S. 85). Wie aber kann ein und derselbe Film sich widersprechende feministische Interpretationen hervorrufen? Diese und andere spannende Fragen, die der Stoff aufwirft, werden leider nicht behandelt. Auch die eingangs von Keck versprochene Verknüpfung mit Deleuzes Konzept von der Krise der Disziplinargesellschaften bleibt vage. Der Beitrag wirkt wie die Fingerübung zu einer großen Studie, deren Inhalt uns hier vorenthalten wird.

In ihrem Beitrag „Girls, Boys & Teenwolves. Mounstrous Gender im Werwolffilm 2000 bis 2010“ verrät Julie Miess die Pointe gleich zu Beginn: „Weibliche Monster sind ‚doppelt anders‘.“ Der männliche Werwolf ist erlaubt, da er dem üblichen Rollenmuster entspricht, der weibliche dagegen ist monströs und obendrein nicht vorgesehen. Treffend charakterisiert Miess die biologistischen Zuschreibungen in den Erfolgsbüchern und -filmen der Twilight-Saga, in denen auch die Differenzkategorien Klasse und Ethnizität fragwürdig gestaltet sind. Die enorm umsatzstarken Produkte der als bekennende Mormonin streng patriarchal geprägten Twilight-Autorin bekräftigen längst überholt geglaubte Geschlechterklischees.

Eine Filmproduktion, die ich freiwillig nie ansehen würde, ist 24, eine viele Jahre in zahlreichen Folgen in den USA und seit 2003 auch in Deutschland gezeigte TV-Serie um den Spezialagenten einer Anti-Terror-Einheit. Prinzip der Serie ist, dass der Agent, um drohende Katastrophen zu verhindern und ‚Unschuldige‘ zu retten, sich außerhalb des Rechts stellen, Gewalt anwenden und foltern muss. Der Ausnahmezustand wird zur Normalität, wie Zara S. Pfeiffer in ihrem Beitrag „Der Held aller. Folter und Geschlecht in der Serie 24“ aufzeigt. Im Rückgriff auf Klaus Theweleit stellt sie fest, dass der Ausnahmezustand eine zutiefst männliche Konstruktion ist. Das stereotype Männlichkeitsbild ist hier offensichtlich. Wichtiger wäre festzustellen, wie und warum Folter zu einem selbstverständlichen Handlungsmittel in Film und Fernsehen des 21. Jahrhunderts werden konnte. Zu dieser Frage zitiert sie den 2006 im Guardian erschienenen Beitrag des Kulturkritikers Slavoj Žižek. Dieser vergleicht die Rechtfertigung der Folter in der Serie 24 mit der Logik Heinrich Himmlers, der die Vollstrecker der Judenvernichtung zu Helden stilisierte. Pfeiffer lässt also einen Mann die böse Nachricht vom faschistoiden Gehalt der erfolgreichen Serie überbringen, anschließend thematisiert sie selbst – nicht ‚hart‘ politisch, sondern ‚soft‘ literarisch – „die Figur des tragischen Helden“ (S. 153). Unbeabsichtigt hat sie mit ihrer Formulierungsweise ein Geschlechterstereotyp bekräftigt.

Sehr aufschlussreich ist Miriam Strubes Analyse der amerikanischen Fernsehserie The L Word um weiße, wohlhabende und konsumbewusste lesbische Frauen („Dressed for Success. Lifestyle und The L Word“). „Weiblichkeit, eben auch lesbische Weiblichkeit, ist direkt an Konsum geknüpft“, so Strube (S. 202); im Grunde überwiege hier „eine neue Homonormativität, die heteronormative Institutionen nur übernimmt, anstatt sie zu hinterfragen“ (S. 206). „In den Queer Studies wird durch solche Aneignungsstrategien mittlerweile ein konservativer Trend befürchtet“ (S. 206). Strube positioniert sich eindeutig für Deutung B, indem sie der von ihr analysierten Serie Veränderungspotential abspricht.

Nach diesen deprimierenden Analysen von das überkommende Geschlechterregime bestärkenden populärkulturellen Produkten zeigt ein Blick auf das Missy Magazine, dass es auch anderes gibt. Sonja Eismann, Chris Köver und Stefanie Lohaus, die im Beitrag „100 Seiten Popfeminismus. Das Missy Magazine als Dritte-Welle-Praxis“ das von ihnen gegründete popfeministische Zeitschriftprojekt vorstellen, wollen auch Frauen ansprechen, „die sich bislang noch nicht mit den Diskursen um Geschlechterrollen und Feminismus befasst hatten“ (S. 39). Ihr nachdenklicher Text könnte von diesen tatsächlich als Einführung in Genderfragen gelesen werden. Da weiterhin im Popgeschäft der männliche Blick dominiert, ist die Schaffung eines solchen Magazins allein schon eine widerständige Tat. Seine Finanzierung über Anzeigen und Heftverkauf und ohne großes Verlagshaus im Rücken erscheint allerdings mirakulös. Wie die Herausgeberinnen den Spagat zwischen widerständigen Inhalten und wirtschaftlich bedingtem Anpassungsdruck schaffen wollen, wird sich zeigen.

Repräsentationen von Männlichkeit in Musik und Fanfiction

Zwei Autorinnen konzentrieren sich auf Konstruktionen von Männlichkeit in der Musik. Dunja Brill arbeitet unter dem Titel „Macht-volle Sounds“ die in der Extreme-Metal-Subkultur „dominanten Konstrukte Männlichkeit, Whiteness und Middle Class“ heraus. In diesem in sich vielfach segmentierten Subsegment wird der „anti-intellektuellen, antiautoritären Haltung subkultureller working-class Männlichkeit […] ein middle-class-typisches Männlichkeitsideal gegenübergestellt, welches Streben nach Wissen, Disziplin und Kontrolle als Tugenden setzt und diese teils mit patriotischem oder soldatischem Bedeutungshof versieht“ (S. 31). Brill distanziert sich von Autor/-innen, die den Martial-Industrial- und Neofolk-Bereich „pauschal mit rechtem Gedankengut in Verbindung […] bringen“ (S. 33). Doch alle von ihr selbst genannten Beispiele und Zitate passen ins ultrarechte Denkschema, bis hin zum Namen der österreichischen Gruppe Der Blutharsch.

Die Recherchen unter deutsch-türkischen Hiphoppern, über die Demet Lüküslü im einzigen englischsprachigen Beitrag „Tough guys, tough music or a cry for recognition? A study of Turkish hip hop scene as vehicle for exploring masculinity“ berichtet, bieten interessanten Stoff für die Männlichkeitsforschung. Ihre wiederholte Feststellung jedoch, hinter dem toughen Äußeren stehe ein Ruf nach Anerkennung, bleibt inhaltlich unbegründet. Inwiefern unterscheidet sich dieser cry etwa vom Auftreten einer Modebloggerin? Welche Spielräume haben die jungen Männer und die wenigen jungen Frauen innerhalb dieser Szene? Die Beiträge von Brill und Lüküslü bestärken den Verdacht, dass die Populärkultur viel Raum zur Verfestigung bestehender Geschlechterstereotypen bietet.

Weniger eindeutig ist das Bild, das Nadine Sanitter in ihrem Beitrag „Like men – only better“ über Repräsentationen von Männlichkeit in Slash-Fanfiction zeichnet. Slash befinde sich, milliardenfach angeklickt, „in der Mitte der Internet-Fangemeinschaften und -praxen“ (S. 157). Die hauptsächlich weiblichen Fans erfinden Geschichten zu vorhandenen Büchern oder Filmen, indem sie zwei männlichen Charakteren eine homoerotische Beziehung andichten. Dabei werde „eine Männlichkeit als Ideal konstruiert […], die emotional bedürftig und verletzungsoffen ist“ (S. 163). Wie bei anderen neokulturellen Praktiken stellt sich auch hier sofort die Ambivalenz-Frage: Wird mit Slash eine emanzipative, befreiende Form von Erotik ‚von Frauen für Frauen‘ geschaffen, also eine „widerständige Praxis“, oder begeben sich die Fans auf eine unpolitische Weltflucht, verharren in Anpassung an etablierte Rollenmuster? Letzteres erweist sich mit Sanitters Studie als wahrscheinlicher.

Wenig kritisches Veränderungspotential

Zwei populärkulturelle Phänomene der letzten Jahre werden von Ralf Steckert vor dem Hintergrund der anwachsenden Finanzkrise als „Modus restaurativer Krisenregulation“ gedeutet (S. 186). Der Autor setzt im Beitrag „Normiertes Gefühl“ überzeugend die europaweite mediale Aufmerksamkeit für den Selbstmord des Profi-Torwarts Robert Enke 2009 in Bezug zum von Zigtausenden bejubelten Sieg der Schülerin Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest 2010 und zeigt damit nebenbei das Aufklärungspotential populärkultureller Studien. Den Selbstmord eines Familienvaters als Tat eines ‚tragischen Helden‘ zu verklären und die junge Witwe als Verstehende zu inszenieren, zeuge von einer Restauration konservativer Geschlechterrollen. Dem entspreche auch Lena, die mit der ihr zugeschriebenen ‚Unschuld‘ als deutsches ‚Fräuleinwunder‘ gehandelt werden konnte und nicht etwa als starke Frau.

Ellen Wesemüller widmet sich „Haare[n] von Popstars in der Inszenierung und Rezeption geschlechtlicher und sexueller Identitäten“, um nicht zu sagen: Haaren an der ‚Schnittstelle‘ zwischen Natur und Kultur. Sowohl Glatze als auch Perücke hätten das Potential, „subversiv zu wirken“ (S. 262), schreibt Wesemüller, um direkt im Anschluss festzustellen, Popkritiker/-innen könnten kaum sagen, worin diese Subversion bestehe. Die Autorin vermag es selbst nicht zu sagen, so dass wir hier ein allerdings sehr unterhaltsames Beispiel für den unausgegorenen Umgang mit der Ambivalenz-Frage haben.

Einem ‚typisch weiblichen‘ Gegenstand widmet Stephanie Müller ihre Aufmerksamkeit: „Exklusiv! Mode und Handarbeit zwischen Austausch und Ausgrenzung“. Was in einigen anderen Beiträgen fehlt, nimmt sie zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung: den Zusammenhang des beobachteten kulturellen Phänomens mit neoliberalen Verwertungsmechanismen. So entsteht ein präzise gezeichnetes ambivalentes Bild. Neben der positiven Neubewertung von traditionell weiblicher Handarbeit, der Selbstermächtigung und der Entstehung kollektiver Strukturen steht die Selbstausbeutung junger Unternehmerinnen. Im Übrigen bleibe die Radical Crafting-Bewegung ein westliches Wohlstandsphänomen. „Lässt sich vor diesem Hintergrund mit Mode überhaupt noch subversive Politik machen?“, fragt Müller zu Recht (S. 136).

Ob dagegen „die (Selbst-)Pornografisierung eine, zugegebenermaßen irritierende, Form von Empowerment von und für Frauen“ sei, fragt Paula-Irene Villa in ihrem Beitrag „Pornofeminismus? Soziologische Überlegungen zur Fleischbeschau im Pop“ (S. 230). Nach sorgfältiger Pro- und Contra-Abwägung kommt die Autorin zu der Einschätzung, die pornografischen Selbstinszenierungen von Lady Bitch Ray und anderen seien wohl nur vordergründig emanzipativ. Die Ambivalenz-Frage beantwortet sie eindeutig, indem sie theoretische Überlegungen zur Ökonomisierung des Sozialen einbezieht: „Top Girls“, womit sie eine Formulierung der in diesem Band meistzitierten Autorin Angela McRobbie aufnimmt, „suggerieren, dass sie sich selbst aus freien Stücken und aus Spaß sexualisieren“ (S. 242). Dahinter liege jedoch der neoliberale Imperativ: Optimiere dich! Sei bloß kein Opfer! Die Selbstoptimierung werde im ökonomischen Existenzkampf zur Anpassungsstrategie, zur „weiblichen List der Ohnmacht“ (S. 244).

Fazit

Im Überblick über die unterschiedlichen Beiträge ist zu sehen, dass rein empirische Untersuchungen populärkultureller Phänomene wenig aussagekräftig sind und dringend der Erweiterung durch theoretische und methodische Konzepte bedürfen. Besonders ergiebig wird die Betrachtung populärkultureller Erscheinungen, das zeigen insbesondere die Beiträge von Villa, Müller und Steckert in diesem Band, wenn man diese nicht nur als gesellschaftliche Signale wahrnimmt, sondern als das, was sie darüber hinaus immer auch sind: als Waren. Was macht die Populärkultur mit den menschlichen Bedürfnissen, wenn jede Träne daraufhin gewogen wird, ob sie die Werbeeinnahmen einer Fernsehserie steigert?

Die Ambivalenz, dass auch aufklärerische kulturelle Projekte zur „Kommerzialisierung der Gefühle“ (vgl. Hochschild 1990) beitragen können – und vielleicht sogar müssen, um ‚populär‘ zu sein und gehört zu werden –, muss mitbedacht werden. Innerhalb des bestehenden marktdominierten „neoliberalen Geschlechterregimes“ (vgl. McRobbie 2010) ist wenig kritisches Veränderungspotential zu erwarten. Die Waage neigt sich, folgt man den Beiträgen dieses Bandes, deutlich in Richtung von Deutung B: Hegemoniale Vorstellungen von überkommenen Geschlechterstereotypen werden auch von vermeintlich kritischen Kulturprodukten eher bestärkt als in Frage gestellt.

Dieses Buch sei trotz theoretischer Mängel allen empfohlen, die sich keinen Illusionen über die Veränderbarkeit hegemonialer Geschlechterverhältnisse durch einzelne kulturelle Praktiken hingeben wollen – und mehr noch denjenigen, die sich diesen Illusionen hingeben.

Literatur

Hochschild, Arlie Russell (1990). Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt am Main u. a.: Campus.

McRobbie, Angela (2010). Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Heike Friauf M.A.

Technische Universität Dresden

Promovendin am Institut für Soziologie (Theorie und Geschichte der Soziologie und Kultursoziologie)

E-Mail: heikefriauf@web.de

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