Ökonomie des exzessiven Begehrens

Rezension von Katerina Kolárová, Anja Schwarz

Antke Engel:

Bilder von Sexualität und Ökonomie.

Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus.

Bielefeld: transcript Verlag 2009.

245 Seiten, ISBN 978-3-89942-915-2, € 26,80

Abstract: Geschlechtliche und sexuelle Differenz/en werden gegenwärtig häufig nicht mehr als Problem verstanden, sondern zunehmend als kulturelles Kapital zelebriert. Diese Form der Wertschätzung von Diversität in der Spätmoderne, so Antke Engel, ist eng mit neoliberalen Entwürfen von Subjektivität verwoben. Sie bietet „projektive Integration“ – ein Begriff, der die affektive Besetzung von Bildern beschreibt – als Analysewerkzeug an und fragt anhand differenzierter Bildlektüren nach queeren und neoliberalen Topoi und Diskursen, die in diesen Bildern miteinander verwoben werden. Sie macht so Widersprüche sichtbar, die sowohl der neoliberalen Marktlogik als auch dem queeren Projekt inhärent sind, und führt vor, wie sich unter diesen Bedingungen der Unentscheidbarkeit queere Politik denken ließe. Mit diesem Band formuliert Engel einen wichtigen Beitrag zur kritischen Reflexion von sowohl Neoliberalismus als auch queerer Politik.

Sind die Gender und Queer Studies der Theorie überdrüssig? Dieser Eindruck ließe sich zumindest im Anschluss an zwei Fachtagungen des Jahres 2009 formulieren, in denen wiederholt theoretische Projekte als unbefriedigend diskutiert und stattdessen affektiv-poetische Zugänge stark gemacht wurden. „I declare a ban on quoting Butler!“, formulierte ein_e Sprecher_in dieses Unbehagen als Diktum. Antke Engel, Gründerin und Leiterin des Instituts für Queer Theory, weist mit ihrem jüngsten Beitrag gleichwohl nach, wie produktiv Theory für das queere Projekt weiterhin ist. Ihr Band reiht sich somit in eine Strömung der Queer Studies ein, welche um Positionen bemüht ist, die von Butler selbst als „critically queer“ bezeichnet worden waren, und lotet aus dieser theoriegeleiteten kritisch-queeren Perspektive das Verhältnis von Sexualität und neoliberaler Ökonomie aus. Indem sie „Bilder von Sexualität und Ökonomie“ analysiert und theoretisiert, liefert Engel wichtige Lektüren zu Beziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und queeren/sexuellen Minderheiten. Damit greift sie in die Debatte um ein anderes Unbehagen ein: das an der möglichen Vermarktbarkeit homosexueller/queerer Identitäten.

Homosexuelle Identitäten am neoliberalen Markt

In den vergangenen Jahren sind von Seiten feministischer und Queer Theory eine Reihe wichtiger Neuerscheinungen zur kritischen Reflexion des Neoliberalismus erschienen (Duggan, 2003; Krassmann, 2003; Lorenz/Kuster, 2007; Pühl/Sauer, 2004; Schultz, 2006; Woltersdorff, 2007). Viele dieser Arbeiten nehmen – wie auch Engel – die Figur des homo oeconomicus genauer in den Blick und thematisieren damit in Anschluss an Foucault einen spezifischen Typus der Subjektkonstitution in der Spätmoderne. In Abgrenzung zu Positionen, die queere Lebensentwürfe als gesellschaftspolitische Avantgarde feiern, kommentieren diese Texte die Integration von lgbti-Menschen in die Mehrheitsgesellschaft kritisch und weisen nach – so beispielsweise Rosemary Hennessy in Profit and Pleasure: Sexual Identities in Late Capitalism (2000) –, wie gut sich homosexuelle Identitäten mit dem Spiel des neoliberalen Marktes vereinbaren lassen.

Auch wenn Engel den kritischen Zugang Hennessys teilt, so zeichnet sich ihr Ansatz gerade dadurch aus, dass er eine eindeutige Positionierung im Spannungsfeld zwischen queer und neoliberal zurückweist. Weder, so Engel, könne allein die Vereinnahmung des queeren politischen Projekts durch den Markt beklagt werden, noch sei das ökonomistische Argument stichhaltig, welches queer allein als Produkt des Neoliberalismus begreife. Queere, privatwirtschaftliche oder aber auch staatliche Diskurse und Vorstellungsbilder seien vielmehr „nicht sauber voneinander getrennt, sondern integral verwoben“ (S. 227 f.).

Projektive Integration

In der vorliegenden Arbeit untersucht Engel in detaillierten Bildlektüren gleichermaßen differenziert wie exzessiv die Bedingungen, Modi und Logiken solcher Verflechtungen. Sie entwickelt ihre Argumentation ausgehend von der Feststellung, dass Differenz gegenwärtig „weniger als Problem, Nachteil oder tragisches Schicksal“ verstanden, sondern häufig als „Spektakel oder kulturelles Kapital“ zelebriert werde (S. 13). Diese Form der Wertschätzung kennzeichne „eine typisch spätmoderne Form des gesellschaftlichen Umgangs mit Differenz/en, die Diversität als kulturelles Kapital zu nutzen weiß und sich dadurch besonders gut mit den Anforderungen neoliberaler Regierung und ökonomischer Diskurse verbindet.“ (S. 227) Um diesen Befund genauer zu analysieren, führt Engel den Begriff der ‚projektiven Integration‘ ein, der zentral für das Anliegen ihres Buches ist und den sie als analytisches Werkzeug für die Entschlüsselung der Beziehungen zwischen Mehrheitsgesellschaft und queeren/sexuellen Minderheiten produktiv macht.

In Übereinstimmung mit dem dem Buch zugrunde liegenden Interesse an Bildern möchte Engel projektive Integration als ein Instrument der Gouvermentalität verstanden wissen, welches über die affektive Besetzung von Bildern hegemonialen Konsens herstellen kann. Ihr Bildbegriff umfasst dabei neben visuellen Repräsentationen auch Sprach- und Vorstellungsbilder, die Engel im psychoanalytischen Sinne als „Modus, in dem sich Begehren bewegt“, (S. 218) verstanden wissen will. Als Repräsentationen von Phantasien sind Bilder mit Begehren aufgeladen und entfalten so soziale Wirkmächtigkeit. Ihnen kommt somit eine zentrale Rolle in der Herstellung und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Verhältnisse im Spätkapitalismus zu, weil sie Begehren wecken und potentiellen Betrachter_innen etwas zu versprechen scheinen. So bieten beispielsweise eine Reihe von Bildern, die die Autorin im Rahmen ihrer Studie untersucht, „bestimmte Formen insbesondere homosexueller Existenz“ als „Vorbilder zivilgesellschaftlicher, konsumkapitalistischer Bürger_innenschaft“ an (S. 38) und bringen so bei diesen Subjekten eine „weitreichende Zustimmung zu neoliberalen Umstrukturierungen“ hervor (S. 227).

Neben der genauen Beschreibung dieser Prozesse demonstriert Engel, wie dieses sich in Bildern bewegende Begehren für die politische Anfechtung von Machtverhältnissen, die das Zusammenspiel von Ökonomie und Sexualität charakterisieren, produktiv gemacht werden kann. So legen ihre Bildlektüren zum einen offen, wie homosexuelle Existenzen über den von Foucault beschriebenen Diskurs der verantwortungsvollen Sorge um sich selbst und andere in die ökonomistische Logik einer neoliberalen Gesellschaft eingegliedert werden, die bestimmte globale Verteilungen von (sexualisierter) (Haus-)Arbeit sowie Reichtum und Armut als gegeben setzt. Zum anderen wirft sie mit Hilfe dieser Lektüren auch die Frage danach auf, „wie Formen von Gesellschaft geschaffen werden können, die soziale Partizipation und politische Bürger_innenschaft für heterogene geschlechtliche und sexuelle Existenzweisen schaffen können.“ (S. 139)

Exzessive Bildlektüren

In ihrer Analyse von Bildern als handlungsmächtigen Agenten orientiert sich Engel an der aus der antiken Rhetorik stammenden Lektüretechnik der Ekphrasis, der Beschreibung einer visuellen Repräsentation. Wie Renate Brosch begreift sie diese die Ekphrasis charakterisierende doppelte Vermittlung des Realen als „inszenierten Machtkampf zwischen zwei Darstellungsweisen“ (Brosch, S. 71), der performativ eine „imaginative Dopplung“ hervorbringt, welche mögliche Bedeutungen von sowohl Text als auch Bild unentscheidbar vervielfältigt.

Engel erweitert diese Tradition um weitere Elemente mit dem ausgesprochenen (queer motivierten) Ziel, Regeln, Konventionen und Erwartungen an das Bild oder die Lektüre durcheinanderzubringen und die Bildbeschreibung so Teil einer „Strategie der VerUneindeutigung“ (S. 205) werden zu lassen. So bringt sie semiologische und kompositionsanalytische Herangehensweisen in ihre Lektüre ein, stellt Fragen nach Machtverhältnissen in Produktion und Rezeption und untersucht die Bilder auf ästhetische, rhetorische und argumentative Figuren.

Was sich zunächst als ein in Anspruch und Umfang allzu ehrgeiziges Projekt liest, erschließt sich bei genauerem Hinsehen als durchaus bewusst umgesetztes Programm. Engels Bildlektüren können beim ersten Lesen irritieren ob der widersprüchlichen Fülle an sowohl spielerischen Gedanken und persönlichen Assoziationen als auch strengen Kompositionsanalysen und präzisen Einbettungen in relevante Diskurse. In dieser Komplexität führen die Bildlektüren performativ vor und aus, was die Autorin als queer-politischen Anspruch formuliert. Wie sie die grundsätzliche Verflochtenheit der Beziehungen von queer und neoliberal behauptet, so führen ihre exzessiven Bildbesprechungen genau die Unmöglichkeit einer theoretischen oder politischen Trennung oder Fixierung dieser Kategorien vor. Sie erreicht dieses Ziel nicht zuletzt auch, indem jede Bildbesprechung die Kategorien Geschlecht und Sexualität intersektional in Bezug zu weiteren Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit – insbesondere Ethnizität und Klasse – setzt und damit gerade jene Ausschlusskriterien vorführt, auf denen die Wunschvorstellungen einer gesellschaftspolitischen queeren Avantgarde häufig fußen.

Engels Arbeit ist wichtig, gerade weil sie keine eindeutige Position dazu bezieht, wie eine queere Intervention aussehen könnte. Stattdessen aktivieren ihre Lektüren Widersprüche, die der neoliberalen Marktlogik inhärent sind, und führen damit vor, wie sich unter Bedingungen der Unentscheidbarkeit queere Politik denken ließe. Gerade Paradoxien und Widersprüche in der Lektüre, die keine Fixierung von Bedeutung erlauben, werden damit zu einem wichtigen Instrumentarium einer gewollten VerUneindeutigung.

Mehr noch: Engel bietet abschließend zumindest vorsichtig an, diese exzessiven Lektüren im Sinne des Projektes einer queeren ökonomischen Praxis zu verstehen, die dem Knappheitsparadigma der gegenwärtigen Krise des Neoliberalismus eine Logik des Exzesses – der Produktivität, Bewegung und Zirkulation von Begehren – entgegensetzt. So spekuliert sie auf den letzten Seiten ihres Buches, ob „ein Modell des Begehrens“ aufgrund der „darin angelegten Lust an der Kontingenz“ nicht doch auch dazu führen könnte, „dass veränderte Formen des Wirtschaftens und nicht-kapitalistischer Ökonomien gewünscht und deren Umsetzung vorangetrieben werden“ können (S. 231). Engels Antwort auf ihre eingangs aufgeworfene Frage, wie kritisch-queere Interventionen in den Neoliberalismus aussehen könnten, besteht in einer Ökonomie des exzessiven Begehrens.

Fazit

Antke Engel hat einen komplexen, teilweise argumentativ mäandernden Beitrag zu den Möglichkeiten queerer kultureller Politiken im Neoliberalismus vorgelegt. Über die Analyse von Bildern bringt sie sozialwissenschaftliche Impulse der Queer Studies in die Kunstwissenschaft ein und zeigt gleichzeitig, wie kulturwissenschaftliche Bildlektüren in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Einsatz kommen können.

URN urn:nbn:de:0114-qn103226

Katerina Kolárová

Charles University in Prague

Department of Gender Studies, School of Humanities

E-Mail: cakaba@seznam.cz

Anja Schwarz

Universität Konstanz

Fachbereich Literaturwissenschaft/Anglistik

E-Mail: anja.schwarz@uni-konstanz.de

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