Wohlfahrtsstaat, Geschlechterkultur und private Sorgearbeit

Rezension von Hildegard Theobald

Sabine Beckmann:

Geteilte Arbeit?

Männer und Care-Regime in Schweden, Frankreich und Deutschland.

Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2008.

292 Seiten, ISBN 978-3-89691-745-4, € 27,90

Abstract: Im Zentrum des Buches steht die Frage der Relevanz wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen für die geschlechtliche Verteilung familiärer Sorgearbeit. Konzeptionell verbindet die Autorin Ansätze aus der geschlechtssensiblen international vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung mit Ansätzen zu Genderregimen. Empirisch untersucht sie fundiert in einer Quer- und Längsschnittstudie die Entwicklungen in Schweden, Frankreich und Deutschland in den letzten 50 Jahren in den Feldern der Politikentwicklung, der geschlechtlichen Verteilung privater Sorgearbeit und der geschlechterkulturellen Entwicklungen, insbesondere der Rolle von Vätern. Neben dem innovativen Ansatz liefert das Buch einen fundierten empirischen Überblick über die Veränderungsprozesse in den drei Vergleichsländern und liefert damit einen wertvollen Beitrag zur politischen Diskussion und zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung.

Sabine Beckmann geht der Frage nach, „welche Relevanz wohlfahrtsstaatliche Regulierungen für Entscheidungen über die geschlechtliche Verteilung von Haus- und Familienarbeit im Privaten haben und auf welche Weise diese von wohlfahrtsstaatlichen Regulierungen beeinflusst werden können.“ (S. 16) Sie bearbeitet damit vor dem Hintergrund der familienpolitischen Neuorientierung in Deutschland ein zentrales politisches Thema. Aus wissenschaftlicher Perspektive tragen der eigenständige konzeptionelle Ansatz und die Empirie des Buches zur Weiterentwicklung der international vergleichenden geschlechtssensiblen Wohlfahrtsstaatsforschung bei.

In dem innovativen konzeptionellen Rahmen der Forschungsarbeit wird Care oder Sorgearbeit als Substruktur der Geschlechterbeziehungen definiert. Explizit werden Forschungsperspektiven zur Wohlfahrtsstaaten Analyse wohlfahrtsstaatlicher Politiken mit einer Gendermetatheorie verknüpft und anschließend auf den bisher eher vernachlässigten Bereich privater Sorgearbeit angewandt. Der Ländervergleich der drei kontrastierenden wohlfahrtsstaatspolitischen Ansätze in Schweden, Frankreich und Deutschland gestattet es, den Zusammenhang zwischen Wohlfahrtsstaat – dessen Regulierungen und Leitbildern –, Genderregime und geschlechtlicher Verteilung privater Sorgearbeit zu untersuchen und damit die entscheidenden Mechanismen des Zusammenhangs auch empirisch zu erhellen. In ihrem Verständnis geht die Autorin davon aus, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht von den wohlfahrtsstaatlichen Regulierungen und Leitbildern determiniert wird; hingegen können diese den Individuen Handlungsmöglichkeiten eröffnen und damit zur Basis von individuellen Entscheidungen zur Organisation des Alltaglebens und von Veränderungsprozessen werden.

Konzeptionelle Verknüpfung: Von Gender- zu Care-Regime

Zur Durchführung des Ländervergleichs auf der Basis einer Längsschnitt- und Querschnittstudie konstruiert die Autorin einen eigenständigen innovativen theoretisch-konzeptionellen Ansatz mit dem Begriff „Care-Regime“, der die Analyse des Zusammenspiels von wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen, geschlechterkulturellen Entwicklungen und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung privater Sorgearbeit bezogen auf Kinderbetreuung und Hausarbeit ermöglicht. Dazu diskutiert sie einleitend fundiert Forschungen zur grundlegenden Relevanz wohlfahrtsstaatlicher Ansätze für Geschlechterbeziehungen. Diese können nur zum Ausgangspunkt der Analyse werden, denn wie die Autorin überzeugend darstellt, fehlt die systematische Berücksichtigung der privaten Sorgearbeit und die Betrachtung der Wirkung geschlechterkultureller Einflüsse auf den Prozess – beides zentrale Elemente für ihren Ansatz. Beckmann erweitert daher die Ansätze aus der Wohlfahrtsstaatsforschung um das Konzept zum Genderregime von Connell (1987) und fügt damit einen metatheoretischen Rahmen zur Analyse der Geschlechterbeziehungen hinzu. Der Wohlfahrtsstaat wird demnach als Genderregime definiert, das einerseits durch Geschlechterbeziehungen strukturiert ist und andererseits durch staatliches Handeln – konkrete Maßnahmen, Regulierungen und Gesetze sowie ihre zugrundeliegenden Leitbilder – Geschlechterbeziehungen reproduziert. Care wird als eine wichtige Substruktur der Geschlechterbeziehungen wahrgenommen.

Nach der gelungenen Verbindung von wohlfahrtsstaatlichen Ansätzen und metatheoretischen Konzepten zum Genderregime integriert die Autorin abschließend Ansätze aus der Care-Forschung, wobei der Ansatz des Work/Care-Regimes von Pocock (2005) eine entscheidende Position einnimmt. Analog zu diesem Ansatz wird die Konstruktion und Organisation von Care und der geschlechtlichen Arbeitsteilung als Care-Regime definiert. Darunter werden die Formen, wie in einer Gesellschaft und im Wohlfahrtsstaat Care wahrgenommen, verortet, organisiert und ins Verhältnis zur Erwerbsarbeit gesetzt wird, gefasst. Das Care-Regime weist abhängig von der gesellschaftlichen Situation eine spezifische Erscheinungsform auf. Als zentrale Elemente der Erscheinungsform definiert die Autorin Strukturen – Leitbilder und sozialpolitische Regulierungen – und das Handeln der Individuen sowie des Staates.

Beckmann bezieht sich in ihren Annahmen auch auf ein Gedankenexperiment von Fraser (1996), die drei grundlegende Modelle für den Zusammenhang von Leitbildern in Wohlfahrtsstaatspolitiken zu dem Verhältnis von Erwerbsarbeit und familiärer Fürsorgearbeit und Geschlechterbeziehungen entwickelte. Die drei für den Vergleich ausgewählten Länder begreift die Autorin als Repräsentanten für jeweils eines der Modelle. Somit können die theoretisch-normativen Überlegungen von Fraser (1996) empirisch in den Ergebnissen der Länderstudien überprüft werden.

Vor dem Hintergrund ihres konzeptionellen Ansatzes bestimmt die Autorin ihr Forschungsdesign, das Normen und Leitbilder, institutionelle Regelungen und die realisierte geschlechtliche Verteilung privater Sorgearbeit im Ländervergleich erfassen soll. Die empirische Analyse umfasst drei Teile. In einem ersten Teil erfolgt eine Untersuchung der geschlechter- und familienbezogenen sozialpolitischen Programme – der Leitbilder und der institutionellen Rahmenbedingungen – der vergangenen 50 Jahre. Darauf aufbauend zeigt die Autorin auf der Basis von sekundärstatistischen Analysen die Verteilung der Haus- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen in diesem Zeitraum auf. Abschließend betrachtet sie die Geschlechterkultur in den drei Vergleichsländern im Hinblick auf Normen, Werte und Interessen von Männern bezüglich privater Sorgearbeit, insbesondere der Betreuung von Kindern und der Beteiligung an der Hausarbeit.

Entwicklungswege und Veränderungen: Deutschland, Schweden und Frankreich im Langzeitvergleich

In diesem sehr umfassenden und fundierten Vergleich gibt die Autorin einen systematischen Einblick in die Veränderungsprozesse in den drei Vergleichsländern. Die Ergebnisse lassen drei sehr unterschiedliche Entwicklungswege erkennen, wie sie dem theoretischen Modell von Fraser (1996) nahe kommen. Im Fokus der Politiken in Frankreich steht die Erwerbsintegration von Frauen, während die geschlechtliche Arbeitsteilung im privaten Bereich nur wenig thematisiert wird. Demgegenüber steht der schwedische Ansatz, der darauf zielt, neben der Förderung der Erwerbsintegration von Frauen die geschlechtliche Verteilung der privaten Sorgearbeit zu beeinflussen. In den Politiken in Deutschland wurde mit der Zielsetzung „Wahlfreiheit“ die Erwerbsintegration von Frauen lange Zeit nicht forciert.

Durch die Gegenüberstellung der Analyse der Arbeitsteilung im privaten Bereich mit vergleichbaren Daten werden nicht nur in einer Längsschnittbetrachtung Veränderungen in den jeweiligen Ländern erkennbar, sondern auch Querschnittsvergleiche ermöglicht. Die Autorin kann in ihrer Untersuchung aufzeigen, dass die drei Ansätze zu unterschiedlichen Veränderungen in der Verteilung der privaten Sorgearbeit und der Geschlechterkulturen führen, und kann dies auf entsprechende Leitbilder und Ansätze in den entsprechenden Wohlfahrtsstaatspolitiken – Familienpolitik und Arbeitszeitpolitik – zurückführen. Der umfassende schwedische Ansatz zeitigt die deutlichsten Veränderungen hin zu einer mehr egalitären Geschlechterbeziehung, während die Entwicklung in Frankreich verdeutlicht, dass die Erwerbsintegration von Frauen ohne gezielte Ansätze der Veränderung der privaten Sorgearbeit weniger mit einer geschlechteregalitären Verteilung einhergeht. Die Analyse in Deutschland zeigt auf, dass die Realisierung von durchaus erkennbaren geschlechterkulturellen Veränderungen unter den gegebenen traditionellen institutionellen Bedingungen erschwert wird.

Sowohl die innovativen theoretisch-konzeptionellen Entwicklungen als auch die fundierten empirischen Erhebungen und die Ergebnisse lassen das Buch für die Wissenschaft und den politischen Bereich zu einer interessanten und wichtigen Lektüre werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn102298

Prof. Dr. Hildegard Theobald

Hochschule Vechta – Universität

Zentrum Altern und Gesellschaft

Homepage: http://www.uni-vechta.de/gerontologie/157.html

E-Mail: hildegard.theobald@uni.vechta.de

Creative Commons License
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter http://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons