Geschichte der Männlichkeitenforschung

Rezension von Martin Spetsmann-Kunkel

Jürgen Martschukat, Olaf Stieglitz:

Geschichte der Männlichkeiten.

Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2008.

198 Seiten, ISBN 978-3-593-38753-6, € 16,90

Abstract: Jürgen Martschukats und Olaf Stieglitz’ Buch gewährt einen Einblick in die bisherigen Forschungsarbeiten zu dem Thema Männlichkeiten. Das Buch – erschienen in der Reihe Historische Einführungen des Campus Verlages – ist konzipiert als ein leicht verständlicher Einstieg in die Thematik. Die Darstellung konzentriert sich einerseits auf eine Reproduktion theoretischer Zugänge zur Männlichkeit und andererseits auf einen historischen Überblick über verschiedene Forschungsarbeiten zu den bedeutenden Themenfeldern Vaterschaft, männliche Sozialitäten und männliche Sexualität.

Jürgen Martschukats und Olaf Stieglitz’ Buch Geschichte der Männlichkeiten liefert einen Abriss über den bisherigen Forschungsstand der deutsch- und englischsprachigen Forschung zu dem Thema Männlichkeiten. Das Buch stellt erstens unterschiedliche Theorien und Forschungsarbeiten vor, die das männliche Geschlecht zum Gegenstand haben. Dabei wird zweitens der Verlauf der wissenschaftlichen Debatte historisch rekonstruiert. Und schließlich werden – drittens – am Beispiel der Themenfelder Männer in Familien/Vaterschaft, Männer in geschlechtshomogenen Männergruppen und männlicher Sexualität spezielle Forschungsgegenstände in den Blick genommen. Die Publikation – erschienen in der Reihe Historische Einführungen des Campus Verlages – ist konzipiert als ein leicht verständlicher Einstieg in die Thematik, welcher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern vielmehr einen ersten Einblick in dieses Forschungsfeld ermöglicht.

Der Inhalt im Überblick

Die Darstellung konzentriert sich einerseits auf eine Reproduktion theoretischer Zugänge zur Männlichkeit und andererseits auf einen historischen Überblick über verschiedene Forschungsarbeiten zu den bedeutenden Themenfeldern Vaterschaft, männliche Sozialitäten und männliche Sexualität. Beginnend in den 1960er Jahren wird die Geschichte der Männer- oder (je nach Position) Männlichkeitenforschung aus dem Kontext der Frauen- und Geschlechterforschung bzw. später aus der Genderforschung rekonstruiert. Geschlecht – und somit auch Männlichkeit – wird hier als das Ergebnis von situativen Praktiken und historischen, diskursiven und soziokulturellen Prozessen verstanden; zugleich wird Geschlecht auch als performative Differenzmarkierung beschrieben. Die Men's Studies als erster nennenswerter Forschungszweig der Erforschung von Männlichkeit, die ihre Wurzeln in der antisexistischen Männerbewegung haben, wenden sich – wie die Genderforschung allgemein – gegen ein biologistisches Verständnis von Männlichkeit und betonen demgegenüber die soziale Konstruiertheit von Männlichkeit. Die Autoren verweisen an dieser Stelle auf die zentrale Bedeutung der Arbeiten von Hearn, Connell und Bourdieu für den weiteren Verlauf der Erforschung von Männlichkeit. Diese wegweisenden Konzepte werden knapp angerissen, und die Idee hegemonialer Männlichkeit und des männlichen Habitus werden vorgestellt.

Deutlich wird bereits hier, dass Martschukat und Stieglitz nicht für eine Geschichtsschreibung der Erforschung von Männern, sondern vielmehr von Männlichkeiten präferieren, denn die ‚eine‘ Form von Männlichkeit existiert nicht, vielmehr lassen sich unterschiedliche Männlichkeitskonzepte in den verschiedensten sozialen Kontexten finden. Entsprechend wird die aktuell viel beschworene Krise der Männer auch vor allen Dingen als eine Krise des weißen, heterosexuellen Mannes der Mittelklasse diagnostiziert. In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren zu Recht auf das Problem dieser Krisenrhetorik: Die ständige Beschwörung einer Krise der Männer in der gegenwärtigen Gesellschaft bedingt in der Folge eine Rekonstituierung der normativen Idee der ‚einen‘ Männlichkeit, die zudem orientiert ist an dem ‚Ideal‘ hegemonialer Männlichkeit, nach Connell verstanden als die Dominanz des Mannes über die Frau in Arbeit/Produktion, dem Raum der politischen Macht und den intimen Beziehungen.

Ausgehend von einer eher kritischen Betrachtung der bisherigen Geschichtsschreibung zum Thema Männlichkeit – im Kapitel 5 des Buches –, formulieren die Autoren eine Reihe an Leitfragen für zukünftige Forschungsarbeiten (S. 75 f.). Im Mittelpunkt steht hier, den Blick für verschiedene, spezifische Formen der Männlichkeiten zu schärfen und eine normativ aufgeladene Setzung und Vorannahme der ‚einen‘ Männlichkeit, die dann als Kontrastfolie für andere Männlichkeitskonzepte dient, zu vermeiden. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass nicht nach den hegemonialen Geschlechtsentwürfen gefragt werden soll. Die Betrachtung männlicher Macht bleibt auch für eine kritische Geschichtsschreibung von Männlichkeiten zentral.

Die anschließende Betrachtung von Männern in Arbeit und Vaterschaft kann als eine Kritik an herkömmlichen Vorstellungen zu patriarchalen Familienkonstellationen und männlicher Dominanz verstanden werden. Martschukat und Stieglitz weisen darauf hin, dass sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Familie eine beobachtbare Diskrepanz zwischen der normativen Vorstellung von einer männlichen Vorherrschaft und der realen Situation von Männern besteht. Sie präferieren demgegenüber eine „vielschichtige Betrachtung von Machtstrukturen innerhalb von Geschlechter- und Familienverhältnissen“ (S. 94). Eine Remaskulinisierung – gemäß der Ideologie hegemonialer Männlichkeit – in der Arbeitswelt meinen sie vor allen Dingen in der Gruppe der ‚blue collar workers‘ beobachten zu können.

Bei der darauf folgenden Referierung theoretischer und historischer Forschungsarbeiten zu männlichen Sozialitäten, die die Autoren in Anlehnung an Lipman-Blumen als ‚Homosozialität‘ bezeichnen, verweisen sie einerseits auf die Bedeutung des Alkohols für die Konstitution, Integration und Reproduktion homosozialer Gesellungsformen. Andererseits veranschaulichen sie unter anderem am Beispiel des (weiterhin) homosozialen Raumes Militär Vorgehen und Inhalt historischer Analysen.

Im abschließenden Teil des Buches wenden sich die Autoren dem Thema männliche Sexualität zu. Deutlich wird hier, dass die Betrachtung von (männlicher) Sexualität immer als eine Diskussion um Normalität und Abweichung geführt wurde. Bedeutsam für eine kritische Betrachtung männlicher Sexualität waren die Bestrebungen einer schwulen Identitätspolitik aus dem gay movement heraus. Martschukat und Stieglitz, die die Geschichte dieser Bewegung rekonstruieren, machen anschaulich, dass ein Infragestellen männlicher Sexualität und der Idee einer ‚wahren‘ Männlichkeit ohne das Engagement und die Arbeiten der schwulen Bewegung mit ihrem Verweis auf alternative Männlichkeiten nicht denkbar gewesen wäre.

Kritische Einschätzung

Der Titel Geschichte der Männlichkeiten von Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz kann aus mindestens zwei Gründen zur Lektüre empfohlen werden: Erstens gewährt das Buch einen fundierten Einblick in die Historie der Männlichkeiten und ihrer wissenschaftlichen Erforschung mit dem Verweis auf theoretische Positionen und den Ergebnissen aus speziellen Forschungsfeldern (Familie/Arbeit, Sozialität, Sexualität). Hierbei ist das Buch durch Marginalien und im Text hervorgehobene Definitionen bewusst als gut lesbare Einführungsliteratur gestaltet worden. Zweitens beinhaltet das Buch ein wichtiges Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung historischer Verläufe von Männlichkeiten und kann somit als ein programmatisches Konzept für zukünftige historische Arbeiten betrachtet werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn102305

Dr. Martin Spetsmann-Kunkel

FernUniversität Hagen

Lehrgebiet Interkulturelle Erziehungswissenschaft

Homepage: http://ifbm.fernuni-hagen.de/lehrgebiete/inte/team/mitarbeiterinnen-einzelseiten/dr-martin-spetsmann-kunkel

E-Mail: martin.spetsmann-kunkel@fernuni-hagen.de

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