Punk is NOT dead, sondern queer und feministisch!

Rezension von Tanja Wälty

Maria Katharina Wiedlack:

Queer-Feminist Punk.

An Anti-Social History.

Wien: Zaglossus 2015.

428 Seiten, ISBN 978-3-902902-27-6, € 19,95

Abstract: Maria Katharina Wiedlack legt eine theoretisch fundierte und empirisch reichhaltige Studie zu queerfeministischem Punk in den USA und Kanada vor, in der sie zum einen Queer Studies und Subkulturstudien zusammenbringt und auf diese Weise ein Gegenbeispiel zu konventionellen Darstellungen zu Punk als weißer, männlicher Subkultur setzt. Auf der anderen Seite leistet die Autorin mit ihren detaillierten Beschreibungen der Geschichte der Bewegung einen wichtigen Beitrag zu der Dokumentation des queerfeministischen nordamerikanischen Punk. Durch die Verknüpfung von anti-sozialer Queer Theory mit psychoanalytischen, feministischen und dekolonialen Ansätzen schafft sie ein solides theoretisches Fundament für ihre Analyse des radikalen Aktivismus und der kulturellen Produktion der Bewegung.

DOI: http://doi.org/10.14766/1177

Während Punk in seiner nun über 30jährigen Geschichte immer wieder für tot ─ im Sinne von politisch entleert, deradikalisiert und kommerzialisiert ─ erklärt wurde, setzt Maria Katharina Wiedlack in ihrem Buch Queer Feminist Punk. An Anti-Social History am entgegengesetzten Punkt an und dokumentiert anhand der queerfeministischen Punkszene aus den USA und Kanada eine radikale, politische und anti-soziale Version des Punk, die die geläufigen Dokumentationen der Punkgeschichte sowie die eben genannte Punk-is-dead-Rhetorik herausfordert und diesen erfolgreich widerspricht. Während nordamerikanische Punkszenen aus unterschiedlichen Perspektiven (z. B. als jugend- bzw. subkulturelles, musikalisches oder ästhetisches Phänomen) beleuchtet und analysiert worden sind, füllt Wiedlacks historisch ausführliche und theoretisch fundierte Forschung zum queerfeministischen Punk eine Lücke in den Reihen der Publikationen sowohl der Subkulturstudien als auch der Queer Studies. Bislang gab es keine umfassenden Studien dieser Art, obwohl Punk mit seiner anti-sozialen Ästhetik und den Strategien des Schockierens, der Provokation und Negativität und die anti-normativen Politiken des queeren Feminismus gewissermaßen füreinander geschaffen erscheinen, wie die Autorin im Laufe des Buches überzeugend darlegt.

Queerfeministische Punktheorie, alternative Geschichtsschreibung und radikaler Aktivismus

Wiedlack bietet einen detaillierten Überblick über die letzten drei Dekaden queerfeministischer Punkproduktionen und bespricht in einer ausführlichen Beschreibung verschiedene Bands, Szeneprotagonist_innen, Zine-Autor_innen, Aktivist_innen, unabhängige Plattenlabels, Konzerte und Festivals. Die historische Schilderung des queerfeministischen Punk erstellt die Autorin auf der Grundlage von persönlichen Interviews, Bandbiographien sowie Recherchen in Fanzine-Archiven und Musikmagazinen und vor dem Hintergrund der anti-sozialen Verwendung des Begriffs queer im Sinne des Theoretikers Lee Edelman. Dieser versteht queerness als Ausdruck einer der hegemonialen Normativität radikal entgegengesetzten Position der Andersheit. Diese anti-soziale Position des Queeren definiert sich laut Edelman daraus, dass queere Sexualität nicht den normativen Zweck heterosexueller, also reproduktiver Sexualität erfüllt. Im queerfeministischen Punk werde anti-soziale queerness in diesem Sinne mit der im Punk typischen Negativitätshaltung ergänzt ─ eine Haltung und politische Strategie, die Wiedlack auf die frühe englische Punkbewegung der 1970er Jahre zurückführt. Die Negativität von Punk drücke sich als eine generelle Anti-Haltung aus ─ auf verbaler Ebene durch den Gebrauch abfälliger Worte, auf ästhetischer Ebene durch den Punkstil sowie auf musikalischer Ebene durch Aggressivität, Lautstärke und lärmende, schnelle Musik. Außerdem zeigt die Autorin, wie im queerfeministischen Punk Kritik nicht nur gegen Misogynie, Transphobie und Homophobismus gerichtet wird, sondern generell versucht wird, die Intersektionen unterdrückender Machtstrukturen unter Berücksichtigung von Gender, Rasse und Klasse aufzudecken.

Auf den historischen Überblick folgt eine theoretische Diskussion, deren erklärtes Ziel Wiedlack darin sieht, unter Zuhilfenahme verschiedener psychoanalytischer Schulen eine radikale, anti-soziale queere Punk-Theorie zu formulieren. Dafür konzeptualisiert sie queerness im Sinne von Lee Edelmans „No Future“-Theorie als jouissance, das heißt, als schmerzvolles Genießen des Überschreitens von Normativität. Mit Hilfe dieses Konzepts analysiert sie anti-soziale Punkpraktiken wie beispielsweise Tanzen im Moshpit, Schreien oder Fluchen auf der Bühne sowie die Punkästhetik. Edelmans Theorie reiche jedoch nicht aus, um Punk-Negativität abseits ihrer Bedeutung als individuelle Ausdrucksweise auch als geteilten politischen Aktivismus zu verstehen. Über Edelmans Verständnis hinausgehend zeigt Wiedlack, dass anti-soziale Praktiken nicht im Widerspruch zu der Herausbildung einer Punk-Gemeinschaft mit geteilter sozialer Verantwortung stehen. Vielmehr bärgen die verschiedenen Formen von Negativität das Potential einer Gemeinschaftsbildung und damit eines sozialen Umfelds, welches nicht auf einem gemeinsamen Identitätsentwurf, sondern auf der gegenseitigen Anerkennung von Differenz beruhe. Dies zeigt die Autorin mit Hilfe von Elizabeth Povinelli und Slavoj Žižek, die das politische Potential von jouissance in seiner Unabhängigkeit von allen normativen sozialen Gefügen und Ordnungen sehen. Insofern bedeutet queerness, anti-sozial und verstörend zu sein und gleichzeitig einen auf Differenz basierenden Gemeinschaftssinn herzustellen. Mit José Muñoz’ Konzeptualisierung von Emotionalität und Zuneigung entwirft Wiedlack einen rekonzeptualisierten Begriff von Gemeinschaft, der ihr hilft, eine anti-soziale queere Theorie zu entwickeln, welche die Analyse queerer Politiken und nicht-normativer Formen von Gemeinschaft im Punk zulässt. Die zuweilen für die nicht in queerer bzw. psychonalytischer Theorie geschulten Leser_innen sehr dichten theoretischen Passagen lockert die Autorin immer wieder mit Beispielen vom Gebrauch abfälliger und ambivalenter Sprache in queerfeministischen Punkliedern auf, wie beispielsweise der Liedzeile „We’re Punk as Fuck and Fuck like Punks“ der Band Skinjob. Anhand der Analyse solcher Liedtexte zeigt Wiedlack, wie queere Sexualität und Verlangen mit Negativität im Zusammenhang stehen. Sie diskutiert die Anti-Haltung des Punk als Kritik von normativen Systemen und hegemonialen Gesellschaften, die über solche Praktiken zum einen irritiert und zum anderen mit alternativen Formen der Sozialität unterwandert werden. Negativität ist dabei der Punkt, an dem sich im queerfeministischen Punk Gemeinschaft bildet, die auf einer geteilten Positionierung von queerness im hegemonialen sozialen Gefüge und der gemeinsamen Annahme dieser Verortung beruht.

Im dritten Teil des Buches diskutiert Wiedlack queerfeministische Punk-Politiken auf der Grundlage von jouissance und Negativität als intersektionale Kritik an normativen Machtstrukturen und Unterdrückungsmechanismen. Unter Bezugnahme auf Anarchismus, Feminismus und dekoloniale Theorie diskutiert sie Maßnahmen und Strategien queerfeministischer Punks gegen die Reproduktion internalisierter Machtstrukturen innerhalb und außerhalb der Szene und thematisiert die Rolle der Wut als treibende Kraft queerfeministischer Politiken. Ein wichtiger Bestandteil der Diskussion bildet dabei ein ausführliches Kapitel zu den queerfeministischen Punks of Color, die mit ihrer politischen und kulturellen Produktion die gängigen Bedeutungen von Punk als männlich, weiß, jugendlich und proletarisch herausfordern. Im abschließenden Teil des Buches zeichnet die Autorin am Beispiel der Occupy-Bewegung und der Solidaritäts-Aktionen mit Pussy Riot nach, wie queerfeministische Punks nicht nur szeneintern, sondern über gegenkulturelle und nationale Grenzen hinaus Allianzen mit anderen Gruppen bilden, um gegen verschiedene Formen der Unterdrückung zu kämpfen.

Die Herausforderung des Beschreibens und Archivierens radikaler, gegenkultureller Bewegungen

Eine klare Stärke von Wiedlacks Buch liegt darin, dass es ─ obwohl in einem akademischen Rahmen verfasst ─ nicht nur für eine akademische Leserschaft ansprechend ist, sondern auch für queerfeministische Punks und Aktivist_innen. Durch die ausführliche Dokumentation von Akteur_innen, Bands, Zines etc. hat sie ein wertvolles Archiv gegenkultureller queerfeministischer Produktion geschaffen. Ihre Analyse beginnt mit den ersten Manifestationen von queerfeministischem Punk im Kontext der Anti-Homosexuellen-Kampagne während der Aids-Krise Ende der 1970er und frühen 1980er Jahre, behandelt die Entstehung und Verbreitung der Riot Grrrl-Bewegung und der Ladyfeste in den 1990er und 2000er Jahren und endet mit der Beschreibung von queerfeministischem Punk-Aktivismus in der Occupy-Bewegung sowie der kritischen Beleuchtung des Aufkommens der westlichen Solidaritätswelle mit Pussy Riot.

Damit präsentiert Wiedlack eine wichtige, alternative Version der Geschichte des Punk, der in konventionellen Dokumentationen allzu oft als weißgewaschene, männliche Bewegung dargestellt wird, in der die Beteiligung von weiblichen und queeren Punks sowie Punks of Color ausgeblendet wird bzw. die männliche Punk-Rebellion allzu oft auf Kosten der eben genannten Punks ausgetragen wird. Indem die Autorin queere Punks, Riot Grrrls und Punks of Color in den Mittelpunkt ihrer Analyse von queerfeministischer Praxis und politischem Aktivismus stellt, statuiert sie ein Gegenexempel zu einseitigen Darstellungen und politisch entleerten und kommerzialisierten Versionen des Punk.

Sie beleuchtet eingehend das aktivistische Potential des queerfeministischen Punk und untersucht, wie er sich gegen verschiedene Formen von Unterdrückungsverhältnissen stellt und diese aus einer intersektionalen Perspektive verhandelt. Klar spürbar ist dabei Wiedlacks Verbundenheit mit der Szene und ihre Eingebundenheit im queerfeministischen Punk. Gerade in Untersuchungen zu Sub- und Gegenkulturen birgt dies die Gefahr, dass ein zu romantisierendes Bild des rebellischen Potentials einer Bewegung gezeichnet wird. Die Autorin wirft jedoch einen durchaus kritischen Blick auf die Szene, indem sie an verschiedenen Stellen auf die Reproduktion von Hierarchien und hegemonialen Machtverhältnissen innerhalb des queerfeministischen Punk aufmerksam macht. An diesem Punkt wäre es interessant gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie diesbezügliche Kritik, wie sie beispielsweise von Punks of Color oder Punks mit körperlichen Beeinträchtigungen geübt wird, innerhalb des queerfeministischen Punk aufgenommen und verhandelt wird bzw. wie Lösungsstrategien entworfen und praktisch umgesetzt werden.

Eine weitere Stärke des Buches besteht darin, oftmals sehr komplizierte Ansätze aus Queer Theory und Psychoanalyse verständlich zu erklären und auf queerfeministischen Punk anzuwenden. Auf der theoretischen Grundlage anti-sozialer Theorien von Edelman, Muñoz, Povinelli und Halberstam liest sie die Verbindung von Punk-Negativität mit anti-sozialer queerness als Möglichkeit für das Schaffen von Gemeinschaft abseits von normativen hegemonialen Formen der Sozialität und sieht in dieser Verbindung das Potential für radikalen Aktivismus. Ihre theoretischen Debatten setzt Wiedlack in Dialog mit den Stimmen aus der Bewegung. Dies tut sie in einer wissenschaftlich anspruchsvollen Sprache, die sie jedoch in gekonnter Punkmanier immer wieder erfrischend in unkonventionellen, wütenden oder anti-akademischen Textpassagen aufbricht. Damit schafft die Autorin nicht nur den sprachlichen Balanceakt zwischen Akademie und Aktivismus, sondern verortet sich auch selbst auf glaubwürdige Weise in beiden Kontexten.

Diese Glaubwürdigkeit spiegelt sich zudem in ihrer kritischen Haltung gegenüber der Erforschung einer gegenkulturellen Bewegung bzw. deren Archivierung in einem institutionellen Rahmen wider, da das im Widerspruch stehe zu radikalen, anti-institutionellen queerfeministischen Politiken und die Gefahr berge, diese durch deren Abhandlung in einem akademischen Rahmen streckenweise zu entpolitisieren bzw. nur einem gewissen Publikum zugänglich zu machen. Meines Erachtens meistert sie diese Herausforderung, indem sie ihre eigene Position als weiße, europäische Akademikerin kritisch beleuchtet, in ihrer Analyse queere Theorie und punkige Praxis in einen Dialog miteinander setzt, die Stimmen aus der Bewegung in den Vordergrund stellt und ihre Darstellung queerfeministischer Punk-Politiken aus einer intersektionalen Perspektive und auf der Grundlage von anti-rassistischen, dekolonialen, anarchistischen und ableism-Politiken bespricht. Damit wird sie nicht nur queerfeministischem Punk-Aktivismus gerecht, sondern tritt auch konventionellen Darstellungen von Punk als männlich, hetero und weiß, bzw. als entpolitisierter und deradikalisierter Spaßkultur entgegen.

Tanja Wälty

Lateinamerika Institut, Freie Universität Berlin

Doktorandin im Internationalen Graduiertenkolleg „Zwischen Räume“

E-Mail: tanjawa@zedat.fu-berlin.de

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