Zur popkulturellen Reartikulation der Kritik

Rezension von Sebastian Rauter-Nestler

Stefan Schoppengerd:

Hoffnungslos vereinnahmt?

Kritik der Geschlechterverhältnisse in Marketing und Popkultur.

Münster: Westfälisches Dampfboot 2014.

179 Seiten, ISBN 978-3-89691-711-9, € 24,90

Abstract: In seiner Studie überprüft Stefan Schoppengerd die Diagnose der Vereinnahmung feministischer Kritik durch den neoliberalen Kapitalismus auf ihre Gültigkeit. Es gelingt ihm zu zeigen, dass diese Diagnose in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht zutrifft, indem er mittels einer empirischen Untersuchung konkrete Orte des Widerstands im Diskurs des sogenannten Popfeminismus ausmacht. Hier, so Schoppengerd, ist weiterhin auch grundsätzliche feministische Kapitalismuskritik möglich. Während der empirische Teil sehr detailliert ist, hat die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen theoretischen Positionen, die der Studie zugrunde liegen, eher den Charakter eines Überblicks. Dies liest sich zwar äußerst pointiert und zugänglich, lässt aber auch Fragen offen.

DOI: http://doi.org/10.14766/1169

Generell besteht eine besondere Herausforderung für Kritik darin, sich nicht durch Vereinnahmung entschärfen zu lassen. Dies, so legt es Stefan Schoppengerd dar, trifft auch für die feministische Kritik und die Entwicklung der Frauenbewegung zu, die sich gerade durch die rasche und großflächige Verbreitung des Gender Mainstreaming mit der Gefahr der Vereinnahmung konfrontiert sieht. Denn durch den Verlust der kapitalismuskritischen Komponente vollzog die feministische Kritik eine Wandlung hin zu einem neoliberalen Konzept der Personalführung, das nicht mehr weiter auf die Kritik von Privilegien zielt, sondern unter Beibehaltung von Geschlechterstereotypen eine win-win-orientierte Unternehmenspolitik verfolgt. Dies demonstriert einmal mehr die Fähigkeit des Kapitalismus, seine Gegner/-innen zu absorbieren und sich hierdurch zu erneuern. Hieraus erwächst eine Problematik, die prinzipielle Zweifel an der Sinnhaftigkeit kritischer Positionen aufkommen lässt, was Schoppengerd in folgender Frage zuspitzt: „Wenn kritische Positionen entwendet und missbraucht worden sind, um Ausbeutung zu intensivieren und Herrschaft zu stabilisieren, wäre dann nicht die völlige Kritik-Abstinenz die folgerichtige Position?“ (S. 15)

(Un-)Möglichkeiten der Kritik

Hinsichtlich dieses Szenarios stellt sich Stefan Schoppengerd die Aufgabe, gegen ‚Kritikpessimismus‘ anzuarbeiten und aufzuzeigen, an welchen Stellen sich trotz permanenter Vereinnahmungsversuche kritisches Potential ausbilden kann. Hierzu setzt er sich zunächst näher mit der Vereinnahmungsthese auseinander, wobei sein Blick speziell auf die Vereinnahmung feministischer Kritik gerichtet ist. Nach einer kurzen Rekapitulation der Thesen Max Webers zur protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus folgt eine Auseinandersetzung mit dem auf Luc Boltanski und Ève Chiapello zurückgehenden ‚Neuen Geist des Kapitalismus‘ unter Berücksichtigung der begrifflichen Differenzierung der Kritik in Sozial- und Künstlerkritik. Die Einschätzung Boltanskis und Chiapellos, dass eine grundlegende Kapitalismuskritik am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr möglich sei, teilt Schoppengerd jedoch nicht. Stattdessen kritisiert er den ausgreifend-verallgemeinernden Gestus ihrer Untersuchung und die mangelnde Differenziertheit des hier verwendeten Kritikbegriffs.

Zur Vertiefung dieser Kritik folgt eine Darstellung und Diskussion feministischer Varianten der Vereinnahmungsdiagnose, die sich exemplarisch mit den Positionen von Nancy Fraser, Frigga Haug und Angela McRobbie auseinandersetzt. Diesen Positionen ist gemein, dass hinsichtlich der Möglichkeiten von Kritik zwar auch eher verhalten argumentiert, der allgemeine Pessimismus der Vereinnahmungsdiagnose jedoch nicht geteilt wird, sondern die Ambivalenzen, die Kritik produziert, thematisiert werden. So gelangt Schoppengerd zu der vorläufigen Schlussfolgerung, dass die Vereinnahmungsdiagnose der konkreten Kontextualisierung bedarf, um ihre Gültigkeit hinsichtlich der Vereinnahmung und Desartikulation der Kritik bestimmen zu können. Denn „[t]heoretische Kritik wird erst in der Verbindung mit entsprechender Praxis gesellschaftspolitisch relevant.“ (S. 63)

Daher widmet er sich im Weiteren der ausführlichen Analyse „zweier jüngerer Diskurse, die auf je spezifische Weise an den Schnittstellen ökonomischer, politischer und kultureller Veränderung der Geschlechterverhältnisse zu verorten sind“ (S. 16). Dies sind im Einzelnen das Gender Marketing, ein Marketingkonzept, das den Wandel der Geschlechterverhältnisse als Ressource für erfolgreiche Unternehmensstrategien nutzt, sowie der sogenannte Popfeminismus, den der Autor als weites Feld populärer Kultur versteht, auf dem aktuelle Konflikte um Gerechtigkeit und Freiheit in den Geschlechterverhältnissen ausgetragen werden. Diese Diskurse werden anhand von Unternehmensratgebern und von zwölf Ausgaben des Missy Magazine näher analysiert, womit Schoppengerd der Aufteilung des Feldes der Kritik in Sozial- und Künstlerkritik folgt. Es überrascht nicht, dass er die Gültigkeit der Vereinnahmungsdiagnose mit Blick auf den Diskurs des Gender Marketing bestätigt sieht, werden hier doch geschlechtsspezifische Veränderungen für eine das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigende Ideologie vereinnahmt. Dass von hier aus jedoch nicht auf das Ganze geschlossen werden darf, zeigt die Analyse des Popfeminismus am Beispiel des Missy Magazine, das der Autor für „ein Lehrstück für die Dialektik von Freiheitsgewinnen und Prekarisierung von Hochqualifizierten“ (S. 157) hält, das immer wieder auch Elemente grundsätzlicher Kapitalismuskritik aufgreift.

Schließlich verwendet Schoppengerd das Ergebnis seiner Studie auch zu einer Reflexion der Rolle kritischer Wissenschaft im Prozess der Reartikulation von Kritik. Diesen Prozess sieht er konsequenterweise nicht ausschließlich im Modus der wissenschaftlichen Debatte stattfinden. Manchmal seien „in politischen Bewegungen bessere und überzeugendere Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen […] als in der akademischen Auseinandersetzung“ (S. 163) zu finden.

Hoffnungsvoll gegen Vereinnahmung

Mit Hoffnungslos vereinnahmt? legt Stefan Schoppengerd eine pointierte Studie vor, in der er einen gelungenen Überblick über ausgewählte Positionen feministischer Kapitalismuskritik gibt. Deren oft pessimistische Einschätzungen zum Potential von Kritik unter den Vorzeichen eines global agierenden Neoliberalismus unterzieht er einer empirisch fundierten Überprüfung und teilweisen Revision. So wird überzeugend dargelegt, dass vorschnelle Verallgemeinerungen Gefahr laufen, dem Kapitalismus das Wort zu reden, und stattdessen Kritik als ein kontextualistisches Projekt zu betreiben ist. Indem er die Vereinnahmungsdiagnose in ihren Grundzügen ernst nimmt, geht auch Schoppengerd nicht von einer prinzipiellen Garantie auf wirkungsvolle Kritik aus. Er vermeidet jedoch auch das Kippen in eine pessimistische Position der Kritikabstinenz, indem er diejenigen Räume, in denen sich Kritik erfolgreich artikuliert, genauer untersucht und darlegt, dass sehr wohl Möglichkeiten zur grundlegenden Kapitalismuskritik bestehen. Mit Antonio Gramsci lässt sich hier von einem Pessimismus des Intellekts und einem Optimismus des Willens sprechen.

Während der empirische Teil also wertvolle Hinweise darauf geben kann, an welchen Orten sich Widerstände gegen Vereinnahmung artikulieren, wäre streckenweise eine intensivere Auseinandersetzung mit den theoretischen Positionen wünschenswert. Deren pointierte Darstellung trägt zwar zur Zugänglichkeit und Verständlichkeit der Debatte bei ─ eine Qualität, die nicht in Abrede gestellt werden soll. Doch führt dies auch zu einer ‚Glättung‘ der Argumentationslinie und in der Folge zu einer etwas einseitig-positiven Einschätzung der Möglichkeiten zur ‚grundsätzlichen‘ Kapitalismuskritik, die der Autor im Missy Magazine ausmacht. Denn folgen wir Thomas Hecken, den Schoppengerd zur Definition des Pop-Begriffs heranzieht, weiter, dann ist es mit der linken bzw. radikaldemokratischen Kraft des Pop nicht allzu weit her. Hecken sieht Pop dominiert von einer durch freies und entgrenztes Unternehmertum geprägten liberalen Pop-Affirmation, was die Möglichkeit zur Kapitalismuskritik innerhalb des Popdiskurses sichtlich begrenzt. Auch wird nicht recht klar, warum Schoppengerd in seiner Analyse der Aufteilung der Kritik in Sozial- und Künstlerkritik folgt, in die sich, wie er richtig anmerkt, nicht alle Formen von Kritik fügen müssen. Diese Aufteilung macht das Feld der Kritik zwar übersichtlicher, aber auch weniger differenziert. Vielleicht resultieren diese Tendenzen aus den Kürzungen, die Schoppengerd für den Verlag an seiner Dissertation vorgenommen hat. So bleiben offene Fragen, in denen aber auch Anschlussmöglichkeiten zur Fortführung dieser spannenden Debatte liegen.

Sebastian Rauter-Nestler

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Österreich

Dr. phil., Lektor für Philosophie sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft

Homepage: http://senest.org

E-Mail: sn@senest.org

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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