„Frauen erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ – Militanter Feminismus in Deutschland

Rezension von Veronika Springmann

Katharina Karcher:

Sisters in Arms.

Militant Feminisms in the Federal Republic of Germany since 1968.

Oxford u.a.: Berghahn Books 2017.

178 Seiten, ISBN 978-1-78533-534-1, $110.00/£78.00

Abstract: Die Kulturwissenschaftlerin Katharina Karcher setzt sich in dieser Studie mit militanten feministischen Aktionsformen auseinander, vor allem mit Blick auf Aktionen gegen den § 218 und Gewalt gegen Frauen sowie auf transnationale feministische (Solidaritäts-)Kampagnen. Einer ihrer Schwerpunkte liegt dabei auf der Gruppe ‚Rote Zora‘.

DOI: https://doi.org/10.14766/1239

Die Geschichte der Frauenbewegungen in der BRD ist schon öfters geschrieben worden (vgl. Brown 2005, Lenz 2008, Melzer 2015). Die zentralen Debatten wurden analysiert und vor allem das Recht auf selbstbestimmte Sexualität und der Kampf um Chancengleichheit fokussiert, wie beispielsweise in der Studie von Kristina Schulz (2002). Die Historikerin orientierte sich damals an dem von Michelle Perrot (1989) vorgeschlagenen Programm zur Feminismusforschung, innerhalb dessen der historische Wandel geschlechtsspezifischer Ungleichheit, Praktiken ihrer Reproduktion sowie die individuellen/kollektiven Handlungen, mit denen Frauen darauf begegneten, beschrieben werden sollten (vgl. Schulz 2002, S. 10).

Einer der Handlungsformen, die bisher in der Forschung vernachlässigt wurden, widmet sich die Kulturwissenschaftlerin Katharina Karcher. Sie wählte in ihrer Studie historisch-politische Konstellationen aus, in denen Frauen militant gegen sexistische Unterdrückung kämpften. Damit möchte sie die Annahme von Frauen als dem ‚friedfertigen Geschlecht‘ unterlaufen und beispielhaft zeigen, wie und in welcher Form sich Frauen gegen diese Geschlechterkonstruktion zur Wehr gesetzt haben. Im Anschluss an die Arbeiten von Patricia Melzer macht Karcher feministische Praktiken als eine neue analytische Kategorie für die Untersuchung politischer Proteste oder (gewalttätiger) Aktionen fruchtbar: „According to her ‚all actions whose gender constellations trouble, challenge and potentially redirect existing oppressive gender regimes‘ constitute potential feminist practises.“ (S. 137). Katharina Karcher knüpft in ihren Überlegungen an die Definition von bell hooks an, für die Feminismus ein gemeinsamer Kampf gegen sexistische Unterdrückung ist. Dieses Vorhaben ist allerdings nicht unproblematisch, da sich zum einen Analysekategorie und Untersuchungsgegenstand überlappen und zum anderen oft unklar bleibt, welche Perspektive die historischen Akteur*innen bzw. die Autorin einnimmt.

Aufgebaut ist die Arbeit in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel führt Karcher in die Geschichte der Neuen Frauenbewegung in Westdeutschland ein. Im zweiten zeichnet sie die Debatten um Feminismus und politische Gewalt nach und fokussiert dabei unter anderem auf die RAF, die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die aus dieser Gruppe entstandene Rote Zora. Sie macht drei Schwerpunkte von militantem Feminismus aus, denen sie jeweils ein Kapitel widmet: erstens die Proteste und Aktionen gegen den § 218, zweitens Gewalt gegen Frauen und drittens transnationale feministische (Solidaritäts-)Kampagnen.

§ 218 und die Kampagne „Mein Bauch gehört mir“

Katharina Karcher schildert zunächst die im Juni 1971 von Alice Schwarzer organisierte Kampagne „Wir haben abgetrieben“, in der sich im Stern im Rahmen einer Fotoreportage Frauen dazu bekannten, einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen zu haben. Von den damaligen Aktivistinnen als militant bezeichnet, wurde sie später, vermutlich auch im Vergleich mit anderen Aktionsformen, maximal als provokativ beschrieben. An dieser Stelle hätte die Autorin bereits eingehender diskutieren können, welches Gewicht Aktionen beigemessen wurde, wenn sie als militant oder eben nicht als militant bezeichnet wurden. Immerhin war der Begriff der Militanz ein durchaus ideologisch gefüllter Begriff, der viel über das Selbstverständnis der Akteur*innen und ihr Verhältnis zum Staat aussagte.

Der Dynamisierung der oft sehr konfrontativen Proteste gegen den § 218 geht Karcher in einem weiteren Schritt nach. Einen Höhepunkt erreichten diese in einer Aktion gegen den Bundesgerichtshof, auf dessen Fassade Frauen mit roter Farbe „Mein Bauch gehört mir“ schrieben. Die Autorin widmet sich besonders einem Bombenanschlag der ‚Frauen der Roten Zellen‘ am 4. März 1975, verübt ebenfalls auf den Bundesgerichtshof. Zahlreiche westdeutsche Zeitungen erhielten am darauffolgenden Tag ein Bekennerschreiben. Karcher konstatiert, dass die Frauen der Revolutionären Zellen mit diesem Angriff für ihre Interessen als Frau kämpften. Das sollte kritisch gelesen werden, denn immerhin war es immer auch ein Ziel bewaffneter Bewegungen wie der Revolutionären Zellen, öffentlichkeitswirksam zu agieren. Es sollten nicht zuletzt Gruppen, und dazu gehörten auch Frauengruppen, für den ‚bewaffneten Kampf‘ rekrutiert werden, bzw. davon überzeugt werden, dass Aufklärungsarbeit allein nicht ausreichend sei.

Das Programm der Roten Zora

In diesem Zeitraum gründete sich die Rote Zora als Frauengruppe innerhalb der Revolutionären Zellen. Im April 1977 unternahm die Rote Zora unter diesem Namen ihren ersten Anschlag, der sich gegen die Bundesärztekammer in Köln richtete. Das Bekennerschreiben trug den Titel „frauen erhebt euch und die welt erlebt euch“. Die Rote Zora sah in der Anwendung von Gewalt ein probates politisches Mittel gegen das existierende politische System: Dieses sei sexistisch und imperialistisch, sodass viele Frauen keine andere Möglichkeit hätten, als sich gewalttätig gegen Ausbeutung und Vergewaltigung zur Wehr zu setzen. Und weiter: „[T]he RZ claimed that the use of violence tactics could have an empowering effect on women.“ (S. 85).

Wie Katharina Karcher weiter ausführt, kritisierten die Aktionistinnen der Roten Zora in einem Papier von 1981 die Passivität und Unterwürfigkeit von Frauen. Sie sollten aufhören, sich selbst als Opfer des Patriarchats zu denken, sondern aufstehen, für sich selbst kämpfen und einstehen sowie die existierenden Machtstrukturen herausfordern. Gewalt in dieser Lesart wurde als ausgesprochen produktiv betrachtet, denn sie „could help women to overcome fear, powerlessness and resignation and to challenge repressive (gender) norms.“ (S. 85). Vor allem die Rote Zora verstand ihre Aktionen als Transgression gegen vorherrschende Geschlechternormen.

Frauen schlagen zurück – Reaktionen auf Gewalt gegen Frauen

Dass das Private politisch sei, ist vermutlich eine der wichtigsten Einsichten der Neuen Frauenbewegung. Mit Verweis darauf wurde nicht nur das Recht auf Abtreibung gefordert, sondern die (alltägliche) Gewalt gegen Frauen problematisiert. Von diesem zentralen Thema ausgehend, fanden viele Proteste gegen Sexismus und Pornographie statt. Karcher bettet dies anschaulich in die sogenannte sexuelle Revolution der 1960er Jahre und die Liberalisierung des Pornographiegesetzes im Jahr 1975 ein. Die Frauenbewegung kritisierte die Objektivierung des weiblichen Körpers und seine kapitalistische Vermarktung. Es entstanden Frauenhäuser, Aktionen wie die Walpurgisnacht als (Wieder-)Aneignungen der Straße (‚reclaim the night‘) wurden durchgeführt oder Sexshops angegriffen. Dass die Frage nach der Legitimität gewaltförmiger Proteste kontrovers diskutiert wurde, verdeutlicht Karcher anhand des 1976 erfolgten Angriffs einer Frauengruppe auf den Anwalt Nicolaus Becker, der einen vermeintlichen Vergewaltiger verteidigt hatte. Unter anderem zwangen ihn die Frauen zu einem Foto, das dem des Geiselfotos von Peter Lorenz (1975) ähnelte. Dieses Foto wurde in der taz veröffentlicht und löste leidenschaftliche Debatten hinsichtlich der Form des Angriffs aus, die u. a. als faschistisch bezeichnet wurde. Gleichzeitig zeigte sich gerade an dieser Diskussion, wie kontrovers sexuelle Gewalt und Sexismus (auch) innerhalb der linken Bewegung verhandelt wurden. Beispielsweise erschien im April 1977 das Magazin konkret mit dem Aufmacher „Feminismus 77: Schwach auf der Brust“ und einem Bild, auf dem eine (männliche) Hand auf die Brust einer liegenden Frau drückt. Die in dieser Bildsprache angelegte Übergriffigkeit zeigt deutlich, wie sehr der weibliche Körper zum Ort von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wurde.

Militante feministische Proteste und transnationale Solidarität

Schließlich, im fünften Kapitel, thematisiert Katharina Karcher die zunehmende Internationalisierung der Frauenbewegungen sowie das wachsende Interesse an der Situation von Frauen in der ‚Dritten Welt‘ und von Immigrantinnen. Sie zeichnet die Debatten um Rassismus innerhalb der Frauenbewegung nach und nimmt auch die Proteste gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution in den Blick.

Ein weiteres Thema, das die Autorin aufgreift, sind die Solidaritätskampagnen gegen die Textilkette Adler, die billig in der damaligen Freihandelszone in Südkorea produzieren ließ. Arbeiterinnen aus Südkorea beschrieben 1986 in einem Brief an eine koreanische Frauengruppe in Deutschland ihre miserablen Arbeitsbedingungen sowie die Gefahr, ständig den sexuellen Übergriffen der deutschen Manager vor Ort ausgesetzt zu sein. In diesem Brief appellierten sie an die „schwesterliche Hilfe“. Tatsächlich wurde infolgedessen eine große Solidaritätskampagne initiiert. In den meisten Fällen verliefen diese ohne direkte Konfrontationen. Doch im Mai 1987 begann die Rote Zora mit einer Reihe von Angriffen gegen Adler. In einem Bekennerschreiben fokussierten die Aktivistinnen auf die „sexistische und rassistische Unterdrückung“ von Frauen. Weiter argumentierten sie, dass „unsere Privilegien“ auf der Ausbeutung von Menschen in der sogenannten Dritten Welt basiert. Vor allem diese Angriffe ließen die Rote Zora, die in der Presse als „feministische Terrorgruppe“ (S. 127) bezeichnet wurde, in Westdeutschland bekannter werden.

Diese Angriffe wurden, wie Karcher zeigt, sowohl innerhalb der Linken als auch von der Solidaritätskampagne kritisch diskutiert. Vor allem die Aktiven der Solidaritätskampagne distanzierten sich von der Gewaltförmigkeit der Anschläge. Infolgedessen fanden viele Debatten darüber statt, ob und wie militante Proteste eine geeignete politische Aktionsform darstellen würden.

Fazit

Katharina Karcher legt mit dieser Monographie einen ausgezeichneten Überblick über radikale Aktionsformen und Gruppierungen innerhalb der westdeutschen Frauenbewegung vor. Sie hat dafür nicht nur viele Materialien zutage gefördert, sondern auch selbst Interviews geführt. Der Schwerpunkt des Buches liegt vor allem auf der Roten Zora. Bisweilen lässt sich ein Hang zur Romantisierung nicht verhehlen, und die Untersuchung hätte durch eine kritischere Auseinandersetzung dem Begriff der ‚Militanz‘ an Tiefenschärfe gewonnen. Offen bleibt die Frage, wie und in welcher Weise Zuschreibungen und Zuweisungen von Geschlecht strategisch und politisch nutzbar gemacht wurden, wie beispielsweise bei der Roten Zora.

Das Buch zwingt die Leser*innen dazu, darüber nachzudenken, wo denn genau die Grenze zwischen Radikalität, Militanz und Gewalt verlief bzw. überschritten wurde und wie damit Geschlechterkonstruktionen in Frage gestellt wurden. Katharina Karcher macht detailliert deutlich, wie feministische militante Aktionen dazu beigetragen haben, Sexismus als Thema relevant zu machen sowie Handlungsräume von Frauen mit Blick auf das Sexualstrafrecht, den § 218 oder auch auf Sexismus überhaupt zu erweitern. Ihr ist ein fundierter und lesenswerter Einblick in eine feministische Geschichte der 1970/80er Jahre des 20. Jahrhunderts gelungen, die Anknüpfungspunkte für weitere Studien geben wird, nicht zuletzt für die Debatte darüber, wie und in welcher Form feministische Geschichte(n) geschrieben werden.

Literatur

Brown, Timothy. (2005). West Germany and the Global Sixties: The Anti-Authoritarian Revolt 1962-1978. Cambridge: University Press.

Lenz, Ilse. (2008). Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Melzer, Patricia. (2015). Death in the Shape of a Young Girl. Women’s Political Violence in the Red Army Faction. New York: New York University Press.

Perrot, Michelle. (1989). Ist eine weibliche Geschichtsschreibung möglich? Frankfurt am Main: Fischer.

Schulz, Kristina. (2002). Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich 1968-1976. Frankfurt am Main: Campus.

Veronika Springmann

Freie Universität Berlin

E-Mail: veronika.springmann@fu-berlin.de

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