Eine staatsethnographische Perspektive auf lokale Prostitutionsregulierung

Rezension von Jenny Künkel

Rebecca Pates, Daniel Schmidt:

Die Verwaltung der Prostitution.

Eine vergleichende Studie am Beispiel deutscher, polnischer und tschechischer Kommunen.

Bielefeld: transcript Verlag 2009.

234 Seiten, ISBN 978-3-8376-1117-5, € 24,80

Abstract: Die aus dem Forschungsprojekt ‚Verwaltung der Prostitution‘ an der Universität Leipzig heraus entstandene Publikation geht der Frage nach, welche Problemdefinitionen, Kategorisierungen und Wissensbestände lokale Verwaltungsakteure/-innen in Deutschland, Polen und Tschechien der Prostitutionsregulierung zugrunde legen. Die Studie zeigt, dass teilautonomes Verwaltungshandeln Recht nicht nur umsetzt, sondern auch produziert. Durch den Fokus auf die lokale Ebene der Prostitutionsregulierung und durch den staatsethnographischen Zugang ist die Monographie in zweierlei Hinsich innovativ. Lediglich etwas mehr Informationen zum methodischen Vorgehen sowie ein expliziteres Aufgreifen der theoretischen Konzepte bei der Aufbereitung des empirischen Materials wären wünschenswert gewesen.

Prostitution entlang der (Wohlstands-)Grenzen von Deutschland, Polen und Tschechien erhielt in den letzten Jahren starke mediale Aufmerksamkeit. 2003 stieß das Buch der Sozialarbeiterin Cathrin Schauer Kinder auf dem Strich (Bad Honnef: Horlemann Verlag 2003) eine breite Debatte über das Phänomen Kinderprostitution an. Dessen Existenz oder Ausmaß im tschechischen Grenzgebiet bleibt bis heute ungeklärt. Dennoch galt die tschechische Region Dubí im Anschluss an die empirisch nicht abgesicherte Bennennung durch den Kriminalpsychologen Adolf Gallwitz fortan als „größtes Freiluftbordell Europas“. Als Kontroll- oder „Migrationsabwehr-Diskurse“ (S. 36) sind solche Debatten über Prostitution und Menschenhandel mittlerweile verschiedentlich untersucht worden. Oft verbleibt jedoch die Diskursforschung auf der Ebene des gut zugänglichen Mediendiskurses. Empirische Untersuchungen der Verwaltungsdiskurse und lokalen Regulierungsbemühungen sind hingegen rar. Die vorliegende Monographie ist demgegenüber in zweierlei Hinsich innovativ: durch den Fokus auf die lokale Ebene der Prostitutionsregulierung und durch den staatsethnographischen Zugang. Gestützt auf gut 50 Interviews, die v. a. mit Akteur/-innen aus Polizei, Staatsanwaltschaft, Gewerbe- und Gesundheitsämtern sowie Nichtregierungsorganisationen geführt wurden, analysieren Pates und Schmidt sehr detailliert den lokalen Verwaltungsdiskurs der drei Länder. Dabei arbeiten sie zentrale Konturen für ein Forschungsfeld Staatsethnographie heraus, das sich im angelsächsischen Raum derzeit etabliert, in der deutschen Forschungslandschaft jedoch bisher kaum existent ist.

Law in action

Die aus dem Forschungsprojekt „Verwaltung der Prostitution“ an der Universität Leipzig heraus entstandene Publikation geht der Frage nach, welche Problemdefinitionen, Kategorisierungen und Wissensbestände lokale Verwaltungsakteure/-innen der Prostitutionsregulierung zugrunde legen. Die Studie zeigt, dass teilautonomes Verwaltungshandeln Recht nicht nur umsetzt, sondern auch produziert. So ergibt ein Vergleich der Gesundheitsämter Dresdens und Leipzigs, dass gleiche rechtliche Vorgaben nicht notwendig gleiche rechtliche Formen der Regulierung hervorbringen. Ausgangspunkt ist das Infektionsschutzgesetz von 2001, das den gesetzlichen Handlungsspielraum zur Überwachung von Sexarbeiter/-innen durch die Gesundheitsämter mittels verpflichtender Untersuchungen und Gesundheitszeugnisse abschaffte. Das Gesetz veränderte die Praxis in Leipzig kaum. Denn in Leipzig verzichtete das Gesundheitsamt bereits vor der entsprechenden Gesetzesänderung 2001 auf verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen. Aufbauend auf einem Verständnis von Sexarbeiterinnen als „selbstbestimmten Kundinnen“ (S. 73) des Amtes liegt der Fokus trotz Mittelkürzungen auf Streetwork und Sozialberatung. In Dresden hingegen setzt das Gesundheitsamt die Gesetzesänderung ungern um. Sie sehen ihre Arbeit durch das geringe Interesse der Prostituierten an freiwilligen Untersuchungen und Stellenkürzungen in Frage gestellt. Auf Streetwork verzichten sie daher und versuchen, die als kindlich dargestellte Klientel mit einer Mischung aus Druck und Belohnung („Und dann dürfen sie in die große Kondomdose fassen, wenn sie hier fertig sind. Wie ein Bonbon.“, S. 78) zu regelmäßigen Untersuchungen zu bewegen. Bedeutung für die Regulierung – so zeigen Pates und Schmidt mit dieser Analyse des Verhältnisses von Recht, Wissen und Regulierung – haben also nicht nur die beruflichen Selbstbilder, sondern auch die Sicht auf die Klientel. Rechtliche Vorgaben können demgegenüber als Einflussfaktor in den Hintergrund treten.

Staatsethnographien

Staatsethnographien zielen laut Pates und Schmidt nicht auf eine Analyse von Intention oder Funktion der Regulierungsversuche, sondern auf die empirische Untersuchung der „tatsächlichen Regulierungsbemühungen“ (S. 213). Unterschiede zwischen Intention von (rechtlicher) Regulierung, tatsächlichen Verwaltungspraktiken und deren Wirkung zeigen sich im Ländervergleich: Alle drei untersuchten Länder weisen ein, in Deutschland bereits mit Liberalisierungstendenzen vermischtes, „abolitionistisches“ Prostitutionsregime auf, das auf die Abschaffung der Prostitution zielt, ohne Prostituierte zu kriminalisieren. Dennoch zeigen sich etwa im Rahmen der (geplanten) Legalisierung von Prostitution deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Systemen hinsichtlich der Zielstellung, der (geplanten) Umsetzung in der Verwaltung und der entsprechenden Funktion. In Deutschland schaffte das Prostitutionsgesetz 2001 die Sittenwidrigkeit des Gewerbes und die Strafbarkeit der Förderung von Sexarbeit ab. Die Untersuchung zeigt, dass die tatsächlichen lokalen Regulierungsbemühungen dieser auf Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse von Prostituierten zielenden Gesetzesänderung oft entgegenstehen – etwa im Falle der stadträumlichen Verdrängung von Prostitution. Dementsprechend wird „in nahezu keinem Interview ein vorrangiges behördliches Interesse an einer Regulierung der Arbeitsverhältnisse beschrieben“ (S. 101). In Polen, wo Prostitution zwar erlaubt ist, nicht jedoch das Fördern oder Profitieren Dritter von Prostitution, ist das zentrale Thema der an Sicherheit und Ordnung interessierten Administration ein Mangel an Steuerungsmöglichkeiten. Denn weder existieren Sperrgebiete noch ist Prostitution melde- oder steuerpflichtig. Die Verwaltung nutzt daher Lärmschutz-, Hygiene- und Gastronomievorschriften oder die (illegale) Verbringung von Prostituierten mit Polizeibussen ebenso wie eine de facto Tolerierung kontrollierter Bordelle, um das „Dilemma des Nicht-verbieten-Könnens und Nicht-erlauben-Dürfens“ (S. 111) zu umgehen. In Tschechien hofft die Administration auf ein Ende des ähnlichen „rechtlichen Vakuums“ (S. 156) durch das aktuell debattierte Prostitutionsgesetz. Erstaunlich indifferent befürworten die Interviewten dabei jegliche Form rechtlicher Regelung – Verbot oder die so genannte „Regulierung“, d. h. die in Deutschland auch unter dem Stichwort „Legalisierung“ diskutierte Verringerung der strafrechtlichen Begrenzung von über den reinen Verkauf von Sex hinausgehenden Tätigkeiten (z. B. Vermittlung von Kund/-innen) und die verstärkte Gleichstellung von Prostitution mit anderen Gewerbezweigen in verschiedenen Rechtsbereichen. Nur eine leichte Favorisierung von Legalisierung/Regulierung lässt sich ausmachen – denn „Regulierung, das heißt Kontrolle“ (S. 203), so ein Polizeibeamter aus Cheb, der sich von der Abschaffung der rechtlichen Grauzone, in der das Sexgewerbe aktuell operiert, eine erleichterte Informationsgewinnung durch die Polizei erhofft. Pates und Schmidt zeigen mit dieser Nahaufnahme der Prostitutionsregime nicht nur eindrücklich, dass Verwaltungshandeln rechtliche Vorgaben umgehen oder entgegen der Intention der Gesetzgebung in Kontrollinstrumente zu verwandeln vermag. Sie beweisen zugleich, dass sie die Funktion von Regulierungsversuchen sehr gut im Rahmen eines staatsethnographischen Ansatzes, also gerade durch den nahen Blick und den lokalen Fokus herauszuarbeiten vermögen. Mit dieser Verknüpfung zeigen sie, dass Staatsethnographie nicht als bloßer Empirismus oder Methode (miss-)zuverstehen ist, sondern als theoretischer Ansatz, der die polyzentrische und lokale Organisation von Staatshandeln und Rechtsproduktion zu erfassen vermag.

Fokus auf Empirie

Gewünscht hätte man sich von der angenehm knapp gehaltenen Studie lediglich etwas mehr Informationen zum methodischen Vorgehen sowie ein expliziteres Aufgreifen der theoretischen Konzepte bei der Aufbereitung des empirischen Materials. Denn die Darstellung hat ob des ethnographischen Ansatzes und der (wichtigen!) Betonung von Komplexität stellenweise stärker beschreibenden als erklärenden Charakter. Und ohne nähere Erläuterungen sind etwa die Gründe für die Interviewauswahl nicht unmittelbar nachvollziehbar. So scheint die regionale Streuung der Interviews – in Leipzig systematisch verschiedene Verwaltungen, in anderen Städten hingegen z. B. nur die Polizeidirektion Chemnitz oder nur das Gesundheitsamt Dresden – eher hinderlich für die Beschreibung (kohärenter) Prostitutionsregime. Denn diese konstituieren sich nicht immer auf Ebene der Bundesländer, sondern sind oft kleinräumlicher organisiert. Doch dies ist auch ein Fazit von Pates und Schmidt: Regulierung und Problemwahrnehmungen variieren nicht nur von Behörde zu Behörde, Akteur/-in zu Akteur/-in und Region zu Region, sondern auch innerhalb von (Stadt-)Regionen von Quartier zu Quartier. Nachbarschaftsproteste erweisen sich dabei als wesentlicher Einflussfaktor. „‚Lokale‘ Regulierungen müssen daher oft noch kleinteiliger als auf der städtischen Ebene gedacht werden“ (S. 199). Die Untersuchung zeigt mit diesen Erkenntnissen zugleich wichtige Ansatzpunkte für zukünftige Forschungen auf.

URN urn:nbn:de:0114-qn103054

Dipl. Ing. Jenny Künkel

Freie Universität Berlin

Politikwissenschaft, PhD Cand., Promotion über die lokale Regulierung von Sexarbeit

Homepage: http://workfare-city.lai.fu-berlin.de/index.php?id=jenny

E-Mail: jenny.kuenkel@fu-berlin.de

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