Rurale Frauenforschung im Alpenland

Rezension von Parto Teherani-Krönner

Theresia Oedl-Wieser, Ika Darnhofer (Hg.):

Gender Issues in der Landwirtschaft.

Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft für Agrarökonomie. Band 18, Heft 2.

Wien: facultas.wuv Universitätsverlag 2009.

198 Seiten, ISBN 978-3-7089-0432-0, € 16,50

Abstract: Das Sonderheft bietet ein differenziertes Bild der Lebensbedingungen von Bäuerinnen und thematisiert das Geschlechterarrangement in agrarischen Betrieben in verschiedenen europäischen Ländern. Positiv zu bewerten ist der schematische Aufbau aller Beiträge mit Erläuterungen zu Forschungsmethode und Datenermittlung, abschließenden Schlussfolgerungen sowie zum Teil konkreten Empfehlungen. Es fehlt allerdings eine thematische Zuordnung und Systematisierung der Beiträge. Und auch wenn die Einzelbeiträge wertvolle Informationen liefern, so lassen sich übergreifende theoretische und methodologische Bezüge vermissen. Auch wird keine Verbindung zur schon lang andauernden Debatte zur Ruralen Frauenforschung in Ländern des globalen Südens hergestellt. Damit wird eine Chance versäumt, im wissenschaftlichen Diskurs oder im politischen Geschehen mitwirken zu können.

Ein begrüßenswertes Sonderheft

Die rurale Frauen- und Geschlechterforschung widmet sich der differenzierten Betrachtung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Geschlechter in ländlichen Räumen sowie deren Wandels. Formen der Arbeitsteilung, die kulturell unterschiedlich organisiert sein können, und verschiedene Arrangements im Zugang zu Ressourcen sind Themen, die für die Entwicklung ländlicher Räume zentral sind. Das Zusammenspiel der Geschlechter ist für das soziale und kulturelle Leben auf dem Land genauso wichtig wie technische und wirtschaftliche Fragen der Produktion. Doch sind auch technische Innovationen sowie Erzeugung und Auswirkungen von Umweltbelastungen nicht geschlechtsneutral zu sehen. Forschungen der vergangenen drei bis vier Dekaden, die allerdings überwiegend in Entwicklungsländern durchgeführt wurden, haben gezeigt, wie wichtig Geschlechteranalysen bei der Einschätzung von Handlungsspielräumen für Veränderungsprozesse sind.

Somit ist es beachtlich, dass das Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft für Agrarökonomie nun auch dem Thema der Frauen- und Geschlechterforschung ein Sonderheft gewidmet hat. Der von Theresia Oedl-Wieser und Ika Darnhofer herausgegebene Sammelband enthält 14 Beiträge mit einzelnen Berichten vorwiegend aus Österreich, aber auch aus Deutschland, Italien, Slowenien und der Schweiz sowie eine vergleichende Studie zwischen Japan und Österreich. Zum Teil handelt es sich um Berichte aus größeren Forschungsprojekten auf EU-Ebene, die einen wertvollen Beitrag zu vergleichenden Sozialforschungsvorhaben darstellen.

Jeweils eine Zusammenfassung auf Deutsch und Englisch, ein einheitliches Aufbauschema in den Einzelbeiträgen sowie zum Teil konkrete Empfehlungen sprechen für die Autorinnen und Autoren und eine abgestimmte Vorbereitungsarbeit der Herausgeberinnen. Allerdings werden die einzelnen Beiträge ohne erkennbare Bezüge aneinandergereiht, es fehlt eine Zuordnung in Themenschwerpunkte, es finden sich auch keine Verweise auf andere Aufsätze des Bandes. Da weder im Vorwort noch im einführenden Kapitel die Zusammenstellung oder Auswahlkriterien der Einzelbeiträge erläutert werden, lässt sich kein roter Faden erkennen – oder gar bunte Fäden.

Dabei stellt Theresia Oedl-Wieser in ihrem einleitenden Kapitel eine sehr gelungene Systematisierung mit einer interessanten Chronologisierung der Arbeiten zur Ruralen Frauen- und Geschlechterforschung in Österreich vor und bettet diese auch in einen größeren Rahmen der Genderforschung ein. Ihre Klassifikation erinnert an die Diskussion über WID (Women in Development) zu GAD (Gender and Development), wie sie mit der Arbeit von Caroline O.N. Moser (Gender Planning in the Third World: Meeting Practical and Strategic Gender Needs. In: World Development 17 (1989) 11, S. 1799–1825) in der Entwicklungspolitik systematisiert wurde – dieser Bezug allerdings findet keine Erwähnung.

Die einzelnen Aufsätze des Sonderhefts werden in die geleistete Systematisierung nicht eingebunden. In dieser Rezension soll nun eine thematische Gliederung und Zuordnung vorgenommen werden, wobei ich kurz auf die einzelnen Beiträge eingehen werde.

Wertschätzung der Arbeit von Bäuerinnen

Eine Reihe von Beiträgen untersucht die Wertschätzung der Arbeiten von Frauen und Männern auf dem Land. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestätigt sich die These, dass gesellschaftlich notwendige Arbeit (Versorgungsarbeit, Subsistenzarbeit und viele von Frauen übernommene Domänen) wenig Anerkennung findet.

So beschreibt Simone Helmle in ihrer historischen Betrachtung, wie in Bayern nach 1945 durch die Initiative des deutschen Bauernverbands ein Landfrauenverband zustande kam, die Bäuerinnen aber erst ab 1971 ihre Vertreterinnen auf höheren Ebenen selbst wählen konnten. Zwar werden Frauen auf dem Hof heute nicht mehr als ‚Mithelfende‘ bezeichnet, aber als Betriebsinhaberinnen sind sie nur zu 5% im Haupterwerb und zu 8% im Nebenerwerb registriert (S. 34).

Angelika Wolf widmet sich der qualitativen Geschlechteranalyse des bäuerlichen Alltags in Reichraming (Österreich), sie unterstreicht, dass der hohe Zeitaufwand für Versorgungsarbeit kaum Beachtung findet. Anhand von nur vier Fallbeispielen werden Einblicke in Lebensrealitäten von Bäuerinnen in Haupt- und Nebenerwerb gewährt, wobei die Verallgemeinerung jedoch zu gewagt sein dürfte.

Im Beitrag zu Selbstbildern Südtiroler Bäuerinnen (Anja Matscher, Manuela Larcher, Stefan Vogel und Oswin Maurer) werden wir mit einer differenzierten Typisierung von Voll- und Teilzeit-Landwirtinnen vertraut gemacht. Gegenüber dem stereotypen Fremdbild vermitteln die unterschiedlichen Perzeptionen dieser Frauen einen Trend in Richtung auf Realisierung individueller Lebensentwürfe, die auch in der ländlichen Lebenswelt Beachtung verdient. Das Interesse von Frauen an Aktivitäten außerhalb der Landwirtschaftsbetriebe sei nicht nur ökonomisch zu begründen, es gebe auch immaterielle Werte, die angestrebt werden. Zudem übernähmen Männer im Fall der Erwerbstätigkeit ihrer Frauen außerhalb des Betriebs eher Kinderbetreuung und Haushalt (S. 50), wodurch Ansätze zu neuen Geschlechterarrangements entstünden. Nur mit der Möglichkeit zur Verwirklichung zeitgemäßer Lebensentwürfe könne das Wohnen auf dem Hof und in ländlichen Räumen attraktiver werden, so dass auch der Partnerlosigkeit der Bauern entgegengewirkt werden könnte. Hier wird ein unmittelbarer Bezug zur Zukunftsperspektive und der Anwendungsorientierung dieser Forschung als Empfehlung ausgesprochen.

Lebensqualität in ländlichen Lebensräumen

Einige Autor/-innen befassen sich im Zuge der Gender-Mainstreaming-Programme der EU mit Themen der Lebensqualität und Chancengleichheit der Geschlechter in ländlichen Räumen und untersuchen Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie Erwerbskombinationen auf Höfen.

Gerda Schneider und Peter Kurz arbeiten mit einer interessanten Untersuchungsmethode zur Differenzierung der Bäuerinnen. Der methodische Ansatz zum „differenzierten Blick“ wird auch für zukünftige Untersuchungen aufschlussreich sein, da ein Konzept zur partizipativen Untersuchung des ‚sozialen Raums‘ aus der Entwicklungssoziologie und interkulturellen Geschlechterforschung aufgegriffen wird (Gudrun Lachenmann/Petra Dannecker [eds.]: Negotiating Development in Muslim Societies: Gendered Spaces and Translocal Connections. Lanham: Lexington 2008). Auch der methodische Ansatz von Doris Damyanovic ist beachtenswert, da er raumplanerische und soziokulturelle Aspekte des Alltagslebens zusammenführt. Hier könnten sicher auch Ansätze der Human-, Kultur- und Sozialökologie (vgl. auch den Beitrag von Smetschka/Gaube/Lutz oder Parto Teherani-Krönner: Geschlechtergerechtigkeit – Zugangsrechte zu Ressourcen, eine humanökologische Aufgabe. In: Karl Bruckmeier/Wolfgang Serbser [Hg.]: Ethik und Umweltpolitik. München: oekom 2008, S. 237–260) hilfreich sein, um eine stärkere theoretische Einbettung zu ermöglichen.

Mit der exzeptionellen Langzeitstudie – über 30 Jahre –, in der Generationen- und Geschlechterbeziehungen im Agrarstrukturwandel in Westdeutschland verfolgt werden, lenkt Mathilde Schmitt den Fokus auf die Pluriaktivität in den mittlerweile 55% Nebenerwerbsbetrieben. Es gelingt ihr, die Daten aus 63 Untersuchungsdörfern unter Verweis auf globale Entwicklungen (z. B. die Umweltkonferenz in Rio de Janeiro und die EU-Agrarpolitik) mit einem handlungstheoretischen Ansatz zum ‚kreativen Handeln‘ (Hans Joas: Die Kreativität des Handelns. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1996) zu verbinden.

Claudia Marchesoni und Giorgio De Ros gehen der Frage nach, ob es je nach Grad der Mechanisierung der landwirtschaftlichen Betriebe Unterschiede in der Beteiligung von Frauen gibt. Die Frage des Einsatzes von Agrartechnik ist bereits seit Beginn der Ruralen Frauenforschung (Ester Boserup: Women’s Role in Economic Development. London: Earthscan 1970) ein zentrales Thema gewesen. In der Untersuchungsregion Trentino (Italien) gelingt es den Betriebsleiterinnen kleinerer Betriebe, für sich besondere Produktionsnischen zu entdecken und zu nutzen.

Hofnachfolge und Zukunft der ruralen Entwicklung

Das Thema der Hofnachfolge schwingt in mehren Beiträgen mit. Manuela Larcher und Stefan Vogel berufen sich auf eine umfangreiche schriftliche Befragung von Hofleiter/-innen in Österreich. Auch wenn vereinzelt Frauen als Hofnachfolgerinnen oder Betriebsleiterinnen registriert werden, sind diese selbst der Meinung, dass eine Feminisierung der Hofnachfolge nicht stattfindet. Gleichwohl würden Frauen durch die Nebenerwerbslandwirtschaft einen entscheidenden Beitrag zur Aufrechterhaltung bäuerlicher Strukturen auf dem Land leisten. Ähnliches lässt sich in der Studie, die die kleinstrukturierte Landwirtschaft mit Trend zum Nebenerwerb in Österreich und Japan vergleichend untersucht, wiederfinden. In Österreich übernähmen Frauen in den letzten Jahren auch als Hofnachfolgerinnen den Betrieb (Theresia Oedl–Wieser), hingegen werde an der männlichen Hofnachfolge in Japan streng festgehalten (Yukiko Otomo).

Mit Fragen der sozialen Sicherheit beschäftigt sich Gertraud Seiser, die über eine gelungene Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden berichtet. Sie richtet den Blick auf das soziale Netzwerk im Lebenszyklus, das auch wirtschaftliche wie emotionale Bindungen für mögliche Fürsorge- und Pflegearbeiten in ländlichen Gemeinden einbezieht – eine Thematik, die eine starke Geschlechterkomponente aufweist. Die lohnlose Liebesarbeit, die als Wärme des Landlebens definiert wird, gehe auf Kosten von Landfrauen, die mittlerweile skeptischer geworden seien (S. 159 f.).

Auch in der Untersuchung über den familiären Generationenvertrag im Geschlechterarrangement in Slowenien werden Ambivalenzen sichtbar. Zum Teil würden die Schwiegertöchter für die Pflege und Versorgung der Eltern auf dem Hof verpflichtet. Bei einer Umfrage allerdings sei die Pflegearbeit für Ältere nicht als Aufgabe der Frauen angesehen worden. Sicher bedarf es auch hier der weiteren Recherche, wie die Autorinnen Majda Cernic Istenic und Duska Knezevic Hocevar selbst unterstreichen.

Mit der Zukunftsperspektive befasst sich der Beitrag von Ruth Rossier. Sie berichtet über eine umfangreiche Studie in der Schweiz, aus der sich ergebe, dass eher Frauen als Männer Interesse daran hätten, kleinere Betriebe in biologischem Anbau zu bewirtschaften. Rossier spricht diesen von Frauen geführten Betrieben größere Zukunftschancen zu, da in der Schweiz ein deutlicher Trend zu gesunder Nahrung zu verzeichnen ist. Aber auch diese ökologisch wirtschaftenden Landwirtinnen seien nicht gewillt, im Rahmen von Umweltprojekten als Landschaftspflegerinnen zu agieren. Bemerkenswert ist, dass Frauen aufgrund ihres starken Eingebundenseins keine Zeit für Gruppengespräche finden konnten (S. 58) – ein Phänomen, das auch bei Entwicklungsprojekten, die die Partizipation von Frauen einfordern, anzutreffen ist und das tiefer liegende Gründe haben dürfte.

Im Essay von Barbara Smetschka, Veronika Gaube und Juliane Lutz wird die empirische Arbeit in einen breiteren Rahmen sozialökologischer Konzepte des Instituts für soziale Ökologie der Universität Klagenfurt, mit Sitz in Wien, eingebettet. Hier werden Zukunftsszenarien zur nachhaltigen Entwicklung mit der Geschlechterperspektive verknüpft, die nicht immer zu Gunsten von mehr Geschlechtergerechtigkeit verlaufen.

Schlussfolgerungen

Der Gewinn dieses Sonderhefts ist in der empirischen Grundlage und den methodischen Herangehensweisen sowie dem ‚differenzierten Blick‘ der Beiträge zu sehen. Leider bleiben die Einzelerkenntnisse zersplittert, da sie nicht zusammengeführt werden, um Bezüge zu Theorien und Konzepten der ländlichen Entwicklung – Gender und Umwelt, Ressourcennutzung, Arbeit u. a. – herzustellen. Doch lassen sich konstruktive Bausteine dort erkennen, wo ansatzweise Theoriebezüge hergestellt und Verweise auf vergleichbare Arbeiten zu erkennen sind.

Es bleibt die Aufgabe einer stärkeren Einbettung der Arbeiten in Theoriedebatten, damit auch der Bezug zum globalen Diskurs hergestellt werden kann. So ist zum Beispiel die Diskussion zu ‚Gender und Landrechte‘ in vielen Untersuchungen der Ruralen Frauen- und Geschlechterforschung zur Sprache gebracht worden, wenn auch nicht immer im europäischen Raum. Mit ihrer Arbeit A Field of One’s Own. Gender and Land Rights in South Asia (Cambridge: University Press 1995) hat Bina Agarwal z. B. eine Diskussion aufgegriffen, die weit über den Raum Indiens hinaus bedeutsam ist. Auch ist ein Begriff wie ‚Feminisierung der Landwirtschaft‘ sicher nicht erst 2005 (vgl. S. 68) thematisiert, sondern schon früh für den subsaharischen Raum Afrikas z. B. von Constantina Safilios-Rothschild behandelt worden (Women as a Motor in Agricultural Development (1991). In: Brigitte Holzner (ed.): Gender Methodology in Agricultural Projects. Wageningen 1994, S. 53–56).

In der Tat ist die Rurale Frauenforschung von ihrer Blickrichtung auf den globalen Süden her schon immer stärker international ausgerichtet und schon früh als Forschungsaufgabe erkannt und verfolgt worden, bevor sie in europäischen Ländern als Forschungsthema zur Geltung kommen konnte. Umso wichtiger sind daher die Beiträge in diesem Sonderheft mit ihrem regionalen Bezug.

Auch wenn die empirische Orientierung auf ausgewählte Räume sinnvoll erscheint, darf jedoch keine regionale Einschränkung in Theorie und Methodologie erfolgen. Und wenn die Bezüge zwischen verschiedenen Beiträgen – trotz ähnlicher Fragestellungen und methodischer Herangehensweise – nicht hergestellt werden, wird eine Chance versäumt, im wissenschaftlichen Diskurs oder im politischen Geschehen mitwirken zu können – wobei dies sicher nicht mit einem Sonderheft allein zu erreichen ist. In Zukunft jedoch wird dies ein anzustrebendes Ziel der Ruralen Frauen- und Geschlechterforschung sein, die sowohl regional als auch global wirksam werden muss, wenn Schritte in Richtung Geschlechterdemokratie oder Geschlechtergerechtigkeit in ländlichen Räumen und Zukunftsperspektiven gesichert sein wollen.

URN urn:nbn:de:0114-qn121225

Dr. Parto Teherani-Krönner

Humboldt-Universität zu Berlin

Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Dozentin an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät, FG: Gender und Globalisierung, AG: Frauen- und Geschlechterforschung in ländlichen Räumen

E-Mail: parto.teherani-kroenner@agrar.hu-berlin.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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