Die Geschichte der ersten Juristinnen

Rezension von Bettina Graue

Marion Röwekamp:

Die ersten deutschen Juristinnen.

Eine Geschichte ihrer Professionalisierung und Emanzipation (1900–1945).

Köln u.a.: Böhlau Verlag 2011.

880 Seiten, ISBN 978-3-412-20532-4, € 115,00

Abstract: In der Geschichte der Juristinnen im Zeitraum von 1900 bis 1945 werden in fünf Kapiteln sowohl die Zulassung von Frauen zum juristischen Studium sowie zur Berufsausübung als auch ihre Berufstätigkeit in den klassischen juristischen Berufen als Rechtsanwältin, Richterin, im höheren Verwaltungsdienst etc. behandelt. Auch ihr Engagement in verschiedenen Vereinigungen der Frauenbewegung wird aufgegriffen und die Abhandlung schließlich durch die Darstellung der Situation von Juristinnen in der Zeit des Nationalsozialismus vervollständigt. Marion Röwekamp gelingt es mit ihrer Arbeit, die durch umfangreich verarbeitetes statistisches und biographisches Material abgerundet wird, einen tiefen Einblick in die durch erhebliche Widerstände geprägte Professionalisierungsgeschichte der Juristinnen zu vermitteln.

Marion Röwekamp hat mit der vorliegenden Dissertation erstmals ein umfassendes Werk der Geschichte der Juristinnen im Zeitraum von 1900 bis 1945 vorgelegt. Vom Deutschen Juristinnenbund hat sie dafür im Jahr 2009 den Marie-Elisabeth Lüders-Wissenschaftspreis verliehen bekommen.

In fünf Kapiteln zeichnet die Autorin den steinigen Weg der ersten deutschen Juristinnen über das rechtswissenschaftliche Studium und den Kampf um die Zulassung zu den juristischen Fakultäten sowie den verschiedenen Berufen der Rechtspflege nach. Insbesondere geht sie dabei auf die Kontroverse über die Eignung von Frauen zum Richteramt ein. Ihr Augenmerk richtet sie auch auf die Juristinnen im Beruf, wobei das Spektrum von der Jugendfürsorge über die Tätigkeit in den Rechtsberatungsstellen, im höheren Justizdienst, als Rechtsanwältinnen, Notarinnen bis hin zur Wissenschaft reichte. Sie geht weiter auf das Nebenengagement von Juristinnen, so u. a. im Bund deutscher Frauenvereine (BdF) und im deutschen Juristinnen-Verein e.V., ein. Das letzte Kapitel hat sie schließlich speziell den Juristinnen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gewidmet.

Ihrer Untersuchung legt Marion Röwekamp nicht nur statistisches Material über die an verschiedenen Universitäten in Deutschland eingeschriebenen Studentinnen, den familiären Hintergrund, das Bildungsverhalten und die Berufe der Väter sowie das Verhältnis zu den Eltern zugrunde, sondern sie beschäftigt sich auch mit einzelnen Lebensbiographien. Die insgesamt 2224 ausgewerteten Datensätze von Hörerinnen, Studentinnen und Juristinnen an deutschen Universitäten verknüpft sie mit solchen aus den Personalakten der Staatsarchive und der Rechtsanwaltskammern, um die Karrieren im einzelnen nachzuzeichnen. Neben dem statistischen Material stellt sie auf das in der Biographieforschung übliche Arbeitsmittel der Oral History ab. Auch wenn in Rechnung zu stellen ist, dass autobiographischen Erzählungen das subjektive Element immanent ist und die Selbstinszenierung oder die Präsentation einer homogenen Identität dadurch im Vordergrund stehen, so schmälert dies nicht den Wert der Arbeit. Marion Röwekamp sieht diese Problematik (vgl. S. 19 f.), klärt für sich aber, dass bei vorsichtiger Interpretation die soziale Bedeutung subjektiver Wahrheit im Hinblick auf die Gestaltung der Wirklichkeit die Defizite abzumildern vermag, da sie Korrektiv und Ergänzung zugleich für die historische Forschung sind.

Vom Studium über den Referendardienst zum Berufseinstieg

Wurden die ersten Jurastudentinnen ab 1900 in Baden zum Studium zugelassen, gefolgt 1903 von Bayern, 1904 von Württemberg und 1905 von Sachsen sowie im Wintersemester 1908/1909 von Preußen, so war dies nicht gleichbedeutend mit dem Zugang zur Berufsausübung, denn zum Referendardienst wurden Frauen erstmals zwischen 1919 und 1922 zugelassen. Einen entscheidenden Wendepunkt bildete dabei die Weimarer Reichsverfassung, die für Frauen in Deutschland neben dem Wahlrecht auch die gleichen staatsbürgerlichen Rechte sowie die Zulassung aller Staatsbürger ohne Unterschied zu den öffentlichen Ämtern vorsah. In der Folge wurden Frauen ab 1922 von den Rechtsanwaltskammern zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. 1925 gab es deutschlandweit bereits 54 Rechtsanwältinnen. Es dauerte jedoch bis Ende der zwanziger Jahre, bis die Juristinnen auch in den Staatsdienst berufen wurden. Marion Röwekamp zitiert dazu die Nationalökonomin Käthe Gaebel, die 1927 feststellen musste, dass Frauen sich zwar zunehmend in einigen akademischen Berufen wie z. B. als Ärztin durchsetzen konnten, allerdings in anderen Bereichen nach wie vor Pionierarbeit leisteten und hier auch nach dem Berufseinstieg mit erheblichen Einschränkungen bei der Eingruppierung bzw. Gehaltshöhe zu rechnen hatten, obwohl sie den männlichen Kollegen an Arbeitsmaß, Verantwortung und persönlicher Wertschätzung in nichts nachstanden (vgl. S. 367).

Die Berufsfelder der Juristinnen

Während es im Jahr 1925 nach den Feststellungen der Autorin noch keine deutsche Richterin gab, wies bereits fünf Jahre später der Bericht des Reichsjustizministers Dr. Bredt an den Reichstag insgesamt 74 Frauen in richterlichen Diensten aus. Es handelte sich jedoch zumeist um Gerichtsassessorinnen mit der Befähigung zum Richteramt, die noch nicht auf Lebenszeit als Richterin berufen worden waren. 1933 lag der Anteil von Frauen an der Richterschaft mit 36 Richterinnen bei 0,3 %. Die Autorin beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit den Erfahrungen der ersten Richterinnen bei der Berufsausübung, die sie vor allen Dingen aus biographischen Angaben herausfiltert. Das Geschlecht spielte insbesondere im Hinblick auf die richterliche Autorität eine Rolle, allerdings gelang es den Richterinnen in der Regel durch Souveränität und Kompetenz, Vorurteile der Kollegen, Anwälte, Kläger und Beklagten aufzubrechen. So wird der Präsident eines Oberlandesgerichts aus dem Jahr 1928 zitiert, der die Richterin Hedwig Brann-Frank trotz ihrer Jugend als eine der besten Richterinnen des Amtsgerichts bezeichnete, die vorzugsweise Berücksichtigung bei der planmäßigen Anstellung als Richterin verdiene (vgl. S. 459 f.).

Im höheren Verwaltungsdienst befanden sich nur wenige Frauen; auf der Basis biographischen Materials kann Marion Röwekamp hier u. a. Dorothea Nolte, die 1926 ins Polizeipräsidium Berlins berufen wurde, und Gerda Pfeiffer, die in der Jugendfürsorge tätig wurde, vorstellen. Gleiches gilt für die Juristin Klara Daus, die seit 1926 in Hamburg zunächst im Wohlfahrtsamt und später bei der Jugendbehörde arbeitete, sowie Käthe Petersen, die sowohl im Nationalsozialismus als auch nach dem 2. Weltkrieg im hanseatischen Verwaltungsdienst Karriere machen konnte.

Die Autorin geht auch auf die Berufsbilder der Notarin und Syndika sowie auf den diplomatischen Dienst ein, bevor sie sich schließlich mit den Juristinnen in der Wissenschaft (vgl. S. 507 ff.) beschäftigt: Bis 1933 gab es nur eine einzige Juristin – Magdalene Schoch –, die als erste Privatdozentin an der Universität Hamburg lehrte. Gleichwohl zeigt die Verfasserin auf, dass es durchaus einige Frauen in der Wissenschaft gegeben hat, so z. B. die erste Assistentin von Gustav Radbruch in Heidelberg – Susanne Schwarzenberger – oder Margot Bunge, die ab 1930 als Assistentin von Professor Giesecke an der Handelshochschule Berlin arbeitete.

Eine Zäsur stellte für viele Juristinnen die Eheschließung dar, denn nach den damaligen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs bedurften sie der ausdrücklichen Genehmigung ihres Mannes, um ihren Beruf weiter ausüben zu können. Deshalb entschieden sich viele Juristinnen gegen eine Ehe, allerdings auch vor dem Hintergrund, dass sie Beruf und Familie als unvereinbar miteinander ansahen.

Die Juristinnen im Nationalsozialismus

Das fünfte und letzte Kapitel ist den Juristinnen im Nationalsozialismus gewidmet. Auch wenn es sich um eine kleine Gruppe Frauen handelte, so waren sie doch in wichtigen und nach außen sichtbaren Funktionen tätig. Marion Röwekamp macht sehr deutlich, dass Anfang der 1930er Jahre alte Vorurteile gegenüber einer Frau als Juristin wieder aufbrachen – das sei die extremste Form weiblicher Berufstätigkeit (vgl. S. 637). Die hohe Arbeitslosigkeit tat ihr übriges, denn damit wurden Frauen zur harten Konkurrenz für männliche Juristen. Die nationalsozialistischen Vorstellungen von der Rolle der Frau als Mutter und der traditionellen Rollenverteilung und die Kampagne gegen das sogenannte ‚Doppelverdienertum‘ führten dazu, dass ab 1933 keine Juristinnen mehr im Staatsdienst eingestellt wurden. Frauen jüdischer Herkunft waren überdurchschnittlich unter den Juristinnen vertreten – sie wurden mit Beginn des Nationalsozialismus systematisch aus den juristischen Professionen entlassen.

Mit Beginn des zweiten Weltkriegs nahm die Tätigkeit von (nichtjüdischen) Juristinnen jedoch wieder kontinuierlich zu. Sie übernahmen entweder die Vertretung ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner in deren Rechtsanwaltskanzleien oder konnten auch als unverheiratete Frau die Vertretung eines Rechtsanwalts mit Genehmigung der zuständigen Rechtsanwaltskammer übernehmen. Von den Nationalsozialisten wurde dies angesichts des Mangels an Männern, die kriegsbedingt abwesend waren, geduldet.

In ihrem Schluss wirft die Autorin einen Blick auf die Nachkriegszeit und kommt zu dem Ergebnis, dass sich auch nach 1945 die bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik verankerten Traditionen fortsetzten. Allerdings stellt sie auch fest, dass im geteilten Deutschland erhebliche Unterschiede zwischen Juristinnen in der DDR und in der BRD bestanden. Während die Anzahl der Juristinnen in der DDR von Anfang an bis zur Wiedervereinigung sehr hoch war, mussten sich Juristinnen in der BRD erst wieder ihre Positionen als Rechtsanwältin, Richterin, Verwaltungsjuristin etc. erkämpfen. Gleichwohl bleibt die Erkenntnis, dass in beiden deutschen Staaten der Frauenanteil insbesondere in den Führungspositionen der Verwaltung, Richterschaft u. a. verhältnismäßig gering blieb.

Fazit

Die von der Verfasserin vorgelegte Arbeit ist ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Aufarbeitung der Professionalisierungsgeschichte von Frauen, weil es sich um die erste umfangreiche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Beruf der Juristinnen handelt. Die Geschichte der Juristinnen fand anders als die der Medizinerinnen und Lehrerinnen lediglich in einigen wenigen Aufsätzen, insbesondere in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, Aufmerksamkeit. Der Verdienst der nunmehr vorliegenden Untersuchung liegt nicht nur in der Fülle des ausgewerteten Materials, sondern auch in der Verknüpfung von Statistik und Biographie. Die biographischen Daten verwendet die Autorin dabei, um die statistischen Ergebnisse exemplarisch zu untermauern, immer wieder sind einzelne der interessantesten Frauenbiographien eingestreut. Am Ende der Arbeit finden sich Fotos vieler der im Werk erwähnten Juristinnen wieder, so dass Leser/-innen auch ein Bild zu der jeweiligen Biographie vor Augen haben. Gerade die Leser/-innen, die sich nicht gerne mit Zahlenmaterial beschäftigen, finden in diesem Bogen von Statistik zu Biographie einen interessanten und spannenden Lesestoff. So überzeugt das Werk nicht nur durch die Dichte der Argumentation, sondern auch durch die gute Lesbarkeit.

Der Umfang der Arbeit von 880 Seiten mag zwar auf den ersten Blick abschreckend wirken, allerdings finden sich auch diejenigen Leser/-innen gut im Werk zurecht, die sich nur über einen Ausschnitt juristischer Tätigkeitsfelder von Frauen informieren wollen. Die Professionalisierungsgeschichte der ersten deutschen Juristinnen ist auch den Leser/-innen zu empfehlen, die keinem juristischen Beruf angehören. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Autorin weniger juristisch denn historisch und biographisch arbeitet. Eine klassische juristische Dissertation ist dieses Werk tatsächlich nicht. Es bewegt sich im Grenzbereich der Disziplinen, und das ist für das nur interdisziplinär zu erforschende Thema auch gut so.

URN urn:nbn:de:0114-qn:1018:1

Dr. Bettina Graue

Arbeitnehmerkammer Bremen

Juristin

E-Mail: bettina.graue@uni-oldenburg.de

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