Herausforderungen intersektionaler Forschung

Rezension von Sahra Dornick

Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.):

Intersektionalität revisited.

Empirische, theoretische und methodische Erkundungen.

Bielefeld: transcript Verlag 2011.

277 Seiten, ISBN 978-3-8376-1437-4, € 29,80

Abstract: Für eine kritische Diskussion der Genealogie und der Weiterentwicklung von Intersektionalität finden sich in diesem Tagungsband neben ethnografischen Studien methodologische und theoretische Reflexionen, in welchen diese sowohl im Hinblick auf ihre analytischen Ermöglichungen und spezifische Leistungsfähigkeit als auch in Bezugnahme auf ihre methodischen Grenzen und kontextuellen Unschärfen erörtert wird. Allerdings gelingt es den Herausgeberinnen über weite Strecken nicht, Orientierung angesichts der komplexen Diversität zu vermitteln, und sie versäumen es so, Intersektionalität im Kontext seiner theoretischen Grenzen fruchtbar zu machen.

Von der Kreuzungsmetapher zum theoretischen Konzept

Der bereits 1989 von der amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägte Begriff der Intersektionalität erfreut sich seit längerem auch im deutschen Diskursraum einer zunehmenden wissenschaftlichen Beliebtheit. Zunächst als ein Gegenkonzept zu additiven Diskriminierungsmodellen zum Einsatz gebracht, hat dieser Begriff im Laufe der letzten 20 Jahre eine eigenständige Diskursmacht als Analyseinstrument der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften entfaltet. Dabei ist die Analyse von Differenzkategorien vor allem für Studien auf Mikroebene interessant, wie beispielsweise im Sammelband Intersektionalität und Kulturindustrie (Katharina Knüttel, Martin Seeliger (Hg.): Intersektionalität und Kulturindustrie. Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen. Bielefeld: transcript 2011) veranschaulicht wird. Gleichzeitig weisen die kritischen Einsätze der Queer Studies, Disability Studies, Blackness/Whiteness Studies und der Alters- und Alternswissenschaften auf die Befürchtung konzeptioneller Ausschließungen und de-realisierender Effekte hin, welche mit der Schwierigkeit der Bestimmung der Relationen zwischen den einzelnen zu berücksichtigenden Kategorien korrespondiert.

Grenzen und Herausforderungen der Intersektionalität

Der Band Intersektionalität revisited geht auf die Wiener Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde aus dem Jahr 2009 zurück, die eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen wissenschaftlicher Aneignungen von Intersektionalität zum Ziel hatte. In einem einführenden Text werfen Beate Binder und Sabine Hess Schlaglichter auf die „Intersektionalität aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie“ und diskutieren ausführlich diverse Problemlagen des Intersektionalitätskonzepts. Dabei werden zwar grundlegende Schwierigkeiten deutlich, wie etwa das Problem, dass politische Kämpfe von geschlechtlichen Positionen aus erheblich an Wirkmächtigkeit verlieren, wenn ‚Geschlecht‘ als eine Kategorie unter anderen wieder eingeführt wird, oder wie die Vernachlässigung von Herrschaftsverhältnissen, welche mit der Engführung der Forschungsperspektive auf Identitätskonstruktionen einhergeht. Dennoch hätte eine abstraktere systematisierende Darstellung, wie sie etwa McCall (Leslie McCall: The Complexity of Intersectionality. In: Signs. Journal of Women in Culture and Society Vol. 30, 3 (2005), S. 1771–1800) vornimmt, einen grundlegenderen Einblick in die diversen Friktionen des Konzepts ermöglicht und noch dazu umfassender die Vielfältigkeit der Bezüge, welche im Sammelband vorgenommen werden, erklärt. So jedoch gelingt es Binder und Hess nicht, der von ihnen beklagten unübersichtlichen Debattenlage wirkungsvoll entgegenzuarbeiten.

Ebenso wird das Problem empirisch-methodologischer Unbestimmtheiten der intersektionalen Forschung von ihnen nicht zufriedenstellend angegangen. Ihr Vorschlag, die „Relationalität der Differenzkategorien“ (S. 48) selbst als forschungsanleitende Frage zu setzen, wirft aufs Neue – vor allem im Kontext der ohnehin bereits diffizilen Problemlagen des Konzepts – eine Reihe von Fragen auf: Zwar stellt die Ausrichtung der intersektionalen Perspektive auf „Akteure“ statt auf „Opfer“ oder auf „Schnittpunkt[e] unterschiedlicher Achsen der Unterdrückung“ (S. 38) theoretisch einen Ausweg aus dem von den Autorinnen selbst referierten Dilemma dar. Dennoch bleibt letztlich leider unklar, in welchem Verhältnis die Forschungsmethode der multi-sited ethnography von Georg Marcus zu der Forschungsperspektive steht, die sich auf ‚Relationen‘ richtet, und inwiefern durch dieses methodologische Setting der Vorwurf der Demarkierung politischer Prozesse aufgehoben wird.

Auch in dem Kapitel „Intersektionalität als kritisches Werkzeug der Gesellschaftsanalyse“, in welchem Nikola Langreiter und Elisabeth Timm die Soziologinnen Nina Degele und Gabriele Winker in einem E-Mail Interview zu theoretischen Voraussetzungen, Anwendungshorizonten und empirischen Forschungsergebnissen der von ihnen implementierten intersektionalen Mehrebenenanalyse befragen, wird die Machtblindheit des Konzepts wieder aufgegriffen. So geben Degele und Winker an, mit ihrem Forschungsdesign „ausgehend von sozialen Praxen die Bedeutung von Differenzkategorien auf drei Ebenen – mit Blick auf Gesellschaftsstrukturen, Identitätskonstruktionen und symbolische Repräsentationen – in ihren Wechselwirkungen“ (S. 60) berücksichtigen zu können. Gleichzeitig distanzieren sie sich von dem Anspruch, mit der Intersektionalitätsperspektive eine „soziale Bewegung“ (S. 75) voranzutreiben, indem sie sich auf den wissenschaftlichen Charakter ihres Projekts zurückziehen. In Anschluss daran heben die Autorinnen jedoch gerade auf die politische Dimension der wissenschaftlichen Forschung ab, wenn sie anführen, dass Schwerpunkte bezüglich Kategorien und Ebenen“ gesetzt und „inhaltlich begründete Allianzen“ geschlossen werden müssen, „um erfolgreich politisch agieren zu können“ (ebd.). Die allgemeine Formulierungsweise verdeckt hier nur unzureichend das Problem, dass wissenschaftliche Forschung mithin immer bereits politisch situiert ist. Darüber hinaus ruft die Verweigerung der Reflektion auf die politische Positionierung der Mehrebenenanalyse ein gewisses Unbehagen hervor, das durch das Abstellen auf die „Solidarität zwischen sehr unterschiedlichen Menschen“ (ebd.) eher verstärkt statt aufgehoben wird.

Dagegen ist es wohltuend, dass Encarnación Gutiérrez Rodríguez in ihrem kritischen Beitrag „Intersektionalität oder: Wie nicht über Rassismus sprechen?“ das Intersektionalitätskonzept sozusagen vom akademischen Kopf auf seine gesellschaftlichen Füße stellt. So arbeitet sie den wichtigen Punkt heraus, dass es den „Schwarzen deutschen und diasporischen Feministinnen“ (S. 77), von denen das Intersektionalitätskonzept bereits seit den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland vorangetrieben wurde, nicht darum ging, „Differenz durchzudeklinieren, sondern eher die Wechselwirkungen und Interdependenzen in heterogenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu verstehen“ (ebd.). Rodríguez gibt in ihrer Nachzeichnung der gesellschaftlich-historischen Entstehungsbedingungen des Intersektionalitätskonzepts zu bedenken, dass viele Wissenschaftler/-innen, die mit ihrer politischen Arbeit eine intersektionale Perspektive hervorbrachten, nun am akademischen Erfolg des Konzepts selbst kaum teilhaben. Pointiert macht sie auf die Gesellschaftsferne dieses Ansatzes aufmerksam, dessen Wirkungsbereich sich ihrer Meinung nach zu sehr auf die Ebene von Publikationen und Veranstaltungen konzentriert. Sie kritisiert darüber hinaus, dass der deutschsprachige Diskurs der Intersektionalität kaum noch erkennen lässt, dass Crenshaws Einsatz vor allem anderen der Analyse von Ungleichheitsbeziehungen gilt und sie „Theorieproduktion in Zusammenhang mit Widerstandspraktiken stellt“ (S. 85). Zweifellos ist Rodríguez’ Beitrag hinsichtlich seines Plädoyers für die Rückbindung der Wissensproduktion an ihre (politischen) Produktionsbedingungen wichtig und aufschlussreich. Dennoch bleibt unklar, inwiefern der nachdrückliche Verweis auf den „radikaldemokratischen transgressiven Anspruch“ (S. 98) von Debatten, der nicht zugunsten ihrer wissenschaftlichen Kanonisierung und Institutionalisierung aufzugeben sei, ausreicht, um die theoretischen Schieflagen des Konzepts substantiell anzugehen.

Auch wenn sich Isabell Lorey in ihrem Text „Von den Kämpfen aus. Eine Problematisierung grundlegender Kategorien“ gleichfalls für ein Festhalten am kritischen (und politischen) Einsatz der Gender- und Queer-Studies ausspricht, so widmet sie sich weniger der Rekonstruktion einer politischen Verlustspur als der Konstruktion einer Perspektive, welche das politische Potential der „Bewegungen des Entgehens und Sich-Entziehens“ (S. 112) in den Fokus nimmt, damit ontologische Festschreibungen und deren Wieder-Einsetzen vermieden werden können. Lorey rückt mit dieser gouvernementalen Perspektivierung der Intersektionalitätsforschung deren unmarkierte Integrationsbestrebungen und implizite normative Setzungen in den Blick. Wichtig ist deshalb auch ihre Kritik am „Festhalten an großen, grundlegenden Kategorien […] in weiten Teilen der Geschlechterforschung“ (S. 103), welche sie überzeugend mit Judith Butlers Figur des konstitutiven Ausschlusses unterlegt. Es wird auf diese Weise deutlich, dass es nötig ist, sich in der intersektionalen Analyse stärker theoretisch auf die Erfassung der exkludierten heterogenen Aspekte auszurichten und weniger die Inklusion homogener Bezüge in den Mittelpunkt ihres Identitätskonzepts zu stellen, um hegemonialen Vereinnahmungsprozessen nicht machtlos gegenüber zu stehen.

Empirische Befunde – Intersektionalität als interdisziplinärer Forschungsansatz?

Im dritten Abschnitt „Empirische Herausforderungen“ sind insgesamt fünf Beiträge aus der Forschungspraxis versammelt, in welchen sowohl die Potentiale als auch die bereits angesprochenen Problemlagen der intersektionalen Perspektive deutlich werden. So zeigt Stefan Wallgraf in seinem Beitrag „Hauptschule: Formationen von Klasse, Ethnizität und Geschlecht“, dass die verschiedene Formen von Ungleichheit nicht nur reflexiv wahrgenommen, sondern von den Schüler/-innen selbst in intersektionalen Verknüpfungen performativ hergestellt werden. Er kann mit seiner Studie demonstrieren, dass die von ihm als „schematisch“ (S. 146) kritisierte Trennung von Strukturen, Repräsentationen und Identitäten in Degeles und Winkers Mehrebenenmodell nur bedingt der komplexen Gemengelage der Empirie gerecht wird.

Auch Paul Scheibelhofer setzt in seinem Beitrag „Intersektionalität, Männlichkeit und Migration – Wege zur Analyse eines komplizierten Verhältnisses“ an diesem Punkt ein, wenn er vor Augen führt, in welchen Weisen Strukturen, Repräsentationen und Identitäten ständigen Aushandlungen unterworfen sind und sich gleichzeitig verschieben, einander durchkreuzen und re-/produzieren. An dem Forschungsgegenstand dominanter Konstruktionen ‚türkisch-muslimischer‘ Männlichkeit gelingt es ihm zu zeigen, dass die rassistischen Konstruktionen ‚fremder‘ Männlichkeit, die in den Medien kursieren, ihren Niederschlag in staatlichen Maßnahmen und Gesetzgebungen finden. In seinem Schluss, dass „[v]or dem Hintergrund eines allgemeinen Gefahrendiskurses […] disziplinierende und pädagogisierende Integrationsprogramme entwickelt [werden], die nicht zuletzt auf männliche Migranten abzielen und dabei auf (vermeintlich) feministische Diktionen zurückgreifen“ (S. 167 f.), nimmt Scheibelhofer die metonymischen Verschiebungen diskursiver Rhetorik in den Blick und verweist sowohl auf das komplexe Zusammenspiel staatlicher Politiken, politisch-aktivistischer Einsätze und performativer Identitäten als auch auf die Konsequenzen staatlicher Vereinnahmungsprogramme für widerständige Bewegungen wie den Feminismus. Eine „Politik der Anerkennung von kulturellen oder religiösen Communities“, welche „auf der Annahme gleichsam ‚natürlicher‘ sozialer Gruppen [basiert], die ihrerseits nicht von Differenz oder Ambiguität geprägt sind“ (S. 169), deckt der Autor umstandslos als Schimäre auf und führt damit implizit vor, dass die intersektionale Perspektive durchaus mit herrschaftskritischer Forschung zusammengeführt werden kann.

Ebenso legt Christian Koller in seiner historischen Fallstudie „Weiblich, proletarisch, tschechisch. Perspektiven und Probleme intersektionaler Analyse in der Geschichtswissenschaft am Beispiel des Wiener Textilarbeiterinnenstreiks von 1893“ in beeindruckender Weise die Relevanz der Intersektionalität in der quellennah arbeitenden Historiographie dar. Koller kann punktgenau die methodischen Versäumnisse der Geschichtswissenschaft im Hinblick auf ihre Berücksichtigung der Kategorien ‚class‘, ‚race‘ und ‚gender‘ benennen und legt darüber hinaus neue Zugänge zum historischen Material frei. Er vermag durch Zeitungsanalysen aufzudecken, dass die spontanen Arbeitskämpfe der meistenteils migrantischen Frauen einerseits durch die sozialdemokratischen (hauptsächlich männlichen und deutschsprachigen) Gewerkschaftseliten und andererseits durch die Medien der k. u. k. Monarchie massiven kolonialisierenden Zugriffen ausgesetzt waren. Er setzt die Textilarbeiterinnen damit wieder als handlungsmächtige Subjekte ein, deren politisches Potential aufgrund der Demarkierung der Kategorien ‚Geschlecht‘ und ‚Ethnizität‘ bisher unerkannt geblieben ist. Sein Fazit, „dass sich der heuristische Mehrwert des Intersektionalitätskonzepts für die Geschichtswissenschaft dadurch ergibt, dass es ein analytisches Instrumentarium bereitstellt, das zur Zusammenführung und Integration von sozial- und kulturhistorischen Perspektiven beiträgt“ (S. 194), verdeutlicht insofern einmal mehr, dass es gerade die spezifisch herrschaftskritischen Fragen nach der Verteilung von sozialen Ressourcen und gesellschaftlichen Positionen sind, welche langfristig die Leistungsfähigkeit des Intersektionalitätskonzepts ausmachen und seine Anschlussfähigkeit interdisziplinär sichern.

In den Beiträgen von Stefanie Kron („Intersektionalität oder borderland als Methode? Zur Analyse politischer Subjektivitäten in Grenzräumen“) und Elisabeth Tuider („‘Sitting at a Crossroad’ methodisch einholen. Intersektionalität in der Perspektive der Biografieforschung“) werden die Weisen erforscht, in welchen Subjekte durch Machtverhältnisse konstituiert werden. Während Kron in ihrer Untersuchung der Rückkehrbewegung guatemaltekischer Kriegsflüchtlinge unter dem Fokus der Erschließung transmigrantischer Räume und Identitäten untersucht und dabei Überschneidungen zwischen Intersektionalitätskonzept und ‚border‘ oder ‚mestiza feminism‘ auslotet, veranschaulichen die Analysen des Interviews mit Alexa Ruíz Gonzále, der/die die Identitätsposition eines ‚muxés‘ ‚bewohnt‘, die komplexe Gemengelage, in der Identitäten verhandelt und Subjektivitäten zum Einsatz gebracht werden. Auch Kron und Tuider unterlegen also ihre intersektionalen Analysen mit der Frage nach den konstituierenden Effekten von Macht. Während Kron ihre Untersuchung auf mikrostruktureller Ebene ansiedelt, knüpft Tuider an das Gouvernementalitätskonzept an und besteht auf einer Forschungsmethodologie, welche die produktive Verwobenheit von Subjekten, Diskursen und Differenzen in den Blick zu nehmen vermag. Sie arbeitet explizit heraus, inwiefern Begrifflichkeiten wie Repression, Marginalisierung, Dethematisierung oder ‚hegemoniale Männlichkeit‘ nicht ausreichend erklären, „welche Differenzen eine Rolle spielen, wie verschiedene Differenzen ganz konkret miteinander verknüpft sind“ (S. 244). Durch die empirischen Studien wird insofern nicht allein die Relevanz der Macht für intersektionale Analysen verdeutlicht, sondern darüber hinaus, dass die methodologische Erfassung der ‚Macht‘ als analytische Kategorie innerhalb des Intersektionalitätskonzepts unerlässlich ist.

In ihrem Abschlusskommentar „Von Herkünften, Suchbewegungen und Sackgassen“ resümiert Gudrun-Axeli Knapp noch einmal alle Beiträge des Bandes und steht damit in der machtvollen Position, die einzelnen Forschungsansätze abschließend zu evaluieren. Trotz ihrer teils harschen Kritik lässt die Autorin Raum für abweichende Positionen und fordert jenseits von strukturalen Überarbeitungen des Intersektionalitätskonzepts dessen situativen und gründlich abgewogenen Einsatz im je spezifischen Forschungsfeld unter differenzierten Fragestellungen ein. Daneben macht sie deutlich, dass die Intersektionalitätsanalyse nicht umhin kann, auf „umfassendere Vergesellschaftungszusammenhänge als Aussagebedingungen zu reflektieren“ (S. 271), auch und gerade aufgrund der Schwierigkeiten, die sich hier auftun.

Fazit

Auch wenn der Sammelband in die komplexen Problemlagen des Intersektionalitätskonzept einzuführen und dessen Potentiale vor allem im Bereich der empirischen Forschung vor Augen zu führen vermag, verbleiben die Beiträge bis auf einige Ausnahmen (Lorey, Rodríguez, Knapp) auf einer affirmativen Ebene. Zwar werden die Grenzen des Konzepts häufig herausgearbeitet – zu selten gelingt es jedoch den Autor/-innen diese für die Methodologie der intersektionalen Analyse fruchtbar zu machen. So entsteht der Eindruck, dass Intersektionalität gravierende theoretische Mängel aufweist; diese zu beheben wird in den empirischen Arbeiten mit Konzepten aus den umliegenden Disziplinen versucht. Dies wirkt auf der einen Seite höchst innovativ, trägt jedoch andererseits wenig dazu bei, der Unübersichtlichkeit der Debattenlage entgegenzuwirken. Nebulös bleibt auch, auf welcher analytischen Ebene (bspw. Mikro-/Meso-/Makroebene) Intersektionalität nun eigentlich angesiedelt werden soll (oder könnte). Diese Frage wird jedoch so gar nicht gestellt. Die Leserin bleibt mit dem vagen Gefühl zurück, dass intersektionales Denken relevant und produktiv ist, gleichzeitig jedoch in höchstem Maße zerklüftet. Dazu kommt, dass es unklar bleibt, ob Kategorien als ontologische, inter-/intradependente oder performativ hervorgebrachte verhandelt werden oder wie Macht, Herrschaft oder Dominanzverhältnisse (vgl. hierzu Katharina Walgenbach: Gender als interdependente Kategorie. In: K. Walgenbach et al. (Hg.): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen: Budrich 2007, S. 23–64) in den Blick genommen werden sollen. Die Autor/-innen messen diesen Schwierigkeiten hingegen faktisch kaum Dringlichkeit zu, sie finden nur punktuell zu Lösungsansätzen und verlieren häufig den Überblick über den zugegebenermaßen komplexen Gegenstand. Diesem hingegen würde eine souveräne, pragmatischere Auswahl der Beiträge hinsichtlich der Relevanz der Intersektionalität im Kontext der Europäischen Ethnologie oder der Volkskunde sicher gut getan haben. Aber auch die von Lorey aufgeworfene Frage nach dem Stellenwert der Analyse verborgener normativer Implikationen und der Demarkierung heterogener Effekte hätte die Untersuchung zum Einen auf ein theoretisches Feld wirkungsvoll verengen können und den empirischen Arbeiten zum Anderen einen weniger illustrierenden, sondern vielmehr problematisierenden Einsatz zugestanden – bergen gerade diese doch im Hinblick auf das herrschaftskritische Unternehmen der Gender Studies vielfältige Ansatzpunkte. Leider fehlt es dem Tagungsband jedoch sowohl an einer forschungsleitenden Perspektive als auch an einer klaren Rahmung, die das politische Feld sichtbar macht, in welchem seine Beiträge als Einsätze dienen.

URN urn:nbn:de:0114-qn:1022:4

Sahra Dornick

Universität Potsdam

Doktorandin und Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik, Neuere deutsche Literatur/19. und 20. Jahrhundert; Graduiertencolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG), TU Berlin

E-Mail: sahra.dornick@googlemail.com

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