Christie Launius, Holly Hassel:
Threshold Concepts in Women’s and Gender Studies.
Ways of Seeing, Thinking, and Knowing.
London u.a.: Routledge 2015.
203 Seiten, ISBN 978-1-138-78880-0, £ 29,99
Abstract: Wie können Perspektiven, Methoden und Theorien der Geschlechterforschung, der feministischen Theorie und der feministischen Praxis in einer Einführungsveranstaltung vermittelt werden? Christie Launius und Holly Hassel gehen in ihrem Band dieser Frage auf Basis langjähriger Erfahrung als Lehrende der University of Wisconsin nach. Der Band wurde als Arbeitsmaterial für Studierende konzipiert und kann somit als Textgrundlage im Unterricht verwendet werden. Studierende lernen in den Kapiteln vier spezifische Schwellenkonzepte, ihre Implikationen und Signifikanz kennen und anzuwenden. Das Interessante an dem Buch ist indes weniger die Frage nach der Auswahl der zentralen Konzepte als vielmehr der Schwerpunkt auf einer dezidiert feministischen Praxis in der Lehre.
Einführungsveranstaltungen in der Frauen- und Geschlechterforschung bergen im Grunde zwei Herausforderungen für Lehrende wie Studierende: erstens die Interdisziplinarität sowohl in Bezug auf den zu vermittelnden Lehrinhalt als auch respektive der fachlich höchst heterogenen Studierendenschaft, weswegen es einer Angleichung des Wissensstandes bedarf. Zweitens besteht die Herausforderung in der Vermittlung kritisch-wissenschaftlicher Perspektiven auf sozio-kulturelle und sozio-historische Phänomene, mit denen Essentialismen gegen den Strich gebürstet werden. Insbesondere letzterem didaktischen Anspruch widmen sich Christie Launius (Geschlechterforschung) und Holly Hassel (Anglistik) in ihrem Band Threshold Concepts in Women’s and Gender Studies.
Wie Launius und Hassel im Vorwort erläutern, entstand ihr Buchprojekt aus eigener langjähriger Lehrpraxis und auf der Basis zahlreicher Gespräche mit Kolleg*innen des Universitätsverbandes der University of Wisconsin. Die Quintessenz des Erfahrungsaustauschs sei gewesen, so die Autorinnen, ihre Einführungsveranstaltung auf vier sogenannte „threshold concepts“ zu konzentrieren, Schwellenkonzepte, die eine grundlegende Durchdringung erfordern und gleichzeitig zentrale Analyse- und Verständnisfähigkeiten vermitteln. Mit Jan Meyer und Ray Land definieren sie dabei den Begriff „threshold concepts“ als „disciplinary core concept that is both troublesome und transformative“ (S. VII). Als solche Konzepte auf der Schwelle von Problematisierung und Veränderung identifizierten sie Sozialkonstruktivismus, Intersektionalität, das Paar privilege and oppression sowie feministische Praxis.
Launius und Hassel zufolge beruhen Einführungsveranstaltungen der Frauen- und Geschlechterforschung in der Regel weniger auf der Vermittlung zentraler Konzepte, sondern auf der Vermittlung von Diskursen über etwa ‚race‘ oder ‚class‘. Dagegen erachten die Autorinnen die profunde Durchdringung zentraler Konzepte als unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der Diskurse. Aus dieser Haltung heraus entwickelten sie den Band Threshold Concepts in Women’s and Gender Studies. Die Verlagerung des primären didaktischen Schwerpunktes auf die Schwellenkonzepte kennzeichne somit das eigentlich Neue und damit den Mehrwert des Bandes (S. VIII). Das deutschsprachige Angebot an Einführungen zeigt sich hingegen eher heterogen: Die Darstellung der wissenschaftshistorischen Entwicklung (Schößler 2008) reiht sich neben Überblicke über disziplinspezifische Zugänge (Degele 2008) und Diskursfelder (von Braun/Stephan 2013). Mitunter finden sich alle Ansätze auch in einem Band versammelt (Becker/Kortendiek 2008). Das eigentliche Novum von Threshold Concepts ist jedoch nicht die Auswahl der Schwellenkonzepte, sondern eine aktualisierte „feminist research praxis“ (S. 156), verstanden als eine Kollaboration zwischen akademischem Wissen und politischer Praxis, die das eigentliche Lernziel des Arbeitsbuches darstellt.
Der Band ist in fünf Kapitel unterteilt, wobei Kapitel eins die Einleitung beinhaltet und sich Kapitel zwei bis fünf an den „threshold concepts“ orientieren. Während jedes Konzept jeweils zunächst mit feministischen Grundannahmen („feminist stance“) und einer aussagekräftigen Illustration eingeführt wird, erwartet die Studierenden am Ende eines Kapitels eine Fallstudie sowie verschiedene Aufgaben, die das Gelernte anwendungsorientiert vertiefen sollen. Darüber hinaus beinhaltet jedes Kapitel didaktische Bausteine, in denen aktuelle Diskurse wie z. B. social media anhand der Schwellenkonzepte diskutiert werden. Außerdem dienen „Learning Roadblocks“ und „Misconceptions alerts“ der Aufklärung spezifischer Verständnisprobleme und Fehlannahmen, welche die Autorinnen und Dozent*innen in ihrer Lehre häufig erleben und daher für besonders erklärungswürdig halten. Die Relevanz der Schwellenkonzepte wird durch sogenannte „Anchor Topics“ vertieft, die sich in den Feldern Arbeit und Familie, Sprache, Bilder und Symbole sowie Körper bewegen.
Launius’ und Hassels Ansatz, die Schwellenkonzepte mithilfe alltäglicher Diskurse greifbar zu machen, ist einerseits vielversprechend und plausibel. Die Vielzahl der Themen und Hinweise lassen die Kapitel andererseits schnell unübersichtlich wirken ─ ein Effekt, der durch die wenig differenzierende Wahl des Layouts noch verstärkt wird. Etliche der Anregungen, Arbeitsfelder oder Themen könnten auch im Unterricht bearbeitet werden, wodurch in der Vorbereitung durch die Studierenden selbst mehr Raum für das eigentliche Verständnis der Konzepte entstünde.
Während sich das Vorwort noch an Lehrende richtet und Hinweise zur Verwendung des Bandes gibt, werden in der Einleitung Studierende mit der Geschichte der Geschlechterforschung vertraut gemacht. Launius und Hassel zeigen darin auf, wie Geschlechterforschung und politische Bewegung historisch verbunden sind. Doch könne die Geschlechterforschung nun nicht mehr nur als akademischer Arm der Frauenbewegungen verstanden werden, vielmehr sei sie eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin geworden (vgl. S. 16). Das Politische im Akademischen wird jedoch als roter Faden im gesamten Band weiter entfaltet werden und im letzten Kapitel „Feminist Praxis“ einen Höhepunkt finden.
Doch zunächst führen die Autorinnen in Kapitel zwei in die soziale Konstruktion von Geschlecht anhand der klassischen sex/gender-Dichotomie ein. So anschaulich Launius und Hassel das Konzept erläutern, so wenig gehen sie aber auf poststrukturalistische Ansätze ein, in denen auch ‚sex‘ kritisch hinterfragt wird. Gender wird hingegen als vielfältiger Begriff eingeführt. Dabei ist es eine der großen Stärken des Bandes, die wertvollen Beiträge verschiedener Gruppen in den Vordergrund zu rücken und damit inter*, trans* und Männlichkeit zu berücksichtigen, ohne nur über diese Gruppen zu sprechen oder diese zu instrumentalisieren.
Weiterhin werden Forschungen zu Arbeit und Familie vorgestellt und durch eine große Bandbreite an Themen ergänzt. Besonders gelungen ist dabei die Analyse geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung aus verschiedenen Forschungsperspektiven, die den Erkenntnisgewinn jedes Ansatzes deutlich macht (vgl. S. 52). Die Vielfalt an Erklärungsansätzen kann gleichwohl erfahrungsgemäß (gewollt) verunsichern, so dass es an dieser Stelle sinnvoll wäre, die Studierenden spätestens im Unterricht wieder aufzufangen. Die Lernblockade oder das „Learning Roadblock“ in diesem Kapitel begegnet dem vermeintlichen Wahrheitsanspruch naturalistischer Konzepte mit Ergebnissen aus der historischen Forschung zum Gewordensein von Geschlecht. Den Autorinnen gelingt es hier sehr gut, den tatsächlichen Inhalt naturwissenschaftlicher Studien zu ihrer Rezeption in den Medien zu kontrastieren und dadurch geschlechtsspezifische Vorbehalte aufzuzeigen.
Eine wirklich interessante Wahl als Schwellenkonzept ist das Paar privilege and oppression. Anhand dieses sich gegenseitig bedingenden Paares zeigt die machtanalytische Perspektive, wie eng verknüpft die Vergabe oder der Besitz von Privilegien mit Unterdrückung und Ausschluss bestimmter Gruppen einer Gesellschaft ist. Launius und Hassel stützen sich dabei auf Forschungen u. a. von Mari Matsuda, Gloria Yamato und Audre Lorde. Sie schaffen es in dem vergleichsweise kurzen zweiten Kapitel die Studierenden für die teils sehr subtilen Wirkmechanismen dieser beiden sich bedingenden strukturellen Kategorien auch jenseits von Gender zu sensibilisieren und den Unterschied zu individuellem Handeln aufzuzeigen. Jedoch werden popkulturelle Phänomene, Alltagserfahrungen und Wissenschaft sehr miteinander vermischt, so dass der Sprung zu einer wissenschaftlichen Betrachtung nicht ganz gelingt. Dies mag in der Verschiebung des Schwerpunktes von einer feministischen Theorie zu einer feministischen Praxis begründet sein, die sich hier bereits ankündigt. Feministische Praxis wird als Möglichkeit zur Veränderung struktureller Unterdrückung eingeführt und der Mehrwert des Schwellenkonzepts privilege and oppression damit stärker auf eine politische Handlungsebene verlagert.
Über die Komplexität von Machtstrukturen führen Launius und Hassel im folgenden Kapitel zum nächsten Schwellenkonzepthin. Das Konzept ‚Intersektionalität‘ beschreibt die Überkreuzung verschiedener sozialer Kategorien in einer Person, die zu spezifischen Diskriminierungserfahrungen führen. Die Analyse der Berichterstattung über die Turnerin Gabby Douglas während der Olympischen Spiele 2012 verdeutlicht die Mehrfachdiskriminierung anhand der sich hier überschneidenden Kategorien ‚race‘ und ‚gender‘. Zudem wird der signifikante Einfluss der women of color auf die Theoriebildung der ‚Intersektionalität‘ mehr als deutlich, wenn sich die Autorinnen vornehmlich u. a. an Beverly Guy Sheftall, Sojourner Truth, Chela Sandoval und Kimberlé Crenshaw orientieren. Neben ‚race‘ wird zwar auch Geschlecht (Männlichkeit und Weiblichkeit) als soziale Kategorie behandelt, weitere Kategorien wie Sexualität oder Befähigung werden jedoch eher kurz berücksichtigt. Eine Reflexion über die Gewichtung bestimmter sozialer Kategorien wäre an dieser Stelle hilfreich und wünschenswert gewesen, zumal eine solche Reflexion die Wirkmechanismen von privilege and oppression, vor allem mit Blick auf die eigene wissenschaftliche Praxis, verdeutlicht hätte.
In ihrem letzten und fünften Kapitel brechen Launius und Hassel schließlich eine klare Lanze für einen politischen Aktivismus inner- und außerhalb der Hochschule. Sie stellen verschiedene große und kleine Formen des Aktivismus vor und zeigen den Beitrag der Frauen- und Geschlechterforschung in ihnen auf. Des Weiteren lernen Studierende am Beispiel der Proteste gegen sexualisierte Gewalt in Ohio im Jahr 2012, wie verschiedene Gruppen zusammenarbeiten können, um einen sozialen Wandel herbeizuführen. Statt „Learning Roadblocks“ kommen vermehrt „Misconception Alerts“ zum Einsatz, die Zweifel ausräumen und Studierende zu politischem Handeln ermuntern sollen.
Alle bisher diskutierten Schwellenkonzepte laufen hier in der zentralen Erkenntnis zusammen, dass das Wissen über die eigene Position im System, gepaart mit einer Analyse der Wirkmächtigkeit der strukturellen Phänomene privilege and oppression in verschiedenen Kontexten, Visionen und Strategien für einen sozialen Wandel erschaffen kann. Eine mit der Verquickung von Wissenschaft und politischer Praxis einhergehende öffentliche Kritik an der Wissenschaftlichkeit der Gender Studies, so wie sie in Deutschland noch vorkommt, wird nicht thematisiert. Denn obwohl Launius und Hassel in der Einleitung Forschung und Politik als eigenständige Felder kennzeichneten, führen sie beide in nun in der Lehrperson vollends wieder zusammen. So konstatieren sie, dass viele Lehrende in Anlehnung an Sharlene Hesse-Biber ihren Unterricht als Form des Aktivismus, nämlich als eine feministische Forschungspraxis, betrachten würden (vgl. S. 156).
Threshold Concepts in Women’s and Gender Studies. Ways of Seeing, Thinking, and Knowing wurde aus der US-amerikanischen Lehrpraxis der Frauen- und Geschlechterforschung für genau diese Lehrpraxis entwickelt. Zu diesem Zweck bietet der Band eine reichhaltige Quelle an Inspiration und Anregung zur didaktischen Reduktion auf wesentliche Konzepte und Elemente. Welche dies sind, darüber lässt sich freilich streiten, zumal der Fachhintergrund der jeweiligen Lehrperson für die Auswahl eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Die Definition der der vier „threshold concepts“ als universale Konzepte macht außerdem deutlich, dass Launius und Hassel bei der Konzeption ihres Ansatzes disziplinäre Gewichtungen außer Acht ließen oder zumindest verworfen haben. Mithin wäre eine detaillierte Beschreibung des Identifikationsprozesses der Konzepte wünschenswert gewesen ─ so bleibt nur der Hinweis auf die Lehrerfahrung.
Wie könnte der vorliegende Band nun in Einführungskursen der Geschlechterforschung in Deutschland Verwendung finden? Erneut stellt sich durch das Buch die Frage nach einflussreichen und zentralen Beiträgen der Frauen- und Geschlechterforschung. Eine Kanonisierung von Ansätzen und Autor*innen würde jedoch zwangsläufig zu einer Unsichtbarmachung vieler anderer Beiträge führen sowie zu einer Vereinheitlichung von Wissensbeständen. Denn gerade die verschiedenen Stimmen der Geschlechterforschung stellen einen Gewinn für die Wissenschaftslandschaft an deutschen Hochschulen dar. Auf der anderen Seite eignen sich die vorgestellten Diskurse sehr gut als Anregung für den Unterricht, z. B. als Arbeitsgruppen- oder Referatsthemen. Ihre Aktualität ist beachtlich und wohldurchdacht, wenngleich sie als vorbereitende Lektüre mitunter sehr viel Raum einnehmen, der für das eigentliche Verständnis der Schwellenkonzepte gebraucht wird. Darüber hinaus bemühen sich Launius und Hassel um eine thematische Nähe zu den Alltagserfahrungen der Studierenden. Dieses Vorgehen unterstützt die Studierenden bei dem durchaus herausfordernden Sprung vom Alltagswissen zum wissenschaftlichen Verständnis von Geschlecht.
So regt der Ansatz von Launius und Hassel zur Reflexion der eigenen Lehrpraxis und damit der Frage nach der Text- und Konzeptauswahl in Grundlagenveranstaltungen an. Dabei eignen sich die angebotenen Kapitel von Launius und Hassel nur bedingt für den Unterricht selbst. Nicht nur könnte die englische Sprache für Studienanfänger*innen zu einer Hürde werden, auch müsste die Lektüre und Bearbeitung der umfangreichen Kapitel im Workload der Lehrveranstaltung Berücksichtigung finden. Die Fülle der Aufgaben bietet hingegen eine nützliche Auswahl für die Übernahme in die eigene Lehre.
Wie bereits herausgestellt, ist das eigentlich Besondere an dem Band nicht der Schwerpunkt auf Schwellenkonzepte, sondern das deutlich ausgesprochene Votum für eine feministische Praxis in der Lehre. Ob in der derzeitigen ─ überwiegend in den Feuilletons geführten ─ deutschen Debatte um die Wissenschaftlichkeit der Geschlechterforschung eine solch klare politische Bekenntnis in einem Lehrbuch möglich wäre? Dennoch ist gerade die explizite Einbeziehung einer politischen Praxis erfrischend, weil sie aus der Lehre heraus identifiziert wurde und somit zeigt, dass die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung eine ganz zentral vermittelte Kompetenz der Frauen- und Geschlechterforschung darstellt ─ in den USA wie auch in Deutschland.
Becker, Ruth/Kortendiek, Beate. (2010). Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Braun, Christina von/Stephan, Inge. (2013). Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Köln u.a.: Böhlau Verlag.
Degele, Nina. (2008). Gender / Queer Studies. Eine Einführung. Paderborn: W. Fink.
Schößler, Franziska. (2008). Einführung in die Gender Studies. Berlin: De Gruyter.
Stephanie Sera
Ruhr-Universität Bochum, Universität Duisburg-Essen
Doktorandin im Fach Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Gleichstellungsbüro Universität Duisburg-Essen
Homepage: http://www.netzwerk-fgf.nrw.de/wissenschaftlerinnen/portrait/detail/stephanie-sera
E-Mail: stephanie.sera@rub.de
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