Das Ehegattensplitting im Widerstreit der Argumente

Rezension von Sabine Berghahn und Maria Wersig

Barbara Seel (Hg.):

Ehegattensplitting und Familienpolitik.

Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2007.

400 Seiten, ISBN 978–3–8350–6082–1, € 45,90

Britta Dietrich:

Das Ehegattensplitting in Deutschland.

Geschichtlicher Überblick, gegenwärtiges System und Alternativmodelle.

Heidelberg: Verlag Dr. Müller 2007.

84 Seiten, ISBN 978–3–8364–1862–1, € 42,00

Abstract: Der von Barbara Seel herausgegebene Sammelband beschäftigt sich u. a. aus familienpolitischer Sicht mit den Pro- und Contra-Argumenten zu der in Deutschland geltenden Ehegattenbesteuerung. Der Band ist interdisziplinär angelegt und stellt einen Überblick her, der auch für Expert/-innen noch neue Gesichtspunkte enthält. Als Gesamttendenz zeigt sich ein Plädoyer für eine individualisierende Reform. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Britta Dietrich in ihrer schmalen Abhandlung, in der sie – knapp und kaum erkenntnisfördernd – die juristische Debatte über das Ehegattensplitting nachzeichnet.

Das steuerliche Ehegattensplitting in Deutschland gilt aus frauenpolitischer Sicht als „Klassiker“ der staatlichen Instrumente zur weiteren Förderung des männlichen Ernährermodells. Europaweit hat diese Art der Zusammenveranlagung von Eheleuten mittlerweile Seltenheitswert bekommen; die Einwände, vor allem von frauen- und familienpolitischer Seite, sind lange bekannt und wurden oft vorgetragen, da das Ehegattensplitting in der Bundesrepublik Deutschland seit 50 Jahren unverändert existiert. Damals wurde es nach einer Anregung des Bundesverfassungsgerichts geschaffen, weil dieses die in den fünfziger Jahren geltende ‚progressive‘ Besteuerung von Eheleuten in bestimmten Erwerbskonstellationen für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Verfassungsgericht sah in den Regelungen, die das Ziel verfolgten, Frauenerwerbstätigkeit zu erschweren, und daher so genannte Doppelverdiener-Paare höher besteuerten, einen Verstoß gegen den Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 2). Frauen müssten aber dasselbe Recht und dieselbe Möglichkeit zu einem Erwerbseinkommen haben wie Männer. Der Staat dürfe nicht mit Hilfe des Steuerrechts „die Frau ins Haus zurückführen“ (BVerfGE 6, 55 ff, 81). Daraus wird seitdem der Schluss gezogen, dass sich das Steuerrecht ‚neutral‘ zur Arbeitsteilung von Eheleuten verhalten müsse.

Im Laufe der Zeit wuchsen jedoch die Zweifel, ob ausgerechnet das Ehegattensplitting mit seinem nachweisbaren Effekt, Erwerbsanreize für verheiratete Frauen zu senken und nicht die Familie, d. h. das Aufziehen von Kindern, sondern vielmehr nur die Ehe – auch die kinderlose – in einer asymmetrischen Verdienerkonstellation zu fördern, ein Ausdruck davon sein kann, dass sich der Staat mit Eingriffen in die Autonomie von Paaren zurückhält.

Es existiert bereits eine Reihe von Dissertationen und anderen Qualifikationsarbeiten, bisher fehlte jedoch eine von Befürworter/-innen und Gegner/-innen geführte interdisziplinäre Kontroverse in Buchform. Sie wurde nun von Barbara Seel als Herausgeberin vorgelegt. Der Sammelband geht zurück auf ein interdisziplinäres Symposium zu diesem Thema, das Anfang 2007 vom Kompetenzzentrum „Gender und Ernährung“ an der Universität Hohenheim organisiert wurde. Entsprechend dem Ablauf der Tagung finden sich in dem Band nun jeweils Beiträge zur juristischen, ökonomischen, praktisch-empirischen und politischen Dimension, am Ende der disziplinären Kapitel ist eine Diskussion der Beiträge aufgezeichnet. Der Band endet mit dem Protokoll einer rechtspolitischen Podiumsdiskussion, an der Expert/-innen aus Wissenschaft, politischen Parteien, Verwaltung und dem Bundesverfassungsgericht teilgenommen haben.

Mit diesem Band, so viel lässt sich schon an dieser Stelle sagen, ist es gelungen, einem eigentlich recht oft diskutierten Thema noch unbekannte Seiten abzugewinnen und den Streit der Argumente so planmäßig neu zu inszenieren, dass die Lektüre selbst für Expert/-innen nicht langweilig wird.

Juristische Argumente

Im ersten Teil verteidigt zunächst Christian Seiler die herrschende, als konservativ zu bezeichnende Sicht auf das Ehegattensplitting. Er beruft sich zum einen auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Ehegattensplitting, die er so interpretiert, dass das Ehegattensplitting praktisch alternativlos sei und nur geringfügig abgeändert werden dürfe bzw. sollte. Nach seinen Vorstellungen sollte es allenfalls in ein Familiensplitting umgewandelt werden. Auch eine Abflachung der Progression oder gar einen einheitlichen Steuersatz hält er für möglich und nützlich als politische Konfliktlösung. Als verfassungsrechtlich ausgeschlossen erscheint ihm dagegen die mehr oder weniger strikte Individualisierung der Ehegattenbesteuerung, weil dann bestimmte Eheformen anders besteuert würden als andere (trotz gleicher „Leistungsfähigkeit“ bei gemeinsamer Einkommensbetrachtung). Für ihn verbieten sich auch Formen des Realsplittings, welches für Getrenntlebende und Geschiedene gilt, weil dies die Ehe fatalerweise von ihrem Scheitern her definieren würde.

Es folgt der Beitrag von Franziska Vollmer, die in erfreulicher Klarheit und verfassungsrechtlicher Urteilskraft die Bedenken gegen das Ehegattensplitting vorträgt. Anschließend dekonstruiert Ulrike Spangenberg das von Christian Seiler bekräftigte Diktum der bislang herrschenden Meinung, dass die Fiktion der Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft die einzig legitime normative Ausgangsdefinition für die Ehegattenbesteuerung sei. Weder verstünden sich alle Ehepaare in diesem Sinne noch übten sie dies konsequent aus im Sinne einer getreulich hälftigen Teilung der gemeinsam erworbenen Finanzressourcen. Der Beitrag von Dagmar Felix reflektiert die in der Rechtstheorie, aber auch in der praktischen Politik oft beschworene „Einheit der Rechtsordnung“, die in erster Linie eine Widerspruchsfreiheit von Regelungen in verschiedenen Bereichen der Rechtsordnung bedeute. Die Autorin legt dar, dass es eine Vielzahl von Widersprüchen in den normativen Konstruktionen des Ehegattensplittings im Vergleich zum Zivil- und Sozialrecht gebe. Es sei aber eine Illusion, diese Widersprüche völlig vermeiden zu können. Es gelte vielmehr damit zu leben, dass die differenten Zwecke in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Regelungen rechtfertigen können, die sich nicht logisch vereinbaren lassen.

Ökonomische Standpunkte

Im zweiten Teil des Bandes erörtern mehrere Beitragende das Verhältnis von Ehegattensplitting und Leistungsfähigkeit. Cay Folkers gesteht zu, dass es kaum Konsens unter Ökonom/-innen über die grundsätzliche Frage der Leistungsfähigkeit und die Bemessungsgrundlage der Ehegatten- bzw. Familienbesteuerung gebe. Folkers sieht das Splitting als durchaus sachgerechte Lösung für die Probleme der vertikalen Gleichbehandlung (d. h., je nach Leistungsfähigkeit) an, die in einem direkt progressiven Tarif zum Ausdruck kommen. So bringt er den Zusammenhang von Progression und Steuersplitting von Eheleuten als wichtigste Weichenstellung des Systems in Stellung: Gäbe es statt der Progression einen für alle Einkommen gleich hohen Steuersatz, so bestünde kein Problem mit dem Ehegattensplitting, da Eheleute im Prinzip keinen steuerlichen Vorteil daraus ziehen könnten. Das Ehegattensplitting führe immerhin angesichts der Progression zu einer neutralen Besteuerung bezüglich der „Struktur der Eheentscheidungen“ und verhindere verzerrende Steuersatzdifferenzen der Partner.

Ein anderer Ökonom, Theodor Siegel, kommt anschließend zu genau gegenteiligen Ergebnissen. Der Autor legt auf die Leistungsfähigkeit des Individuums entscheidenden Wert. Er widerlegt im Einzelnen die bekannten Argumente für das Splitting und die ihnen zugrunde liegenden Figuren wie etwa der „Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs“ und kommt zu dem Ergebnis, dass das Splittingverfahren eine nicht begründbare Steuervergünstigung für bestimmte Ehe- und Arbeitsteilungsformen sei. Gisela Färber beschäftigt sich mit dem Lohnsteuerkartenverfahren gemäß der Steuerklassenkombination III/V, welches – zusätzlich zum grundlegenden Splittingeffekt – weitere Nachteile für Frauen bringe, weil gewöhnlich Frauen vorab deutlich mehr Steuern abgezogen werden, als es ihrem ‚wahren‘ Steueranteil in Relation zum Erwerbseinkommen entspricht. Die Autorin weist nach, dass dieses Verfahren in der Praxis schon als solches dazu führt, dass Anreize für Frauen fehlen, als zweite erwachsene Person im Haushalt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Sie befasst sich sodann mit möglichen Alternativen und erörtert deren Vor- und Nachteile.

Empirische Evidenzen

Matthias Wrede untersucht innereheliche und innerfamiliäre Entscheidungen bezüglich Arbeitsteilung und Investitionen in das eigene Humankapital der Eheleute und Eltern und kommt, wie auch die folgenden Beiträge dieses Kapitels, zu dem Ergebnis, dass das Ehegattensplitting die Ehe in traditioneller Arbeitsteilung subventioniere und der Aufnahme oder Ausdehnung der Erwerbstätigkeit des Zweitverdieners im Haushalt entgegenstehe. Auch ein Familiensplitting ändere daran nichts zum Positiven. Sowohl Gerhard Wagenhals als auch Miriam Beblo haben Modellrechnungen dazu angestellt, was sich bei einem anderen Ehegattenbesteuerungsmodus verändern würde. Bei beiden Studien stellt sich – wie zu erwarten – das Ehegattensplitting als die Variante heraus, die Frauen am meisten an der Partizipation hindert und die auch wenig zur Familienförderung beitragen kann. Ray Rees analysiert u. a. international vergleichend, wie stark Staaten durch ihre Steuersysteme das Einkommen des zweiten Verdieners belasten. Dies gilt bekanntlich für Deutschland ganz besonders.

Politische Reformen

Im letzten Kapitel fasst und führt Ute Sacksofsky noch einmal alle Argumente für eine Reform des Ehegattensplittings zusammen. Die protokollierte Podiumsdiskussion am Schluss bestätigt erneut die beim Studium der Beiträge gewonnenen Erkenntnisse darüber, wo die Konfliktlinien verlaufen und dass es von den meist normativen Prämissen der Akteure/Autoren abhängt, warum jemand das Ehegattensplitting verteidigt oder nach individualisierender Reform verlangt. Vorschläge für abfedernde Übergangsregelungen gibt es genug, wichtig wäre nun ein Einlenken der konservativen Seite. Das Ehegattensplitting wird irgendwann fallen, die Frage ist nur – wann.

Auch Britta Dietrichs schmales Büchlein Das Ehegattensplitting in Deutschland. Geschichtlicher Überblick, gegenwärtiges System und Alternativmodelle kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Autorin liefert auf 45 Seiten eine kurze Zusammenfassung der juristischen Debatte über das Ehegattensplitting. Im Anhang findet sich die Zusammenfassung der Arbeit in Form einer Power Point Präsentation auf ca. 33 Seiten. Sie skizziert die im Jahr 2007 diskutierten steuerpolitischen Reformalternativen sowie die damaligen politischen Positionen dazu. Dietrich kommt zu dem Schluss, dass das Ehegattensplitting aufgrund des Wandels der Familienformen nicht mehr zeitgemäß sei und der Gesetzgeber durchaus Reformspielräume habe, die er allerdings auf absehbare Zeit nicht nutzen werde. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema bietet das Buch wenig Neues. Es ist aufgrund der starken Komprimierung des umfangreichen Themas auch nicht als Überblickswerk für Einsteiger/-innen zu empfehlen. Kritisch anzumerken ist außerdem die schlechte Druckqualität, die das Lesen enorm erschwert.

URN urn:nbn:de:0114-qn092043

PD Dr. Sabine Berghahn

FU Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Homepage: http://userpage.fu-berlin.de/~berghahn

E-Mail: berghahn@zedat.fu-berlin.de

Maria Wersig

FU Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Homepage: http://userpage.fu-berlin.de/~mwersig/

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