Dimensionen und Konventionen der Sichtbarkeit

Rezension von Tanja Maier

Johanna Schaffer:

Ambivalenzen der Sichtbarkeit.

Über die visuellen Strukturen der Anerkennung.

Bielefeld: transcript Verlag 2008.

200 Seiten, ISBN 978-3-89942-993-0, € 24,80

Abstract: Wie können minorisierte Gruppen sichtbar (gemacht) werden, ohne dabei in der Art und Weise ihrer visuellen Darstellung die Minorisierungen zu wiederholen, die sie eigentlich kritisieren wollen? Dies ist die zentrale Frage, die sich durch die vorliegende Arbeit von Johanna Schaffer zieht. Sie bearbeitet den Modus der Sichtbarkeit im Feld der visuellen Kultur unter epistemologischen, politischen und insbesondere ästhetischen Gesichtspunkten. Ihre Einwände gegen naive Vorstellungen, die Sichtbarkeit kausal mit einem Zugewinn an Macht verbinden, entwickelt Schaffer aus einem Zusammenspiel von Bildanalysen mit Theorie- und Begriffsarbeit. Insgesamt ein lesenswertes Buch, das nicht nur theoretisch fundiert ist und interessante Bildlektüren liefert, sondern auch ein (bild-)analytisches Instrumentarium an die Hand gibt.

Sichtbarkeit und gesellschaftliche Strukturen der Anerkennung

„It is better to be looked over than overlooked“: So sieht es zumindest die US-amerikanische Schauspielerin und Drehbuchautorin Mae West in dem 1934 produzierten Film Belle of the Nineties. Das Schlimmste scheint demnach zu sein, so legt es zumindest das Zitat nahe, übersehen oder womöglich gar nicht gesehen zu werden. Bedenken gegenüber einem Ausschluss aus der Repräsentation finden sich auch heute immer wieder in oppositionellen politischen Debatten, wenn etwa mehr Sichtbarkeit für Frauen, für Migrantinnen oder für Schwule gefordert wird, um nur einige Beispiele zu nennen. Oft liegt diesen Forderungen eine durchweg positive Beurteilung der Sichtbarkeit zugrunde, ein Mehr an Sichtbarkeit wird dann bereits als politischer Erfolg gewertet. Dass diese simplifizierende Annahme zu kurz greift, ist eine der Prämissen der vorliegenden Arbeit.

Die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Johanna Schaffer, die die Bedeutungen der politischen, epistemologischen und vor allem ästhetischen Dimensionen der Sichtbarkeit untersucht, wendet sich gegen die Vorstellung eines direkten, „kausalen Zusammenhangs zwischen Sichtbarkeit und politischer Macht“ (S. 12). Mit Rückgriff auf feministische, queere und antirassistische Diskussionen systematisiert Schaffer verschiedene Einwände gegen allzu euphorische Sichtbarkeitsargumentationen. So könne etwa Unsichtbarkeit auch ein Privileg und ein Überlebensfaktor für marginalisierte Positionen sein. Schaffer fordert, sich nicht einfach mit der Frage danach zufrieden zu geben, was wie häufig sichtbar gemacht wird. Vielmehr müsse analysiert werden, „wer zu sehen gibt, in welchem Kontext – und vor allem: wie, d. h., in welcher Form und Struktur zu sehen gegeben wird“ (S. 12). Es geht somit um die Bedingungen der Sichtbarkeit, welche die zentrale Rolle spielen.

Auf dieser Basis lassen sich dann auch jene Formen der Repräsentation befragen, die versuchen, in der visuellen Darstellung von minorisierten Subjektpositionen nicht die normativen Identitätsanforderungen mit ihren Ein- und Ausschlüssen zu reproduzieren. Hierfür führt Schaffer den Begriff der „anerkennenden Sichtbarkeit“ (S. 19) ein, der Anerkennung in Anlehnung an Judith Butler und Iris Marion Young mit einer „Lesbarkeit und Verstehbarkeit spezifischer Subjektpositionen“ und einer „Belehnung mit Wert“ (S. 20) verbindet. Schaffer verschiebt damit die Diskussion weg von quantifizierenden Forderungen hin zu einer Perspektive, welche das reflexive Potential von Sichtbarkeitsforderungen betont.

Visuelle Kultur als Forschungsfeld und -praxis

Schaffer verortet ihre Arbeit im Feld der visuellen Kultur, wobei sie sich unter anderem auf die Arbeiten von Irit Rogoff und Nicholas Mirzoeff bezieht. Sie betont dabei, dass sich visuelle Kultur nicht nur mit Bildern, den Apparaturen des Sehens und Fragen der Subjektkonstitution beschäftigt, sondern auch mit den Modi von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in ihrem Verhältnis zueinander sowie mit der technischen und sozio-kulturellen Hergestelltheit der Sichtbarkeit.

Sichtbarkeit versteht die Autorin dabei als Repräsentation, die sowohl auf der Ebene der Darstellung als auch auf der der Herstellung ein diskursives Produkt ist. Sie entwirft ein semiotisch und diskursanalytisch geschultes Repräsentationsverständnis (insbesondere anlehnend an Roland Barthes, Stuart Hall, Michel Foucault und Susanne Lummerding), welches Repräsentation als Wirklichkeitskonstruktion versteht und sowohl nach den visuellen Prozessen der Bedeutungsproduktion als auch nach deren jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Effekten fragt.

Zwischen bedingter Anerkennung und anerkennender Sichtbarkeit

Anhand von mehreren Bildanalysen geht Schaffer den minorisierenden und majorisierenden Formen der Bedeutungsproduktion und Effekten visueller Repräsentationen nach. Sie macht auf Probleme von durchaus antirassistisch motivierten Bildproduktionen aufmerksam, die von öffentlicher Hand gefördert werden. Hierfür richtet sie den Blick auf das vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk produzierte „Migrant_innendrama“ (S. 63) sowie auf zwei staatlich unterstützte Plakatkampagnen zu den Themen ‚Einbürgerung‘ und ‚Deutsche gegen rechte Gewalt‘. Vermittels unterschiedlicher Strategien des Stereotypisierens (S. 60 ff.) und der Verknappung (S. 92 ff.) produzieren diese Bilder eine Form der Sichtbarkeit, die Schaffer eine „visuelle Anerkennung im Konditional“ (S. 60, 70, 92 f.) nennt – eine visuelle Form der Konstruktion von Differenz, welche nur eine Seite der Differenz mit Souveränität auflädt. Eine solche „bedingte Anerkennung“ (S. 60) meint, dass Sichtbarkeit und Anerkennung nur dann möglich sind, wenn die Souveränität und das Privileg der Handlungsmächtigkeit der dominanten Subjektpositionen nicht zur Disposition stehen.

Diesen öffentlich geförderten Bildproduktionen stellt die Autorin fotografische Arbeiten von Catherine Opie und von Del LaGrace Volcano gegenüber, die im Kunstkontext zirkulieren und versuchen, anerkennende Sichtbarkeit für transmännliche Subjektpositionen herzustellen. Ausgehend von Arbeiten Kaja Silvermans und Teresa de Lauretis diskutiert sie die Möglichkeiten solcher gegen-hegemonialer Repräsentationen, die ihren Einspruch „im Rahmen“ der kritisierten Hegemonie und „inmitten“ der dominanten Darstellungskonventionen formulieren (S. 111). Sie beschreibt hierfür zwei mögliche Strategien, welche vorhandene Darstellungskonventionen umarbeiten und somit dominante Repräsentationsformen diskutierbar machen: das „Besetzen“ (S. 128 ff.) hegemonialer Repräsentationstechniken in Catherine Opies Arbeiten und das „Auffalten“ (S. 130 ff.) bei Del LaGrace Volcano.

Nicht zuletzt geht es Schaffer, bezogen auf Möglichkeiten der anerkennenden Sichtbarkeit, nicht nur um visuelle Repräsentationen, sondern auch um die Praxis des Blickens und Sehens. Sie fragt danach, wie auch auf der Ebene des Sehens eine Orientierung an herrschenden Normen umgangen werden kann. Ausgehend von Überlegungen Kaja Silvermans zu den visuellen Grundlagen der Konstitution von Subjektivität, die Schaffer mit dem Begriff der Anerkennung bei Butler verbindet, entwickelt sie psychoanalytisch fundierte Überlegungen zu den Bedingungen einer (selbst-)reflexiven Praxis des Sehens, die das „Öffnen von Bedeutungen“ (S. 154) betont.

Fazit

Die lesenswerte Dissertation von Johanna Schaffer, die hier in Buchform vorliegt, ist in der Reihe Studien zur visuellen Kultur erschienen. Ohne Zweifel leistet sie einen wichtigen Beitrag zu diesem Forschungsfeld, indem sie politische, epistemologische und ästhetische Fragen der Sichtbarkeit für das Feld der visuellen Kultur untersucht. Schaffer steuert dabei nicht nur auf inspirierende Weise zu den politischen Debatten um die Frage bei, wie minorisierte Positionen anerkennend zur Anschauung gebracht werden können. Sie legt zugleich einen wichtigen theoretischen Ansatz zu Fragen der Sichtbarkeit im Feld der visuellen Kultur vor und bietet ergänzend ein „(bild-)analytisches Werkzeug“ (S. 105) für die Bearbeitung von visuellen Formen der Bedeutungsproduktion an.

URN urn:nbn:de:0114-qn111175

Dr. Tanja Maier

Freie Universität Berlin

Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Journalistik

E-Mail: tanja.maier@fu-berlin.de

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