Neue alte Ergebnisse zu Geschlechterdifferenzen

Rezension von Marita Kampshoff

Gisela Steins (Hg.):

Geschlechterstereotype in der Schule – Realität oder Mythos.

Anregungen aus und für die schulische Praxis.

Lengerich: Pabst Science Publishers 2008.

228 Seiten, ISBN 978–3–89967–491–0, € 20,00

Abstract: Für das besprochene Buch haben einige ehemalige Student/-innen der Herausgeberin, der Professorin für Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie Gisela Steins, ihre Abschlussarbeit zusammengefasst. Die meisten Beiträge befassen sich mit kleineren empirischen Studien zum Thema Schule und Geschlecht. Gisela Steins selbst hat eine längere Einführung und knappe Überleitungen zwischen den Aufsätzen verfasst. Die Artikel der Student/-innen sind teilweise interessant, aber es stellt sich die Frage, für welche Leserschaft dieses Buch gedacht ist.

Die Herausgeberin legt ihrem Buch die grundsätzliche Annahme zugrunde, dass Fähigkeiten und Eigenschaften von Menschen nicht abhängig vom biologischen Geschlecht sind. Dies ist für die Psychologie immer noch nicht selbstverständlich, da seit einigen Jahren (erneut) Unterschiede im Gehirn oder andere morphologische Ursachen Geschlechterdifferenzen (mit) erklären sollen. Die immer noch großen geschlechtsspezifischen Unterschiede, die es laut Autorin gibt, seien gesellschaftlich bedingt und deswegen auch veränderbar. Das Buch soll dabei helfen, die bestehenden Geschlechterunterschiede im Feld Schule wahrzunehmen und für Möglichkeiten sensibilisiert zu werden, „das Repertoire aller Kinder, unabhängig von deren geschlechtsspezifischen Präferenzen zu erweitern“ (S. 8).

Undifferenziert und pauschalisierend – eine wenig spannende Einführung

Nach dieser noch recht überzeugenden kurzen Einleitung folgt ein Kapitel, in dem Gisela Steins die Grundlagen geschlechtsspezifischer Differenzen darlegt. Hier wird die bereits seit den 1970er Jahren vertretene Zwei-Welten-Theorie vertreten, nach der Mädchen und Jungen quasi völlig unterschiedlich aufwachsen, was Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter hinein hat (S. 14/15). Anschließend werden Ergebnisse aus Eleanor Maccoby’s Veröffentlichung zur Psychologie der Geschlechter referiert. Auch hier geht es ausschließlich um Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen und deren vermeintliche Ursachen in der unterschiedlichen Behandlung durch Erwachsene. Konsequenzen dieses unterschiedlichen Aufwachsens sind nach Ansicht der Autorin das Auseinanderdriften bei Berufswahl und Karriereplanung (S. 20).

Erstaunlich ist, dass im vorliegenden Beitrag die Diskussionen der Frauen- und Geschlechterforschung nicht zur Kenntnis genommen werden: Es findet sich keinerlei Differenzierung innerhalb der Gruppe der Jungen, Mädchen, Männer und Frauen. Es scheint diesem Beitrag nach wirklich noch die Jungen und die Mädchen zu geben. Es wird nicht danach gefragt, inwiefern Forschung Geschlechterunterschiede reifiziert, indem sie diese erst voraussetzt und dann ‚erstaunlicherweise‘ bestätigt findet. Die referierten Ergebnisse werden völlig aus dem Kontext gerissen, wir erfahren nichts über Theorie, Anlage und Design der Studien noch über deren Möglichkeiten und Grenzen. Dabei hatte Carol Hagemann-White bereits 1984 festgestellt, dass viele empirische Untersuchungen zu Geschlechterunterschieden mehr über die Geschlechterstereotypen der Forschenden aussagen als über die der Beforschten. Und diese hatte sich auf ganz ähnliche Studien bezogen wie nun Steins. Es werden im Beitrag auch keine Bezüge zu weiteren Differenzkategorien wie etwa ethnische und soziale Herkunft, Sexualität, psychische und physische Gesundheit hergestellt. Auch hierdurch wären Geschlechterdifferenzen vielfach gebrochen worden. Die schulische Realität wäre auf diese Weise zudem deutlicher getroffen worden, die sich ja vor allem in der Grundschule durch eine große Heterogenität der Lernenden auszeichnet. Somit ist dieser Beitrag eher enttäuschend.

Teilweise differenzierter – Beiträge von Examenskandidat/-innen

Im zweiten Teil werden eine Reihe von Examensarbeiten für das Erste Staatsexamen angehender Lehrer/-innen vorgestellt. Die Beiträge der Studentinnen und des Studenten sind (bis auf eine) kleine empirische Studien, die sich größtenteils an Standards quantitativer pädagogisch-psychologischer Forschung orientieren. Hier verbergen sich einige recht gelungene kleine Untersuchungen, die ich kurz skizzieren werde:

Julia Smaxwil hat mit Hilfe eines Fragebogens Lernende der 5., 8. und 12. Jahrgangsstufe zu ihrem Selbstwertgefühl, zu den von ihnen eingesetzten Lernstrategien und zu ihrer Lern- und Leistungsmotivation befragt und dabei Mädchen und Jungen miteinander verglichen.

In der 5. Klasse sind sich Mädchen und Jungen in allen drei Bereichen relativ gleich, in der 8. Klasse gibt es bei beiden Geschlechtern einen Einbruch bei Lernstrategien und Motivation. Bei den Mädchen sinkt gleichzeitig das Selbstwertgefühl eklatant. Im 12. Jahrgang nähert sich das Selbstwertgefühl von Mädchen und Jungen wieder an. Jungen berichten aber einen viel geringeren Einsatz von Lernstrategien als Mädchen und zeigen weniger Motivation. Dieses Ergebnis erscheint der Verfasserin vor allem hinsichtlich des besseren schulischen Abschneidens der Mädchen bemerkenswert.

Dennis Knospe beschäftigt sich mit der Bedeutung, die Freundschaften für Grundschulkinder haben. Er setzte dazu einen Fragebogen in der 2., 3. und 4. Klasse ein. Die meisten Kinder haben einen besten Freund bzw. eine beste Freundin. Jungen haben keine größeren Freundesgruppen als Mädchen. Hier scheint vielmehr ausschlaggebend zu sein, ob Kinder sich in ihrer Freizeit in Sportverein oder ähnlichem engagieren. Diese Kinder berichten über größere Freundesgruppen als die anderen. Erkennbar wird darüber hinaus, dass die meisten Schülerinnen und Schüler die eigene Geschlechtsgruppe bei Freundschaften bevorzugen.

Auch Jennifer Alfänger hat in der 2. und 4. Klasse einen Fragebogen eingesetzt. Sie erfragt zum einen bevorzugte Sozialformen beim Spielen und beim Arbeiten im Unterricht sowie Freizeitbeschäftigungen und Fächerpräferenzen der Mädchen und Jungen. Mädchen und Jungen spielen lieber zu zweit und in Gruppen als allein, arbeiten im Unterricht aber lieber allein und zu zweit als in Gruppen. Die Mittelwertunterschiede sind aber nicht sehr groß. Bei den Freizeitbeschäftigungen sind die Jungen Fußballfans und die Mädchen tanzen gerne, ansonsten gibt es keine großen Unterschiede. Bei den Fächern mögen Jungen lieber Mathe und die Mädchen lieber Sprache und Kunst, die anderen Präferenzen unterscheiden sich nicht. Auffallend ist aber etwas anderes: Die Viertklässler mögen Mathe, Sprache und Sachunterricht auffallend weniger als die Zweitklässler; das gilt für Sport, Kunst, Musik und Schwimmen nicht. Dieses Ergebnis ist für die Grundschule wichtig und könnte zu weiterführenden Forschungen führen.

Die Ergebnisse der anderen Examensarbeiten bestätigen vor allem Stereotypen: Kristina Kessel bestätigt erneut, dass Jungen eher gegen Klassenregeln verstoßen, Mädchen sie eher einhalten. Sandra Bülow erfragt mit Hilfe graphischer Darstellungen Vorkommen von Familienformen und Haltungen dazu. Katharina Benger findet heraus, dass Jungen sich eher Muskeln wünschen als Mädchen; diese bevorzugen im Gegenzug dünne Mädchenkörper.

Alexandra Bremkens setzt sich zum Ziel, die gesellschaftliche Bewertung von Berufstätigkeit und Elternschaft bei Männern und Frauen zu vergleichen. Ein Manko dieser Studie ist, dass sie nicht auf schulischen Kontext bezogen ist, also nicht so recht in einen Sammelband mit dem Titel ‚Geschlechterstereotype in der Schule‘ passt.

Lydia Strack hat als einzige im Buch eine Theoriearbeit – zur Sensibilisierung von Schulkindern für Stigmatisierungsprozesse am Beispiel Übergewicht – verfasst. Auch dieser Beitrag hat keinen erkennbaren Bezug zum Thema des Sammelbandes und wirkt etwas angehängt.

Eine Reihe der Beiträge der Examenskandidat/-innen wirken anregend und bringen kleine, interessante Ergebnisse zu Tage. Das hängt auch damit zusammen, dass hier neben Geschlecht zumindest über die unterschiedlichen Klassenstufen ein Differenzierungsaspekt hinzukommt, der anders als im einleitenden Beitrag den geschlechterstereotypisierenden Forschungsblick etwas aufzubrechen vermag. In einigen Aufsätzen werden jedoch recht klischeehaft Geschlechterstereotype abgefragt und wenig überraschend auch bestätigt. Hier hätte sich die Rezensentin einen vielschichtigeren, sensibleren Zugang gewünscht.

URN urn:nbn:de:0114-qn0101050

Prof. Dr. Marita Kampshoff

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Institut für Erziehungswissenschaften/Schulpädagogik

E-Mail: marita.kampshoff@ph-gmuend.de

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