Chancengleichheit messbar gemacht – ein praxisnahes Online-Instrument

Rezension von Ortrun Brand

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Hans-Böckler-Stiftung:

Gender Index.

Website, http://www.gender-index.de, Zugriff: August 2009

Abstract: Mit dem Gender Index präsentieren das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und die Hans-Böckler-Stiftung ein Onlineportal, das für jeden Kreis der Bundesrepublik eine Maßzahl zur Berechnung der Chancengleichheit von Frauen und Männern ausweist. Das Index-Projekt richtet sich dabei vor allem an die Akteur/-innen auf regionaler Ebene, um diesen konkrete Zahlen zur Situation vor Ort an die Hand zu geben. Er basiert auf Daten von 2006 und ist sowohl in Bezug auf Daten als auch auf präsentierte Karten weitgehend statisch. Die Konstruktion des Index und seiner 19 Indikatoren zeugt von reiflichen und geschlechterpolitisch aufgeklärten Überlegungen der Macher/-innen des Projekts. Als Forschungsinstrument eignet er sich jedoch nur eingeschränkt, da es sich um ein weitgehend statisches und umsetzungsbedingt inhaltlich stark eingegrenztes Instrument handelt.

Einleitung

Lässt sich das Ausmaß der realen Chancengleichheit von Männern und Frauen messen – und wenn ja, welche Regionen in der Bundesrepublik Deutschland schneiden dabei besser oder schlechter ab? Diese Fragen zu beantworten haben sich die Macher/-innen des Internetportals Gender Index (http://www.gender-index.de) zur Aufgabe gemacht. Das Index-Projekt ist noch recht jung; im November 2008 haben das Bundesamt und die Stiftung das Netzangebot freigeschaltet. Dem waren längere Vorarbeiten vorangegangen: Die Hans-Böckler-Stiftung hatte eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben (vgl. Gerhard Engelbrech, Mechthild Kopel: Gender-Index – eine Landkarte für Deutschland. Machbarkeitsstudie. Düsseldorf: HBS 2007 (PDF)). Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung publizierte kürzlich einen zentralen Bericht (vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung: Frauen–Männer–Räume. Bonn: BBR 2007 (Zusammenfassung), in dem Daten zur unterschiedlichen Lebenssituation von Frauen und Männern in den Kreiseinheiten der Bundesrepublik präsentiert werden.

Berechnungsweise und Ergebnis

Der Gender Index besteht aus insgesamt 19 Indikatoren aus den Bereichen Ausbildung, Erwerbsleben und Partizipation. Den Schwerpunkt bildet das Erwerbsleben mit 14 Indikatoren, während im Bereich Ausbildung drei Faktoren und bei der (kommunalpolitischen) Partizipation zwei Faktoren einbezogen werden. Die Abweichung der Ausprägung des Indikators für Frauen bzw. Männer von der gemeinsamen (durchschnittlichen) Ausprägung dient als Maßzahl für diesen Indikator. Je stärker diese Maßzahlen von 0 abweichen, desto stärker ist die Geschlechterungleichheit hinsichtlich dieses Indikators. Ansatzpunkt ist dabei die regionale Ebene, das heißt die Raumordnungsregion unterhalb der Ebene der Bundesländer. Kreisfreie Städte und Landkreise stehen beim Gender Index im Fokus; die Daten können aber auch für andere Raumordnungsaggregate abgerufen werden.

Der Index bildet sich aus dem Mittelwert der 19 Faktoren. Das Ergebnis drückt sich in einer Maßzahl aus, die im allgemeinen Ranking dem sachsen-anhaltinischen Bitterfeld mit einem Gender Index von 12,5 den Spitzenplatz zuweist und den Eifler Landkreis Bitburg-Prüm mit einem Gender Index von 32,1 ans Ende der Rangliste verweist. Interessant ist zudem, dass die so berechneten Unterschiede zwischen den Geschlechtern in keinem Kreis unter zehn Prozent liegen (vgl. http://www.gender-index.de/detail-profile.html). Jenseits dieser schnell zu erfassenden Kennzahl bietet das Portal auch weiterführende Informationen: So können sich die Nutzer/-innen anhand von – statischem – Kartenmaterial informieren, wie der eigene Kreis bei welchem Indikator abschneidet; zudem bietet das Portal Vergleiche zu regionaler Infrastruktur zu Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen ebenso wie zu Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur an und verweist auf Publikationen zur Regionalanalyse.

Instrument für die Praxis – und für die Forschung?

Der Gender Index ist ein Produkt mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen: Hinter dem regionalen Ansatz stehen sowohl (kultur-)geographische als auch raumsoziologische Überlegungen. Gleichzeitig bilden zentrale Anliegen und Interessen der Frauen- und Geschlechterforschung die Grundlage dafür, überhaupt einen solchen Index zu konstruieren. Dieses interdisziplinär angelegte Projekt ist primär darauf angelegt, politischen Akteur/-innen der unteren politischen Ebenen, also in den Landkreisen, (kreisfreien) Städten und Gemeinden, Fakten an die Hand zu geben dafür, wie es in ihrer Region um die Lebenssituation von Männern und Frauen und mithin um Chancengleichheit bestellt ist. Als Forschungsinstrument kommt er nur bedingt in Betracht: Zwar könnten Raumforscher/-innen der unterschiedlichen Disziplinen hier in kompakter Form Karten und Ergebnisse für regional fokussierende Untersuchungen erhalten. Genderforscher/-innen könnten ihre Untersuchungen nicht nur mit den vorfindlichen Karten und Werten abgleichen, sie finden in diesem Projekt zudem eine inhaltliche Konkretisierung der Debatte um Chancengleichheit und damit eine Folie für eine Weiterentwicklung dieser Diskussion. Politikwissenschaftler/-innen bietet dieser Webauftritt wiederum komprimierte Daten zur konkreten Bewertung regionaler und lokaler politischer Partizipation von Männern und Frauen – wenngleich diese insofern einen räumlichen Bias haben, als nur Städte mit mehr als 20.000 Einwohner/-innen berücksichtigt worden sind.

Allerdings ist der Gender Index ein statisches Instrument: Er basiert auf Daten von 2006, die in ähnlicher Form und für das Jahr 2004 auch schon im oben genannten Bericht Frauen–Männer–Räume zu finden sind. Zwar stehen fast das gesamte Kartenmaterial und fast alle Tabellen als Download zur Verfügung, allerdings lediglich als PDF-Dateien und nicht als Datenbanken; die Karten sind zumeist statisch und nur zum Teil interaktiv angelegt. Der Gender Index ist zudem ein rein auf quantitativen Daten aufbauendes Instrument.

Die Barrierefreiheit des Internetauftritts lässt allerdings zu wünschen übrig. Ohne Notwendigkeit sind die Daten zu den jeweiligen Kreisen nur über eine eingefärbte dynamische Karte abrufbar – die obligatorische Benutzung von Javascript, der Einsatz nur gering kontrastierender Farben und das Fehlen von Textlinks erschweren die Benutzung der Seite. Für ein Projekt einer Behörde ist dies nicht akzeptabel (vgl. dazu etwa die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung). Ein Blick auf die Sitemap zeigt, dass die Webseite mit bis zu drei Gliederungsebenen übersichtlich gestaltet ist. Allerdings geraten einige Seiten dadurch sehr lang, vgl. etwa http://www.gender-index.de/was-ist-der-index.html. Dies macht die Navigation manchmal etwas schwierig.

Insgesamt ist der Gender Index ist ein klug konzipiertes Instrument, an dem ersichtlich ist, dass die Macher/-innen – unter den Rahmenbedingungen der zur Verfügung stehenden Daten – im Vorfeld der Veröffentlichung intensiv an der Konstruktion des Index gearbeitet haben. Die Anzahl und Auswahl der Indikatoren ist, wie es auch die Macher/-innen des Index beschreiben, im Hinblick auf den Charakter des Projekts als Politikberatungsinstrument eine schwierige Sache: „So vollständig wie nötig und dabei so übersichtlich wie möglich, das ist die Krux einer jeden zusammenfassenden Darstellung eines komplexen und umfassenden Sachverhaltes“ (vgl. http://www.gender-index.de/was-ist-der-index.html). Der Konstruktion des Index ist hoch anzurechnen, dass jenseits des Erwerbslebens und neben dem Bereich Ausbildung noch der Bereich der politischen Partizipation einbezogen wurde; hier stehen die Daten über Ratsmitglieder und (Ober-)Bürgermeister zur Verfügung. Aber reicht es aus, einen großen Bereich des Erwerbslebens und einige wenige Aspekte der Bereiche Ausbildung und (kommunal-)politischer Partizipation einzubeziehen, um das Ausmaß von Chancengleichheit quantitativ auszudrücken? Gerade die Genderforschung hat immer wieder betont, dass es insbesondere auch der Bereich der ‚anderen‘, der unbezahlten Haus-, Sorge- und Eigenarbeit und deren geschlechtshierarchischer Aufteilung und Strukturierung ist, der bei der Bewertung der Situation der Geschlechter einzubeziehen ist. Und dass gerade dieser Bereich komplett im Gender Index fehlt, ist zwar der mangelnden Datengrundlage geschuldet – passende Daten zu finden und deren Erhebung anzustoßen bleibt aber Aufgabe der Weiterentwicklung eines solchen Projekts.

Ebenfalls kritisch zu betrachten ist die Tatsache, dass bei der Konstruktion des Index ausschließlich quantitative Daten einbezogen wurden. Es fehlt die Unterfütterung und Reflexion der Index-Ergebnisse auf Basis subjektorientierter und zusätzlich qualitativer Daten; zwar verweisen die Beteiligten auf weiterführende Literatur (vgl. http://www.gender-index.de/veroeffentlichungen.html), allerdings wären ergänzende explizite Hinweise auf qualitativ angelegte Studien sinnvoll.

Schließlich und endlich beinhaltet der Index Daten, die ausschließlich die Lebenssituation von dichotom klassifizierten Frauen und Männern darstellen. Weder werden soziale oder ethnische Unterschiede innerhalb dieser beiden Gruppen berücksichtigt noch bietet sich hier die Möglichkeit einer Queer-/Transgenderperspektive. Für beide Aspekte fehlen die Datengrundlagen. Unabhängig von der Frage, ob solche Klassifizierungen aus Sicht des Datenschutzes und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten sinnvoll wären, bleibt dies aus Perspektive der Genderforschung ein Mangel.

Der Gender Index schließt aus Sicht der politischen Praxis und der Akteur/-innen der unteren politischen Ebenen eine wichtige Datenlücke für regionale Analysen (vgl. z. B. für Leipzig den Artikel von Vöckler (PDF) und präsentiert sich zudem als handhabbares und visuell orientiertes Instrument. Aus Sicht der Forschung bietet sich der Index an, um punktuell Daten abzugleichen oder bestimmte eigene Ergebnisse zu vergleichen. Um jedoch mit raumbezogenen Daten zu arbeiten, ist eher das Datenportal www.raumbeobachtung.de von einer der den Index tragenden Institutionen, dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, zu empfehlen.

URN urn:nbn:de:0114-qn103048

Ortrun Brand

Philipps-Universität Marburg

Politikwissenschaftlerin; derzeit Doktorandin im interdisziplinären Graduiertenkolleg „Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Organisation und Demokratie“ an der Philipps-Universität Marburg; vorher wissenschaftliche Mitarbeiterin bei GendA-Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie, Geschlecht

Homepage: http://www.uni-marburg.de/fb03/genda/staff/brand

E-Mail: ortrun.brand@staff.uni-marburg.de

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