Vermischtes zu Christina von Brauns Kulturwissenschaften

Rezension von Annette Kliewer

Ulrike Auga, Claudia Bruns, Dorothea Dornhof, Gabriele Jähnert (Hg.):

Dämonen, Vamps und Hysterikerinnen.

Geschlechter- und Rassenfigurationen in Wissen, Medien und Alltag um 1900.

Bielefeld: transcript Verlag 2011.

275 Seiten, ISBN 978-3-8376-1572-2, € 29,80

Abstract: In der Festschrift zum 65. Geburtstag von Christina von Braun widmen sich ehemalige Studierende der Kulturwissenschaftlerin der Krise der Kultur nach der Jahrhundertwende um 1900 sowie dem Phänomen des ‚Abnormen‘, wie es sich etwa in Konstruktionen von Vamps, Perversen und Primitiven findet. In den Beiträgen werden dabei Themen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Alltag, Medien (u. a. zu Filmen von Murnau und Lubitsch), Wissenschaft (u. a. zu Freud und Haeckel), Religion und Kunst (u. a. zum Marquis de Sade und zu Stefan Zweig) aufgegriffen.

Es ist das Problem von Festschriften, dass hier jede/jeder unterbringen möchte, was bei ihr/ihm gerade so in der Schublade liegt. Und wenn jemand so ein breit gefächertes Interessenspektrum wie Christina von Braun hat – von Geschlecht und Geschichte, Antisemitismus, Religion und Moderne bis zur Medientheorie und der Geschichte der Medien –, dann ist die Bandbreite dessen, worüber man ihr zu Ehren schreiben kann, schier unermesslich: von hypnotisierten Heuschrecken bis zum Antisemitismus im Bibelbund 1938, von der muslimischen „Ent_Religiosisierung“ bis zu Stefan Zweig und Mary Baker Eddy.

Zu Christina von Brauns und Inge Stephans 65. Geburtstag wurde im Jahr 2009 das Symposium „City Girls – Dämonen, Vamps und Bubiköpfe in den 20er Jahren“ veranstaltet. Ein Teil der Beiträge dieses Symposiums ist in einer von Julia Freitag und Alexandra Tacke veröffentlichten Festschrift für Inge Stephan (City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren. Köln: Böhlau 2011) erschienen. Die restlichen finden sich im vorliegenden Band, herausgegeben von vier Kolleginnen der Humboldt-Universität in Berlin und ergänzt um weitere Beiträge. Dies erklärt denn auch die Heterogenität des Bandes, dessen Titel sicher nicht wiedergibt, was in ihm enthalten ist, schon allein von der Chronologie beschäftigt sich kaum ein Artikel mit „Wissen, Medien und Alltag um 1900“. Die 16 Beiträgerinnen (und der eine Beiträger) sind alle ehemalige Student/-innen von Christina von Braun und stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen, alle lassen sich aber grob den Kulturwissenschaften und Gender Studies zuordnen. Gegliedert ist der Band in drei Abteilungen, die aber nicht ganz trennscharf sind: „Medien, Alltag und Wissen“, „Wissenschaft und Wissen“ und „Kunst und Wissen“.

Medien, Alltag und Wissen

Nur Schlaglichter können im Folgenden auf die so unterschiedlichen Beiträge geworfen werden, die Leser/-innen müssen sich durch manch Abstruses durchkämpfen.

Das ist sicher nicht der Fall bei Astrid Deuber-Mankowsky, Bochumer Professorin für Medienwissenschaft. Sie nimmt mit Friedrich Wilhelm Murnaus Our daily bread einen unbekannten, heute aber umso aktuelleren Film des expressionistischen Großmeisters in den Blick, in welchem der Weg des Weizens und seine Vermarktung mit der gewalthaltigen Geschlechterordnung in den USA verbunden wird und der auch Bezüge zu der heutigen Vermarktung von Waren und Menschen aufweist. In der Postproduktion wurde Murnaus Titel abgeändert in City Girl, was die Heldin Kate genauer charakterisiert. Sie folgt einem Landwirt auf sein Gut und wird – so Deuber-Mankowsky – damit dem Kampf zwischen Land und Stadt, zwischen zwei Generationen, zwischen zwei Geschlechterordnungen, zwischen Moderne und traditionellen Werten ausgesetzt.

Ernst Lubitschs Film Die Austernprinzessin aus dem Jahr 1919 wird ebenfalls neu entdeckt, ein Film, der in ironischer Weise mit Standes- und Geschlechterdünkel spielt. Julia B. Köhne fragt sich, ob hier auf der Suche nach der ‚neuen Frau‘ ein auch noch für die heutige Zeit tragfähiges Beispiel von Subversion von Geschlechterkategorien geboten wurde oder ob der Film trotz seiner Parodie der Schlüssellochperspektive Altem verhaftet bleibt: Die Milliardärstochter Ossi Quaker will durch die Heirat mit einem ihr finanziell unterlegenen Mann ihre Umwelt beeindrucken, aber auch ihr eigenes sexuelles Begehren ausleben. Köhne gesteht Lubitsch zu, dass er „neuartige, androgyne Positionierungen weiblicher Bildlichkeit“ (S. 81) zulässt, stellt aber fest, dass gerade der parodistische ‚Touch‘ des Films auch die emanzipierte Subversion selbst wieder in Frage stellt und damit regressiv wirken kann.

Auch Dorothea Dornhof geht auf die genderorientierte Medienwissenschaft ein, indem sie „Hysterikerinnen und Doppelgänger im frühen Film und okkulten Wissen“ analysiert, wobei sie natürlich Themen von Christina von Braun aufgreift, aber auf doch sehr merkwürdige Nebengleise führt. Genauso wenig überzeugend ist Martin Burckhardts sehr technische Darstellung der Fotografie, in der er zu dem Phänomen der Doppelbelichtung schreibt, wobei er auf von Brauns Motiv des ‚zweiten Blicks‘ verweist.

Gabriele Dietze untersucht in „Die Bohemienne und ihr ‚Imaginary Negro‘“ vier Künstlerinnen (Else Lasker-Schüler, Claire Goll, Nancy Cunard und Hilda Doolittle), die in der Zeit zwischen 1912 und 1930 mit unterschiedlichen Zielen zwei Subalterne miteinander verknüpfen – die der städtischen Bohemienne und den des „Schwarzen Mannes“. Die Autorin zeigt damit überzeugend, wie postkoloniale und feministische Perspektive bezogen auf die deutsche Literaturgeschichte eingesetzt werden können.

Unter dem treffenden Titel „Zwischen ranziger Butter und Kälte“ greift Bozena Choluj mit einem Vergleich zwischen Marieluises Fleißers Prosatext Avantgarde und ihrem Drama Pioniere in Ingolstadt ein Thema auf, das sicher auch in den anderen Band des Symposiums gepasst hätte, da es die 1920er Jahre betrifft. Sie arbeitet die Bezüge zu Fleißers Biographie und die unterschiedliche Darstellung der gewalthaltigen Beziehung zwischen den Geschlechtern im Alltag in Fleißers Prosa und in ihren Dramen heraus. Leider geht sie damit nicht wirklich über die vorliegenden Untersuchungen hinaus, die seit der Fleißer-Renaissance in den 80er Jahren vorgelegt wurden.

Wissenschaft und Wissen

Alle Texte dieses Bandes beschäftigen sich auf irgendeine Weise mit dem vagen Thema ‚Wissen‘, die Beiträge in der folgenden Abteilung sind in besonderer Weise heterogen, da sie die unterschiedlichsten Wissenschaftsfelder von der Biologie bis zur Theologie aufgreifen.

Sicher witzig ist der Ansatz von Kerstin Palm, die sich fragt, ob Heuschrecken zu hypnotisieren sind, wobei sie selbst nicht so ganz weiterkommt mit dieser kulturgeschichtlich bedeutsamen Frage. Umso erhellender ist die Darstellung eines anderen Insekts in der Symbolgeschichte des öffentlichen Diskurses: Eva Johach macht nachvollziehbar, welche Bedeutung die „Bienenkönigin“ zwischen Mythen von Parthenogenese und Matriarchat hatte, und verknüpft dadurch kulturwissenschaftliche und wissenschaftsgeschichtliche Herangehensweisen.

Bettina Bock von Wülfingen zeigt in „Die Krise des Individuums und seine Heilung durch Vererbung“, wie Freuds Psychoanalyse und Häckers Biologie die Gedächtnisformen des Körpers unterschiedlich in den Blick nehmen und damit die Kränkung des sich bis dahin für autonom haltenden Subjekts durch das ‚Unbewusste‘ bzw. die Vererbungssubstanzen in den Griff bekommen wollen. Der Mensch der Jahrhundertwende um 1900 nimmt sich selbst als disparat wahr, zweifelt an einer Identität, die durch eine eigene, unverwechselbare Geschichte geprägt ist. Die Verunsicherung führt zu einer Starre und Passivität, die gesamtgesellschaftlich als bedrohlich wahrgenommen wird. Darauf finden beide Wissenschaftszweige eine völlig verschiedene Antwort. In ihren wissenschaftsgeschichtlich äußerst einprägsamen Ausführungen weist die Autorin nach, dass die im Zellkern oder im psychischen Unbewussten materialisierten Spuren des Vergangenen Möglichkeiten für die Zukunft bereitstellen, die dem Individuum wieder eine Eigenaktivität zugestehen lassen: „Beide Konzepte bergen als Antwort auf die Verunsicherung und Spaltung der Persönlichkeit die Möglichkeit, viele Verschiedene (auch Geschlechter) in sich selbst zu sein, und dabei doch nicht krank, sondern naturwissenschaftlich verbrieft ganz ‚normal‘ zu sein.“ (S. 143)

In einem Artikel, der leider durch allzu viel politische Korrektheit zur sprachlichen Umständlichkeit verkommt, untersucht Antje Lann Hornscheidt die Zuschreibung bzw. Zurückweisung von Religiosität zu bzw. von muslimischen und jüdischen Deutschen. Besonders verdienstvoll ist dabei, dass sie das Konzept der ‚Statisierung‘ aufgreift, die wiederum auf die critical whiteness bzw. den Kritischen Okzidentalismus (Antje Hornscheidt/Gabriele Dietze: Kritischer Okzidentalismus – Ein Zwischenruf. In: Kommune 2 (2006), S. 58–60; oder Gabriele Dietze/Claudia Brunner/Edith Wenzel: Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht. Bielefeld: transcript 2009) verweist. Die Autorin analysiert, wie das ‚Christliche‘ und das ‚Deutsche‘ als „feststehendes Sein“ (S. 148), als unwandelbare Norm gesetzt werden. Anders als bei der Einbeziehung des Jüdischen in die christlich-deutsche Kultur (als ‚jüdisch-christliches Abendland‘) würden Muslim/-innen und ihre Kultur infolge ihrer als „ideologisch aufgeladen[…], gefährlich[…] und für den als Norm gesetzten Humanismus bedrohlich“ gesehenen Religion ausgegrenzt (S. 155 f.), es sei denn, es handele sich um den alltagskulturellen Bereich, vor allem den Genuss- und Konsumbereich (durch ‚orientalische‘ Nahrung, Musik oder Wohnkultur), wo einzelne Teile des Fremden in die gemeinsame Identität ‚einverleibt‘ werden.

Kulturwissenschaftlich arbeitet auch Claudia Bruns, die aus der Männlichkeitsforschung bekannt ist. Sie zeigt an den Kontroversen zwischen Freud, Blüher und Hirschfeld, wie der „effeminierte Homosexuelle“ pathologisiert und rassisch abgewertet wurde. Insbesondere der der Jugendbewegung zugehörige Hans Blüher habe sich dabei hervorgetan durch eine Hinwendung zum Männerbund und eine Abwendung vom „Effeminierten“, die ja für die Reformpädagogik noch lange Zeit bestimmend bleiben sollte, die sich indirekt aber auch bei Freud gefunden habe. Bruns deckt persönliche und organisatorische Verbindungen zwischen den drei Männern in der Zeit um 1912/1913 auf und betont vor allem, dass die Bewertung der Homosexualität sich an der Geschlechterdichotomie orientierte: Als „Gesunde Homosexuelle“, die auch „kultur- und gesellschaftsstiftend“ wirken konnten, galten damit nur die, die nicht „invertierten Weiblingen“ (S. 182) ähnelten.

Jana Husmanns kirchengeschichtliche Analyse des evangelikalen Bibelbundes verdeutlicht, wie auch noch die heutige Forschung fälschlicherweise versucht, die wörtliche Auslegung der Bibel als Widerstand gegen den Nationalsozialismus erscheinen zu lassen – ein Beitrag, der wieder völlig aus dem Kontext der sonstigen Themen herausragt, ebenso wie der folgende von Ulrike Auga, die sich dem Motiv des „Kollektivkörpers“ zuwendet und untersucht, wie dieser im heutigen Zeitalter der Globalisierung vergeschlechtlicht wird.

Kunst und Wissen

In der letzten Abteilung des Sammelbandes sind nur drei Beiträge enthalten. Dabei ist aber nicht ersichtlich, warum ein Aufsatz zur Prosa Marieluise Fleißers im ersten Großkapitel erscheint, Ute Frietschs „Das Theater des Marquis de Sade“ aber hier. Die Autorin bleibt in ihrem Beitrag fast nur bei einer biographischen Analyse des revolutionären Adeligen, der gleichzeitig als Patient und Heiler in einer Irrenanstalt aufgetreten ist, ein Motiv, das ja literarisch zu einigen Verarbeitungen Anlass gab (etwa von Peter Weiß).

Kulturgeschichtlich aufschlussreicher ist dagegen Ulrike Brunottes Beitrag zur Jahrhundertwende. Sie greift den Fall der englischen Tänzerin Maud Allan auf, die mit ihrem Entschleierungs-Tanz den Mythos der biblischen Salome-Figur im Kontext der orientalistischen und schwülstigen Atmosphäre des Fin de Siècle aufleben ließ und dafür öffentlich verfolgt wurde. Obwohl die Bezugnahme auf den orientalischen Tanz auf die Überlegenheits-Geste des Empires zurückverweisen sollte − „to transform what was ‚Eastern‘ into something ‚Western‘, something ‚erotic‘ in something ‚spiritual‘“ (S. 242) –, sei Maud Allan zwischen die Fronten geraten: Von den einen wurde sie als white witch, als Vamp, angegriffen, von den anderen als reine, spirituelle Verkörperung der „gesunden, christlichen Frau“, die dennoch der „inneren Kolonialisierung des okzidentalen Frauenkörpers“ unterworfen wird (S. 248). Brunottes Artikel zeigt, wie erhellend eine Kombination aus postkolonialer und feministischer Theorie vorgehen kann.

Etwas problematisch ist die Verteidigung von Mary Baker Eddy durch Sabine Grenz. Eddy (1821–1910), die als Begründerin der Christian Science noch lange nach ihrem Tod auch in Deutschland weiterwirkte, wurde von Stefan Zweig in einem Essay mit reichlich sexistischen Argumenten abgewertet, während er ihr Franz Anton Mesmer und Sigmund Freud als positive Beispiele der „Heilung durch den Geist“ gegenüberstellte. Grenz verteidigt Mary Baker Eddy, was nicht immer ganz nachvollziehbar ist. Sicher handelt es sich bei ihr um eine starke Frau, Eddys Leben und Lehre sind für das 19. Jahrhundert Beweise für eine mutige Haltung einer Frau, die auch theologisch-feministisch Neues wagte, etwa in der Darstellung Gottes als höchste Vater-Mutter oder in dem Mut, sich selbst als direktes Medium zu Gott zu bezeichnen. Gleichzeitig ist die Christian Science-Sekte, die weiter aktiv ist, heute kaum mehr ernst zu nehmen als zu Zweigs Zeit.

Fazit

Der Band zeigt Vor- und Nachteile einer kulturwissenschaftlichen Herangehensweise: Man ist offen für die Vielfalt der (populären) Kultur, gerät aber auch in einen unüberschaubaren ‚Markt der Möglichkeiten‘. Sicher kann Christina von Braun in fast allen dieser Beiträge ein bisschen von sich selbst entdecken, die Leser/-innen sind angesichts so heterogener Herangehensweisen etwas überfordert – nicht jedeR interessiert sich für diese Bandbreite von Forschungsobjekten. Kritik darf man da aber nicht an den Autor/-innen üben, sondern eher an den Herausgeberinnen, die mit dieser Festschrift kein einheitliches inhaltliches Konzept vorlegen konnten, ein Vorwurf, den man sicher vielen Sammelbänden dieser Art machen muss.

Dr. Annette Kliewer

Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Gymnasium im Alfred-Grosser-Schulzentrum

Privatdozentin am Deutschen Institut; Oberstudienrätin am Gymnasium im Alfred-Grosser-Schulzentrum Bad Bergzabern

E-Mail: annette.kliewer@neuf.fr

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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