Revolutionsroman?

Rezension von Anita Runge

Mechthilde Vahsen:

Die Politisierung des weiblichen Subjekts.

Deutsche Romanautorinnen und die Französische Revolution 1790–1820.

Berlin: Erich Schmidt 2000.

225 Seiten, ISBN 3–503–04963, € 34,80

Abstract: An sieben einschlägigen Textbeispielen analysiert Mechthilde Vahsen die literarischen Reaktionen deutschsprachiger Schriftstellerinnen auf die Französische Revolution. Das Spektrum reicht von Therese Hubers Roman Die Familie Seldorf, in dem eine weibliche Heldin als Akteurin ins Revolutionsgeschehen eingreift, bis zu Sophie La Roches Schilderungen tugendhaft-moralischer Kleinstgesellschaften in der deutschen Provinz oder im amerikanischen Exil, in denen als Reaktion auf die Revolution konservative Reformmodelle durchgespielt werden.

Der 200. Jahrestag der Französischen Revolution hat auch im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl von Forschungsarbeiten angeregt, die sich u. a. aus historischer, literatur- und kunstgeschichtlicher Perspektive mit den Revolutionsereignissen und deren künstlerischer Reflexion beschäftigen. Dabei ist im Rahmen der Frauen- und Geschlechterforschung auch die Rolle von Frauen als Akteurinnen bzw. als Projektionsfiguren revolutionärer Zielsetzungen eingehend untersucht worden. Viele literaturwissenschaftliche Studien widmeten sich der Darstellung der Revolution in den entsprechenden – überwiegend von Männern verfassten – deutschsprachigen Texten des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts.

Mechthilde Vahsen verbindet nun – mehr als 10 Jahre später – erstmals diese Forschungslinien und geht der Frage nach, wie deutschsprachige Schriftstellerinnen um 1800 die Revolutionsereignisse literarisch verarbeitet und die Rolle von Frauen in dieser historischen Situation gestaltet haben.

Vahsens Interesse gilt der Integration der untersuchten literarischen Werke und ihrer Autorinnen in die Forschung über Weiblichkeitsdiskurse und Literatur im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts und damit um eine Korrektur der bislang dominierenden Konzentration auf Texte, in denen eher „private“ Rollenmodelle im Mittelpunkt stehen.

Die literarische Behandlung von Revolutionsereignissen in Romanen von Frauen um 1800 stellt – so Vahsens Ausgangsthese – einen „Kulminationspunkt“ (S. 9) in der zeitgenössischen Auseinandersetzung um das Geschlechterverhältnis im allgemeinen und das Verhältnis von Frauen zur Politik im besonderen dar. An ausgewählten Texten stellt Vahsen dar, wie die Ideen der Französischen Revolution die Literarisierung weiblicher Identität beeinflussen.

Das Textkorpus

Nach einleitenden Abschnitten u. a. über die historische Rolle von Frauen und die Geschlechterverhältnisse in Revolutionszeiten, über die Reaktionen in Deutschland, die Situation von Schriftstellerinnen und die Rezeption revolutionärer Ideen durch Zeitzeuginnen untersucht Vahsen sieben einschlägige Texte. Es handelt sich um fünf Romane, die in den 1790er Jahren erschienen sind, und zwei 1812 bzw. 1820 publizierte Romane, in denen die Revolution aus historischem Abstand betrachtet wird. Die meisten ausgewählten Texte verbinden die politische Thematik mit Themen und Motiven des Familienromans, zwei Beispiele sind dem Staats- bzw. dem Reiseromangenre zuzurechnen. Die Auswahl ist sicherlich repräsentativ, wenn auch zu bedauern ist, dass Beispiele aus anderen Gattungen, etwa Sophie Mereaus berühmtes Revolutionsgedicht Bei Frankreichs Feier (1791), nur am Rande behandelt werden und mit Charlotte von Kalbs Cornelia ein zwar erst 1851 postum als Fragment veröffentlichter, aber schon ca. 50 Jahre früher begonnener Roman fehlt, der mit seiner resignativen Tendenz das Spektrum der zeitgenössischen Reaktionen erweitert hätte.
Vahsen ordnet die ausgewählten Romane drei Kategorien zu

„Reform statt Revolution“: Isabella von Wallenrodt Theophrastus Gradmann, einer von den seltnen Erdensöhnen. Ein Roman für Denker und Edle (1794), Sophie von La Roche Schönes Bild der Resignation (1795).

„Revolution schreiben“: Sophie Mereau Das Blüthenalter der Empfindung (1794), Therese Huber Die Familie Seldorf (1795/96), Caroline de la Motte Fouqué Magie der Natur. Eine Revolutionsgeschichte (1812).

„Gegenentwürfe; Utopien im Exil“: Sophie von La Roche Erscheinungen am See Oneida (1798), Henriette Frölich Virginia oder die Kolonie von Kentucky (1820).

Die mit diesen Gruppierungen aufgerufenen politischen Positionierungen ergeben ein relativ grobes Raster, das Gemeinsamkeiten zwischen den zugeordneten Texten suggeriert, die – wie Vahsens einlässliche Interpretationen zeigen – oft nur gering sind. Das gilt insbesondere für den Bereich „Revolution“, der unter dem gemeinsamen Nenner des „fiktiven Kreisen[s] um eine weibliche Subjekt-Position“ (S. 31) radikal unterschiedliche Sichtweisen auf die Französische Revolution subsumiert.

Reformmodelle und utopische Gegenentwürfe

Die dem Bereich „Reform“ zugeordneten Romane plädieren – bei unterschiedlicher politischer Ausgangsposition – für eine Reform der traditionellen Ständeordnung durch Fürstenerziehung. Dabei entwirft Wallenrodt als adlige Autorin eine „von oben“ durchgesetzte Staatsreform, während La Roche auf der Grundlage bürgerlicher Moralvorstellungen die Äquivalenz von „Seelen-“ und Erbadel propagiert. Beide Autorinnen bleiben in der Darstellung ihrer Frauenfiguren traditionellen Rollenvorstellungen verhaftet, während sie für sich selbst jedoch – wie Vahsen zu Recht betont – das Recht auf öffentliche politische Meinungsäußerung beanspruchen.

Ein ähnliches Reformmodell, letztlich also keine gesellschaftliche Utopie, beinhaltet auch Sophie La Roches Erscheinungen am See Oneida: Zwar verlegt die Autorin ihre nach bürgerlich-moralischen Grundsätzen organisierte Kleinstgesellschaft in die amerikanische „Wildnis“, doch gelten dort dieselben Tugendregeln und Erziehungsmaximen – insbesondere für Frauen – wie in allen anderen Romanen und pädagogischen Schriften La Roches.

Dass Henriette Frölich mehr als 20 Jahre später ein – ebenfalls als Kolonie in Amerika situiertes – egalitäres, demokratisches Gesellschaftsmodell favorisiert, zugleich ihrer Protagonistin Virginia jedoch nur geringfügige Verstöße gegen patriarchalische Rollenvorstellungen erlaubt, wertet Vahsen als „politische Stellungnahme der Autorin zur Restaurationspolitik“ (S. 189).

Bemerkenswert ist die von Vahsen zitierte zeitgenössische Rezeption des Romans: Daran, dass die Rezensenten nicht die allgemeine politische Tendenz des Romans, sondern die relativ geringfügigen Abweichungen der Hauptfigur vom zeitgenössischen Weiblichkeitsideal kritisieren, zeigt sich, wie stark sich im 19. Jahrhundert die Handlungsspielräume für Frauen verengen.

„Revolution schreiben“/Geschichte erleben

Im zentralen Kapitel ihrer Arbeit stellt Mechthilde Vahsen drei Romane vor, in denen die literarische Schilderung von Revolutionsereignissen mit der Auflösung traditioneller Geschlechterrollen korrespondiert. In Sophie Mereaus Blüthenalter der Empfindung wird das Freiheitsideal der Revolution auf die privaten Verhältnisse der Menschen, insbesondere auf Liebes- und Ehekonzepte übertragen. Revolutionsereignisse spielen im Romangeschehen selbst nur eine randständige Rolle. Dass die Hauptfiguren am Schluss erklären, ihre Freiheitsutopie in Amerika realisieren zu wollen, zeugt – nach Vahsens Auffassung – von der Enttäuschung Mereaus über den Verlauf der Französischen Revolution.

Die Analyse von Therese Hubers Roman Die Familie Seldorf nimmt insgesamt nur 20 Seiten ein, was sehr zu bedauern ist, handelt es sich doch um den einzigen Text, in dem eine Autorin es gewagt hat, ihre weibliche Hauptfigur direkt am Revolutionsgeschehen teilnehmen zu lassen, und zwar nicht nur als Betroffene und Leidende, sondern als aktiv für die Revolution Kämpfende. Die Beurteilung der politischen Tendenz dieses Romans, der verschiedene Weiblichkeitsmodelle durchspielt und am Ende das ambivalente Bild einer freiwillig in melancholischer Umgebung lebenden alleinstehenden Erzieherin des Sohnes ihres Verführers (und politischen Gegners) entwirft, ist in der Forschung umstritten. Leider kommt Vahsen zu keiner eigenen Deutung, sondern bleibt bei dem vagen Befund stehen, dass Therese Huber „in der Figur der Sara […] Weiblichkeit, Politik und Subjektivität in interessanter und innovativer Weise“ (S. 132) verbinde.

Wie grundlegend die Unterschiede zwischen der Gestaltung erlebter Geschichte in der Familie Seldorf und einem historisierenden Blick auf die Französische Revolution sind, zeigt Vahsens Interpretation von Caroline de la Motte Fouqués Roman Magie der Natur. De la Motte Fouqué beschreibt aus historischem Abstand die Revolution als krisenhaftes Ereignis, das durch Rückbesinnung auf ein göttliches Naturgesetz überwunden werden muss, um eine höhere Stufe der geschichtlichen Entwicklung zu erreichen. Die Unordnung, die auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durch die Revolution erzeugt wird, wird mit dem Chaos parallelisiert, das durch die mesmeristischen Experimente der männlichen Hauptfigur im familiären Bereich hervorgerufen wird. Der Roman schildert am Beispiel einer exilierten französischen Adelsfamilie die Überwindung dieser Krise im Privaten und in der Geschichte. Mit der als Versöhnungsakt im kosmisch- organischen Sinne interpretierten Geburt eines Sohnes wird die Überzeugung von der Erneuerung der familären und gesellschaftlichen Situation durch die „magischen“ Kräfte der Natur verbunden. Vahsen weist auf die Konsequenzen für die Gestaltung der weiblichen Figuren hin: In der geschichtsphilosophischen Konstruktion des Romans werden Protagonistinnen polar gegensätzlich gestaltet und „zur Vermittlung eines ideologischen Frauenbildes“ (S. 149) benutzt. So repräsentiert die mädchenhafte Madonnenfigur Marie den „natürlichen Zauber“ einer naturgesetzlichen Harmonie, während durch den Selbstmord der mit magischen Kräften ausgestatteten Gegenfigur Antonie dem „falschen“ Zauber weiblicher Selbstüberschätzung (und revolutionärer Unordnung) ein Ende gemacht wird.

Vergleichsaspekte

Die Heterogenität der untersuchten Romane erlaubt nur wenige verallgemeinernde Schlussfolgerungen. Zuzustimmen ist Vahsens Fazit, dass die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution ein verstärktes politisches Interesse der Schriftstellerinnen dokumentiere sowie – im Gegensatz zu Revolutionsromanen von männlichen Zeitgenossen – die politische Thematik generell mit dem Geschlechterdiskurs verknüpfe und dadurch die kritische Darstellung bürgerlicher Weiblichkonzeptionen und die Erprobung von Handlungsspielräumen für Frauen erlaube. Dieser Befund korrigiert die traditionelle Behauptung einer generellen Politikabstinenz von Schriftstellerinnen um 1800 – die aber auch im Hinblick etwa auf das Genre des Familienromans inzwischen nicht mehr aufrecht erhalten wird.

Es ist unstreitig ein Verdienst der Arbeit, die wichtigsten Romane deutschsprachiger Autorinnen, die sich mit der Französischen Revolution beschäftigen, erstmals im Zusammenhang untersucht zu haben. Allerdings wird dabei deutlich, dass der Bezugspunkt Französische Revolution als tertium comparationis nicht hinreichend tragfähig ist und dass die meisten der Texte systematisch eher dem von Regina Köthe 1997 untersuchten Themenkomplex „Vor der Revolution geflohen. Exil im literarischen Diskurs nach 1798“ zuzuordnen wären.

Ein ernstzunehmender Befund, den Vahsens Arbeit allerdings nur implizit nahe legt ist der, dass die deutschsprachige Literatur von Frauen nur einen Revolutionsroman (zur Revolution von 1789) im engeren Sinne aufzuweisen hat: Allein in Therese Hubers Familie Seldorf werden direkt Revolutionsereignisse literarisiert, alle anderen Texte reflektieren die Revolution mehr oder weniger als fernes Ereignis, das zu gesellschaftlicher Veränderung aufruft oder zum Auslöser für erzwungenes oder freiwillig gewähltes Exil wird.

Dass dabei literarisch interessante Werke entstanden sind, die teilweise nachdrücklich mit politischem Anspruch auftreten und die zu Unrecht literaturgeschichtlich nicht tradiert wurden, kann nicht häufig genug betont werden. Ob aber die Romane deutschsprachiger Schriftstellerinnen, die die Französische Revolution behandeln, insgesamt mehr Spielraum für die Kritik am hierarischen Geschlechterverhältnis bieten als der vielgescholtene Familienroman oder andere von Autorinnen um 1800 favorisierte Genres, mag zumindest bezweifelt werden.

Ein Vergleich mit Texten von Schriftstellerinnen anderer Länder könnte vielleicht Aufschluss über die Möglichkeiten eines „weiblichen“ Revolutionsromans geben, ein intensiverer Seitenblick auf die deutschsprachigen Revolutionsromane aus männlicher Feder vielleicht Anhaltspunkte für die spezifisch deutsche Problematik im Umgang mit der Französischen Revolution. Beides hätte jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt.

URN urn:nbn:de:0114-qn033030

Dr. Anita Runge

ZE zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung

E-Mail: arunge@zedat.fu-berlin.de

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