Profession oder weiblicher Zeitvertreib?

Rezension von Anita Runge

Karin Tebben (Hg.):

Beruf: Schriftstellerin.

Schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert.

Göttingen: Verlag Vandenhoeck + Ruprecht 1998.

340 Seiten, ISBN 3–525–01222–5, DM 48,00 / SFr 46,00 / ÖS 350,00

Abstract: Der vorliegende Sammelband porträtiert 10 Schriftstellerinnen, die im Zeitraum zwischen 1774 und 1947 mit dem Schreiben literarischer Werke (zumindest teilweise) ihren Lebensunterhalt verdient haben.

Der von Karin Tebben herausgegebene Sammelband enthält in chronologischer Reihenfolge 10 Einzelporträts von Schriftstellerinnen, die innerhalb des Zeitraums zwischen 1771 und 1947 literarische Werke veröffentlicht und damit zumindest zeitweise ihren Lebensunterhalt bestritten haben. Anhand von überwiegend werkbiographischen Darstellungen wird verfolgt, mit welchen Strategien sich Autorinnen innerhalb eines Frauen ausschließenden Literatursystems Publikations- und damit Verdienstmöglichkeiten erschließen konnten.

In ihrer Einleitung skizziert Karin Tebben die sich historisch wandelnden Rahmenbedingungen für schreibende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht dabei der Aspekt des Umgangs mit zeitgenössischen Weiblichkeitsvorstellungen und ästhetischen Normen. Tebben zeigt im Überblick, gegen welche Ressentiments sich Schriftstellerinnen bis ins 20. Jahrhundert durchsetzen mußten, und zieht eine Entwicklungslinie von singulären Fallbeispielen weiblicher Autorschaft in Mittelalter und Früher Neuzeit über das Phänomen der von Frauen verfaßten Massenliteratur zu anerkannter weiblicher Künstlerschaft im 20. Jahrhundert. In literaturgeschichtlicher Perspektive folgt der Band der seit Silvia Bovenschens Untersuchung Die imaginierte Weiblichkeit in der literaturwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung kanonisch gewordenen Positionierung von Frauen im modernen Literaturbetrieb: Die Entwicklung des literarischen Marktes am Ausgang des 18. Jahrhunderts gilt als Voraussetzung dafür, daß Frauen Schriftstellerei als „Beruf“ betreiben konnten, gleichzeitig sollen die Einzelstudien des Bandes exemplarisch verfolgen, wie dieser Betrieb mit seiner Fixierung auf das männliche Autorgenie kaum überwindbare Hindernisse und Fallen aufstellt.

Wachsendes Selbstbewußtsein

Die Porträts der ausgewählten Autorinnen markieren nach Tebben „Entwicklungsstadien schriftstellerischer Professionalität im 18. und 19. Jahrhundert“ (S. 8) und damit Stationen einer Geschichte wachsenden schriftstellerischen Selbstbewußtseins. Als typisch für die erste Phase dieser Entwicklung, die geprägt ist von schwierigen Auseinandersetzungen mit dem um 1800 dominanten dichotomischen Geschlechtsrollenmodell, stellt der Band Sophie LaRoche, Johanna Isabella Eleonore von Wallenrodt, Therese Huber und Sophie Mereau vor. Die vier Autorinnen repräsentieren unterschiedliche Versuche, literarische Ambitionen mit dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal der auf den häuslichen Wirkungskreis beschränkten Gattin, Hausfrau und Mutter zu verbinden.

In den Beiträgen über Fanny Tarnow, Fanny Lewald, Luise Mühlbach, Eugenie Marlitt und Gabriele Reuter wird das weibliche Berufsschriftstellertum im 19. und frühen 20. Jahrhundert überwiegend unter dem Aspekt „Die Vermarktung der Gefühle“ (so der Titel des Tarnow-Porträts von Birgit Wägenbaur) betrachtet. Im Bereich der sich entwickelnden Massenliteratur verbesserten sich sukzessive Publikationschancen und Verdienstmöglichkeiten für Schriftstellerinnen; damit ergaben sich Freiräume für stärker selbstbestimmte Formen schriftstellerischer Existenz und auch für die Gestaltung (frauen-)emanzipatorischer Inhalte und Ziele – nicht selten (wie insbesondere die Beiträge über Fanny Tarnow und Eugenie Marlitt hervorheben) jedoch auf Kosten der literarischen Qualität. Mit Ricarda Huch endet der Band bei einer Berufsschriftstellerin, die als erste Frau in die Sektion für Dichtkunst der preußischen Akademie aufgenommen wurde und (im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, wie der Band nahezulegen scheint) die Höhen ‚wirklicher‘ Kunst erklommen hat.

Diese Entwicklungslinie ist nicht unproblematisch. Nicht ganz einsichtig ist auch die an ihr entlang vollzogene Auswahl der Schriftstellerinnen, für die ein wenig präzisierter und historisch kaum differenzierter Begriff weiblicher Berufstätigkeit als Kriterium angegeben wird.

Widersprüche des schriftstellerischen Erfolgs

Aufschlußreich ist der Band dort, wo die Widersprüche und Konflikte deutlich werden, die ein tatsächlicher schriftstellerischer Erfolg für die Autorinnen mit sich brachte. So kommt etwa Gudrun Loster-Schneider aus Anlaß der Untersuchung eines späten autobiographischen Textes von Sophie LaRoche zu dem Ergebnis, daß die berühmteste Schriftstellerin des 18. Jahrhunderts 76jährig sowohl ihre Machtlosigkeit und ihr Scheitern innerhalb des männlich dominierten Literatursystems bekenne als auch auf der ‚weiblichen‘ Aufgabe der moralischen Belehrung und Verbesserung der Literatur bestehe. Durch das Ausblenden der professionellen Aspekte von schriftstellerischer Arbeit verweise dieser Text – so Loster-Schneider – auf jene restriktiven Bedingungen weiblicher Autorschaft, denen sich LaRoche auf einer oberflächlichen Ebene scheinbar freudig unterworfen habe. Gabriele Schneider zeigt am Beispiel Fanny Lewalds, wie eine erfolgreiche Schriftstellerin im Privaten Geschlechtsrollenzuweisungen uneingeschränkt akzeptierte, sich im beruflichen Bereich dagegen als „Schriftsteller“ definierte und sich „durchaus ebenbürtig und konkurrenzfähig“ (S. 203) fühlte. Ähnliches gilt nach Cornelia Tönnesen für Luise Mühlbach, während Gabriele Reuters Ringen um schriftstellerischen Erfolg – von Karin Tebben anhand der Autobiographie der Autorin psychologisch gedeutet – zeitlebens von dem Problem der Unvereinbarkeit des erfolgreich ausgeübten Schriftstellerinnenberufs mit weiblichen Rollennomierungen geprägt gewesen sei. Am Beispiel Ricarda Huchs schließlich zeigt Bernd Balzer, wie schriftstellerischer und literarischer Erfolg auseinandertreten: Huch schrieb zeitweise Bücher, die sie selbst für minderwertig hielt, die ihr aber aufgrund des Verkaufserfolgs die Fortsetzung einer ‚freien‘ Schriftstellerinnenexistenz ermöglichten.

Ausgeblendete Aspekte der Berufstätigkeit von Schriftstellerinnen

Der Klappentext des von Karin Tebben herausgegebenen Sammelbandes verspricht einen „Einblick in die Entstehung und Entwicklung des weiblichen Berufsschriftstellerinnentums im 18. und 19. Jahrhundert“. Die Erwartung, in diesem Buch endlich genaueren Aufschluß über die ökonomischen Bedingungen und die sozialgeschichtlichen Hintergründe eines Professionalisierungsprozesses zu erhalten, wird allerdings nicht erfüllt. Einmal mehr steht im Mittelpunkt der hier versammelten Aufsätze die Frage des Selbstverständnisses schreibender Frauen in Auseinandersetzung mit dem sie ausgrenzenden Literaturbetrieb; das Phänomen des „weiblichen Berufsschriftstellerinnentums“ wird ganz überwiegend anhand der literarischen Werke und der in Briefen und Tagebüchern niedergelegten Selbstaussagen der behandelten Autorinnen dargestellt. Alltagspraktische und kommerzielle Aspekte der Profession bleiben weitgehend im Dunkeln. Nach wie vor wissen wir zu wenig darüber, wie Schriftstellerinnen mit ihren Verlegern über Urheberrechte, Honorare, Auflagenhöhe, Nachdrucke, Neuauflagen etc. verhandelten, ob Vielschreiberinnen wie etwa Benedikte Naubert, die in manchen Jahren mehrere Tausend Seiten publizierten, eine veritable Romanfabrik mit mehreren Abschreibern unterhalten konnten. Ungeklärt bleibt weiterhin, ob Schriftstellerinnen – wie berühmte männliche Vertreter der Zunft – mit Kollegen oder Kolleginnen Pläne und unfertige Manuskripte diskutiert haben, und wenn ja, mit wem. Zu untersuchen wäre darüber hinaus, in welchem Umfang insbesondere bei kommerziell erfolgreichen Schriftstellerinnen Verleger die Entscheidungen für bestimmte Genres oder Themen beeinflußt haben. Zwar erfordert die Klärung aller dieser Fragen umfassende Recherchen, die angesichts der bekannten schwierigen Quellenlage bei Schriftstellerinnen im Zusammenhang mit diesem Band nicht zu leisten gewesen wären. Bedauerlich ist allerdings, daß der Verzicht darauf dazu geführt hat, daß überwiegend Bekanntes hier noch einmal neu zusammengestellt wurde.

(Diese Rezension ist zuerst im Bulletin Nr. 18 des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung der Humboldt Universität (Febr. 1999) erschienen. Sie wurde für Querelles-Net geringfügig verändert).

URN urn:nbn:de:0114-qn011159

Dr. Anita Runge

ZE Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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