Alice in Pornoland

Rezension von Claudia Münzing

Doris Allhutter:

Dispositive digitaler Pornografie.

Zur Verflechtung von Ethik, Technologie und EU-Internetpolitik.

Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2009.

315 Seiten, ISBN 978-3-593-38858-8, € 34,90

Abstract: In feministisch-dekonstruktiver Manier untersucht Allhutter in ihrer Arbeit Dispositive digitaler Pornografie und spannt dabei einen großen Bogen von der Darstellung der Verflechtung von Ethik und Technologie bis hin zu der Auseinandersetzung mit der EU-Internetpolitik. Dabei geht es ihr darum aufzuzeigen, inwieweit Pornografie als Phänomen der Massenkultur im digitalen Zeitalter einerseits Wandlungsprozessen unterliegt, andererseits aber nach wie vor (hetero-)sexistische, rassistische und ethnozentristische Strukturen reproduziert und zementiert. Die sowohl politikwissenschaftlich als auch technikwissenschaftlich informierten Analysen bieten aufgrund ihrer inhaltlichen und thematischen Vielfalt Interessantes für feministische Wissenschaftler/-innen, aber auch für Technikinteressierte, die sich mit feministischen Diskursen über Pornografie noch nicht auseinandergesetzt haben.

Alte und neue Fragen im Hin-Blick auf Pornografie

Alte Fragen: Ist Pornografie gut oder böse, ist sie menschenverachtend und frauenfeindlich oder schlicht und ergreifend integraler Bestandteil einer Kultur, die, wie wir spätestens seit Foucault wissen, sich dem Sex verschrieben hat und darin die Wahrheit über die Menschen, ihre Körper und Bedürfnisse sucht? Soll Pornografie verboten und zensiert werden, oder ist sie Ausdruck des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung? Wo sind die Grenzen zu ziehen zwischen der expliziten Darstellung von Geschlechtsakten unter Erwachsenen und dem Zeigen von sexueller Gewalt, die sich gegen Frauen oder gar gegen Kinder richtet? Wer hat die Deutungshoheit inne, wenn es um die Bewertung pornografischen Materials geht? Und wie hängt diese Deutungshoheit zusammen mit gesellschaftlichen Hierarchien und Norm(al)vorstellungen?

Neue Fragen: Wie gehen wir um mit der pornografischen Bilderflut, die sich in Zeiten des Internets ins Unermessliche gesteigert hat und sich schon längst jedweder Kontrolle durch staatliche Organe, aber auch durch die Zivilgesellschaft, entzieht? Wohin führt uns die Reise, wenn wir nicht mehr nur vorgefertigte Pornos mit ‚echten‘ Darstellenden konsumieren, sondern uns mit Computerprogrammen unsere persönlichen Wichsvorlagen ganz nach unserem persönlichen Geschmack zusammenbasteln können, die dann auch noch alles machen, was wir ihnen per Mausklick befehlen? Wie groß ist die Gefahr, dass sich all die Fortschritte, die eine feministische und queere Wissenschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Hinblick auf vielen Pornografien innewohnende (hetero-)sexistische, rassistische, ethnozentrische und sozialhierarchische Inhalte gemacht hat, in den unendlichen Weiten des WorldWideWeb in virtuelle Luft auflösen und so Zwangszweigeschlechtlichkeit und Zwangsheterosexualität einen fulminanten Dauerfrühling erleben?

In einer sehr ausführlichen Analyse des Diskurses um digitale Pornografie, also um pornografisches Material, das digital hergestellt wird, nimmt Allhutter in ihrer Dissertation die Verflechtung von Ethik, Technologie und EU-Internetpolitik genau unter die Lupe. Sie untersucht aus „politikwissenschaftlicher Perspektive und mit einem feministisch dekonstruktiven Zugang die Dispositive digitaler Pornografie“ (S. 16), beschäftigt sich mit „Herstellungs-, Verbreitungs-, und Aneignungspraktiken“ (S. 13) digitaler Pornografie und macht deutlich, wie sich gesellschaftliche Verhältnisse in die Artefakte einschreiben. „Diese Spurensuche verliert das Gesamtbild nicht aus den Augen, sondern soll zeigen, wie unspektakulär jede Praktik für sich agiert und wie sich gleichzeitig im Zusammenwirken wissenschaftlicher, kultureller, soziotechnologischer und politischer Praktiken realitätsmächtige Herrschaftsstrukturen reproduzieren.“ (ebd.) Damit ist Allhutters Dissertation im Bereich der feministischen Technowissenschaftsforschung einzuordnen, und sie baut, um nur zwei der wichtigsten Bezüge zu nennen, auf den Arbeiten Haraways und Foucaults auf.

Im Folgenden werfe ich nun mit einer queer-feministischen und dekonstruktivistisch-kritischen Brille einen genaueren Blick auf Allhutters Dispositive digitaler Pornografie.

Der Textkörper – Aufbau und Inhalt

Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert, die zwar inhaltlich zusammenhängen, aber auch separat gelesen werden können. Zunächst (Kapitel 1) beleuchtet Allhutter Pornografie als Diskurs, Praktik und Politikfeld. Sie geht aus geschlechtertheoretischer Perspektive auf die Schnittstellen von Dekonstruktion und Technowissenschaftsforschung ein, gibt einen sehr guten Überblick über die feministische Pornodebatte und zeigt strukturelle Zusammenhänge auf zwischen der Ko-Konstruktion von Technologie, Geschlechter(differenz) und digitaler Pornografie. Dabei hebt sie hervor, dass sie die digitalen Bilder und Anwendungen als visual politics begreift, also als politisch relevante und diskursiv produktive Bildpolitiken (vgl. S. 34).

In Kapitel 2 geht es um informationsethische Pornografie-Diskurse. In der Informationsethik, auch als Cyberethik oder Computerethik bekannt, werden die Zusammenhänge zwischen allgemeinen moralischen Regeln, technikspezifischen Anwendungen und rechtlichen Normierungen diskutiert. Allhutter stellt in diesem sehr ausführlichen Kapitel fest, dass in der Mainstream-Informationsethik zwar die unterschiedlichsten Themengebiete zu finden sind, wie z. B. Medienkompetenz, Kommerzialisierung von Wissen, Datenschutz oder eDemocracy, feministische Diskurse über geschlechtlich codierte technologische Theorien, Forschungsprozesse und Methoden aber weitestgehend ausgeblendet werden.

Kapitel 3 „Soziotechnologische Praktiken: digitale Pornografie als Artefakt“ ist sehr aufschlussreich für alle Technikfreaks oder diejenigen, die es werden wollen. Hier geht es darum, wie die digitalen Anwendungsformate hergestellt werden, wie die „Puppen zum Tanzen gebracht werden“ (S.154), welche Design-Entscheidungen getroffen werden, wie die einzelnen Suchmaschinen funktionieren und was dann letzten Endes in den 3D-Sex-Simulatoren alles möglich ist. Deutlich wird schon hier, dass technologische Entwicklungsprozesse immer als soziale Konstruktionsentscheidungen zu verstehen sind (vgl. S.149).

Der politikwissenschaftliche Anteil der Arbeit wird abgedeckt durch Kapitel 4 („Illegale und schädigende Internetinhalte“ als Politikfeld), in dem es um das Agenda Setting und die Politkformulierung, kurz um das Policy-Framing der EU in Bezug auf Internetpornografie geht. Hier arbeitet sich Allhutter akteurszentriert und textanalytisch an den „Aktionsplänen zur sichereren Nutzung des Internets“ ab und rekonstruiert den EU-Politikprozess, an dem Interessenvertretungen, Experten und zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt waren. Auch hier scheinen sich geschlechterblinde Strukturen ausgebreitet zu haben: „Neben inhaltlichen und ideologischen Aspekten pornografischer Repräsentationen, wie ihr Beitrag zur Reproduktion von sexistischen, rassistischen, ethnisierenden und sozialhierarchischen Differenzen, werden auch immersive und ökonomische Dimensionen völlig ausgeblendet“ (S. 281).

Im letzten Kapitel („Dispositive digitaler Pornografie: die Verflechtung“) wird der Kreis „der diskursiven Verwobenheit informationsethischer Pornografiediskurse, soziotechnologischer Praktiken der Herstellung, Verbreitung und Aneignung digitaler Pornografie und des EU-Diskurses zu Internetpornografie“ (S. 283) geschlossen. Hier wird auch deutlich, dass es sich dabei um ein Dispositiv im klassischen Sinne handelt, in dem sich Geschlecht in Technologien einschreibt und Technologien in den Geschlechtskörper.

Lesenswert?

Der Band Dispositive digitaler Pornografie ist es in jedem Falle wert, gelesen zu werden. Einige Erkenntnisse, zu denen Allhutter gelangt, wie z. B. die Tatsache, dass Heteromainstreampornografie (hetero-)sexistische, rassistische und ökonomische Hierarchien reproduziert, mögen zwar nicht unbedingt neu sein, was aber neu ist, ist der Untersuchungsgegenstand: digital hergestellte pornografische Szenarien und die Tatsache, dass eben diese Szenarien symptomatisch für die Durchdringung von Technik- und Warenfetischen und für die zunehmende Cyborgisierung und Maschinisierung der menschlichen Lebenswelt stehen. Ein weiteres Verdienst von Allhutters Arbeit ist das Aufwerfen der Frage, inwieweit durch die ausufernden digitalen Möglichkeiten (Geschlechts-)Körper immer mehr zu animierbaren Puppen werden, die für jeden erdenklichen Fetisch jederzeit zur Verfügung stehen und als frei manipulierbare Objekte fungieren. Egal, ob es die „shaved pussy“ oder der „schwarze Riesenschwanz“ ist, der animierte money shot ins Gesicht mit den Gummibootlippen oder die ins Unermessliche angewachsenen Brüste, sowohl die Körper als auch die Geschlechtsakte werden fragmentarisiert und in ihre Einzelteile zerlegt. Die virtuelle Realität dient als Zerrspiegel einer Gesellschaft, in der der Wunsch nach anything goes im Hinblick auf die eigene Bedürfnisbefriedigung genährt, gehegt und gepflegt wird und nach ökonomischen und heteronormativen Logiken funktioniert, deren Wirkmächtigkeit jedoch permanent verschleiert wird und die somit auf unbewusster Ebene frei agieren können. Aus einer queer-feministischen Perspektive betrachtet kann es also nur darum gehen, diese Logiken offen zu legen und den oftmals fantasielosen und verbissenen Bildern von normierter und funktionalisierter Sexualität andere Bilder und Praktiken entgegenzusetzen. Wie diese dann konkret aussehen, bleibt aber zum Glück auch nach der Lektüre von Allhutters Dissertation der Fantasie der Lesenden überlassen.

URN urn:nbn:de:0114-qn111119

Claudia Münzing

M.A. in Politikwissenschaft, Germanistik und Gender Studies, freie Schriftstellerin und Künstlerin

Homepage: http://www.queerido.com

E-Mail: cmuenzing@web.de

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