Von der (Un-)Möglichkeit der Vergewaltigung

Rezension von Alexandra Oberländer

Louise du Toit:

A Philosophical Investigation of Rape.

The Making and Unmaking of the Feminine Self.

New York u. a.: Routledge 2009.

256 Seiten, ISBN 978-0-415-99029-5, € 83,99

Abstract: Louise du Toit beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und den Folgen von Vergewaltigung. Ausgehend vom Schweigen über die massenhafte sexuelle Gewalt zur Zeit der südafrikanischen Apartheid bis heute widmet sie sich den „westlichen symbolischen Systemen“, die Vergewaltigung in ihrer zerstörerischen Wirkung erst ermöglichen und zu jenem tödlichen Instrument werden lassen, welches weibliche Subjektivität und agency gleichermaßen auslöscht. Vor der Folie der hegelschen Phänomenologie ist ihr Buch über weite Strecken eine theoretisch inspirierte Auseinandersetzung mit Philosophien des weiblichen Ichs von Jacques Derrida bis Lucie Irigaray. Louise du Toit beendet ihr Buch mit praktischen Hinweisen zur Aufhebung jener symbolischen Ordnung, in der Hoffnung, Vergewaltigung zukünftig zu erschweren oder gar zu verunmöglichen.

Wird eine Frau vergewaltigt, so ist dieser Umstand häufig begleitet von der Unterstellung, die Frau habe entweder die Situation provoziert, sich nicht genug gewehrt oder es eigentlich doch genossen. So wird Vergewaltigung oft in der Wahrnehmung nicht nur der ermittelnden Behörden, sondern auch innerhalb der Familie oder des Freundeskreises als Kavaliersdelikt abgetan, das die Betroffene doch besser endlich einmal vergessen möge. Zu jener Sorte Wahrnehmung gehört auch die Annahme, bei Vergewaltigung handele es sich um einen sexuellen Akt, der lediglich ohne Erlaubnis der Frau stattfinde. Diese Außenansichten korrespondieren nicht mit der Selbstwahrnehmung der Opfer, die nur allzu oft nach der Tat schwere traumatische Symptome entwickeln und die Tat mitnichten als sexuellen Akt begreifen. Autoaggressionen, Selbstzerstörung, Drogenmissbrauch, Essstörungen oder Selbstmord sind keineswegs außergewöhnliche Folgen von Vergewaltigung (S. 80).

Jenes Rätsel, dass Vergewaltigung einerseits als Kavaliersdelikt wahrgenommen wird, andererseits aber mit der totalen Vernichtung einer Existenz einhergeht, versucht Louise du Toit zu lösen. Der Zusammenhang von weiblicher Subjektivität und ihrer Zerstörung durch Vergewaltigung ist das Thema ihrer Dissertation, die sie 2006 in Johannesburg verteidigte und die nun als Buch vorliegt. Ihr geht es nicht um eine Exklusion des Vergewaltigers als eines Unmenschen oder Monsters aus der Menschheit, sondern um eine Erklärung der „Bedeutung von Vergewaltigung“ (meaning of rape, S. 1). Als Grundlage dienen ihr philosophische Schriften, die sich mit der Konstitution von Subjektivität beschäftigen, sowie Berichte und Erinnerungen von Vergewaltigungsopfern.

Von der (Un-)Möglichkeit des Frauseins

Die Frage nach der Subjektivität und ihrer Konstitution in Bezug auf Frauen ist zentral in du Toits Analyse, wenn genau jene Subjektivität in der Vergewaltigung ausgelöscht wird. Dass man als Frau allenfalls eine prekäre Subjektivität besitzt (oder ist) und trotzdem in der Vergewaltigung Subjektivität ausgelöscht werden kann, ist der zentrale Widerspruch, mit dem sich du Toit in ihren Kapiteln II und III auseinandersetzt, die mir im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung von Vergewaltigung die bedeutsamsten zu sein scheinen.

Ausgehend von der hegelschen Herr/Knecht-Beziehung schildert die Autorin das sich selbst bewusste Sein des Menschen als Ergebnis einer Anerkennung, die der Mensch durch ein Außen (Objekt oder anderer Mensch) erfährt. Sobald eine solche Beziehung jedoch von Ungleichheiten oder Machtbeziehungen geprägt wird, ist das Selbstbewusstsein latent prekär – im hegelschen Sinn das Selbst(bewusstsein) des Knechtes. Die Subjektivität des Herrn jedoch gilt unberührt vom Willen des Knechts; es ist die bloße Existenz des Knechts, die dem Herrn seine Subjektivität verleiht. Übertragen auf eine Vergewaltigungssituation bedeutet dies laut du Toit die Entsubjektivierung der Frau, während der Mann als das „Subjekt schlechthin, als die pure Abstraktion und der reine Wille“ erscheint. Die „lebendige weibliche Sexualität wird zu einem Ding, in dem der Vergewaltiger sein Menschsein als Mannsein spiegelt“ (S. 83). Dafür spricht auch der seelische Zustand, wie ihn Vergewaltiger nach ihrer Tat beschreiben, nämlich als einen der Exaltation und Ausgelassenheit. Diese Gefühle auf Seiten des Vergewaltigers gründen du Toit zufolge auf der Erniedrigung, die das Opfer erfahren hat. Vor allem mit dem Hinweis auf diese Gefühle des Vergewaltigers übt die Autorin überzeugend Kritik am Verständnis von Vergewaltigung als einem in erster Linie sexuellen Akt, wenn es selbst dem Vergewaltiger nicht um eine sexuelle Handlung, sondern um das Zufügen von Schmerz zu tun war.

Von der (Un-)Geschichtlichkeit des Subjektseins

Eine wichtige Prämisse für die Untersuchung der Bedeutung von sexueller Gewalt ist für du Toit das so genannte „monogeschlechtliche“ und „westliche Symbolsystem“ (S. 3), in dem der Mann/die Männlichkeit nicht nur alle Lebensbereiche dominiert, sondern auch Frausein/Weiblichkeit unmöglich werden lässt oder gar zerstört. Worin sich ihr Begriff des westlichen Symbolsystems von dem des Patriarchats unterscheidet, den sie auch regelmäßig benutzt, wird im Verlaufe des Buches nicht recht klar. Die Vermutung liegt nahe, dass das westliche Symbolsystem jene geschlechtliche Ordnung beschreibt, in der weibliche Subjektivität latent prekär beziehungsweise nicht vorhanden ist, was somit auf eine der zentralen Thesen des vorliegenden Buches verweisen würde. Die Differenz zum Patriarchat wäre dann möglicherweise die Wichtigkeit, die Subjektivität und Person in westlichen Gesellschaften im Unterschied zu vormodernen Gemeinwesen haben. Gleichwohl nimmt du Toit ganz unhistorisch an, dass Subjektivität für alle möglichen Gesellschaften bedeutsam ist, unabhängig davon, ob es sich um frühmoderne, absolutistische Staaten, das antike Griechenland oder aber das moderne Südafrika handelt. Diese Ungeschichtlichkeit ihres Subjektivitätskonzeptes setzt sich fort in einen offen eingestandenen Differenzfeminismus, der nicht das geringste Problem hat, ‚Frauen‘ als biologische Wesen von ‚Männern‘ als biologischen Wesen zu trennen. Die Kategorien Frau und Mann werden als ontologische Konstanten gesehen und keineswegs als historisch gewordene und damit veränderbare Ideen.

Die Reduktion des Subjekts

Du Toit setzt sich leider überhaupt nicht mit postmodernen Theorien über Geschlecht und Performanz auseinander. Statt den Zwang zur geschlechtlichen Identität mit sich selbst als Problem zu behandeln, möchte sie Frauen endlich auch als Subjekte konstituieren. Dieses Interesse an der Möglichkeit des Frauseins schlägt sich insofern negativ im Buch nieder, als sich du Toit über ein Drittel des Textes genau dieser Frage widmet. Die Reduktion von Frauen auf biologische Wesen, die sich in ihrer Darstellung immer dann Bahn bricht, wenn Menstruation, Laktation und Schwangerschaft als die Differenzen von Männern und Frauen festgehalten werden, hinterlässt nicht nur einen schalen, sondern auch einen repressiven Nachgeschmack. So ist etwa der Verweis auf Mutterschaft bei du Toit weniger Ausdruck einer Willensentscheidung als vielmehr reproduktiver Auftrag. Das Beharren auf biologischen Unterschieden, die von ihr etwa mit dem Verweis auf Hegel eng mit Ontologie verknüpft werden, enden dann in einer Interpretation von Vergewaltigung, die sich tatsächlich nur bedingt von den biologistischen Theorien eines Randy Thornhill unterscheiden lässt. Was, wenn nicht die weibliche Biologie, ist der Grund für Vergewaltigung, wenn du Toit schreibt: „Rape as a kind of spiritual annihilation becomes one of the main ways in which man tries to overpower woman’s procreative power with the power of death.“ (S. 216)

Louise du Toits Buch ist anregend und thesenreich in den Kapiteln, in denen es um die Frage danach geht, was der Grund für die traumatischen Konsequenzen von Vergewaltigung ist; innovativ ist es allerdings nicht. Die Verknüpfung mit Subjektivität bzw. ihre Vernichtung durch Vergewaltigung ist bereits von Ann J. Cahill thematisiert worden, die von du Toit jedoch nicht zur Kenntnis genommen wurde (Siehe Ann J. Cahill: Rethinking Rape. Ithaca/London: Cornell University Press 2001). Vor allem auf den hinteren Seiten des Buches nimmt die Essentialisierung des ‚Frauseins‘ überhand. Dies führt etwa dazu, dass Erfolge für die weibliche Gemeinschaft gefeiert werden, wo weder Erfolge noch weibliche Gemeinschaften zu sehen sind. So gerät der gescheiterte Versuch des fiktionalen Vergewaltigungsopfers Sita, den Täter dadurch zu verunsichern, dass sie sich ihre Kleidung vom Leibe reißt, sich stolz statt ängstlich vor ihm aufbaut und ihm „I’m a woman. Watch out. I am a woman. Beware of women“ entgegenhält, zu einer eindrucksvollen Demonstration der powerful goddess. „Even though she could not prevent the rape itself, Sita managed to turn the shame on the rapist and retain her female dignity.“ (S. 217)

URN urn:nbn:de:0114-qn111169

Alexandra Oberländer

Universität Bremen

Forschungsstelle Osteuropa

E-Mail: oberlaendera@uni-bremen.de

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