Männlichkeitsforschung

Rezension von Martin Spetsmann-Kunkel

Mechthild Bereswill, Michael Meuser, Sylka Scholz (Hg.):

Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit.

Münster: Westfälisches Dampfboot 2007.

258 Seiten, 978–3–89691–222–0, € 24,90

Abstract: Der Sammelband Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit beinhaltet vierzehn Aufsätze, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema ‚Männlichkeit‘ befassen. Aspekte wie Sozialisation, Gewalt, Sexualität, Arbeit oder Homosexualität werden aus Sicht einer Soziologie der Männlichkeit betrachtet. Das Buch gewährt einen glänzenden Überblick über Forschungsfelder, aber auch über Leerstellen der gegenwärtigen Männlichkeitsforschung. Ferner verdeutlichen die einzelnen Beiträge die weiterhin bestehende Bedeutung bereits vorhandener Konzepte wie die Idee der hegemonialen Männlichkeit für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit.

Die Differenzkategorie Männlichkeit

Männlichkeit als eine Dimension der Differenzkategorie Geschlecht ist Gegenstand des von Mechthild Bereswill, Michael Meuser und Sylka Scholz herausgegebenen Sammelbandes Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit. In ihren einleitenden Worten geben die Herausgeber/-innen einen kurzen Überblick über den Stand der Männlichkeitsforschung und zeichnen den Weg einer Soziologie der Männlichkeit beginnend bei der feministischen Patriarchatskritik bis zum Konzept der ‚hegemonialen Männlichkeit‘ von Robert Connell und zu Pierre Bourdieus Aussagen über den ‚männlichen Habitus‘ nach. Durch seine unterschiedlichen Beiträge gewährt das Buch einen Überblick über aktuelle Diskussionen der Männlichkeitsforschung in Deutschland und darüber hinaus.

Die Beiträge im Einzelnen

Ein vertextetes Gespräch zwischen den renommierten Protagonistinnen der Frauen- und Geschlechterforschung Lerke Gravenhorst, Carol Hagemann-White und Ursula Müller bildet den Anfang. Gegenstand dieses Gesprächs sind die Fragen: Was wurde aus dem Forschungsgegenstand ‚Männlichkeit‘ in der feministischen Wissenschaft, speziell der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie seit den 1980er Jahren? Wie sind die Bilder von Männern in der feministischen Wissenschaft? Sollen bzw. wie können sich Wissenschaftlerinnen mit Männlichkeit beschäftigen? Diese und ähnliche Fragen werden im Gesprächsverlauf gestreift, wobei das Verhältnis von Gewalt, Macht und Männlichkeit immer wieder in den Fokus rückt.

Sylka Scholz betrachtet in ihrem anschließenden Aufsatz das Verhältnis von männlichen Lebensentwürfen und Erwerbsarbeit im Wandlungsprozess. Anhand einer qualitativen Erhebung an männlichen Angestellten in einem Chemieunternehmen wird die subjektive Verarbeitung des Wandels von Arbeit untersucht. Ausgangspunkt ist hier die Überlegung, dass Arbeit und die Konkurrenz in der Arbeit zentral sind für die männliche Sozialisation. Männlichkeit konstituiert sich wesentlich in der Berufslaufbahn. Dies bedeutet, dass das auch Männer einschränkende „Ernährerleitbild“ (S. 56) weiter vorherrscht. Scholz kann anhand ihrer Studie zeigen, dass die gegenwärtige Marktideologie die historisch tradierte Männlichkeitskonstruktion einer aggressiven „Front-Männlichkeit“ (Connell) fördert und fordert.

Maja Apelt und Cordula Dittmer veranschaulichen in ihrem Beitrag, dass das ‚doing masculinity‘ im Militär als Strategie der Wiederherstellung des im Zuge von Modernisierungsprozessen belastete tradierte Männlichkeitsideal gedeutet werden kann. Militarisierte Männlichkeit versucht den strukturellen Machtverlust zu kompensieren. Wie sich die militärische Sozialisation als männliche Sozialisation angesichts weiblicher Soldaten verändert, verdeutlichen die Autorinnen anhand einer vergleichenden Studie von Panzergrenadieren und Militärsanitäter/-innen.

Dem Thema sozialisierter männlicher Körperinszenierung widmet sich Anja Tervooren. In einem ersten Schritt gibt sie eine kurze Einführung in die wissenschaftliche Betrachtung ‚männlicher Sozialisation‘ von den Ansätzen zur geschlechtsspezifischen Sozialisation in den 1980er Jahren bis zur gegenwärtigen Queer Theory. In einem zweiten Schritt referiert die Autorin Auszüge ihrer ethnographischen Studie zur Verfestigung von Geschlecht im Körper. Sie begreift in Anlehnung an Bourdieu den „Körper als Basis der gesellschaftlichen Geschlechterdifferenz und der Differenzen innerhalb eines Geschlechts“ (S. 94). Das Geschlecht konstituiert sich in sich wiederholenden (Körper-)Inszenierungen. Tervooren kann zeigen, dass im Verlauf der kindlichen und jugendlichen Sozialisation der Erwerb von Geschlecht und Begehren erfolgt.

Mechthild Bereswill untersucht in ihrer vorgestellten Studie das Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt, indem sie die Verletzungsmacht und -offenheit von Männern in der totalen Institution Gefängnis erforscht. In Gefängnissen – so Bereswill – ist die überlegene Männlichkeit und dargestellte Heterosexualität die umkämpfte Größe einer jeden Gewaltinteraktion. Die weithin bekannte These, dass Gewalt Männlichkeit stabilisiert, wird durch Bereswills Studie gestützt, erfährt aber auch eine Erweiterung, da sie aufzeigt, dass alle Insassen letztlich verletzungsoffen sind. Durch die Inhaftierung und den damit einhergehenden Autonomieverlust wird die Männlichkeit der Insassen erschüttert, was in der Folge ihre auf Gewalt gründende Männlichkeit herausfordert, reproduziert und schließlich verfestigt.

Mittels narrativer Interviews hat Susanne Spindler die Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit bei straffällig gewordenen jungen Migranten untersucht. Junge männliche Migranten – so Spindler eindrucksvoll – können nicht der hegemonialen Logik männlicher Herrschaft entkommen. Über Erwerbsarbeit ist es ihnen dabei nicht möglich, hegemoniale Männlichkeit zu konstruieren. Deshalb wählen sie den alternativen Weg der Kriminalität und Gewalt. In ihrer Selbstdarstellung reproduzieren diese jungen Männer vorhandene Stereotype, greifen diese auf und verstärken dadurch ihre gesellschaftliche Randposition.

Den Beitrag der Queer Studies zur Männlichkeitsforschung zeigt der Aufsatz von Andreas Kraß auf. Der Autor beschreibt das Verhältnis von Homosexualität, Homosozialität, Homophobie und fasst anschaulich zusammen: „Insofern Gesellschaften patriarchal strukturiert sind, beruhen sie auf männlicher Homosozialität; insofern sie heteronormativ strukturiert sind, beruhen sie auf der Heterosexualität. Das Paradox zwischen dem homosozialen und dem heterosexuellen Modell der Vergesellschaftung wird durch das prohibitive Instrument der Homophobie zum Ausgleich gebracht. Homophobie spaltet aus dem virtuellen Kontinuum des männlichen homosexuellen Begehrens die Sexualität ab; sie sorgt für die Errichtung eines unversöhnlichen Gegensatzes zwischen ‚Männern, die Männer fördern‘, und ‚Männern, die Männer lieben‘“ (S. 142). In Anlehnung an Roland Barthes‘ Mythen des Alltags analysiert Kraß in einem zweiten Teil seines Aufsatzes den heteronormativen Mythos.

Die tradierte Betrachtungsweise der Differenz zwischen Männerkörpern und Frauenkörpern besteht darin, dass Männer einen Körper haben und Frauen ihr Körper sind. Der Körper des Mannes ist im Unterschied zum Körper der Frau ein Instrument männlichen Wollens und kein auferlegtes Schicksal. Michael Meuser demonstriert in seinem Beitrag sehr schön, dass sich diese Körperbilder verändern. Unter anderem anhand des medialen Männlichkeitsdiskurses kann er zeigen, dass auch Männerkörper „zum Objekt evaluierender Wahrnehmungen“ (S. 158) werden. In Zeitschriften wie Men’s Health wird Körperwissen vermittelt, damit Präsentationen des perfekten Körpers, der unter permanenter Beobachtung steht, geleistet werden können.

Torsten Wöllmann geht der fehlenden Erforschung der Medikalisierung von Männerkörpern nach und beschreibt die Entwicklung der Andrologie bis zur Gegenwart. Es wird ersichtlich, dass die Männergesundheit vermehrt ein öffentliches Thema und Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen wird. Wöllmann deutet dies als eine Modernisierung hegemonialer Männlichkeit.

Rolf Pohl betrachtet aus psychoanalytischer Perspektive das Verhältnis von phallischer Sexualität und unbewusster Weiblichkeitseinstellung heterosexueller Männer und ihre Bedeutung für die Konstituierung ihres männlichen Selbstbildes. Pohl argumentiert, dass in der Sozialisation der männlichen Sexualität der Penis narzisstisch aufgewertet „und als Phallus unbewusst zum Symbol von Vitalität, Souveränität und Autonomie“ (S. 200) wird. „Zudem verspricht der zum Phallus aufgeblähte Penis Allmacht und Transzendenz und kann im Fall subjektiv als existentiell erlebter Bedrohungen der Männlichkeit als waffenähnliches Instrument der sexuellen Aggression dienen. Phallischer Narzissmus und phallische Aggressivität liegen somit eng beieinander. Gleichzeitig aber bleibt der Penis das, was er seiner ursprünglichen Funktion nach immer war: das erotische Zentralorgan der sexuellen Erregung, der Lust und der Befriedigung des Mannes“ (S. 200). Pohl resümierend: „Im Selbstverständnis des autonomen und überlegenen Geschlechts ist das, was Quelle von Begierde und Lust ist, gleichzeitig, gerade weil es das ist, zugleich die größte Quelle von Unlust und Angst. Dieser in der Sexualität am stärksten zum Ausdruck kommende Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt stellt somit eine der wichtigen Quellen für die misogynen Tendenzen vieler Männern, für die paranoid getönte Abwehr der mit Weiblichkeit und unmännlicher Schwäche assoziierten Homosexualität, für die weit verbreiteten sexuellen Perversionen und für die sexuelle und allgemeine Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen (und schwulen Männern) dar“ (S. 201 f.).

Männlichkeit in sexuellen Beziehungen und in der Familie nimmt der Beitrag von Cornelia Helfferich in den Blick. Auf der Grundlage teilnarrativer biographischer Interviews untersucht die Autorin das Verhältnis der binären Differenzkategorie Mann-Frau in Beziehungen und die Wir-Gruppen-Bildung als Paar oder Familie. Ob Männer über Beziehungen aus der Ich- oder der Wir-Perspektive sprechen, ist abhängig vom Verlauf biographischer Prozesse in den jeweiligen Beziehungen und den angesprochenen Themenfeldern. Es existieren – so Helfferich – bereichsspezifische Ausformulierungen von Differenz oder Gemeinschaftlichkeit. „Während bezogen auf die Position des Familienernährers das gängige Muster beharrlich die durchgehende oder die später, mit der Geburt des ersten Kindes einsetzende Traditionalisierung ist, die die dominante Position des Haupternährers absichert, wird in anderen Familienbereichen, bezogen auf Verhütung und Kinderwunsch die bleibende Differenz und Fremdheit so mit rhetorischen Strategien der Gemeinschaftlichkeit bearbeitet, dass in der Gesamtbilanz der familialen Machtverhältnisse Männlichkeit nicht beschädigt wird“ (S. 219).

Michael Matzner macht in seinem wichtigen Text auf eine Leerstelle der Männlichkeitsforschung aufmerksam: die Erforschung von Vaterschaft und Väterlichkeit. Zu diesem Zweck referiert der Autor zunächst den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema, bevor er in einem zweiten Schritt seine empirische Studie über Vaterschaft aus Sicht von Vätern vorstellt. Mittels der Methode des Leitfaden-Interviews hat Matzner eine Typologie subjektiver Vaterschaftskonzepte herausarbeiten können und leistet damit einen bedeutenden Beitrag zu einer Sozialisationstheorie des Vaters.

Im abschließenden Beitrag berichtet Ulf Mellström zum einen über die masculinities studies in Schweden. Zum anderen veranschaulicht sein englischsprachiger Beitrag, dass sich das Leitbild von Männlichkeit in Schweden im Unterschied zu der Situation in Deutschland weniger am Modell der hegemonialen Männlichkeit orientiert.

Würdigung und Kritik

Es gibt Sammelbände, denen zugesprochen werden kann, eine wissenschaftliche Diskussion sowohl zusammenfassend darstellen zu können als auch innovativ weitere Forschungsvorgehen zu dem Thema anzuregen. Der vorliegende Sammelband hat eine solche Wirkungsmacht. Das Buch gewährt zum einen glänzenden Überblick über Forschungsfelder, aber auch über Leerstellen der gegenwärtigen Männlichkeitsforschung. Zum anderen verdeutlichen die einzelnen Beiträge die weiterhin bestehende Bedeutung bereits vorhandener Konzepte wie die Idee der hegemonialen Männlichkeit für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit.

URN urn:nbn:de:0114-qn092307

Dr. Martin Spetsmann-Kunkel

FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Interkulturelle Erziehungswissenschaft

E-Mail: Martin.Spetsmann-Kunkel@FernUni-Hagen.de

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