Literarische Begegnungen mit dem Fremden

Rezension von Christa Gürtler

Andrea Horváth:

„Wir sind anders“.

Gender und Ethnizität in Barbara Frischmuths Romanen.

Würzburg: Königshausen & Neumann 2007.

171 Seiten, ISBN 978–3–8260–3632–3, € 24,80

Abstract: Barbara Frischmuths Werk ist geprägt von Grenzüberschreitungen zwischen Realität und Phantasie, Orient und Okzident. Andrea Horváth untersucht das Schaffen der österreichischen Gegenwartsautorin unter den Aspekten „Gender und Ethnizität“. Ihre Studie ermuntert zur Entdeckung einer postkolonialen deutschsprachigen Autorin, deren Texte als höchst aktuelle Beiträge zu ebenso politisch wie ästhetisch relevanten Fragen des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ lesbar sind.

Sexuelle und kulturelle Differenzen

In der Einleitung zu ihrer Untersuchung des Werks von Barbara Frischmuth schätzt Andrea Horváth die Literatin, die Ungarisch, Türkisch und Orientalistik studierte und als Stipendiatin dort lebte als ‚postkoloniale‘ Autorin ein, weil sie die Marginalisierungen thematisiert. Für ihre Analyse ausgewählter Prosatexte – die einen Bogen spannen vom Frühwerk, dem 1973 erschienenen Roman Das Verschwinden des Schattens in der Sonne, bis zu ihrem Roman Der Sommer, in dem Anna verschwunden war aus dem Jahr 2004 – definiert sie zunächst die theoretischen Positionen, die die Grundlage ihrer Untersuchung bilden. Sowohl die kulturwissenschaftlichen als auch die psychoanalytischen Theorien haben in den vergangenen Jahren die Gender-Frage ebenso einbezogen wie die Alteritäts-Frage. Diese Positionen sowie die Queer Studies, die Andrea Horváth im deutschsprachigen Raum als zu wenig repräsentiert und in einer zwiespältigen Lage (zwischen Integration im Kanon des akademischen Diskurses und dem theoretischen Anspruch der Unterwanderung) sieht, werden im ersten Teil der Arbeit ausführlich dargestellt. Die vorgestellten theoretischen Ansätze verknüpfen die Gender- und Interkulturalitäts-Diskurse, die beide das Werk von Barbara Frischmuth entscheidend bestimmen und begleiten. Stand zunächst in der Frage der Differenz eher die Geschlechterfrage im Zentrum der literarischen Thematisierung, so wird sie in den jüngeren Werken immer mit der ethnischen Differenzerfahrung verknüpft. Das postkoloniale Potential der Literatur realisiert sich für Horváth dann, „wenn die Darstellung kultureller Differenzen verbunden wird mit einer künstlerischen Organisation der Redevielfalt, die zu einer Verfremdung kolonialer Darstellungs- und Verstehensroutine führt.“ (S. 54)

Ausgewählte Romane

Das Frühwerk Barbara Frischmuths, insbesondere die Sternwieser-Trilogie, reflektiert, wie Horváth darlegt, vor allem deren Auseinandersetzung mit feministischen Positionen der 1970er Jahre. Damit sucht sich diese in eine weibliche literarische Tradition des phantastischen Erzählens einzuschreiben, die ein Ende weiblicher Sprachlosigkeit signalisiert. Im zweiten Teil des Buches widmet sich Andrea Horváth vier exemplarischen Werken. Die untersuchten Romane Frischmuths setzen sich auf je spezifische Weise mit dem Thema Alterität auseinander; um die dargestellten Formen kultureller Fremdheit zu analysieren, nutzt Andrea Horváth die eingangs dargestellten konkreten theoretischen Positionen.

Das Verhältnis des Eigenen zum Fremden entfaltet sich in Frischmuths Werk parallel zur aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Beide sind geprägt von der Differenz von Eigenem und Fremden, doch die Differenz zwischen Abendland und Orient verschiebt sich in den ‚multikulturellen Kontinent‘ Europa hinein. So begibt sich die Ich-Erzählerin des Romans Das Verschwinden des Schattens in der Sonne auf eine Reise nach Istanbul und in den Osten Anatoliens und erlebt eine unüberwindbare Fremdheit, „denn ihre Beobachterposition versagt im Verständnis des zwischenmenschlichen Bereichs“, die durch das Studium der türkischen Vergangenheit nicht verringert wird. Im Roman Die Schrift des Freundes geht es um geheimnisvolle Schriften, um Kalligraphie und die digitale Zeichenwelt. In der „Schrift des Anderen“ entdeckt die Ich-Erzählerin ihre „unheimliche Andersheit im Zentrum ihrer symbolischen Ordnung“ und in „Die Entschlüsselung“ bleibt der Subtext eines aufgefundenen Briefwechsels zwischen Orient und Okzident unentzifferbar. In Der Sommer, in dem Anna verschwunden war werden ethnische und sexuelle Differenzen auch am Beispiel des Kopftuchs „entschleiert“. Die Indifferenz der Texte in bezug auf eindeutige Aussagen und Positionen erweist sich in Andrea Horváths Interpretation als ästhetische Haltung der Vermittlung zwischen den Kulturen.

Fazit

Andrea Horváth zeigt in ihrer ebenso flüssig zu lesenden wie gründlichen und theoretisch fundierten Arbeit, dass das bisher von der Öffentlichkeit wie von der Literaturwissenschaft zwar nicht marginalisierte, aber dennoch eher unterschätzte literarische Werk Barbara Frischmuths unterschiedliche Formen kultureller Fremdheit auf ästhetisch anspruchsvolle Weise darstellt und damit lesbar macht. Dabei wird sichtbar, dass der weiterhin bestehende strukturelle Zusammenhang von Weiblichkeit und Fremdheit in Barbara Frischmuths Romanen ebenso kunstvoll wie poetisch reflektiert wird.

URN urn:nbn:de:0114-qn093192

Dr. Christa Gürtler

Salzburg, Fachbereich Germanistik, Homepage: http://www.sbg.ac.at/ger/people/guertler.htm

E-Mail: guertler@salzburg.co.at

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