Politische Partizipation von Frauen in der DDR

Rezension von Susanne Freund

Rita Pawlowski (Hg.):

„Unsere Frauen stehen ihren Mann“.

Frauen in der Volkskammer der DDR 1950 bis 1989. Ein biographisches Handbuch.

Berlin: trafo Wissenschaftsverlag 2008.

353 Seiten, ISBN 978-3-89626-652-1, € 49,80

Abstract: Rita Pawlowski stellt in diesem Band in alphabethischer Ordnung insgesamt 651 Frauen vor, die Abgeordnete der Volkskammer der DDR waren. Nach einer knappen Einführung zur Wahlhäufigkeit weiblicher Abgeordneter, zum Frauenanteil in der Volkskammer und in den Ausschüssen geben die Biographen im Wesentlichen Auskunft über die soziale Herkunft, die Parteizugehörigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung und die Berufstätigkeit der einzelnen Frauen. Ziel dieses Bandes ist die Dokumentation des außergewöhnlichen Engagements von Frauen in der DDR, neben Berufstätigkeit und Familienpflichten politische Einflussmöglichkeiten zu nutzen. Damit wird ein Teilaspekt der Lebensgeschichte dieser Frauen beleuchtet, der – wie die Autorin im Vorfeld einräumt – keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Dieser Hinweis ist wichtig, um dieses lexikalische Nachschlagewerk sinnvoll zu handhaben.

Das Handbuch über Frauen in der Volkskammer der DDR enthält in alphabethischer Reihenfolge die Biographien von den 651 Frauen, die von den Wahlen am 15. Oktober 1950 bis zu den Wahlen am 8. Juni 1986 Abgeordnete wurden. Motivation dieser Publikation war die Frage, wer diese Frauen waren und welchen politischen Einfluss sie nahmen

Quellenlage

Rita Pawlowski konzentriert sich in ihrer Quellenauswertung vornehmlich auf die Sitzungsprotokolle der Volkskammer, die Überlieferung im Bundesarchiv Berlin (SAPMO) und einige kleinere Bestände u. a. im Landesarchiv Berlin sowie auf Privatnachlässe. Den Schwerpunkt bilden jedoch Zeitschriften: Bauern-Echo, Berliner-Zeitung, Der Morgen, Deutscher Frauen-Pressedienst, Die Berlinerin, Die Frau von heute, FÜR DICH, Junge Welt, Lausitzer Rundschau, lernen und handeln, Nationalzeitung, Neue Zeit, Neues Deutschland, Sächsische Zeitung, Tägliche Rundschau, Tribüne und Volkswacht. Ferner stützt sich die Autorin auf Handbücher, Nachschlagewerke und Sekundärliteratur.

Diese gründliche Quellenrecherche trägt dem Anspruch Rechnung, einen fundierten Einblick in die Biographien der weiblichen Abgeordneten der DDR-Volkskammer zu ermöglichen. Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass dieser Einblick nur unvollständig bleiben kann, da die DDR-Quellen z. T. nur lückenhafte Angaben über die Volkskammervertreterinnen liefern, z. B. über den Familienstand oder über biographische Daten zur Zeit des Nationalsozialismus, zu Mitgliedschaften in NS-Organisationen; auch fehlen Informationen zur unmittelbaren Nachkriegszeit, zu Flucht bzw. Um- und Ansiedlung.

Bewertung

Die Stärken und Schwächen dieses Nachschlagewerks zur Frauengeschichte zeigen sich in seinem einerseits innovativen Forschungsansatz, die weibliche Perspektive politischer Partizipation in der DDR hervorzuheben, und andererseits in den fragmentarischen Ergebnissen. Historisch Interessierten bieten die Biographien einen ersten Zugang zum Thema. Intensivere Recherchen bleiben jedoch zukünftigen Forscher/-innen vorbehalten. So finden etwa die konkreten Auswirkungen politischen Engagements von Frauen, ihre Zielsetzungen, ihre Erfolge oder auch Niederlagen keine Berücksichtigung. Diesen Fragen nachzuspüren ist ein wichtiges Anliegen einer konstruktiven Geschlechtergeschichte, die spezifisch weibliche Belange einer auch in der DDR vorwiegend männlich geprägten Gesellschaft in den Blick nimmt.

Je nach Quellenlage fallen die Einträge zu den einzelnen Frauen mehr oder weniger umfangreich aus. Kann man z. B. der Biographie von Emma Heinrich geb. Weger (S. 104) auf knapp einer Buchseite recht umfassende Informationen entnehmen, so geben die Angaben zu Maria Pawlowski (S. 208) lediglich in sechs Zeilen Auskunft über ihre Herkunft, Berufstätigkeit und ihre Mitgliedschaft in der Volkskammer. Je nach Interessenlage können die lexikalischen Daten jedoch auf einzelne Frauen aufmerksam machen und somit weitere Forschungen anregen. Denn bislang unbekannte Namen gelangen durch dieses Nachschlagewerk an die Öffentlichkeit, die geprägt ist von einem fast ausschließlich von Männern dominierten Geschichtsbild der DDR-Vergangenheit. Frauen in der DDR werden in der Regel unter dem Aspekt der Alltags- und Sozialgeschichte erfasst. Von der politischen Geschichte bleiben sie fast unbeachtet. Die vorliegenden Kurzbiographien bieten nun ein wichtiges Hilfsmittel, um einen Einstieg zum politischen Engagement der Frauen zu finden. Es bleiben jedoch einige Wünsche offen. So wäre zum Beispiel der Abdruck von Fotos der erwähnten Frauen gewinnbringend gewesen, um deren Namen mit Gesichtern zu verbinden. Auch wäre ein abschließendes Fazit mit Hinweisen zu weiterführenden Recherchen hilfreich gewesen.

Nichtsdestotrotz gebührt der akribischen Forschung und der Quellenauswertung Anerkennung. Dies betrifft insbesondere die tabellarischen Zusammenstellungen zu den weiblichen Abgeordneten der Volkskammer der DDR, ihrer Aufteilung nach Fraktionen, zur Wahlhäufigkeit weiblicher Abgeordneter und zu ihrer Wiederwahl nach Wahlperioden, ihrer Tätigkeit in den Ausschüssen sowie zur Frauenfraktion der Volkskammer, die im Anhang zu finden sind. Der Band erspart den ersten Gang ins Archiv, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er enthebt uns aber nicht der Pflicht, weitere Quellen heranzuziehen, um im Einzelfall ein umfassenderes Bild von den genannten Frauen zu generieren. Dazu zählen auch Interviews mit Zeitzeug/-innen, da die schriftlichen Überlieferungen wenig über den politischen Alltag, über Reglementierungen oder Freiräume berichten. Eine ausgewogene Quellenkritik der Akten- und Pressedokumentation sowie eventueller mündlicher Aussagen könnte die Konturen der einzelnen Biographien schärfen und mehr ins Licht rücken. Auch hierin liegen die Aufgaben der Geschlechtergeschichte, die Frauenbiographien in den beiden unterschiedlichen politischen Systemen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Es bleiben also mindestens so viele Fragen offen, wie der Band Antworten bietet. Doch grundsätzlich verspricht die Autorin nichts, was sie nicht leistet. Sie präsentiert ein solides Nachschlagewerk, das als erste Zugriffsmöglichkeit zentrale Informationen zu den einzelnen Personen liefert. Nicht mehr und nicht weniger!

URN urn:nbn:de:0114-qn102192

Prof. Dr. Susanne Freund

Fachhochschule Potsdam

Fachbereich Informationswissenschaften, Studiengang Archiv

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E-Mail: freund@fh-potsdam.de

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