Was Hochschulen familienfreundlich macht

Rezension von Sünne Andresen

Karin Flaake, Heike Fleßner, Angelika I. Müller, Juliane Pegel (Hg.):

Familiengerechte Hochschule .

Daten – Herausforderungen – Perspektiven .

Oldenburg: BIS-Verlag 2008 .

108 Seiten, ISBN 978-3-8142-2112-0, € 8,80

Abstract: Die Autorinnen zeigen anhand der Ergebnisse verschiedener Teiluntersuchungen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Studium an der Universität Oldenburg, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Betroffenen ihre Hochschule als wirklich familienfreundlich erfahren. Dabei wird deutlich, dass es neben der Sensibilität von Lehrenden und Vorgesetzten für die besonderen Belastungen von (studierenden) Eltern vor allem auch die bezahlbare und mit den Studien- und Arbeitsbedingungen kompatible Kinderbetreuung ist, die Hochschulen familienfreundlicher macht.

Die gewachsene Aufmerksamkeit für Familie in der bundesdeutschen Politik hat auch die Hochschulen erreicht. Über das Audit „Familiengerechte Hochschule“ der Hertie-Stiftung ist die Familienfreundlichkeit zum Gegenstand eines Zertifizierungsprozesses geworden, dem sich heute kaum mehr eine Hochschule entziehen kann. Im Exzellenzwettbewerb bewerteten zumindest die ausländischen Gutachter/-innen Familienfreundlichkeit als einen Aspekt von Gleichstellung, der bei der Entscheidungsfindung auch mit zu berücksichtigen sei. Und mittlerweile ist die Familienfreundlichkeit von Hochschulen selbst zum Gegenstand eines Wettbewerbs gemacht worden, bei dem neben symbolischem Kapital auch finanzielle Zuwendungen zu gewinnen waren, die für den weiteren Ausbau von Maßnahmen eingesetzt werden können (vgl. den für acht Hochschulen mit der Fördersumme von 100 000 Euro versehenen Wettbewerb „Familie in der Hochschule“ im Herbst 2007).

In diesem Gesamtkontext ist auch die zu besprechende Veröffentlichung Familiengerechte Hochschule zu sehen. Hervorgegangen ist sie aus einer im Februar 2007 an der Universität Oldenburg veranstalteten Tagung zu „Studieren mit Kind – Herausforderungen für Hochschulen und Standortfaktor“. Angestrebt wurde auf dieser Tagung zweierlei: Erstens sollten die Ergebnisse mehrerer Untersuchungen präsentiert werden, die zum Thema „Studieren mit Kind“ sowie zu den Vereinbarkeitsproblemen der Beschäftigten an der Universität Oldenburg durchgeführt worden waren. Zweitens sollte der Erfahrungsaustausch mit anderen Hochschulen genutzt werden, um Anregungen für umsetzbare Maßnahmen zu mehr Familienfreundlichkeit zu bekommen.

Den Einstieg in die spezifische Problematik von “Kinderwunsch und Lebensplanung in der akademischen Ausbildung“ gibt Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Leiterin eines 4-jährigen Modellversuchs mit dem Ziel der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Familien im Studium bzw. während der wissenschaftlichen Qualifizierung. Anhand der bekannten Fakten (z. B. nur 6–7% der Studierenden haben Kinder, über 70% im akademischen Mittelbau sind kinderlos) belegt sie, dass auch heute noch das Studium und die „Arbeitsstrukturen in der Wissenschaft auf Berufsbiografien von Individuen zugeschnitten [sind], die von sämtlichen Versorgungsaufgaben […] freigestellt sind“ (S. 25). Die Ursachen hierfür, die sich aus der Funktionalität und Organisation von Bildung und Ausbildung im marktgesteuerten und profitorientierten neoliberalen Kapitalismus ergeben, werden nicht benannt. Stattdessen appelliert Meier-Gräwe an eine abstrakte soziale Rationalität und kritisiert die strukturelle Rücksichtslosigkeit des Wissenschaftsbetriebs gegenüber Familie aus dieser Perspektive als „kontraproduktiv“ (ebd.) und folglich der Standortsicherung Deutschlands nicht angemessen.

Die Sicht der Betroffenen

Die nachfolgenden vier Beiträge präsentieren die Ergebnisse der standardisierten Befragungen (vgl. die Aufsätze von Karin Flaake und Angelika I. Müller) sowie der vertiefenden Interviewstudien (Juliane Pengel und Svenna Groß), die gemeinsam mit Studierenden im Sommersemester 2005 und im Wintersemester 2006 zur Situation von Eltern an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg durchgeführt wurden. Die Betroffenen heben als zentrale Voraussetzung für eine bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf mit Familie vor allem folgende drei Aspekte hervor: 1. eine campusnahe, professionelle, bezahlbare, ganzjährige und zeitlich flexible, d. h. den jeweiligen Stunden- und Arbeitsplänen angepasste Kinderbetreuung; 2. zentral abrufbare Informationen zum Studium bzw. zur Berufstätigkeit mit Kind, von den sozialrechtlichen Regelungen über Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten bis hin zu spezifischen Studien- und Prüfungsangelegenheiten; 3. die Sensibilisierung der Lehrenden für die besonderen Lebensbedingungen studierender Eltern bzw. Führungskräfte und Vorgesetzte, die auch Verständnis für die familiären Belange ihrer Mitarbeiter/-innen haben und sie unterstützen. Eine auffällige Leerstelle – zumindest bei den wissenschaftlichen Beschäftigten – bildet die Forderung nach insgesamt weniger prekären Arbeitsverhältnissen oder die nach einer Arbeitszeit, deren realer Umfang dem entspräche, was (tarif-)vertraglich vereinbart ist.

Die Auswertung der Ergebnisse entlang der Variable Geschlecht macht darüber hinaus deutlich, dass Familienaufgaben zwischen Frauen und Männern nach wie vor ungleich verteilt sind. Dass Frauen ihre Erwerbstätigkeit für Kinderbetreuung und -erziehung sehr viel häufiger unterbrechen als Männer/Väter, ist aus vielen Studien bekannt. (Daher gilt es auch als ein großer Erfolg des neuen als Lohnersatzleistung konzipierten Elterngelds, dass im Jahr 2008 erstmals 13% der Väter die höchstmögliche Dauer von 12 Monaten Elternzeit genommen haben.) Dass die geschlechtstypische Arbeitsteilung auch für Studierende gilt, zeigt Flaakes Auswertung. Den Balanceakt zwischen Studium, Finanzierung des Lebensunterhalts und Kind lösen studierende Eltern mehrheitlich, indem die Väter mehr erwerbsarbeiten bzw. ihr Studium zügiger voranbringen, während die Mütter den Hauptpart der Familienarbeit übernehmen. Ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot besonders für die unter Dreijährigen ist zwar nicht mit Gleichstellung gleichzusetzen, es wäre aber eine zentrale Bedingung für deren Realisierung.

Ansätze zur Verbesserung der Kinderbetreuung an Hochschulen

Im letzten Teil des Bandes geht es um „Praxisbeispiele und Lösungskonzepte zur Betreuungssituation an Hochschulen“. Uta Meier-Gräwe stellt das Gießener „Tagesmütternetzwerk“ vor, das die fehlenden Kita-Plätze durch ein Angebot von bis zu 20 Stunden Betreuung pro Kind und Woche ersetzen soll. Es konnte als kostengünstige Variante auch für geringverdienende Familien realisiert werden, weil die Anschubfinanzierung durch die Hessenstiftung „Familie hat Zukunft“ erfolgte. Dennoch deckt das Betreuungsangebot bei weitem nicht die Nachfrage.

Hannah Wadepohl präsentiert das beeindruckende Kinderbetreuungsangebot der Modellkrippe „HAWK-Kinder“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen, das verknüpft werden konnte mit dem BA-Studiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“. Lena Reinhard beschreibt für die Hochschule Bremen und die Hochschule der Künste den Versuch, mittels der Gründung eines Vereins von studierenden Eltern und Interessierten eine flexible Kinderbetreuung zu organisieren. Das Grundproblem, das sie am Beispiel dieser Konstruktion herausstellt, trifft sehr viele Konzepte: Allein über Eltern- und Vereinsbeiträge, d. h. ohne eine gesicherte Grundfinanzierung durch die Hochschulen oder andere finanzstarke Partner lässt sich ein bezahlbares, zuverlässiges und pädagogisch vertretbares Angebot nicht realisieren.

Nicht nur am Beispiel der immer noch unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten belegt der Band den Widerspruch zwischen der wachsenden ‚rhetorischen Präsenz‘ von Familienfreundlichkeit und den langwierigen Prozessen, die nötig sind, um dem Postulat der Familienfreundlichkeit von Hochschulen auch Taten folgen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Bologna-Reform und die Transformation der alten Gruppenuniversität in eine ‚unternehmerische‘ Hochschule Strukturen befördern, die die Vereinbarkeit von Beruf bzw. Studium mit Familie nicht erleichtern, sondern eher erschweren. Zu kritisieren ist, dass die Beiträge des Bandes diese gegenläufige Dynamik nahezu völlig ausklammern und dadurch die nötige analytische Schärfe beim Aufzeigen von Erklärungszusammenhängen vermissen lassen.

URN urn:nbn:de:0114-qn103286

Dr. Sünne Andresen

Freie Universität Berlin, Familienbüro und Büro der zentralen Frauenbeauftragten

Diplomsoziologin, Dr. phil., nach langjähriger Forschungs- und Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen seit 2007 Leiterin des Familienbüros der Freien Universität Berlin

E-Mail: s.andresen@fu-berlin.de

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