Der Betrieb als Produzent von Ungleichheit und Gleichstellung

Rezension von Daniela Rastetter

Projektgruppe GiB:

Geschlechterungleichheiten im Betrieb.

Arbeit, Entlohnung und Gleichstellung in der Privatwirtschaft.

Berlin: edition sigma 2010.

563 Seiten, ISBN 978-3-8360-8710-0, € 29,90

Abstract: Der Sammelband bietet einen empirisch fundierten Überblick über betriebliche Geschlechterverhältnisse in der Privatwirtschaft. Dafür wird die aktuelle Daten- und Forschungslage zu Beschäftigungsstrukturen, Arbeitszeiten, Qualität der Arbeit, Entlohnung und Frauen in Führungspositionen aufbereitet und analysiert. Die sehr lesenswerte und mit einer Fülle von aktuellem Datenmaterial versehene Veröffentlichung richtet sich an Vertreter/-innen aus Gewerkschaften, Politik, Wissenschaft, Medien sowie an Praktiker/-innen in Unternehmen und ist auch gut für die Lehre an Hochschulen geeignet. Ihr Vorzug besteht in einer konsequenten Ausrichtung an der betrieblichen Ebene.

Der Band wurde von einem Team der Hans-Böckler-Stiftung konzipiert: Silke Bothfeld, Christina Klenner, Astrid Ziegler und Manuela Maschke. Zusammen mit externen Expert/-innen entstand die als Herausgeberin fungierende „Projektgruppe GiB“ – GiB steht für „Geschlechterungleichheiten im Betrieb“. In der Einleitung legen Klenner, Maschke und Gertraude Krell dar, dass die betriebliche Ebene und die in Betrieben handelnden Menschen im Hinblick auf die Produktion und Reproduktion von Geschlechterungleichheiten im Fokus aller Beiträge stehen. Betriebliche Akteure spielen aber auch eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, weshalb mithilfe der Analysen im vorliegenden Band Wissen für gleichstellungspolitische Maßnahmen bereitgestellt werden soll. Dass die betriebliche Ebene so wichtig ist, erklären die Autor/-innen mit dem herrschenden „Gleichheitsmythos“ (S. 10) in Unternehmen, der beinhaltet, dass wahrgenommene Ungleichheiten nicht auf betriebliches Handeln zurückgeführt wird, sondern auf außerbetriebliche Ursachen, z. B. Berufswahl, häusliche Arbeitsteilung, mangelnde Kinderbetreuung oder einfach biologische Geschlechterunterschiede. Dagegen wollen die insgesamt sechzehn Autor/-innen des Bandes zeigen, dass betriebliche Personalpolitik einen zentralen Einfluss auf die Herstellung, aber auch auf den Abbau von Geschlechterungleichheiten hat, nämlich durch Anforderungsprofile, Einstellungspolitik, Beförderungen, Entgelte, Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung etc. Die Analysen unterscheiden Betriebe nach den Kriterien Betriebsgröße, Branchenzugehörigkeit, Frauenanteil an den Beschäftigten, Tarifbindung, Mitbestimmungsstrukturen und Region Ost/West. In den acht Kapiteln wird untersucht, welche Zusammenhänge zwischen diesen Kriterien und dem jeweiligen Handlungsfeld (Entlohnung etc.) bestehen.

Rechtliche Gleichstellungsregelungen

Silke Bothfeld, Sebastian Hübers und Sophie Rouault liefern im 1. Kapitel, „Gleichstellungspolitische Rahmenbedingungen für das betriebliche Handeln“, einen faktenreichen internationalen Vergleich verschiedener Policy-Regime beruflicher Gleichstellungspolitik, insbesondere in Bezug auf rechtliche Regelungen, mit einem großen Anhang zu Zahlen und Studien im internationalen Vergleich. Es wird gezeigt, dass zu viele unverbindliche Regeln in Deutschland konkrete Maßnahmen erschweren. Ob das seit 2006 existierende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz etwas bewirkt, bleibt offen, jedoch kann eine eigene Untersuchung der Rezensentin zeigen, dass das AGG bislang geringe Auswirkungen auf Gleichstellung hatte und die Unternehmen nur dort aktiv wurden, wo überprüfbare Vorgaben existieren, z. B. bei der Informationspflicht. Bei Einstellungs- oder Beförderungspraktiken nutzen sie ihre schwer kontrollierbaren Handlungsspielräume. (Sibylle Raasch/Daniela Rastetter: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Gesetzliche Regelungen und Umsetzung im Betrieb. In: Bernhard Badura et al (Hg.): Fehlzeitenreport 2010. Vielfalt managen: Gesundheit fördern – Potenziale nutzen. Berlin u. a: Springer 2010, S. 11–22).

Juliane Achatz, Miriam Beblo und Elke Wolf gehen im Folgenden auf Fragen der Trennung von Frauen- und Männerarbeit auf betrieblicher Ebene ein. Ein Hauptbefund sei, dass die Segregation auf dem Arbeitsmarkt in Betrieben zwar abgeschwächt werde, dass es aber große Unterschiede zwischen den Betrieben gebe. Zu diesem Thema wäre es m. E. notwendig, vertiefte Analysen von Betrieben mit besonders geringer bzw. besonders hoher Segregation vorzunehmen, was aber nicht Aufgabe der Autor/-innen war, die vorliegende Datensätze auswerteten.

Unterschiedliche Arbeitsverhältnisse und -zeiten

Das Handlungsfeld Arbeitszeit wird von Christina Klenner und Susanne Kohaut im Kapitel „Vollzeit, Teilzeit, Minijobs“ thematisiert. Wie zu erwarten, sind die Arbeitszeiten von Frauen deutlich kürzer als die von Männern, wirklich extrem sind jedoch die Zahlen zu Frauen, die Kinder versorgen: Vier Fünftel der Mütter arbeiten Teilzeit. Die betriebliche Ebene spiele vor allem eine Rolle bei der Ausgestaltung der Teilzeit hinsichtlich Entlohnung und Aufstiegschancen. Gerade letztere seien bei Teilzeitjobs gering, oder umgekehrt gesagt: Kaum eine Führungskraft arbeite in Teilzeit. Stephan Höyng stellt in seinem Exkurs „Männer zwischen Beruf und privatem Leben“ fest, dass neue Koalitionen zwischen Müttern und Vätern denkbar sind, da beide ein Interesse an Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben, zumindest wenn es sich nicht um klassische ‚Karrieremänner‘ oder ‚gute Ernährer‘ handelt.

Tatjana Fuchs behandelt atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen überproportional viele Frauen zu finden sind, obwohl auch immer mehr Männer von solchen Beschäftigungsverhältnissen betroffen sind. Da prekäre Beschäftigung allgemein zunimmt und politisch unterstützt wird, stellt sich bei diesem Thema die Frage, welchen Stellenwert bzw. welche Einflussmöglichkeiten betriebliches Handeln hat, das ja im Fokus des Buches steht. Hier sind vermutlich in erster Linie politische Maßnahmen nötig, um eine bessere Absicherung von Arbeitsverhältnissen zu erreichen. Im 6. Kapitel behandelt Fuchs die wichtige Frage der Güte der Arbeitsbedingungen, die gemäß der Befunde eher auf die Länge der Arbeitszeit zurückzuführen ist, als dass es einen Zusammenhang mit Geschlecht gäbe. Dadurch ergebe sich ein geschlechtsunspezifisches Desiderat, nämlich die Reduzierung der Arbeitszeit ohne Minderung von Entwicklungschancen und ohne Gefährdung der Existenzsicherung für beide Geschlechter.

Unterschiedliche Bezahlung und Karrierechancen

Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen und das Fehlen von Frauen in den Führungspositionen in Politik und Wirtschaft sind ebenfalls Themen, die betriebliche Maßnahmen erfordern. Dem Gender Pay Gap widmen sich Astrid Ziegler, Hermann Gartner und Karin Tondorf. Zum komplexen Thema „Entgeltdifferenzen und Vergütungspraxis“ liegen neben den hier referierten bereits frühere Befunde vor, die stets multifaktorielle Erklärungen bieten und einen sogenannten ‚unerklärten Rest‘ des Einkommensunterschieds konstatieren, der vermutlich auf Diskriminierung beruht. Da dieser Rest offenbar schwer zu analysieren ist, wäre es meines Erachtens notwendig, vertiefte Studien in Betrieben zur Wirkung von Geschlechterstereotypen und zu Strategien verschiedener Interessengruppen zu machen, um das Zustandekommen von Entgeltdifferenzen aufzuklären, die möglicherweise von den Arbeitgebern selbst nicht bewusst geschaffen werden.

Einen umfassenden Einblick in den Stand der Forschung zu Frauen und Männern in Führungspositionen gibt Gertraude Krell. Ungleichheiten seien auf diesem Gebiet relativ veränderungsresistent, nicht nur bezüglich vertikaler Segregation, sondern auch im Hinblick auf Verdienste und Arbeitszeiten. Da es sich um ein umkämpftes Terrain mit Konkurrenz um knappe Ressourcen handele, hätten sozialpsychologische Phänomene (Führungsprototypen, Einflüsse von Majoritäten etc.) sowie interessengeleitete Strategien einen stärkeren Einfluss als objektive Faktoren wie Bildung, aber auch als vermeintlich zentrale Faktoren wie Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie. Die Erhöhung der Gleichstellungsmotivation und -kompetenz der Akteure sei deshalb ebenso wichtig wie die Einführung weiterer gesetzlicher Vorgaben wie der momentan – wieder einmal – diskutierten Quote.

Gleichstellungspolitiken

Im letzten Kapitel werden von Manuela Maschke unter Mitarbeit von Elke Wiechmann die „Instrumente und Akteure betrieblicher Gleichstellungsförderung“ unter die Lupe genommen. Dabei gehen sie wiederum auf das AGG ein, das in vielen Betrieben die einzige gleichstellungspolitische Grundlage ist, jedoch, wie oben gesagt, wenig konkrete Wirkungen zeitigt. Ein häufiges Phänomen sei die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bzw. zwischen offizieller und tatsächlicher Gleichstellungspolitik, wie sie auch Krell in ihrem Beitrag konstatiert. Selbst in Unternehmen, die sich Gleichstellung oder Managing Diversity auf die Fahne geschrieben hätten, erreiche dieses Leitbild nur bestimmte Gruppen, andere wollten davon nichts wissen oder fühlten sich nicht betroffen. Dies scheint mir in der Tat eine Hauptschwierigkeit zu sein: Wer in einer Maßnahme keinen unmittelbaren Gewinn für sich erkennt, wird diese Maßnahme kaum unterstützen. Eine besondere Rolle spielen laut den Autor/-innen die Betriebsräte, die jedoch ihre Handlungsmöglichkeiten nicht voll ausnutzen würden und deren Gleichstellungsmotivation ebenso erhöht werden müsse wie die der Führungskräfte.

Fazit

Der Sammelband vereint eine Fülle von Analysen zu Geschlechterungleichheiten in Betrieben und liefert umfangreiches Datenmaterial. Ein methodischer Anhang beschreibt verschiedene Erhebungen, deren Daten für Untersuchungen zu Geschlechterverhältnissen herangezogen werden (können). Das Ziel, Wissen sowohl für gleichstellungspolitische Akteure als auch für weitere Forschungsarbeiten bereitzustellen, wird bestens erfüllt. Der Vorspann zu jedem Kapitel, „Das Wichtigste in Kürze“, stellt eine sehr gute Lesehilfe dar und bietet einen schnellen Überblick. Alle zentralen Themen der Gleichstellungsarbeit werden angesprochen. Zwar sind Faktoren wie die (Re-)Produktion von Stereotypen, konkurrenzorientiertes Verhalten, die Rolle und das Verhalten von Vorgesetzten, gruppendynamische Prozesse oder auch unternehmenskulturelle Phänomene kaum Gegenstand der Analyse, ebenso wenig findet man theoretische Ansätze zu Geschlechterunterscheidungen, doing gender etc. Da der Band aber sehr umfangreich ist und der Schwerpunkt auf aktuellem Datenmaterial liegt, gehören solche Themen in ein anderes Buch. Sehr gelungen ist der überwiegend konsequente Bezug auf die betriebliche Ebene, denn in vielen Veröffentlichungen werden individuelle, politische, gesellschaftliche und organisationale Faktoren vermischt. Dieser Band ist mithin für alle am Thema Interessierten ein absolutes Muss und kann auch gut für die Lehre eingesetzt werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn122079

Prof. Dr. Daniela Rastetter

Universität Hamburg

Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: Professur für Personal, Organisation und Gender Studies

Homepage: http://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereiche/sozialoekonomie/fachgebiete/bwl/schwerpunkte/personal-und-organisation/rastetter-daniela/

E-Mail: daniela.rastetter@wiso.uni-hamburg.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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