Feministische Ethikkonzepte gegen Gentechnologien

Rezension von Maria A. Wolf

Heidi Hofmann:

Die feministischen Diskurse über Reproduktionstechnologien.

Positionen und Kontroversen in der BRD und den USA.

Frankfurt am Main: Campus 1999.

329 Seiten, ISBN 3–593–36225–2, DM 72,00 / SFr 68,00 / ÖS 526,00

Abstract: In einer materialreichen Studie untersucht die Autorin feministische Diskurse in Theorie und Praxis hinsichtlich ihrer Bewertung der Neuen Reproduktionstechnologien (NRT). Dabei werden amerikanische und deutsche Theoriepositionen hinsichtlich ihrer normativen Orientierungen verglichen.

Ethische Dilemmata und feministische Auswege

Die in der öffentlichen Diskussion als „reaktive“ Ethik (Maria Mies) kritisierte Bioethik, die im Nachhinein über ethische Vertretbarkeit bereits realisierter Verfahren diskutiert und sich in der Bewertung von Einzelproblemen erschöpft statt Grundsatzdebatten zu initiieren (S. 28–36), wird mit feministisch-ethischen Ansätzen konfrontiert (S. 60–77). Nach einleitenden Erörterungen der heterogenen feministischen Ethikkonzeptionen, die seit den 70ern vorwiegend in den USA entwickelt wurden, versucht Hofmann, die tragenden Aspekte „feministischer Befreiungsethik“ und „Ethics of Care“ vorzustellen. An diesen alternativen Ethikkonzepten soll die Sicht von Feministinnen auf die technische Steuerung des Fortpflanzungsprozesses und die darin eingegangenen Kategorien Menschenwürde/Autonomie herausgearbeitet werden. Man erfährt, dass Befreiungsethikerinnen aus dem Umfeld der Befreiungstheologie bezugnehmend auf eine kritische Gesellschaftstheorie die gesellschaftlichen Auswirkungen der NRT als herrschaftssichernd bewerten und einen Autonomiebegriff stark machen, der nicht nur das private Glück beinhaltet. Aus care-ethischer Perspektive wird an den Betreibern der NRT die naturalisierende Argumentation kritisiert, bei der z. B. mit dem Verweis auf die Not und das Leiden kinderloser Familien „ähnlich wie mit der Natur etwas begründet wird, was selbst begründungswürdig ist“ (S. 70). Diese Variante feministischer Ethik fordert ein, dass eine Ethik nicht bloß allgemein verbindliche Regeln berücksichtigen darf, sondern vor allem die Beziehungen der Betroffenen in die ethische Bewertung einbeziehen muss. Die Autorin ist stets bemüht, die Hinter- und Beweggründe einer bestimmten Position transparent zu machen. Dabei kommt aber dann das Fazit – bezugnehmend auf die eigenen Analysekriterien – zu kurz.

Feministische Naturverhältnisse und -verständnisse

Die Erörterung NRT-kritischer Positionen innerhalb der Frauenbewegung mündet kurz und bündig in die Feststellung feministischer Vielfalt (S. 81), gefolgt von Positionsbestimmungen feministischer Theoriebildung (S. 82 ff.), die nach ihrem jeweiligen Verständnis von menschlicher Natur unterschieden werden. Dabei bezieht sich die Autorin exemplarisch für die Naturdiskussion im Feminismus auf die theoretischen Auseinandersetzungen um sex – gender und wiederholt damit den Fehler, der dieser Diskussion selbst inhärent ist: menschliche Natur auf Geschlecht zu reduzieren. So bleibt die feministische Theoretisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und die dazu gehörende gesellschaftstheoretische Fassung des Naturbegriffes – und das wäre evtl. am feministischen Diskurs um die NRT insgesamt zu kritisieren – von wenigen Ausnahmen abgesehen ein Desiderat, obwohl sie für die feministische Kritik der Biotechnologien grundlegend wäre.

Feministische Theoriepositionen zur Beurteilung der NRT aus USA und BRD

Die einzelnen Kapitel des Buches stellen richtungsweisende feministische Theorieansätze anhand von zusammenfassenden Inhaltsanalysen der Schriften von sechs ausgewählten Wissenschaftlerinnen vor. Sulamith Firestone (USA) wird differenziert behandelt und nicht nur in ihrer radikalen Technikeuphorie rezipiert – in welcher sie schon 1970 die „Befreiung der Frauen von der Tyrannei der Fortpflanzung durch jedes nur mögliche Mittel“ (S. 110) forderte und die modernen Technologien als „the final solution to the women‘s question“ interpretierte. Denn auch sie erkannte bereits das grundlegende Problem, dass die Biotechnologie in den Händen der heutigen Machthaber der Verwirklichung eines Alptraumes gleichkommt. (S. 115) Weshalb Firestone einem humanistischen Feminismus zugeordnet wird (S. 117), ist allerdings nicht nachvollziehbar, vor allem der Begriff „Humanismus“ scheint hier falsch adaptiert. Gena Corea (USA) wird als Radikalfeministin präsentiert, die das „Opfer-Täter-Konzept“ (S. 122) noch nicht in Richtung „Mikrophysik der Macht“ (S. 123) überwunden habe und auf „ungeschminkter Weise“ die brutale Behandlung von Frauen beschreibe. Gleichwohl bleibe ihre schonungslose Kritik auch im Licht neuerer Machtkonzeptionen zutreffend: Coreas Begriff des „Pharmakraten“ muss nicht unbedingt als Teil eines „Täterkonzeptes“ enttarnt werden, sondern kann auch als Handlungstyp der neuen Biomacht identifiziert werden. Donna Haraway (USA) wird in der Nähe des Postmodernismus verortet. Dass sie die Herstellung der Natur nicht nur als die Herstellung der äußeren Natur, sondern auch als Konstruktion des Menschen thematisiert, wird als neue Akzentuierung (S. 127) vorgestellt. Doch Haraways Einschätzungen der Biotechnologien sind im wissenschaftlichen Feld feministischer NRT-Forschung nicht neu. Und auch ihr konsequenter Ausbruch aus gängigen Dichotomisierungen (S. 136) muss nicht logischerweise in eine Technikbefürwortung münden. Diese dagegen ist im deutschsprachigen Feminismus relativ neu, vor allem ihr theoretisches Engagement für ein positives Sich-einfinden in einem kybernetischen Netzwerkkörper und ein Abstreifen des organischen Körpers. Ein Einsatz, der von einem wissenschaftsgeschichtlichen Naturverständnis ausgehend nachvollziehbar ist, von seinem gesellschaftspolitischen Aspekt her aber unausgearbeitet bleibt. Von daher ist es problematisch, die Frage, ob Haraways Konzeption „nicht auch zur Preisgabe der Menschenwürde und damit zu neuen „Ausschlussverfahren“ führen kann“ (S. 140), der Praxis in den „nächsten Jahren zu überlassen“ (ebd.). Maria Mies (BRD) wird im Rahmen ökofeministischer Positionen dem gesellschaftstheoretischen Ansatz zugeordnet, innerhalb dessen sie vor allem die herrschaftsstabilisierenden Wirkungen der NRT in den Geschlechterverhältnissen weltweit theoretisiert. In der Folge befasst sich die Autorin aber nicht – entsprechend der Ankündigung des Kapitels – eingehend mit dem wissenschaftlichen Werk von Maria Mies, sondern mit dem bevölkerungspolitischen Diskurs im Ökofeminismus, den Weltbevölkerungskonferenzen und dem ökofeministischen Selbstbestimmungsbegriff. Dabei werden vorwiegend andere Autorinnen rezipiert. Alles interessant, nur erklärt es nicht, weshalb die einschlägigen Publikationen von Maria Mies hier nicht systematisch vorgestellt werden. Vollends in die abschüssige Bahn gerät dieses Verfahren bei der Verhandlung der wissenschaftlichen Position von Gerburg Treusch-Dieter. Nach Exkursen zu Foucaults Genealogie und Analytik der Macht, zu neuen Körperverständnissen und zum körperzentrierten Wissensparadigma von Elisabeth List, die zwei Drittel des Textes einnehmen, bleiben wenige Seiten, um das Standardwerk von Gerburg Treusch-Dieter Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie (1990) gerade noch anzusprechen. Dabei unter Auslassung grundlegender Texte, die sich mit der Genealogie dieser Techniken seit der Antike befassen. Die Positionierung des Werkes erschöpft sich in der Information, dass sie sich kritisch mit den Strategien und Inhalten des Befreiungsdiskurses der Neuen Frauenbewegung (S. 173–175) und der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches als neuer Epoche der Biomacht (S. 175) auseinander setzt. Aber das könnte man im Klappentext auch erfahren. Auch bei Barbara Duden gelingt es nur, über Andrea Maihofer zur Auseinandersetzung mit der Autorin selbst zu kommen. Was ihre „Soziogenese des modernen Körpers“ (S. 181) für ein feministisch-historisches Naturverständnis bringt, bleibt vage und wird zum einen mit Studien von Emily Martin und zum anderen mit der Einordnung Dudens in eine wissenschaftskritische Position zu beantworten versucht.

Im Anschluss werden erneut ethische Fragen, Fragen wissenschaftlicher, politischer und ethischer Natur- und Körperverhältnisse in Anbetracht der NRT erörtert, um dann eigens die Frage des Lebensbegriffes hinsichtlich seiner kulturspezifischen Prägung in USA und BRD zu diskutieren. Alles interessant und sehr gut aufbereitet, doch der Aufbau des Bandes wirkt dadurch etwas verwirrend.

Fazit

Das Buch hat einen hohen Informationswert, es gelingt aber nur schwer, den rote Faden – gesponnen entlang der Forschungsfragen an den feministischen Diskurs – zu finden. Die „Ordnung der Dinge“ – vor allem die feministischer Naturverhältnisse – wird nicht auf der Basis eigener Fragen ausgearbeitet, sondern mittels Paraphrasierung der Ergebnisse anderer Wissenschaftlerinnen. Das Buch verführt durch seine Absichtserklärungen, feministische Diskurse in Theorie und Praxis hinsichtlich ihrer Potentiale einer normativen Beurteilung der Neuen Reproduktionstechnologien (NRT) zu sichten (S. 13), also herauszuarbeiten, an welchen Maßstäben feministische Analysen die NRT messen, und wie sie diese Maßstäbe rechtfertigen. Ziel wäre es damit gewesen, aus der umfangreichen Lektüre feministischer Konzepte Vorstellungen von normativer Handlungsfähigkeit zu synthetisieren, die den politischen Gehalt feministischer Theorie zurückgewinnen.

Die Studie bietet demgegenüber Überblicks- und Orientierungswissen über feministisch-politische Positionen, Theoriekonzeptionen, Ethikansätze, Körper- und Naturverhältnisse. Sie kann empfohlen werden für Leser/-innen, denen an diesem Überblick gelegen ist.

URN urn:nbn:de:0114-qn022117

Dr. Maria A. Wolf

Inst. f. Erziehungswissenschaften, Universität Innsbruck, Innsbruck, Austria

E-Mail: Maria.A.Wolf@uibk.ac.at

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