Hoffen auf den guten Willen – von der unverbindlichen Institutionalisierung feministischer Forderungen

Rezension von Maike Bußmann

Stefanie Ehmsen:

Der Marsch der Frauenbewegung durch die Institutionen.

Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik im Vergleich.

Münster: Westfälisches Dampfboot 2008.

298 Seiten, ISBN 978–3–89691–733–1, € 29,90

Abstract: Nachdem die Protagonistinnen der ersten Frauenbewegung prinzipiell den Zugang in die Institutionen erstritten hatten, wurde seit den 1968ern der Marsch durch die Institutionen angetreten. Diesen untersucht Stefanie Ehmsen für die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik, wobei sie die Unterschiede als Resultat der jeweiligen politischen Traditionen interpretiert. Zwar wartet sie mit gut recherchierten und lesenswerten Fallbeispielen auf, doch das Potential der Analyse wird leider nicht ausgeschöpft.

In ihrer nun als Buch vorgelegten Promotion will Stefanie Ehmsen durch einen Vergleich der Vereinigten Staaten und Deutschland „Parallelen und Unterschiede“ der Neuen Frauenbewegung analysieren und „allgemeine Aussagen über die Ergebnisse des Institutionalisierungsprozesses“ (S. 17) sowie „über die Möglichkeiten und Perspektiven emanzipatorischer Praxis“ (S. 19) treffen. Im ersten Teil untersucht sie die berufliche Gleichstellung im öffentlichen Dienst an den Beispielen von Affirmative Action und Quotierung. Der zweite Teil ist einer Fallanalyse der Women’s Studies beziehungsweise der Frauenforschung gewidmet. Das empirische Material der Untersuchung bezieht sich auf die Städte New York und Berlin.

Was wird eigentlich institutionalisiert?

Ehmsen vertritt für ihr Vorhaben die programmatische These, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der institutionellen Transformation der Frauenbewegung sich mit den „Ursachen und Ausdrucksformen“ der „Ambivalenzen und Widersprüche“ (S. 12) befassen müsse. Dabei bleiben allerdings viele ihrer Aussagen selbst in Ambivalenzen befangen. Daran mögen die mangelnde Eingrenzung und die das ganze Buch durchziehende alltagsbegriffliche Verwendung der Begriffe ‚Institutionen‘ und ‚Institutionalisierung‘, wie man sie von einer politikwissenschaftlichen Studie nicht erwartet, mit schuld sein. Zwar heißt es: „Bei der Institutionalisierung von Bewegungsforderungen geht es im Kern immer darum, für spezifische Zielsetzungen eine Form zu finden, mit der sie auf Dauer gestellt werden können.“ (S. 13) Da aber eine weitere Diskussion des Institutionenbegriffs ausbleibt, die zugegebenermaßen in Anbetracht der massenhaften und doch oft diffus bleibenden Literatur einen fast nicht einzulösenden Anspruch darstellt, fällt es oft schwer, der Argumentation zu folgen. So ist von der Institutionalisierung der Neuen Frauenbewegung (S. 37), der Forderungen (S. 46), der Gleichstellungspolitik (S. 122) oder der Women’s Studies (S. 155) die Rede.

Liberale versus ständische Tradition

Einleitend stellt die Autorin im zweiten Kapitel die historischen Voraussetzungen und Entstehungskontexte der Neuen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten und in Deutschland knapp – und deswegen manchmal etwas verkürzt – vor. Am Beispiel der Abtreibungsgesetzgebung, die durch die Frauenbewegung maßgeblich zum Thema gemacht wurde und große Mobilisierungskraft besaß, will sie das „Verhältnis von Protest und politischer Gestaltung für beide Länder verdeutlichen“ (S. 38). Während sich die amerikanischen Feministinnen auf die Bürgerrechtsbewegung berufen konnte (vgl. S. 22 f.), die von der „dominanten Ideologie des Liberalismus geprägt“ war (S. 45), sahen sich die deutschen mit einer „emanzipationsfeindlichen politischen Kultur“ (S. 46) und einer damit einhergehenden fehlenden Tradition einer liberalen Gleichstellungspolitik konfrontiert.

Hürden der Institutionalisierung

In der ersten Fallanalyse untersucht Ehmsen die Wirkung der Antidiskriminierungsmaßnahmen Affirmative Action und des Berliner Landesgleichstellungsgesetzes (Kapitel 3 und 4). Um zu zeigen, dass die spannungsreiche Ausgestaltung dieser Antidiskriminierungsmaßnahmen auf den „Druck“ der Bürgerrechts- beziehungsweise der Frauenbewegungen zurückzuführen (zum Beispiel S. 63, 68, 147) ist, beschreibt sie die historischen Sonderstellungen der Städte New York und Berlin sowie die jeweiligen Frauenbewegungen und die gesellschaftlichen Kontroversen. Als Beispiel zieht die Autorin dann die Feuerwehren der beiden Metropolen heran.

Die Ergebnisse sprechen eher gegen eine gelungene Institutionalisierung: Fehlende oder zu geringe Sanktionsmöglichkeiten (vgl. S. 55 und 132) führten dazu, dass die Umsetzung von Affirmative Action abhängig vom „aktuellen politischen Klima und dem Umsetzungswillen der betroffenen Personen auf allen Ebenen ist“ (S. 93) und dass das Berliner Landesgleichstellungsgesetz „in überwiegendem Maß nicht beachtet wird“ (S. 134). Auch die Feststellungen, dass die Quote „nicht nur das traditionelle Rollenverständnis, sondern auch die gesellschaftliche Verteilung von Machtressourcen herausfordert“ (S. 116) und dass die (New Yorker) „Feuerwehrfrauen auf verlorenem Posten […] stehen, wenn die formale Öffnung nicht begleitet wird von einer kritischen Überprüfung der normativen Grundlagen der Kultur der Feuerwehrmänner“ (S. 91), verweisen eher auf einen Grad der Institutionalisierung, in dem emanzipatorische Forderungen eben nicht selbstverständlich geworden sind. Und so schlussfolgert Ehmsen, dass sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Bundesrepublik „Vorurteilsstrukturen und Rollenverständnisse […] strukturell wie habituell fortwirken“ (S. 250).

Das Dilemma von Women’s Studies und Frauenforschung zum Nulltarif

Die Einführung und Etablierung der Women’s Studies (Kapitel 5) untersucht Ehmsen am Beispiel der City University of New York, der Columbia University und des Barnard College, die die Facetten der US-amerikanischen Hochschullandschaft spiegeln sollen. Anhand der etwas schiefen Auswahl – dem für den Vergleich ausgewähltem ‚Pärchen‘ (Frauen- und Männercollege im Privatsektor) fehlt ein angemessenes Äquivalent im öffentlichen Sektor – lässt sich die These, „dass sich diejenigen Hochschulen dem Eindringen der Frauenbewegung in die Wissenschaft am stärksten verschließen, deren Abschlüsse mit dem größten Prestige und den besten Aufstiegschancen verbunden sind“ (S. 150), meines Erachtens nicht überprüfen. Die „Feststellung, dass das Women’s Studies-Programm am (öffentlichen) Hunter College als interdisziplinäres Programm über keinen institutionalisierten Einfluss in den entscheidenden politischen Gremien verfügt (vgl. S. 161), spricht auch eher gegen diese Einschätzung. Trotzdem kommt Ehmsen zu dem Schluss, dass die „Women’s Studies an den öffentlichen Universitäten stärker verankert werden“ konnten (S. 260).

Im Vergleich mit den Beispielen der Freien Universität und der Technischen Universität Berlin (Kapitel 6) lassen sich für Ehmsen folgende Ergebnisse verallgemeinern: Die Einführung und Verankerung der Women’s Studies geschieht vornehmlich dort, wo Frauen überproportional vertreten sind (vgl. S. 185 und 259), wobei die „Strukturen in mehrfacher Hinsicht schwach sind“, so dass das Lehrangebot „mangels institutioneller Verankerung“ davon abhängig ist, „welche Lehrkräfte sich bereit finden, Seminare anzubieten“, und nur mit „zusätzlicher Arbeitsbelastung“ aufrechtzuerhalten ist (S. 196). Auch für Berlin stellt Ehmsen fest, dass „das Engagement von Studierenden und Lehrenden“ entscheidend ist für den Aufbau eines Lehrangebots und für die Durchsetzung einzelner Stellen mit Denomination für Frauenforschung (vgl. S. 229). Obwohl es häufig an „Sanktionsmöglichkeiten und Verbindlichkeiten“ fehle (vgl. S. 230), sieht Ehmsen die Freie Universität Berlin als ein gutes Beispiel für „frühe und umfangreiche Institutionalisierung von Frauenforschung und -förderung“ (S. 229).

Jenseits der hervorgehobenen historischen und strukturellen Unterschiede und der insgesamt manchmal etwas gewollt erscheinenden Ergebnisse zeigen sich somit erstaunliche Ähnlichkeiten der strukturellen Situation und der Voraussetzungen für die Gender Studies und Frauenforschung: Mangelnde institutionelle Verankerung (unabhängig von der Verankerung im Curriculum) zeigt sich in Form von Geldknappheit, geringer politischer Einflussnahme und Planungsunsicherheit, so dass die Existenz der Programme von personeller Mehrarbeit auf der Lehrenden- sowie Studierendenseite und, damit verbunden, von einem hohen Frauenanteil an den Universitäten abhängig ist.

Kritik

Ein wenig spät wird im resümierenden siebten Kapitel die Frage gestellt, „was denn der Maßstab ist, an dem die Strategien und Ergebnisse gemessen werden“ (S. 265). Wäre diese Frage früher gestellt und auch beantwortet worden, wäre die Lektüre einfacher gewesen. Ein anderes Problem des Buches sehe ich darin, dass die immer wiederkehrende Formulierung, „der Druck der Frauenbewegung“ (zum Beispiel S. 198 und 265) habe dies und jenes bewirkt, nicht durch Beispiele auf der Akteursebene belegt wird, woran sich zweierlei kritisieren lässt: Erstens greift die Behauptung, dass die Frauenforschung und die Women’s Studies ein „Produkt der neuen Frauenbewegung“ (S. 205) seien, zu kurz. Es wird unterschlagen, dass es schon vor der – sicherlich durch die Frauenbewegung forcierten – Namensgebung Frauenforschung gegeben hat. Beispielhaft sei auf die ‚vergessenen‘ Klassikerinnen Harriet Martineau (1802–1876) und Mathilde Vaerting (1884–1977) und für die Nachkriegssoziologie auf Helge Pross (1927–1984) verwiesen. Und gerade die Frauen, die schon an den Universitäten waren, haben die ‚Frauenbewegung‘ maßgeblich mitinitiiert. Zweitens wird die in diesen Formulierungen implizite Wirkungsunterstellung konterkariert durch die durchaus berechtigte Kritik, dass Gleichheitsforderungen plötzlich gerade da gesellschaftlich aufgenommen und zu „Zwängen“ gemacht werden, wenn sie ökonomischen Effizienzkriterien entgegenkommen (zum Beispiel S. 266), wenn „Frauenförderung zur Wirtschaftsförderung“ wird (S. 271). Die Hinweise, die darauf abzielen, dass Forderungen eben nur dann eingelöst werden, wenn sie der Nachfrage der Wirtschaftsordnung entsprechen, sind durchaus gelungen, hätten aber deutlicher abgegrenzt werden können.

So mag der Anspruch des Buches, Ambivalenzen aufzuzeigen, zwar implizit eingelöst worden sein, aber nicht im Rahmen einer stringenten Argumentation. Stets wird „Institutionalisierung“ unhinterfragt als gegeben gesetzt, obwohl die Ergebnisse aus den Fallbeispielen dies teilweise fragwürdig erscheinen lassen. Unter der Prämisse, dass unter Institutionalisierung eben nicht nur ein Stellen von Forderungen „auf Dauer“ und eine formale Gleichberechtigung verstanden werden, sondern auch eine Verstetigung von praktischen Handlungsmustern, hätte die Autorin meines Erachtens zumindest ein Fragezeichen hinter den Titel setzen müssen.

URN urn:nbn:de:0114-qn093095

Maike Bußmann

Technische Universität Dresden, Institut für Soziologie

E-Mail: maike.bussmann@gmx.de

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