Schriftstellerinnen der DDR und feministisches Bewußtsein im Staatssozialismus

Rezension von Eva Kaufmann

Lorna Martens:

The promised land?

Feminist Writing in the German Democratic Republik.

New York: State University of New York Press 2001.

256 Seiten, ISBN 0791448606, $ 13,96

Abstract: Seit den 1960er Jahren produzierten Schriftstellerinnen in der DDR wie Christa Wolf, Irmtraud Morgner, Sarah Kirsch, Brigitte Reimann, Charlotte Worgitzky, Lia Pirskawetz, und Maya Wiens eine vielfältige Literatur zu frauenrelevanten Themen. Den Obertitel „The Promised Land“ (das gelobte Land) hat Lorna Martens Irmtraud Morgner entlehnt, der Autorin, die sie neben Christa Wolf als wichtigste Zeugin für „feminist writing“ in der DDR betrachtet. In Morgners Roman Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz steht der Begriff „gelobtes Land“ bezogen auf die DDR in einem ironischen Zusammenhang. Mit simplem Jaja oder Neinnein ist diesem „Ort des Wunderbaren“ (Morgner) nicht beizukommen. Vergleichbares signalisiert auch das Fragezeichen, das Martens hinter den Begriff „Promised Land“ setzt. Der anspielungsreiche Verweis auf das Land erscheint auch insofern nützlich, als die Eigenart feministischen Schreibens genauer zu fassen ist, wenn über das Land selbst, namentlich seine Frauenpolitik, Auskünfte gegeben werden. Lorna Martens möchte herausfinden, wie Schriftstellerinnen in der DDR feministisches Bewusstsein artikuliert haben, d.h. feministisches Bewusstsein unter den vom Staatssozialismus geschaffenen Bedingungen.

Anfangs werden die sozialen Grundlagen erörtert, die das Leben der Frauen in der DDR bestimmten (gesetzliche Gleichstellung, Arbeit und Bildung, Familienpolitik usw.). Fakten und Zahlen werden angeführt, die belegen, wie radikal sich das Leben von Frauen verändert hatte und welche neuartigen Widersprüche sich neben den weiterwirkenden alten Konfliktfeldern dabei ergaben. Martens geht davon aus, dass sich im Zusammenhang mit der staatlichen Emanzipationspolitik ein „grass-rooots feminism“ (S. 3) herausgebildet habe, dessen Hauptort die Literatur war – eine Literatur, die in großen Teilen feministisch genannt werden könne. Diese Literatur sei aufschlussreich, weil sie vielfältige Aussagen darüber enthalte, was Frauen wünschen und wollen, wenn sie, was selten vorkomme, als soziale Gruppe ökonomisch unabhängig seien. Sie zeigt anhand vieler Textbeispiele, wie verschiedenartig sich das Begehren (desire) ausbildet, wenn in einem Gemeinwesen die Mehrheit der Frauen praktisch erprobt, was eine vom Mann unabhängige ökonomische Existenz im Alltag, vor allem mit Kindern bedeutet.

Lorna Martens, Professorin an der Universität von Virginia, behandelt das feministische Schreiben in der DDR als ein originäres, aus den besonderen geschichtlichen Bedingungen zu erklärendes Phänomen. Sie verfährt historisch differenziert; das mag nicht zuletzt aus einem Kurs über osteuropäischen Feminismus herrühren, in dem das Buch seinen Anfang genommen hatte. Mit diesem weiten Horizont mag auch zusammenhängen, dass Martens nicht eine allgemeine Feminismus-Norm unterstellt, sondern von Feminismen ausgeht. Die konkrete Ausprägung feministischen Denkens hinge in hohem Maße von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Es mache einen Unterschied, ob sich Feminismus auf der Grundlage des marktwirtschaftlichen Systems und seinen Konkurrenzverhältnissen oder unter staatssozialistischen Bedingungen mit ihren emanzipatorischen Maßnahmen und Reglementierungen entwickle. In den Abschnitten „GDR Women versus American Women“ und „GDR Feminism versus Western Feminism“ werden knapp und sachlich Vergleichsmomente skizziert, die – nicht nur LeserInnen in den USA, – die Eigenart feministischen Schreibens in der DDR plausibel machen können.

Das Buch basiert auf einer imponierenden Materialfülle; sein Problem- und Aspektreichtum kann hier nur angedeutet werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen, vor allem im 3. Kapitel, die fiktionalen und z.T. auch publizistischen Texte von Irmtraud Morgner und Christa Wolf. Martens verfolgt, wie sich wesentliche Momente des Denkens von Morgner und Wolf von den 60ern bis in die 80er Jahre verändern und erläutert, inwiefern die Unterschiede ihrer Positionen als verschiedene Formen des Feminismus zu verstehen seien. Wie in diesem Fall wird auch im Hinblick auf die große Zahl der besprochenen Texte der feministische Charakter nicht mit der Elle gemessen. Unabhängig davon, wie sich die Autorinnen explizit zum Feminismus äußern und ob ihre Texte ausdrückliche feministische Botschaften enthalten, interessiert die Verfasserin, was aus den fiktionalen Texten über das praktische Leben von Frauen und ihr Konfliktbewusstsein herauszulesen ist. Problematisch erscheint der Verfasserin die Tatsache, dass in einigen Texten erfolgreiche starke Frauen (heroines) – z.T. mit Billigung der Autorinnen, – Solidarität mit Frauen vermissen lassen, die in alten Rollenmustern verharren. So gilt Franziska Linkerhand von Brigitte Reimann als ein Beispiel für die kritische Distanzierung der Protagonistin von allen Frauen, die ein selbstbestimmtes, vom Mann unabhängiges Leben scheuen und sich eher an Lebensmustern des sogenannten starken Geschlechts (wie ein Mann) orientieren. Eine solche unsolidarische Abgrenzung von anderen Frauen (nicht werden wie die Mutter) habe, – wie konkrete Lebensgeschichten beweisen – auf dem Werdegang mancher Frau zur Feministin den ersten Schritt bedeutet.

In Kapitel 4 und 5 werden im Zusammenhang mit zahlreichen, auch wenig beachteten Texten verschiedenartige Problemfelder erörtert (u.a. Frauen in die Geschichte einschreiben, Selbstverwirklichung, Frauen als Opfer oder „heroine“ bzw. „starke Frau“, Doppelbelastung, Sexualität, Mutterschaft, alleinerziehende Mütter).

Die Erörterung des literarischen Materials ist eingebettet in eine sehr informative Auseinandersetzung um verschiedenartige theoretische Quellen der staatlichen Frauenpolitik einerseits und der Belletristik andererseits; so wird nicht nur auf Engels‘ und Bebels Arbeiten, sondern auch auf Thesen Bachofens und Morgans verwiesen. Mit Recht macht Martens auf Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ aufmerksam, das in der DDR seit 1951 in deutscher Übersetzung verfügbar war und von vielen Autorinnen gelesen worden sei. Die Auseinandersetzung mit älterer und neuerer Forschungsliteratur zum umstrittenen Gegenstand ist knapp und sachlich gehalten.

Die Anlage des Buches bringt es mit sich, dass die ästhetischen Aspekte des Schreibens nicht in gleicher Weise erörtert werden wie die inhaltlichen. Meist werden die „Fakten“ der Handlung (Fabelverlauf, Konfliktkonstellation, Figurenverhalten usw.) referiert, ohne zu berücksichtigen, mit welcher Schreibstrategie, – direkt oder komisch verfremdet, „naturalistisch“ oder phantastisch überhöht, – Handlungsfakten dargeboten und „Botschaften“ in Untertexte eingeschrieben werden. Dies wäre um so aufschlussreicher, als Martens zutreffend beschreibt, wie widersprüchlich das Verhältnis vieler Autorinnen zum Staat DDR war, dass sie, vor allem in den 60er und frühen 70er Jahren, sowohl mit den grundlegenden sozialen Veränderungen, die für die Emanzipation von Frauen günstige Ausgangspunkte boten, konform gingen, andererseits überkommenes Rollenverhalten kritisierten und die stockende Entwicklung weitertreiben wollten. Bestimmte von Zensur oder auch Selbstzensur gesetzte Grenzen wurden eingehalten, z. B. war die Abschaffung des § 218 vor seiner amtlichen Aufhebung nicht angemahnt worden. Angesichts dieser Sachlage spielten listige Schreibstrategien eine besonders große Rolle, weil auf diese Weise literaturpolitische Restriktionsmechanismen manchmal unterlaufen werden konnten.

Martens Buch ist für Leserinnen und Leser in den USA verfasst, die damit über ein verschwundenes Staatswesen und daraus hervorgegangener, keineswegs uninteressant gewordener Literatur verlässliche Informationen erhalten. Aber auch für Hiesige bietet es durch den forschenden Blick von außen eine Fülle produktiver Anregungen. Lorna Martens behandelt ihren Gegenstand als eine frauen-und kulturgeschichtlich bedeutende Erfahrung, als ein Beispiel für einen Vorgang, in dem sich, nach Morgner, Frauen mit Nachdruck „in die Geschichte“ eingeschrieben haben.

URN urn:nbn:de:0114-qn023156

Prof. Dr. Eva Kaufmann

Berlin.

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