Die letzten Schritte zur Reform. Parlamentarische Diskussionen zum Scheidungsrecht 1973–1976

Rezension von Arne Duncker

Werner Schubert (Hg.):

Die Reform des Ehescheidungsrechts von 1976.

Quellen zum Ersten Gesetz vom 14.6.1976 zur Reform des Ehe- und Familienrechts (Parlamentarische Ausschussprotokolle – Anglikanische Denkschrift von 1966 zur Scheidungsrechtsreform – Schlussabstimmung 1969 in der Eherechtskommission des Bundesministeriums der Justiz).

Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang Verlag 2007.

374 Seiten, ISBN 978–3–631–55909–3, € 71,70

Abstract: In einem gut gelungenen Materialienband präsentiert Werner Schubert die wichtigsten bisher unveröffentlichten Dokumente aus den parlamentarischen Beratungen zur Reform des Ehescheidungsrechts von 1976. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Quellen aus der Zeit von 1973 bis 1976. Die Zusammenstellung wird durch die Anglikanische Denkschrift von 1966 sowie die umfangreiche Abschlussdiskussion in der Eherechtskommission des Bundesjustizministeriums ergänzt. Erschlossen wird der Ablauf der Reform durch eine ausführliche und sehr informative einleitende Darstellung.

Die Quellendokumentation zur Scheidungsreform und ihre Rahmenbedingungen

Bei der vorliegenden Dokumentation über die Reform des Ehescheidungsrechts von 1976 handelt es sich um eine weitere der für die Arbeit Schuberts charakteristischen materialreichen Quellensammlungen zur neueren Rechts- bzw. Gesetzgebungsgeschichte. Während die vorhergehenden Dokumentationen Schuberts – teils gemeinsam mit Horst Heinrich Jakobs und anderen Mitherausgebern zusammengestellt – das 19. Jahrhundert behandelten (u. a. Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, ab 1978; Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs, ab 1981; Gesetzrevision (1825–1848), ab 1981; Entstehung des Strafgesetzbuchs, ab 2002) oder – oft mit speziellen Bezügen zur Familienrechtsgeschichte – Quellen des frühen 20. Jahrhunderts aufarbeiteten (Akademie für Deutsches Recht 1933–1945, Protokolle der Ausschüsse, ab 1986; Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, 1986; Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus: ausgewählte Quellen zu den wichtigsten Gesetzen und Projekten aus den Ministerialakten, 1993), rückt nun mit den Familienrechtsreformen der Bundesrepublik Deutschland das späte 20. Jahrhundert ins Blickfeld. Nachdem Schubert bereits kürzlich die maßgebliche Reform der 1960er Jahre bearbeitet hat (Die Reform des Nichtehelichenrechts (1961–1969). Entstehung und Quellen des Gesetzes über die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder vom 19.08.1969, 2003), folgt jetzt ein Materialienband zum zentralen Reformschritt der 1970er Jahre. Die älteren Gesetzgebungen der Bundesrepublik Deutschland – obschon fast noch Gegenwart – rücken nun langsam in den Bereich der Rechtsgeschichte, und es erscheint durchaus berechtigt, mit der Aufarbeitung der Quellen eine Grundlage für die beginnende rechtshistorische Analyse zu schaffen.

In einem gut gelungenen einleitenden Teil wird unter stetigem Bezug auf die Quellen detailgenau die Geschichte der Familienrechtsreform von 1976 geschildert, beginnend mit grundlegenden Vorläufern dieser Reform (Familienrechtskommission der Evangelischen Kirche Deutschlands, Diskussionen 1966–1969; Eherechtskommission des Bundesjustizministeriums 1968–1972; Regierungsentwürfe von 1971/72) bis zum Ablauf der parlamentarischen Beratungen. Angefügt sind Kurzbiographien der wichtigsten Beteiligten. Aufschlussreich ist hier, dass – anders als in vielen vergangenen Bearbeitungen des Familienrechts – Frauen jetzt in nennenswerter Zahl in den beratenden Gremien vertreten sind. Freilich liegt diese Zahl weiterhin deutlich unter 50 %.

Parlamentarische Beratungen zur Scheidungsreform ab 1973

Werner Schubert behandelt im Wesentlichen die parlamentarischen Beratungen der Zeit von 1973 bis 1976. Die vorliegende Edition enthält die wichtigsten parlamentarischen Quellen zum Ehescheidungsrecht, soweit sie bisher unveröffentlicht waren.

Ausgangspunkt ist die Regierungsvorlage von 1973. Bereits diese bezeichnet das Gesetzgebungsvorhaben als „erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“, was anscheinend den grundlegenden Charakter der Reform verdeutlichen und sie als Teil umfassender gesellschaftlicher und rechtspolitischer Reformprogramme der sozialliberalen Koalition (Regierung Brandt) verorten sollte. Es folgten Beratungen im Bundesrat (April/Mai 1973 und die erste Lesung im Bundestag (Juni 1973). Besonders ausführlich beraten wurde das Vorhaben sodann in einem Unterausschuss des Bundestags-Rechtsausschusses (1974/75), welcher insgesamt 45mal zusammentrat. Aus den Materialien wählte Schubert die Protokolle von 17 dieser Sitzungen sowie die abschließenden Empfehlungen des Unterausschusses zum Abdruck aus. Zur Vorbereitung der Arbeit hatte der Unterausschuss Informationsreisen nach Schweden und in die Niederlande unternommen, was für eine gezielte Einbeziehung der familienrechtlichen Erfahrungen dieser kleineren ‚progressiven‘ Staaten in die deutsche Reform spricht. Im Unterausschuss konnte die CDU/CSU nur wenige ihrer Forderungen durchsetzen (vgl. S. XLII). Weitere ausführliche Beratungen erfolgten im Rechtsausschuss 1975, der schließlich im Wesentlichen den Vorstellungen seines Unterausschusses folgte. Aus den insgesamt weit umfangreicheren Materialien des Rechtsausschusses zum 1. EheRG übernahm Schubert für die Quellenedition die Protokolle von neun Sitzungen zum Scheidungsrecht sowie die Beschlüsse. Am 11.12.1975 wurde das Reformgesetz in 2. und 3. Lesung im Bundestag beraten und mit der Mehrheit der SPD-FDP-Koalition angenommen. Der Bundesrat (Beratungen und Anträge vgl. S. 187–205) rief sodann den Vermittlungsausschuss an. Kurzprotokolle der dortigen Sitzungen sind im Quellenband enthalten: es kam zu Kompromissen u. a. hinsichtlich der Einfügung einer Härteklausel zur Scheidbarkeit der Ehe (§ 1568 BGB). In der veränderten Form wurde das Gesetz durch Bundestag und Bundesrat jeweils mit großer Mehrheit angenommen (vgl. S. 255 f.).

Enthalten ist im Quellenband lediglich eine Auswahl aus den Materialien zum Scheidungsrecht. Aufgrund der besonderen Themenstellung des Werkes sind die weiteren Gegenstände der Familienrechtsreform (u. a. eheliche Lebensgemeinschaft, Namensrecht, Haushaltsführung, Getrenntleben, Versorgungsausgleich, Verfahrensrecht, Familiengerichte, vgl. detailliert S. XLVII-LVI) nicht mitberücksichtigt worden – und damit. auch die nicht, die unmittelbar die formale zivilrechtliche Gleichberechtigung der Geschlechter betreffen. Freilich zieht auch das Scheidungsrecht, selbst bei formaler Gleichberechtigung, spätestens auf der Ebene der Rechtsanwendung geschlechtsspezifisch unterschiedliche Folgen nach sich.

Anhänge zur Vorgeschichte der Scheidungsreform

Anhang I bildet die sogenannte Anglikanische Denkschrift von 1966 (Putting Asunder. Ein Scheidungsgesetz für die heutige Gesellschaft. Der Bericht einer Gruppe, die vom Erzbischof von Canterbury im Januar 1964 berufen wurde). In dieser Denkschrift erfolgte u. a. eine sehr ausführliche Auseinandersetzung mit dem Zerrüttungsprinzip, das bekanntlich in Deutschland später zu den Grundinhalten des 1. EheRG von 1976 gehören sollte.

Anhang II befasst sich mit dem Vorfeld der Eherechtsreform von 1976. Hier wird eine umfangreiche Diskussion und Abstimmung über eherechtliche Reformthesen wiedergegeben, die auf einer Sitzung der Eherechtskommission des Bundesjustizministeriums vom 12. bis14. 2. 1970 erfolgte. Etwas irritierend ist in diesem Zusammenhang, dass im Untertitel des Buches von der „Schlussabstimmung 1969“ die Rede ist, denn tatsächlich ist nicht eines der Kommissionsprotokolle von 1969, sondern dasjenige von Februar 1970 abgedruckt.

Begleitendes Material und Gesamteindruck

Beigefügt ist ein gut aufgearbeitetes Namens- und Paragraphenregister, das eine gezielte Suche nach Personen und Rechtsmaterien ermöglicht. Zur weiteren Erleichterung hätte hier eventuell noch ein alphabetisches Sachregister und – aus Gründen der Übersichtlichkeit – eine detaillierte Gesamtübersicht über die genauen Fundstellen der Quellen angefügt werden können.

Die Anforderungen an historische Quellendokumentationen haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verändert. Bedurfte in früherer Zeit die gedruckte Quellendokumentation keiner Rechtfertigung, folgte aus ihr doch eine wesentliche Erleichterung des wissenschaftlichen Zugangs zum Material, so ist es im Zeitalter des Internets leicht geworden, Quellen und ältere Literatur in enormem Umfang zu digitalisieren und der Forschung einen schnellen und bequemen Zugang über das Netz zu ermöglichen (vgl. hierzu beispielhaft die Digital Library des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte). Die gedruckte Quellendokumentation muss sich dieser Herausforderung stellen und einen Mehrwert aufweisen. Dieser kann beispielsweise in der Auffindung und Zusammenstellung bisher zu Unrecht wenig beachteter Quellen liegen, in der didaktischen Aufbereitung des Materials oder in seiner wissenschaftlichen Kommentierung. Schubert ist sich dieser Herausforderung bewusst und bietet den Leserinnen und Lesern in der Tat einen Mehrwert. Dieser besteht neben der gezielten Auswahl wichtiger bisher unveröffentlichter Materialien vor allem in der kenntnisreichen rechtshistorischen Einordnung und Kommentierung der Quellen im Einleitungsteil. Hier werden Hintergrundinformationen über den Ablauf der Beratungen sowie biographische Übersichten über die Beteiligten gegeben, welche der zukünftigen Forschung die Interpretation der Quellen ganz wesentlich erleichtern dürften. Es handelt sich mithin um eine im besten Sinne weiterführende Quellenedition, der weite Verbreitung zu wünschen ist und der eine Aufarbeitung weiterer Quellen – zur Zeit vor 1973 und zu den Gebieten der Eherechtsreform außerhalb des Scheidungsrechts – folgen könnte.

URN urn:nbn:de:0114-qn092115

Dr. Arne Duncker

Universität Hannover, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Zivilrecht und Rechtsgeschichte

E-Mail: arne.duncker@t-online.de

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