Die Frau, der Tod und die Kunst

Rezension von Ruth Isser

Kathrin Baumstark:

„Der Tod und das Mädchen“.

Erotik, Sexualität und Sterben im deutschsprachigen Raum zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit.

Münster: LIT-Verlag 2016.

208 Seiten, ISBN 978-3-643-13182-9, € 29,90

Abstract: Kathrin Baumstark bearbeitet das Motiv ‚Der Tod und das Mädchen‘ anhand der im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit entstandenen bildenden Kunst von Hans Selbald Beham, Hans Baldung Grien und Niklaus Manuel Deutsch. Sie bezieht zeitgenössische Denkmodelle über Tod, Sterben und postmortale Existenz mit ein und kristallisiert dabei die Konstruktion von Geschlechterrollen heraus. Mit der von ihr ausgewählten Literatur geht sie kritisch um und bezieht in ihre Argumentation auch verschiedene Perspektiven und Diskurse mit ein.

DOI: https://doi.org/10.14766/1216

Die Religionswissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Kathrin Baumstark befasst sich in ihrem Werk „Der Tod und das Mädchen“ mit einem Genre der Kunstgeschichte, das vor allem im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit im christlich-europäischen Raum Anklang fand: die bildliche Darstellung von jungen Frauen in Verbindung mit der Darstellung des personifizierten Todes. Hierfür bezieht sie sich auf Kunstwerke von Hans Sebald Beham, Hans Baldung Grien und Niklaus Manuel Deutsch, die eben jene Materie bearbeitet haben. Erkenntnisleitende Fragen sind dabei: Vor welchem Hintergrund konnte dieser Themenkomplex entstehen? Welche Vorstellung über Rollenbilder kann daraus abgeleitet werden? Um diese Fragen beantworten zu können, nimmt Baumstark verschiedene Blickwinkel und Perspektiven ein, die sie anschließend mit Hilfe einer Vielfalt von Methoden und Theorien bearbeitet. So kommen Ikonographie, Diskursanalyse und philologische Vergleiche zum Einsatz, und es werden die differenten Sichtweisen um die Rolle der Frau in klerikalen, höfischen und bürgerlichen Ständen sichtbar gemacht. Die Autorin stellt auch die Interdisziplinarität ihres Vorgehens heraus und verweist auf den aktuellen Forschungsstand in den unterschiedlichen Disziplinen wie z. B. Philosophie, Mediävistik und Kunstgeschichte, wobei sie hervorhebt, dass sie über eine allgemeine Zustandsbeschreibung der Rolle der Frau hinausgehen und stattdessen die Veränderung des weiblichen Rollenbilds in seiner Darstellungskonvention beleuchten will (vgl. S. 8).

Nach einer genauen Definition des Raumes und der Zeit, auf die Baumstark den Fokus in ihrem Werk richtet (die Zeit zwischen dem 15. und 17. Jh. im südlichen deutschsprachigen Raum) widmet sie sich vier großen Bereichen: „Sterben, Tod und postmortale Existenz im christlichen Mittelalter“, „Der Tod in der bildenden Kunst“, „Die Darstellung der Frau in der bildenden Kunst“ und „Aktiv/Passiv – zur Konstruktion von Weiblichkeit“. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf jene Einteilung.

Todesvorstellungen im europäischen Mittelalter

Die Autorin beginnt mit der Überlegung, welche Elemente das Verhältnis zu Tod und postmortaler Existenz prägen bzw. geprägt haben. Dabei bezieht sie sich auf den französischen Mediävisten und Historiker Philippe Ariès, der hier vier Bereiche trennt: 1. Das Bewusstsein des Menschen von sich selbst, 2. Die Verteidigung des kulturellen Raumes gegen die feindliche, triebhafte Natur, 3. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod und 4. Der Glaube an die Existenz des Bösen (vgl. S.14 f.). Baumstark arbeitet heraus, welche verschiedenen Ideen von Tod und Sterben sowie Versuche von Beschreibungen der über Leben und Tod hinausgehenden Existenz und der Wirklichkeit nach dem Tod im Mittelalter vorgeherrscht haben. Dabei wird deutlich, dass es nicht einfach nur den einen Tod gibt, der immer und überall auf gleiche Weise wirkt und wahrgenommen wird, sondern dass verschiedene Auffassungen über Tod und Sterben existieren, die sich je nach Region, Umfeld und im Kontext der Zeit unterscheiden und auch ändern können. Zur Veranschaulichung werden hier einzelne Todesdarstellungen des Alten Testaments betrachtet, genauso wie literarische, künstlerische und historische Quellen, weshalb auch keine getreue Abbildung kontingenter Wirklichkeit verfolgt wird (vgl. S. 21).

Diese verschiedenen Vorstellungen über Tod und postmortale Existenz haben wiederum – wie Baumstark zeigt – Auswirkungen auf das zu den jeweiligen Zeiten gelebte Leben der Individuen und Kollektive und damit auch auf die Geschlechtertrennung und die Rollenverteilung unter den Menschen. Mit Hilfe theologischer Texte, bildender Kunst und Literatur veranschaulicht sie die Entwicklung von einem kollektiven hin zu einem individuellen Tod. Die Autorin erörtert hier, wie erst ab dem 15. Jahrhundert die eigene Biographie zentral für eine Erlösung nach dem Tod wurde. Es stand also nicht mehr das Jüngste Gericht im Mittelpunkt der Todesfurcht, sondern das Fegefeuer, in dem sich alle Menschen vor ihren Sünden individuell verantworten mussten. Dies nahm die Angst vom Prozess des Sterbens, aber dafür verschärfte sich die Angst vor dem unmittelbaren Zeitpunkt nach dem Tod. Dies implizierte, dass das Leben selbst grundsätzlich auf den Tod ausgerichtet war und weit mehr Besorgnis oder Furcht nach sich zog als noch die Vorstellung vom Jüngsten Gericht. Somit entwickelte sich auch eine neue Moralvorstellung, die sich wiederum vor allem auf das Frauenbild (negativ) auswirkte.

Verschiedene Todes- und Frauendarstellungen in der bildenden Kunst

Um sich dem Kernthema ihres Werkes kompetent annähern zu können, gibt die Autorin Kathrin Baumstark im Kapitel „Der Tod in der bildenden Kunst“ eine kurze Übersicht über die Entwicklung von Todes- und Sterbedarstellungen im Spätmittelalter. Dafür bedient sie sich wieder einiger Beispiele aus der Theologie, Literatur und bildenden Kunst. Sie beginnt mit einer Erklärung der ars moriendi, also mit einer Vorstellung vom ‚guten Sterben‘. Oft in Form von Erbauungs- und Seelsorgeliteratur sollte die ars moriendi sollte dabei helfen, sich auf den Tod und das Sterben vorbereiten zu können, um schlussendlich Einlass in das Paradies zu bekommen (vgl. S. 30). Folgend findet das memento mori-Prinzip Platz, das die Integration des Todes ins Leben der Menschen zur Folge hatte. Diese Vergegenwärtigung des Todes bedingte auch eine wachsende Angst vor diesem, und das Eingeständnis über die eigene Sündhaftigkeit trat auf. Dennoch fiel der memento mori-Gedanke meist mit einem carpe diem-Gedanken zusammen, was das Vertrauen auf einen gnädigen Gott erkennen ließ (vgl. S. 35 ff.). Den nächsten großen Bereich bildet anschließend das Totentanz-Thema, dessen Entwicklung die Autorin aufzeigt, wobei sie die Leser*innen von den Wurzeln des Totentanzes hin zum ganz exemplarischen Bespiel des Berner Totentanz von Niklaus Manuel führt. In diesen symbolisch-bildlichen Tanzszenen übernimmt der personifizierte Tod die Hauptrolle. Vor ihm sind alle Menschen gleich, er macht also keinen Unterschied zwischen höheren und niedereren Ständen, sondern unterwirft sie allesamt seiner Macht, denn der Tod holt jede und jeden. Die Besonderheit des Berner Totentanzes ist nun, dass hier zum ersten Mal die erotische Komponente zwischen Frau und personifiziertem Tod auftaucht, was dann Eingang findet in den Topos Der Tod und das Mädchen.

Dieses Beispiel leitet im Weiteren schon zum nächsten Kapitel „Die Darstellung der Frau in der bildenden Kunst“ über, in welchem es explizit um die Darstellung der Frau in der bildenden Kunst des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit geht. Hier bespricht Baumstark das Motiv der ‚Frau Welt‘ mit Hilfe von Predigttexten und volkstümlicher Märendichtung aus dem 13. Jahrhundert und später. Dieses Motiv vermittelt die Idee der trügerischen Schönheit von Weiblichkeit und die der unstillbaren Wollust der Frauen, die sich auch in Werken der bildenden Kunst wiederfinden. Dabei wiederholen sich meist dieselben Handlungsstrukturen in den Erzählungen: ,Frau Welt‘ erscheint als wunderschöne Frau, die einem Ritter gegenüber vorgibt, ihn für seine Lebensleistungen mit Liebesdiensten zu belohnen. Doch sobald sie sich umdreht, ist es möglich, in ihr Inneres zu sehen, da nur ihre Vorderseite mit der schönen Haut überzogen ist, ihr Rücken jedoch ist offen. Im Körper von ‚Frau Welt‘ lebt so einiges Getier wie Schlangen und Kröten, also Tiere, die eine negative biblische Symbolkraft tragen. ‚Frau Welt‘ tritt hier als Allegorie auf, die aufzeigen soll, dass der äußere Schein trügen kann, vor allem weibliche Schönheit sei nur Täuschung. Ziel dahinter ist, die Vergänglichkeit und die Scheinhaftigkeit allen irdischen Seins darzustellen (vgl. S. 59 ff.).

Die folgende Analyse der Sündenfalldarstellungen lässt deutlich werden, dass in Eva die Verursacherin des Todes und der Sexualität als Haupt- und Ursünde gesehen wurde. Hier wird Körperlichkeit und Sündhaftigkeit mit Weiblichkeit gleichgesetzt, während Geistigkeit und Gottesebenbildlichkeit dem Männlichen zugeschrieben wird (vgl. S. 66). Damit schließen sich die Inhalte von ‚Frau Welt‘ und ‚Sündenfall‘ in ihrem thematischen Kreis durch die Dämonisierung der Frau, die damit zur Urheberin allen Übels wurde.

Eva versus Maria

In ihrem abschließenden Kapitel „Aktiv/ Passiv – zur Konstruktion von Weiblichkeit“ stellt Baumstark zwei Frauenbilder gegenüber: Eva und Maria. Diesen zwei symbolischen Typen konnten nach der damaligen Auffassung alle Frauen zugeordnet werden. Maria stellte in diesem Sinne den unerreichbaren Idealtypus dar. Sie war Jungfrau und Mutter zugleich und doch in ihrer Rolle immer passiv. Eva blieb hingegen die Verursacherin der Sünde und war damit ein wenig erstrebenswertes Vorbild. Aus dieser Konstruktion eines Frauenbilds leitet die Autorin ab, dass Frauen in der damaligen Gesellschaftsauffassung stets als Objekte galten und auch als solche behandelt wurden, während Männer Subjekte darstellten. Dadurch habe sich der Handlungsbereich der Frauen immer mehr verengt und sich schlussendlich auf die Jungfrauenrolle sowie die Mutter- oder Ehefrauenrolle reduziert. Dies wurde – wie Baumstark durch die Analyse klerikaler, höfischer und bürgerlicher Diskurse veranschaulicht – als die natürliche, von Gott bestimmte Ordnung angesehen, dem sich nicht widersetzt werden durfte. Die äußere Erscheinung war, neben der Ausweisung des Standes, nur eine Hülle, die den innerlichen ‚Dreck‘, also die durch die Erbsünde vorausgehende Sündhaftigkeit, versteckte. Es war also umso notwendiger, ein tugendhaftes Leben zu führen, um der ewigen Verdammnis zu entgehen.

In Baumstarks abschließenden Bildanalysen zu dem Thema Der Tod und das Mädchen zeigt sich, dass auch die bildende Kunst Interesse an diesem Gedankengut fand und dass es ab dem Übergang zur Neuzeit eben nur noch Darstellungen gab, in denen Frauen vom symbolischen Tod geholt wurden. Die Autorin bringt das in Zusammenhang mit dem erstarkenden Individualisierungsprozess, der die Rollenzuweisung der Geschlechter veränderte. Maßgeblich wurden die zwei Frauenbilder der passiven Heiligen und der aktiven Sünderin, angelehnt an Maria und Eva. Damit wurde ein weibliches Rollenverhalten konstruiert, das zur göttlichen Ordnung wurde. Die in der Kunst dargestellten Frauen werden zu allgemeingültigen Stellvertreterinnen ihres Geschlechts. In den Bildern Baldungs und auch bei Deutsch werden Frauen als Akteurinnen dargestellt, was der göttlichen Ordnung widersprach und daher den Tod nach sich ziehen musste. In Behams Bildern ändert sich die Darstellung. Hier ist die Frau reines Objekt und den Blicken der Betrachtenden ausgeliefert. Damit wird diesen die eigene Lasterhaftigkeit vor Augen geführt. Genauso zeigen die Bilder aber auch wieder die sexuelle Sündhaftigkeit der Frauen sowie deren eitle Ruhmsucht, was den Tod als Strafe legitimieren soll.

Fazit

Kathrin Baumstark gelingt es in ihrem Werk, die Veränderung des weiblichen Rollenbilds in seiner Darstellungskonvention zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit nachzuzeichnen. Dabei setzt sie kaum Vorwissen voraus und vermittelt die nötigen Kenntnisse in einer leicht nachzukonstruierenden Art und Weise. Sie gibt Aufschluss über den aktuellen Forschungsstand und geht dann im Einzelnen auf die verschiedenen Bereiche ihres Themas ein. Baumstark veranschaulicht zum einen die damaligen Todes- und Sterbevorstellungen im Allgemeinen sowie in der bildenden Kunst in dieser Zeit. Zum anderen führt sie aus, wie Weiblichkeit in der bildenden Kunst dargestellt wurde, und vervollständigt das Bild durch die Diskurse der Stellung der Frau zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit im klerikalen, höfischen und bürgerlichen Bereich. Damit schafft sie eine solide Basis für ihre abschließenden Bildanalysen zum Thema Der Tod und das Mädchen. Tatsächlich gelingt es Baumstark mit ihrem Vorgehen, die ausgewählten Bilder verständlich zu machen und Einblick in eine vergangene Zeit und in eine andere Wahrnehmungsweise zu geben. Doch wird auch deutlich, dass Vorstellungen aus dieser Periode immer noch in die heutige Zeit nachwirken und damit auch teilweise Wurzeln des heutigen Frauenbilds darstellen.

Das Layout des Texts ist etwas ungewohnt gestaltet, was den Leseprozess aber nicht negativ beeinträchtigt, es wurde eine besonders große Schriftart gewählt. Einzelne Abbildungen zu den Kunstwerken sind leider etwas verpixelt abgedruckt.

Kathrin Baumstarks „Der Tod und das Mädchen“ ist meinem Erachten nach durchaus empfehlenswert für Fachpublikum aus dem Bereich Kunstgeschichte, Religionswissenschaft oder Mediävistik, aber genauso für ein interessiertes Laien-Publikum, da es kaum Schwierigkeiten bereitet, ihre Überlegungen nachzuvollziehen. Es ist für all jene hervorragend geeignet, die sich für die mittelalterliche Gedankenwelt interessieren sowie Kunst und Religion aus einer Genderperspektive betrachten wollen. Bei gesteigertem Interesse bietet die kommentierte Literaturauswahl auch nochmals die Gelegenheit, sich selbstständig zu vertiefen.

Ruth Isser

Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Masterstudiengang in Germanistik und Gender, Culture and Social Change

E-Mail: ruth.isser@student.uibk.ac.at

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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