Marginalisierung und Normalisierung von Körpern im öffentlichen Raum

Rezension von Zara S. Pfeiffer

Imke Schmincke:

Gefährliche Körper an gefährlichen Orten.

Eine Studie zum Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung.

Bielefeld: transcript Verlag 2009.

268 Seiten, ISBN 978-3-8376-1115-1, € 27,80

Abstract: In ihrer Studie beschäftigt sich Imke Schmincke mit der Marginalisierung von Körpern im öffentlichen Raum am Beispiel des Hansaplatzes im Stadtteil St. Georg in Hamburg. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Frage, wie sich Prozesse von Marginalisierung und Normalisierung in menschlichen Körpern materialisieren. Mit Hilfe der Analysekategorien Sicherheit und Kontrolle untersucht Schmincke, wie sich Marginalisierung im öffentlichen Raum festschreibt. Besonderen Wert legt sie auf das Wechselverhältnis von Körper und Raum. Dabei geht sie auch den Fragen nach, warum manche Körper und Räume als gefährlich wahrgenommen werden und wie Marginalisierung durch ein normalisierendes Wahrnehmen von bestimmten Körpern und Räumen entsteht.

Keine Angst? Durchgesetzte Bilder!

„Ich saß dort wie so häufig auf dem Mäuerchen und machte mir Notizen zu meinen Beobachtungen. Ein junger und sichtlich betrunkener Mann löste sich aus einer der sich dort gewöhnlich am Mäuerchen treffenden Gruppen, kam mit einer Zigarette in der Hand auf mich zu und bat freundlich um Feuer. Bevor ich reagieren und nach meinem Feuerzeug suchen konnte, meinte er schnell ‚Keine Angst.‘“ (S. 246) Mit dieser Szene, die sich auf dem Hansaplatz im Stadtteil St. Georg in Hamburg (dem zentralen Ort der vorliegenden Studie) abgespielt hat, schließt das Buch. Es geht, wie der Untertitel verrät, um das Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung. Das interessante der Szene ist, dass nicht etwa eine dritte Person die Autorin auf die vermeintliche Gefährlichkeit des Ortes und der sich dort aufhaltenden Personen aufmerksam macht, sondern eine Person, welche die Wahrnehmung der eigenen Gefährlichkeit so verinnerlicht hat, dass sie der möglichen Angst ihres Gegenübers beruhigend zuvorkommt. Das „Keine Angst“ des betrunkenen jungen Mannes verweist darauf, dass gesellschaftliche Marginalisierung nicht nur eine Außenwahrnehmung ist, sondern auch der Eigenwahrnehmung bestimmter Personengruppen entspricht. Dass die Zuschreibung von Gefährlichkeit, die mit der Marginalisierung einhergeht, eine tautologische ist, ändert dabei nichts an ihrer Wirkmacht. Der Aufenthalt an einem gefährlichen Ort produziert gefährliche Körper; gleichzeitig wird ein Ort durch gefährliche Körper, die sich an ihm aufhalten, zu einem gefährlichen Ort. „Die Bilder sind durchgesetzt“ (S. 246), stellt die Autorin fest.

Marginalisierung von Körpern und Räumen

Imke Schmincke geht es mit ihrer Studie darum, das Körperliche für die Analyse von Marginalisierungsprozessen nutzbar zu machen. Ihr vorgegebenes Ziel, „eine körpertheoretische Herangehensweise zu erarbeiten, mit der zu analysieren wäre, wie sich soziale Ungleichheit an und über Körper materialisiert und wie die normalisierten und marginalisierten Körper zur Stabilisierung sozialer Ordnung und gesellschaftlicher Herrschaft beitragen“ (S. 96), verfolgt Schmincke mit Hilfe von Robert Gugutzers Soziologie des Körpers, Philipp Sarasin historischen Zugängen zum Körper, Michel Foucaults Analyse des Körper entlang der Begriffe Norm, Sex und Gouvernementalität und Pierre Bourdieus Habitus. Dabei versteht sie den Körper in Anschluss an Judith Butlers Performativitätskonzept als soziale Praxis, die als Scharnier zwischen Individuum und Gesellschaft, Handlung und Struktur wirkt. Mit dieser Herangehensweise gelingt es ihr, die Körpersoziologie mit der sozialen Ungleichheitsforschung sinnvoll zu verknüpfen, zwei Bereiche der Soziologie, die bisher kaum aufeinander bezogen waren. Leider grenzt Schmincke den Begriff und das Konzept des Körpers bisweilen zu wenig vom Individuum ab, hier wäre eine deutlichere begriffliche Schärfe wünschenswert gewesen. Sehr positiv dagegen ist, dass Schmincke statt sich auf den Begriff der Exklusion zu beziehen und eine bestimmte soziale Gruppe zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung zu machen, den Hansaplatz und die Begriffe Marginalisierung und Normalisierung wählt. Mit diesem Ansatz, nicht die soziale Ungleichheit von Betroffenen als Ausgangspunkt zu nehmen, sondern stattdessen den Prozess der Ausgrenzung am Beispiel eines umkämpften Platzes in Hamburg zum Mittelpunkt der Analyse zu machen, gelingt es ihr, eine Fest- und Fortschreibung der Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen durch den Blick der Wissenschaftlerin zu vermeiden. Ein solcher Ansatz öffnet außerdem eine Perspektive auf den Körper und den Raum, mit der die Doppelfunktion des Körpers, die Gugutzer betont und die auch für den Raum gilt, als Produkt und als Produzent von Gesellschaft sichtbar wird.

Gefahr, Sicherheit und Kontrolle

Eine Antwort auf die Frage, wie und warum gefährliche Körper und gefährliche Räume entstehen, gibt Schmincke entlang der Begriffe Gefahr, Sicherheit und Kontrolle. Um eine soziale Ordnung aufrechterhalten zu können, die sich an Konzepten von Gefahr und Sicherheit orientiert, sind gefährliche Körper und gefährliche Orte notwendig, die als konstitutives Gegenüber einer Norm fungieren; einer Norm, die wiederum darauf angewiesen ist, über Kontrolle hergestellt zu werden. Etwas schade an dieser Stelle ist, dass sich Imke Schmincke hier vor allem auf den Aspekt der Kontrolle konzentriert und Konzepte von Regulation und Regierung vernachlässigt. Zwar bezieht sie sich punktuell auf die an Foucaults Gouvernementalitäts-Vorlesungen anschließenden Governmentality-Studies, verfolgt diese dann jedoch nicht weiter. Dabei wäre die Frage nach der Regulation und dem Regieren von Körpern und Räumen im Kontext dieser Studie und vor dem Hintergrund der Behandlung der Techniken der Selbstführung sicher ergiebig gewesen.

Theorie und Empirie

Das Buch gliedert sich in einen theoretischen und einen empirischen Teil, die weitgehend unverbunden sind. Der theoretische Teil enthält die Kapitel „Marginalisierung“, „Stadt und Raum“, „Sicherheit und Gefahr“, „Körper“ und ein „Zwischenresümee“. Der Unterpunkt Diskussion, der jedes dieser Kapitel abschließt und die behandelten Fragen zusammenfasst und diskutiert, ist hier für den Leser /die Leserin besonders hilfreich. Der empirische Teil der Studie wird mit einer ausführlichen Beschreibung des Hansaplatzes und seiner Geschichte eingeleitet. Schmincke wählt für ihre Untersuchung des Hansaplatzes drei verschiedene methodische Herangehensweisen: erstens eine Diskursanalyse relevanter Texte zum Hansaplatz wie zum Beispiel Zeitungsartikel und Drucksachen des Hamburger Senats; zweitens ethnographische Beobachtungen des Platzes und drittens einige wenige qualitative Interviews mit Personen, die auf unterschiedliche Weise mit dem Platz verbunden sind. Die auf den ersten Blick schlüssige und praktisch sicher naheliegende Zweiteilung des Buches in einen theoretischen und einen empirischen Teil, mit der sich die Autorin ihrem Thema von zwei Seiten nähert, hat leider auf den zweiten Blick auch einige Nachteile. So würde sich die Leserin bisweilen wünschen, dass sich Theorie und Empirie stärker aufeinander beziehen. Insbesondere der theoretische Teil hätte von mehr direkten Bezugnahmen auf das konkrete Geschehen am Hansaplatz sicherlich profitiert.

Fazit

Imke Schmincke gelingt es in ihrer durchweg verständlich geschriebenen Studie zum Verhältnis von Körper, Raum und Marginalisierung sehr stichhaltig, die Bedeutung des Körperlichen für die soziale Ungleichheitsforschung herauszuarbeiten, wobei an einigen Stellen eine stärkere Betonung der körperspezifischen Aspekte gut gewesen wäre. Das empirische Material wird gelungen präsentiert und der Methodenmix aus Diskursanalyse, ethnographischen Beobachtungen und qualitativen Interviews ermöglicht verschiedene Blickwinkel auf das Thema, die zum Erkenntnisgewinn beitragen. Einen städtischen Ort wie den Hansaplatz zu wählen, um die theoretischen Fragestellungen zur Marginalisierung und Normalisierung von Körpern und Räumen empirisch zu erweitern, zu prüfen und zu untermauern, ist eine Vorgehensweise, die überzeugt, da so die Gefahr einer Reproduktion der Marginalisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen durch die wissenschaftliche Untersuchung umgangen werden kann.

URN urn:nbn:de:0114-qn103088

Zara Simone Pfeiffer (M.A.)

Laufende Promotion bei Prof. Dr. Paula-Irene Villa am Institut für Soziologie der LMU München.

E-Mail: zarapfeiffer@gmail.com

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