Athena unbound

Rezension von Dagmar Heymann

Henry Etzkowitz, Carol Kemelgor, Brian Uzzi:

Athena unbound.

The Advancement of Women in Science and Technology.

Cambridge: University Press 2000.

216 Seiten, ISBN 0521563801, $ 12,95 / DM 43,94 / € 22,47

Abstract: Eine „banale“ Geschichte: Frauen sind in den Natur- und Ingenieurwissenschaften immer noch eine Minderheit, auch in Zeiten von weitgehend durchgesetzter Gleichberichtigung? Von vielen, gerade auch Befürworter/-innen gleicher Teilhabe von Frauen an allen Lebens- und Arbeitsbereichen aber auch von jungen Frauen und Männern, wird diese Tatasche häufig geleugnet oder als inzwischen unbedeutend angesehen. Auf der anderen Seite gibt es immer noch (oder wieder?) viele, die hierin die Folge des berühmten biologischen Unterschieds sehen: Frauen haben eine geringere Begabung für mathematisches Denken und Männern liegt auf der anderen Seite Soziales und Kontaktpflege weniger …

Die Sozialwissenschaftler Henry Etzkowitz und Brian Uzzo sowie die Psychoanalytikerin Carol Kemelgor gehen in ihrem Buch Athena unbound (in etwa zu übersetzen mit: Die entfesselte Athene) der Frage nach, warum es in den Natur- und Ingenieurwissenschaften – und hier gerade in den höheren Hierarchiestufen – immer noch so wenig Frauen gibt. Mit einer umfassenden Analyse der Erfahrungen von Frauen und Männern zeigen sie die unsichtbaren Barrieren, die subtilen Ausschlussmechanismen und die ungeschriebenen Gesetze im universitären wissenschaftlichen Bereich in den Disziplinen Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Mathematik, Physik und Ingenieurwissenschaften. Ihre Analyse umfasst alle Lebensphasen von der Kindheit bis zum Rentenalter und basiert auf Hunderten von Tiefeninterviews, Folgeinterviews, einer quantitativen Studie und Untersuchungen zu den Vorstellungen von Kleinkindern über männliche und weibliche Wissenschaftler. Die Studien beschränken sich auf das US-amerikanische System mit einigen kleineren Ausblicken auf Europa und einem vergleichenden Kapitel, in dem kurz auf einige Entwicklungs- und halb-industrialisierte Länder, europäische hoch-industrialisierte Länder, die Geschichte sozialistischer Länder und etwas ausführlicher auf Großbritannien eingegangen wird.

Am Anfang der Studie steht die Diskussion einiger verbreiteter Erklärungsansätze, wie die der „Pipeline-These“, nach der es nur einer ausreichenden Zahl von Frauen bedarf, die eine wissenschaftliche Laufbahn antreten, damit sich „irgendwann“ der Erfolg weiter oben in der Hierarchie zeigen wird. Bei genauer Betrachtung stimmt dieses Bild nicht einmal in der negativen Variante, der undichten Rohrleitung, da viele Frauen schon lange vor dem Eintritt in die Pipeline entmutigt werden. Auch die Bilder von der Einstiegsbarriere, die es allein zu überwinden gilt, und die der Glasdecke, gegen die Frauen bei ihrem Aufstieg irgendwann einmal zwangsläufig stoßen, halten die Autor/-innen für nicht stimmig, da nach ihren Forschungen die Schwierigkeiten auf allen Ebenen fortdauern. Für die alte Frage, ob es an den Genen oder an der Erziehung liegt, weisen sie detailliert nach, wie die Sozialisation die Bilder von Jungen und Mädchen unterschiedlich prägt und damit auch deren weiteren Weg. Kurze Blicke über den nationalen Tellerrand untermauern die Einsicht, dass das gesamte Erziehungssystem der USA (und sicher nicht nur da!) eher Jungen ermutigt und Mädchen unbemerkt daran hindert, einen natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen oder gar eine Karriere im Wissenschaftsbereich anzustreben.

Für Studium und Promotion zeigen Etzkowitz/Kemelgor/Uzzi, wie Frauen mit herausragenden wissenschaftlichen Fähigkeiten und Ehrgeiz (dem sog. Humankapital) benachteiligt werden und wie die Anhäufung negativer Erfahrungen sie oft zum „Aufgeben“ einer Wissenschaftskarriere bringt. Die „Fesselung der Athene“ geschieht auf vielfältige Weise, unter anderem durch die Konflikte zwischen persönlichem und beruflichem Leben angesichts implizit „männlicher“ Standards, die suggerieren, dass ein Wissenschaftler nur dann erfolgreich ist, wenn er sein Leben ausschließlich der Wissenschaft widmet und alle anderen Bereiche praktisch aus seinem Leben ausschließt.

Aber der zentrale Aspekt der vorliegenden Arbeit sind die Ausschlusserfahrungen der befragten Wissenschaftlerinnen. Die Autor/-innen zeigen, wie Frauen mit gutem bis herausragendem Humankapital von ihren männlichen Kollegen vom „Sozialkapital“ ausgeschlossen werden. Sie haben bei aller Leistung keinen Zugang zu informellen Kanälen, zu Informationen hinter den Kulissen, zu den wichtigen informellen Kreisen. Es fehlt ihnen eine wichtige Eigenschaft, und zwar der „Glorienschein“ (halo-effect), den „man“ aus der Mitgliedschaft in einem wissenschaftlich-informellen Netzwerk bezieht – dies gerade in einem Tätigkeitsbereich, der von Information und Gemeinschaft, der vielgerühmten scientific community, lebt.

Wie kann Athena nun ihre Fesseln abstreifen? Ethkowitz/Kemelgor/Uzzi diskutieren zunächst bekannte Ansätze wie „affirmative action“ (das entspräche bei uns der Frauenförderung im öffentlichen Dienst), das Ausnutzen von Mangelsituationen, den Hinweis, dass eine Wirtschaftsnation sich selbst schadet, wenn sie nicht alle Ressourcen voll ausschöpft, und die Hoffnung auf den Generationenwandel. Nachdem sie nachgewiesen haben, dass diese Punkte im besten Fall immer nur teilweise bzw. punktuell greifen und letztlich das Dilemma nicht lösen können, kommen sie zu dem Schluss, dass lediglich zwei Punkte die Voraussetzung für einen wirklichen Wandel schaffen können: Das eine sind Veränderungen, die auf der institutionellen Ebene stattfinden. Hier sollten Evaluationskomitees und institutionalisiertes Mentoring eingerichtet und über die finanzielle Schiene ein mehr oder weniger sanfter Druck ausgeübt werden. Der zweite Punkt, der als der wichtigere angesehen wird, ist ein Wandel der Beziehung zwischen Arbeit und Privatleben, eine veränderte Beziehung zwischen wissenschaftlicher Arbeit und den anderen Lebensbereichen.

Insgesamt sind also die Gedanken zur Veränderung der misslichen Situation von Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften „nur“ Gedankenanstöße. Aber damit sind sie auch ein politisches Plädoyer für Änderungen in unserer Gesellschaft, in der der Wissenschaftsbetrieb nur einen kleinen, wenn auch typischen Bereich darstellt.

Der Band Athena unbound verspricht keine Patentlösungen – wie könnte er auch? Aber er ist für alle, die mit dem Thema „Frauen und Wissenschaft“ befasst sind, ein wertvolles Buch. Naturwissenschaftler/-innen und Ingenieur/-innen kann es die Augen öffnen über die verborgenen Strukturen, denen sie in ihrer Arbeit täglich ausgesetzt sind, und denjenigen, die sich beruflich mit Frauenförderung, Frauenpolitik und ähnlichen Themen beschäftigen, gibt es wichtiges Material an die Hand.

URN urn:nbn:de:0114-qn022164

Dagmar Heymann

Berlin

E-Mail: na_undh@gmx.de

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