Reden Frauen anders als Männer?

Rezension von Michaela Goll

Ruth Ayaß:

Kommunikation und Geschlecht.

Eine Einführung.

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2008.

205 Seiten, ISBN 978–3–17–016472–7, € 18,00

Abstract: Ruth Ayaß gibt in der vorliegenden Einführung einen Überblick über den Forschungsstand und die wesentlichen Diskussionsstränge zum Thema Kommunikation und Geschlecht. Sie zeigt dabei, ob und wie sich männliche von weiblichen Gesprächstilen unterscheiden lassen und wie verschiedene Geschlechter erst interaktiv, nämlich durch kommunikative Prozesse, erzeugt werden. Der Band eignet sich hervorragend als Lehrbuch in soziologischen und sprachwissenschaftlichen Studiengängen, bietet aber auch für die konstruktivistische Genderforschung wichtige Anknüpfungspunkte.

Frauensprache: Von Defizit-, Differenz- und Kompetenzansätzen

Ruth Ayaß stellt in ihrem Buch die zentralen Forschungsergebnisse und Diskussionen zum Thema Kommunikation und Geschlecht vor. Dabei wird der Weg, den diese Forschungsrichtung genommen hat, beschrieben: von Defizitansätzen, die weibliche Kommunikation durch und mit dem Vergleich zur männlichen Kommunikation als mangelhaft betrachtet haben, über Differenzansätze, die die verschiedenen Unterschiede zwischen dem Sprachverhalten der Geschlechter in den Vordergrund stellten, bis hin zu den Kompetenzansätzen, die in der weiblichen Kommunikation besondere Fähigkeiten sehen. Ayaß gibt dabei sowohl den aktuellen Diskurs als auch ältere Debatten (wie z. B. die Genus-Debatte in der deutschsprachigen Linguistik) wieder und stellt alle ‚klassischen‘ Studien des Themenfeldes vor, u. a. die von Garfinkel, Goffmann, West/Zimmerman und Fishman. Ihre Zusammenfassung des Forschungsstandes berücksichtigt dabei nicht nur die Arbeiten aus der Soziologie und der Sprachwissenschaft bzw. der (komparativen) Soziolinguistik, sondern es werden auch Studien aus der Anthropologie, der Ethnomethodologie und der Ethnographie des Sprechens sowie, wenn notwendig, Erkenntnisse aus Biologie und Medizin herangezogen. Studien aus der Philosophie, Politikwissenschaft und Literatur werden bewusst ausgeklammert.

Weibliche und männliche Gesprächsstile im interkulturellen Vergleich

Inhaltlich wird ein großer Bogen gespannt: von theoretischen Fragestellungen wie der (problematischen) Unterscheidung zwischen Sex und Gender über die Frage, wie die Geschlechter schriftsprachlich sichtbar gemacht werden können (beispielsweise mit Schrägstrichen oder Beid-Benennungen), bis hin zu Unterschieden im Sprachgebrauch und damit zu weiblichen und männlichen Gesprächsstilen im interkulturellen Vergleich. Ayaß geht davon aus, dass jede Gesellschaft über kulturell festgelegte Geschlechterrollen und damit auch über bestimmte Konzepte von weiblichen und männlichen Verhaltensweisen verfügt. Mit der Wahrnehmung von Geschlecht werde die Erwartung eines bestimmten Gesprächsmusters verknüpft. Während im westlichen Kulturraum der weibliche Stil eher als kooperativ, zurückhaltend, harmoniefördernd und personenbezogen umschrieben werde (womit frau aber oft als inkompetent und unsicher gilt), werde dem männlichen Stil zugeschrieben, konfrontativ, selbstbezogen und sachlichorientiert zu sein (womit man oft als dominant und kalt, aber auch als kompetenter eingestuft werde). Eine von der Autorin vorgestellte Untersuchung von Keenan über die Malagassen zeigt dagegen, dass dort die Frauen eher als aggressiv gelten und die Männer als sensitiv, was dazu führe, dass sie auf Märkten als die besseren Händler gelten. Was weibliches oder männliches Sprechen ist, ist damit laut Ayaß kulturspezifisch. Für die Identifikation dieser geschlechtsspezifischen Unterschiede im Sprechen werden in der Regel mehrere Elemente und deren Zusammenspiel im Rahmen kommunikativer Stile betrachtet. Zu Vereinfachungen sei es dabei gekommen, so Ayaß, wenn der Kontext der jeweiligen Gesprächssituation nicht berücksichtigt wurde.

Andere Worte, andere Welten? Zur These der zwei Kulturen

Die These der zwei Kulturen behauptet, dass Frauen und Männer unterschiedliche Interaktionssysteme und Wissensbestände aufweisen, womit es zu interkulturellen Missverständnissen kommen kann. Ayaß zeigt unter Bezugnahme auf den derzeitigen Stand der Forschung, dass ein Überschneiden der Welten von Frauen und Männern bzw. eine gemeinsame Lebenswelt vorliegt, die zumindest auch passive Kenntnisse über die Interaktionsformen des jeweils anderen Geschlechts bereit hält. Die These der zwei Kulturen sei daher nicht haltbar. Ayaß kritisiert in diesem Zusammenhang insbesondere die Arbeiten von Deborah Tannen, die von ihr inhaltlich (auf der linguistischen Ebene) widerlegt, ja sogar als trivial eingestuft werden. Nach Meinung von Ayaß tragen gerade solche wissenschaftlichen Untersuchungen dazu bei, stereotypisierende Alltagsvorstellungen zu tradieren.

Zweigeschlechtlichkeit als Herstellungsprozess

„Wir kommunizieren als Männer und als Frauen – und bringen uns doch erst in dieser Kommunikation als Männer und als Frauen hervor“ (S. 19). Inwiefern auch die Medien daran beteiligt sind, dass man sich unvermeidlich interaktiv als zu einem Geschlecht zugehörig erzeugt, zeigt Ayaß anhand der Stilisierung der Geschlechter in der Werbung und der Entdeckung eines „gendered television“ und eines „gendered television viewing“. Sie berücksichtigt dabei verschiedene Mediengattungen und deren je geschlechtspezifische Nutzung. Die sogenannten neuen Medien bieten nach Ayaß zwar neue Möglichkeiten der Geschlechterdarstellung und –herstellung, beispielsweise im Rahmen von Crossdressing, was jedoch insgesamt nicht unbedingt zu Entgrenzungen, sondern je nach Mediengenre wiederum zu Verfestigungen entlang der Geschlechtergrenzen führen kann. Dass Zweigeschlechtlichkeit das Produkt eines Herstellungsprozesses ist, zeigt sich nach Ayaß nicht zuletzt auch daran, dass selbst wissenschaftliche Untersuchungen – wie etwa die von Deborah Tannen – ebenfalls entsprechende Alltagsvorstellungen aufrechterhalten und weiter verbreiten.

Wie kann unter diesen Bedingungen in der Wissenschaft eine Lösung für die Wiedergabe von Verschiedenheit gefunden werden? Für ihre Einführung hat sich Ayaß entschieden, entweder die Bezeichnung des Geschlechts in Klammern zu setzen und die Äußerung damit als solche herauszuheben oder geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden. Dieser Diskussion wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Ayaß räumt damit der notwendigen Reflexivität im Umgang mit dem Thema Kommunikation und Geschlecht einen großen Stellenwert ein. Ihr Kapitel über dritte Geschlechter, in dem theoretisches Wissen mit interkulturellen Beispielen verbunden wird, ist ein weiterer Beleg dafür. Inhalt und Darstellungsweise des Kapitels zielen darauf, den Prozess des doing gender zu verdeutlichen.

Zu vernachlässigende Unterschiede?

Die Arbeit endet mit dem Resümee, dass die Unterschiede in der Kommunikation von Frauen und Männern weitaus geringer sind als sie erwartbar gewesen wären. Divergenzen seien komplex und keineswegs durch einfache Zuordnung zu den Geschlechtern zu erklären. So seien beispielsweise nur wenige kommunikative Merkmale geschlechtsexklusiv, und es gebe kaum kommunikative Strategien, die nur einem Geschlecht zuzuordnen sind, sondern nur Präferenzen für bzw. ein höheres Vorkommen einzelner Kommunikationsformen. Zudem können andere Kontextmerkmale der Gesprächssituation bzw. Identitätsmerkmale der an der Interaktion Beteiligten wie Bildung, Status, regionale Herkunft u. ä. ebenso auf die Sprache Einfluss nehmen und damit die abhängige Variable Geschlecht überlagern. Die Annahme stabiler genderlects wird von Ayaß damit zurückgewiesen.

Fazit

Das Buch wird seinem Anspruch als Einführung vollkommen gerecht, insofern es einen umfassenden Einstieg in das Thema ermöglicht und eine Übersicht über die wesentlichen Diskussionsstränge zum Thema Kommunikation und Geschlecht liefert. Ayaß zeigt dabei nicht nur, wie Diskussionen entstanden sind und welches ihre wesentlichen Inhalte waren, sondern auch, welchen Verlauf sie in der mittlerweile über 35 Jahre dauernden Debatte nahmen. Für den wissenschaftlichen Unterricht in den verschiedensten kulturwissenschaftlichen BA-Studiengängen ist das Werk daher uneingeschränkt zu empfehlen: Es vermittelt auf knapp 180 Seiten nicht nur umfassendes Wissen, sondern ermöglicht ein vertiefendes Studium mit Hilfe der Lektüre der im Text kurz erwähnten und im Literaturverzeichnis systematisch aufgeführten einschlägigen Literatur. Das Buch ist übersichtlich gegliedert und verständlich geschrieben. Der Stand der Forschung wird von Ayaß sehr gründlich aufgearbeitet und durchweg kritisch beleuchtet.

Zwar hat die Autorin keine eigenen empirischen Untersuchungen zum Forschungsgegenstand beizutragen, dafür werden Transkripte aus den zuvor genannten ‚klassischen‘ Studien, die aus Ayaß’ Perspektive bislang unvollständig bzw. einseitig analysiert wurden, im Rahmen einer Sekundäranalyse neu interpretiert. Methodisch erscheint es problematisch, wenn sie im Rahmen ihrer Erörterungen Bezug auf ‚unser‘ Alltagsverständnis nimmt. Es handelt sich bei näherem Hinsehen dabei um das Alltagsverständnis der Autorin, das mit den Lebenswelten der Rezipient/-innen nicht unbedingt übereinstimmen muss.

Wirklich gelungen ist die Verbindung von soziologischem und sprachwissenschaftlichem Fachwissen, die die Einführung damit nicht nur für Soziologiestudierende im Hauptfach, sondern auch für interdisziplinäre Studiengänge oder Nebenfachstudierende interessant macht. Eine derart komprimierte Zusammenfassung des Themas Kommunikation und Geschlecht gibt es in der deutschsprachigen Literatur bislang nicht. In der akademischen Lehre, in der man sich bislang mit umfangreichen Readern der von Ayaß berücksichtigten Forschungsliteratur aushelfen musste, hat man auf dieses Buch daher schon sehnsüchtig gewartet. Die Einführung schließt damit eine Lücke, die auch für Forschende als Ausgangspunkt für noch ausstehende Projekte zum Thema undoing gender bzw. für die Untersuchung von Prozessen der Unterscheidung und Nicht-Unterscheidung von Geschlechtern herangezogen werden kann.

URN urn:nbn:de:0114-qn0101180

Dr. Michaela Goll

Universität Gießen/Institut für Soziologie/Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Homepage: http://www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb03/institute/ifs/perso/goll

E-Mail: michaela.c.goll@sowi.uni-giessen.de

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