Science Fiction oder was Cyborgs, heldenhafte Aeronauten und feministische Naturwissenschaftsforschung gemeinsam haben

Rezension von Katharina Fleischmann

Barbara Petersen, Bärbel Mauss:

Feministische Naturwissenschaftsforschung: science & fiction.

Mössingen-Talheim: Talheimer 1998.

119 Seiten, ISBN 3–89376–078–4, DM 28,00 /SFr 28,00 /ÖS 196,00 / €15,00

Abstract: Der Band zeigt in sechs Aufsätzen verschiedene Möglichkeiten feministischer Naturwissenschaftskritik und -forschung auf. Dabei stellen einige Artikel beispielhaft dar, wie in der Anwendung postmoderner Theorien auf Naturwissenschaften neue Wege in feministischer Naturwissenschaftsforschung gegangen werden können.

Das, was Cyborgs, heldenhafte Aeronauten und feministische Naturwissenschaftsforschung gemeinsam haben, ist die Grenzüberschreitung: zwischen Mensch und Maschine, zwischen Erde und Himmel, zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, ihren theoretischen Grundlagen und Methoden. Grenzüberschreitungen in unterschiedlicher Art sind auch für alle Artikel charakterisch, die die beiden Herausgeberinnen Barbara Petersen und Bärbel Mauss für den Band Feministische Naturwissenschaftsforschung: science & fiction zusammengestellt haben. Dadurch erweitert dieser Band auf anregende Weise die Möglichkeiten feministischer Naturwissenschaftsforschung.

An den Anfang des Bandes ist Dorit Heinsohns Einführung in feministische Naturwissenschaftskritik gestellt, die mit einem knappen geschichtlichen Überblick und einer Systematisierung verschiedener Ansätze nicht nur "Anfänger/-innen", sondern auch "Fortgeschrittenen" einen wunderbaren Ein- und Überblick verschafft. Besonders hilfreich fand ich die Darstellung unterschiedlicher Dimensionen feministischer Naturwissenschaftsforschung in Anlehnung an Evelyn Fox Kellers Differenzierung: "women in science" (Biographien, soziologische Studien und aktuelle [!] statistische Daten zu Frauen in den Naturwissenschaften), "science of gender" (biologisch-medizinische Konstruktionen der Geschlechterdifferenz) und "gender in science" (Auseinandersetzung mit den in naturwissenschaftlichem Wissen impliziten Geschlechterideologien). Für den Dreh- und Angelpunkt feministischer Naturwissenschaftsforschung – die Objektivitätsfrage – zeigt Dorit Heinsohn mit Donna Haraways Konzept des "situated knowledge" eine Möglichkeit auf, Objektivität neu zu definieren "als in Körpern produziert[es], als partikulares Wissen" (S. 28).

Der Titel "Das Gonocavulumzucken der Fahnenträgerinnen. Aus dem Alltag eines Biologiestudenten" hat mich dazu gebracht, diesen Artikel als erstes durchzulesen, deutet er doch auf eine unterhaltsame Grenzüberschreitung im Textgenre hin. Ich wurde auch nicht enttäuscht: Smilla Ebeling hat sich in ihrem Text der Umkehrung der Geschlechterverhältnisse bedient, um die diesbezügliche Blindheit der Naturwissenschaften aufzuzeigen. Zu diesem Zweck begleiten wir den Biologiestudenten Franz bei seinem Praktikum der "Experimentellen Ethologie" und seine Beobachtungen der Fischgattung der Fahnenträgerinnen, wobei Franz z. B. folgende Erfahrung sammelt: "Es entsteht geradezu der Eindruck, dass die Fischgattung ausschließlich aus weiblichen Fischen besteht. Schon allein ihr Name "Fahnenträgerinnen" impliziert das. Männchen werden kopuliert, erscheinen nur als Objekte der Weibchen oder schwimmen im bedeutungslosen Bereich. Ihr Verhalten kann vernachlässigt werden. Soll Franz mit Saskia und Gudrun darüber reden? Lieber nicht. Die stempeln ihn doch nur als Emanzer ab. Und Saskia könnte das als negative Kritik an ihrem Referat auffassen. Also beobachtet er weiterhin nur Weibchen." (S. 38) So einfach das Mittel der Umkehrung der Verhältnisse auch sein mag, umso deutlicher macht es doch die geschlechterideologischen Schwachstellen "objektiver" und "neutraler" Naturwissenschaft und zeigt den Handlungsbedarf deutlich auf. Nicht zuletzt das macht den Artikel, der viele verschiedene Ebenen des universitären Alltags kritisch ins Auge nimmt, so lesenswert.

Kerstin Palm macht mit ihrem gut geschriebenen Artikel "Der Mensch und die Natur. Feministische Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Naturbegriff". Sie weist für diese Debatte, die versucht, das Verhältnis zur Natur neu zu durchdenken, eine androzentristische Sicht von "Natur" nach, die die gesellschaftlichen Realitäten der Schaffung des Begriffes außen vorlässt. Feministische Arbeiten haben "zum einen für die kulturellen und sozialen Konstruktionen von Natur, zum anderen für den Subjektbegriff und zum dritten für den Objektivitätsbegriff der Moderne"gezeigt, "daß das gesellschaftlich entstandene Naturverhältnis mit dem gesellschaftlichen Geschlechterverhältnis in tiefgreifenden Weise verschränkt ist und sich dadurch geschlechtsspezifisch auswirkt." (S. 48) Die Autorin schließt daraus: "Ohne eine weitere Kennzeichnung dieser Naturaneignung und -abspaltung als geschlechtlich markierte bleiben die Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen des modernen Naturkonzeptes jedoch in wesentlichen Punkten unverstanden." (S. 51) Dieser Artikel ist für mich einer der wichtigsten und aussagekräftigsten des Bandes, da er den zentralen Begriff der "Natur"wissenschaften bzw. dessen Diskussion einer kritischen Analyse unterzieht. Es werden Diskussionsmöglichkeiten auf einer Ebene aufgezeigt, die leider viel zu oft außerhalb feministischer Betrachtungen bleibt.

Grenzüberschreitungen sind in dem Artikel von Heike Wiesner mit dem Titel "Mit postmodernen Cyborgs auf Tuchfühlung? Ein Beitrag zum Verständnis über den Zusammenhang von Postmoderne, Technoscience, Feministischer Naturwissenschaftsforschung und Science Fiction" explizites Thema. In ihnen liegt der "kleinste[n] gemeinsamen Nenner" der genannten Ansätze, der in der Auseinandersetzung mit Mischwesen (sog. Cyborgs und Hybride) deutlich wird. Während in Science Fictions überwiegend negative Folgen dieser Grenzüberschreitung gezeichnet wird, sehen Verter/-innen von Technoscience positive Möglichkeiten einer Entgrenzung. Vor allem Donna Haraway befürwortet einen (ironischen) Umgang mit Mensch-Tier-Maschine-Konstrukten, was wiederum in feministischen Kreisen sehr kritisch diskutiert wird. Judith Butler als Vertreterin der Postmoderne hat in ihrem Konzept des "gender in the making" die Konstitution und Konstruktion von gender durch eine sich ständig wiederholende Praxis zweigeschlechtlicher Norm und (heterosexueller) Inszenierung fokussiert. Wiesner kommt zu dem Ergebnis, dass eine eindeutige Abgrenzung von Technoscience, Postmoderne und Science Fiction untereinander nicht möglich ist, und sie spricht sich vorsichtig für einen positiven Umgang mit "hybriden Verbindungen" unter Einhaltung bestimmter politisch-ethischer Momente aus. Zwar ist mir bei diesem Artikel der Zusammenhang zwischen Technoscience, Postmoderne und Science Fiction klarer geworden, dessen Potential für feministische Naturwissenschaftsforschung hat sich mir jedoch nicht wirklich erschlossen. Das mag auch an der teilweise schwer verständlichen Abfassung des Textes liegen, die ihren ärgerlichen Höhepunkt in einigen extrem langen Fußnoten hat.

Sabine Höhler überschreitet in ihrem Artikel "Heldengeschichten. Zum Verhältnis von Männlichkeit und wissenschaftlicher Objektivität am Beispiel der Aeronautischen Meteorologie um 1900" die Disziplingrenzen. Vor dem Hintergrund postmoderner Theorien versucht sie, die (Selbst-) Inszenierungen der "Aeronauten" und des meteorologischen Forschungsvorganges aufzudecken. Schwerpunkt der Betrachtung ist die Darstellung des Luftfahrtwissenschaftlers als männlich-kühner Held, dessen Nüchternheit und Disziplin sie als performative Praxis versteht, "die Männlichkeit zitiert und damit ein bestimmtes Konzept von Wissenschaftlichkeit in der Luftfahrt hervorbringt" (S. 72). Eng damit verbunden ist die Mythisierung wissenschaftlicher Luftfahrt, die sich vehement gegen Sport- oder Vergnügungsfahrten abgrenzt und deren "Wesen" die Verwendung von Messinstrumenten und das unablässige Protokollieren der ablesbaren Daten ist. Interessant ist auch die Idee von Sabine Höhler, diese "instrumentengenerierten Daten" als eine moderne Form der Reiseerzählung aufzufassen, in deren Verlauf wissenschaftliche Fakten geschaffen werden: "Die Daten selbst, faktisch, unprosaisch, versichern, dass sie sind, was die Natur selbst diktiert hat, sie sind wahr." (S. 88) Der Artikel eröffnet durch die feministisch-postmoderne Lesart des aeronautischen Forschungsprozesses neue Perspektiven und Interpretationsmöglichkeiten. Das macht den Text für mich sehr anregend und bereichernd für die Betrachtung meiner eigenen Disziplin. Stellenweise erscheint der Bezugsrahmen postmoderner Theorien jedoch sehr bemüht und ist meiner Meinung nach nicht unbedingt notwendig zur Erklärung und zum Verständnis dessen, was die Autorin ausdrücken möchte. Schwierig finde ich auch die Tatsache, dass die verwendeten Zitate aus der Zeit um 1900 allein schon aufgrund des damals üblichen Sprachgebrauchs sehr pathetisch klingen; ich hätte diesbezüglich eine historisierend-kontextualisierende Anmerkung für angebracht gehalten.

Eine ganz andere Ebene wiederum behandelt Helene Götschel in ihrem Artikel "Perspektiven feministischer Lehre in naturwissenschaftlichen Studiengängen", der auf sehr gut lesbare Weise einen ausführlichen Überblick über die Geschichte und die Erfolge verschiedener Institutionalisierungsversuche feministischer Naturwissenschaftsforschung gibt. Scheint die Ausführlichkeit der Darstellung unterschiedlicher Versuche zunächst etwas übertrieben, so erschließt sich jedoch dadurch die schwierige Situation feministischer Naturwissenschaftsforschung: Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach auf Metaebene ist eben (immer noch) nicht üblicher Bestandteil naturwissenschaftlicher Disziplinen, sondern wird zum Teil sogar weit abgewiesen. Es gibt also keine Patentrezepte zur Institutionalisierung feministischer Naturwissenschaftsforschung, ihre reguläre Verankerung im Universitätsbetrieb ist nach wie vor in hohem Maße personenabhängig: einerseits von engagierten (Einzel-) Personen, die diese Forschungsrichtung einfordern, und andererseits von Personen in Macht- und Entscheidungspositionen, die sie zulassen oder sogar fördern.

Der Band stellt in den einzelnen Artikeln die verschiedenen Ebenen und auch die große inhaltliche Bandbreite feministischer Naturwissenschaftsforschung dar. Davon dürften Fachwissenschaftler/-innen, aber auch Interessierte aus anderen Bereichen profitieren, sind doch in einigen Artikeln auch die Potentiale der Anwendung postmoderner Theorien für feministische Naturwissenschaftsforschung angedeutet. Nicht zuletzt darin wirken sich die Grenzüberschreitungen sehr bereichernd und meiner Meinung nach wegweisend aus.

URN urn:nbn:de:0114-qn022054

Katharina Fleischmann

Anthropogeographie, Institut für Geographische Wissenschaften, Freie Universität Berlin

E-Mail: kathi@geog.fu-berlin.de

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