Frauen in der Wissenschaft – Stieftöchter der Alma Mater?

Daniela Heitzmann

Wissenschaftliche Tagung aus Anlass der Erstzulassung von Frauen zum Studium an der TU Dresden am 1. November 1907

Veranstalter/-innen: Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Technischen Universität Dresden, Referat Gleichstellung von Frau und Mann, Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät

Am 1. November 1907 durfte sich die erste Frau an der Technischen Hochschule Dresden einschreiben. Jene Zäsur bot den Anlass, auf einer Tagung über die langen und wechselvollen Wege von Frauen in Wissenschaft und Lehre mit Blick auf aktuelle Problemlagen und Herausforderungen zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen ebenso Ausgrenzungsmechanismen wie diejenigen Bedingungen und Faktoren, die es Frauen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Gesellschaften ermöglichten, zu Bildung und Ausbildung, zu Gelehrtheit und Akzeptanz in den Wissenschaften zu gelangen. Die Tagung umschloss sowohl eine historische als auch eine aktuelle Dimension – es wurde dezidiert nach einer epochenübergreifenden Perspektive gesucht, um die historische Genese ungleicher Teilhabe von Männern und Frauen in der Wissenschaft zu verdeutlichen.

Die wissenschaftliche Tagung Frauen in der Wissenschaft – Stieftöchter der Alma Mater? fand am 2. und 3. November 2007 an der Technischen Universität Dresden statt und wurde gemeinsam vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Prof. Dr. Susanne Schötz), dem Referat Gleichstellung von Frau und Mann (Dr. Brigitte Schober, Dr. Hildegard Küllchen) und der Gleichstellungsbeauftragten der Philosophischen Fakultät (Dr. habil. Sonja Koch) veranstaltet.

Begleitend zur Tagung fand eine Ausstellung zum 100jährigen Frauenstudium in Dresden statt, die von Studierenden erarbeitet worden war. Darüber hinaus wurden Dresdner Student/-innen als Referent/-innen eingeladen, um eigene Forschungsprojekte, die im Rahmen eines Hauptseminars zu Frauen in der Wissenschaft entstanden waren, zu präsentieren.

Die Universität als „Männerwelt“

Am ersten Tagungstag stand die Genese der ungleichen Teilhabe von Frauen und Männern im System der Wissenschaften im Mittelpunkt. Eröffnet wurde der historische Streifzug durch die Mediävistin Sabine Tanz (Leipzig) mit einem Vortrag zur „Entstehung der Universität als Männerwelt“. Am Beispiel der Héloise zeigte Tanz Möglichkeitsräume für gelehrte Frauen im Mittelalter auf und stellte den scheinbar eindeutigen Befund eines frauenfeindlichen, patriarchalen Mittelalters in Frage. Vielmehr habe die Entstehung der Universität und die damit einhergehende männliche Wissensmonopolisierung die Frauen dazu gezwungen, sich neue Wege zu erschließen. Die Historikerin Monika Mommertz (Berlin/Zürich) betonte in ihrem Beitrag „Wie das wissenschaftliche ‚Sehen‘ ein Geschlecht bekam: Zum ‚Gendering‘ von Observation und Empirismus in der Entstehungsphase der modernen Naturwissenschaften“ die herausragende Bedeutung der außeruniversitären Forschung und Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit sowohl für das Wissenschaftssystem an sich als auch für die gelehrten Frauen. Exemplarisch an der Familie Kirch, die im Bereich der Observationsastronomie forschte, zeichnete Mommertz die „Unsichtbarmachung“ der Wissenschaftlerinnen nach. Das heißt, es gab sehr wohl Frauen, die Wissenschaft betrieben, jedoch wurde ihnen der Zugang zu Titel und Stelle und damit die offizielle Anerkennung verwehrt. Einen umfassenden Einblick in den „Kampf der Frauenbewegung um die Öffnung der Universitäten für Frauen“ am Ende des 19. Jahrhunderts gewährte die Historische Bildungsforscherin Elke Klein (Köln). Die schrittweise universitäre Öffnung, zunächst vor allem im Bereich des Lehrberufes, war begleitet von hartnäckigem Widerstand – etwa in Form sogenannter naturwissenschaftlicher Studien, die die „geistige Minderwertigkeit der Weiber“ konstatierten. Trotz heftiger Auseinandersetzungen blieben formale Beschränkungen auf dem Weg in den Beruf bis in die 1920er Jahre bestehen.

Karl Lenz (Dresden) gab ein soziologisches Input zu Entwicklung und heutigem Stand der Geschlechterdemokratie an den deutschen Hochschulen und stellte die Frage: „Nach 100 Jahren Frauenstudium: verschwinden die Geschlechterdifferenzen?“. Zwar ist das Frauenstudium inzwischen zu einer Normalität geworden, jedoch vollziehen sich weiterhin horizontale und vertikale Segregationsprozesse. Erstere wirken nachteilig auf Frauen und Männer, letztere drücken sich vornehmlich in der Benachteiligung von Frauen aus. Infolgedessen, so Lenz, kann keineswegs von einer verwirklichten Geschlechterdemokratie an Hochschulen gesprochen werden.

Portraits von Wissenschaftlerinnen und die Bedingungen für ihre Leistungen

Das zweite Panel hatte die wissenschaftlichen Leistungen sowie die Lebenswege von Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts, die aus Dresden stammten oder dort gewirkt hatten, zum Gegenstand. Britte von Gehlen (Dresden) stellte die gebürtige Dresdnerin „Dr. h. c. mult. Maria Reiche (1903–1998)“ vor. Nach ihrem naturwissenschaftlichen Studium in Hamburg während der Weimarer Zeit verließ sie Deutschland und ging nach Peru, wo sie ihr ganzes Leben der Erforschung der Nazca-Kultur widmete. Von Gehlen zeichnete trotz spärlicher Quellenlage das Bild einer gelehrten Frau in der Mitte des 20. Jahrhunderts und schilderte deren Erfahrungen, an die Grenzen einer „männlichen Wissenschaft“ zu stoßen. Den Lebensweg der Physikerin und ersten Rektorin einer deutschen Universität „Prof. Dr. Lieselott Herforth (geb. 1916)“ stellte Luise Ludwig (Dresden) vor. Herforth, zugleich die erste und einzige Rektorin der Universität Dresden (1965–1968), durchlief eine bilderbuchartige wissenschaftliche sowie gesellschaftspolitische Karriere. Die Erhöhung des Frauenanteils in naturwissenschaftlich-technischen Berufen bildete eines ihrer Hauptanliegen. Jedoch bleibt zu untersuchen, wie sie der Rolle von Frauen in Politik und Wissenschaft gegenüber stand. In der Biographie von „Lilia Skala-Sofer (1896–1994)“, die in Dresden Hochbau studierte, konnte Matthias Franke (Dresden) keine Belege für eine Benachteiligung der jungen Studentin finden. Vielmehr schloss sie ihr Studium sehr gut ab und war anschließend als Architektin in Wien tätig, wo sie u.a. Kinderheime baute. Allerdings verblieb Skala-Sofer nicht in ihrem Beruf, sondern erfüllte sich ihren Traum, Schauspielerin zu werden – was ihr nach der Emigration in die USA 1963 eine Oscar-Nominierung einbrachte. Die Analyse der individuellen Lebensbilder warf einerseits die Frage nach Diskriminierungserfahrung bzw. deren Wahrnehmung durch Wissenschaftlerinnen auf und rückte andererseits das problematische Verhältnis von Politik und Wissenschaft in den Aufmerksamkeitsfokus.

Programmflyer
Titelseite des Programmflyers

Die Darstellung der vielfältigen und unterschiedlichen weiblichen Lebenszusammenhänge wurde im dritten Panel um die Perspektive auf Bedingungen wissenschaftlichen Erfolgs und damit verknüpfte Barrieren für gelehrte Frauen erweitert. Kristin Böhme (Eichstätt) begab sich in ihrem Vortrag auf die Suche nach Nobelpreisträgerinnen – bis 2005 waren es 34 von insgesamt 730 Personen, die einen Nobelpreis erhielten. Vermittels der Untersuchung der Nominierungs- und Preisvergabemodalitäten sammelte Böhme erste Indizien für bestehende „Barrieren“. Eine eingehende Untersuchung wird durch den Verschluss der Gremienunterlagen über einen Zeitraum von fünfzig Jahren erschwert. In ihrem Beitrag „Chemikerinnen“ fragte Carolin Frank (Dresden) nach den Produktionsbedingungen von Wissen am Beispiel der Chemie und stellte zugleich deren sogenannte Frauenfreundlichkeit zur Diskussion. Vermittels der biographiegeschichtlichen Analyse des Lebensweges der Chemikerin Margarethe von Wrangells sowie der historischen Rekonstruktion der Partizipation von Frauen an der Entwicklung der Wissenschaftsdisziplin Chemie kommt Frank zu dem Ergebnis, dass die Chemie keineswegs „frauenfreundlicher“ sei als andere Wissenschaften. Vielmehr finden sich auch hier Ausgrenzungsmechanismen, etwa über Netzwerke oder die Bedienung des Wissenschaftsmythos von der Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Wissenschaft. Den ersten Tagungstag beendete die Wissenschaftshistorikerin Annette Vogt (Berlin) mit dem Vortrag „Barrieren und Karrieren – am Beispiel der Wissenschaftlerinnen in Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“. Auf der Grundlage einer eigenen Untersuchung von mehr als 500 Biographien rekonstruierte Vogt die Geschlechtergeschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zwischen 1895 und 1945 und entwarf ein umfassendes Bild von den sogenannten Barrieren. Vogt unterscheidet zwischen formellen Verboten, etwa Gesetze, Erlasse, Verordnungen, und „stillen“ Verboten, wie Nicht-Habilitationen, Nicht-Berufungen, Nicht-Wahl von Frauen in wissenschaftliche Akademien. Die Analyse der Lebenszusammenhänge zeigte, dass es sich meist um zufällige Kombinationen verschiedener Faktoren handelte, die Frauen den Weg in die Wissenschaften gewährten bzw. verwehrten – und dies muss wohl zugleich als ein Grund für die Nicht-Erinnerung und Nicht-Sichtbarkeit von gelehrten Frauen erachtet werden.

Zur aktuellen Situation der Wissenschaftlerinnen an der TU Dresden

Der zweite Tagungstag stand unter dem Zeichen der aktuellen Situation und der Herausforderungen auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Forschung und Lehre an der Universität Dresden. Die Medizinhistorikerin Caris-Petra Heidel (Dresden) befasste sich in ihrem Beitrag mit den „Frauen in der Medizin – Studium und akademische Laufbahn an medizinischen Hochschulen am Beispiel Dresdens“. Für die Medizin ergibt sich ein ähnliches Bild wie in anderen Disziplinen: Ist die Geschlechterverteilung beim Studienabschluss noch paritätisch, liegt der Frauenanteil bei den Führungspositionen im einstelligen Bereich. Heidel kennzeichnete verschiedene Faktoren, die zur Schlechterstellung der Ärztinnen beitragen, so etwa die innere Hierarchie der Medizin, das sinkende berufliche Selbstvertrauen von Ärztinnen mit steigender Qualifikationsstufe oder das Phänomen, dass weibliches Leistungsvermögen oft mit einem Makel behaftet wird. Dresden mag ein sehr deutliches Beispiel für diese Zusammenhänge darstellen: Obwohl in den 1990er Jahren rund neunzig Prozent der Stellen an der Medizinischen Fakultät neu besetzt wurden, lag im Jahr 2002 der Frauenanteil bei den C3- bzw. C4-Professuren bei 9,2 bzw. 4,8 Prozent.

Die Problem- und Erfolgsgeschichte des Transdiziplinären Studienschwerpunktes Gender Studies an der TU Dresden referierte die Literaturwissenschaftlerin Kerstin Stüssel (Dresden). In ihrem Vortrag „Der Transdisziplinäre Studienschwerpunkt Gender Studies – Ergebnisse und Ausblick“ vertrat sie die These einer Normalisierung der Gender Studies an der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, insofern diese nach Beendigung der Finanzierung durch das HWP-Programm und die Hochschulleitung Eingang in Lehre und Forschung gefunden haben, so auch in die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge. Des Weiteren wird im Rahmen des Qualifizierungsprogramms Gender Studies ein Mentoring-Programm für Kulturwissenschaftler/-innen angeboten. Die Forstwirtin Doreen Ille (Dresden) stellte die „Genderrelevante Forschung im Bereich der internationalen Forstwirtschaft“ vor. Gender ist Teil des angebotenen Masterstudienganges Tropische Forstwirtschaft. Auf dem Hintergrund des engen entstehungsgeschichtlichen Zusammenhanges von Entwicklungszusammenarbeit und Frauen- bzw. Geschlechterforschung sind verschiedene Forschungsarbeiten entstanden, deren Ergebnisse die Referentin zusammenfassend darstellte.

Im Vorfeld der Tagung war eine umfangreiche Befragung von Wissenschaftlerinnen sowie eine Evaluierung von Frauenförderprogrammen an der TU Dresden durchgeführt worden. In ihrem Beitrag „Frauenförderung an der TU Dresden seit 1992: Eine Bilanz“ präsentierte die Gleichstellungsbeauftragte Brigitte Schober der TU Dresden ausgewählte Ergebnisse aus dem Bereich der Promotionen und Habilitationen, die sich in den aktuellen Forschungsstand zur problematischen Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen einfügen. Sabine Hoffmann (Dresden) berichtete als Vertreterin des Studentenrates vom „Doing gender an der TU Dresden? Eine kritische Bilanz aus dem Referat für Politische Bildung des Studentenrates“. Durch verschiedene Veranstaltungsreihen versucht das Referat aktiv Gleichstellungspolitik mitzugestalten und insbesondere die Studierenden für Sprache als Faktor für die Konstitution von Geschlechterungleichheit zu sensibilisieren. Der Soziologie Karl Lenz (Dresden) stellte das Projekt „GIFA – Geschlechterverhältnisse in Forschung und Ausbildung an der TUD“ vor. Dieses zunächst HWP-geförderte (momentan aus finanziellen Gründen stillgelegte) und interdisziplinär angelegte Projekt verfolgt die Aufgabe, eine Dokumentationsstelle zur Geschlechterthematik an der TU sowie zu außeruniversitären Projekten aufzubauen. Daran anschließend gilt es die Vernetzung der Geschlechterforscher/-innen an der TU herzustellen und zu gewährleisten. Des Weiteren geht die Initiierung des Marianne-Menzzer-Preises für Abschlussarbeiten im Bereich der Geschlechterforschung auf das Projekt zurück.

In der abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Universitäten und Geschlechtergerechtigkeit? Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ ging es um die konkrete Situation an der Universität Dresden. Inwiefern sind Benachteiligungen bzw. Diskriminierungen zu beobachten? Wo kann man die Umsetzung der einzelnen Ziele des Frauenförderplans feststellen? Wo befinden sich die zentralen Handlungsebenen, an denen angesetzt werden muss, um eine geschlechtergerechte Hochschule zu verwirklichen? Eine Grundproblematik liegt in der geringen bzw. fehlenden Sensibilisierung für das Thema Gender – gerade auch der Frauenanteil am nichtwissenschaftlichen Personal von 92 Prozent (und somit ein Männeranteil von acht Prozent) verdeutlicht die Notwendigkeit, die Geschlechterperspektive in alle universitären Bereiche zu integrieren. Es folgten konkrete Forderungen, etwa nach der Anpassung der Qualifizierungskriterien an weibliche und männliche Lebensläufe und nach Verwirklichung der Geschlechterdemokratie als Kriterium der (Personal-)Mittelvergabe. Ein weiterer Fokus der Diskussion lag auf der ambivalenten Position der Gleichstellungsbeauftragten. Der umfassenden Aufgabe, Gleichstellungspolitik in einer großen Organisation zu betreiben, stehen oftmals offener und versteckter Widerstand sowie eingeschränkte Befugnisse und Handlungsräume gegenüber.

Im Anschluss an die Tagung ist die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge und der Recherche-Ergebnisse sowie die weitere Präsenz der Begleitausstellung in öffentlichen Räumen geplant. Die Ausstellung wird zunächst im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zu sehen sein.

URN urn:nbn:de:0114-qn091413

Daniela Heitzmann

Technische Universität Dresden, Institut für Soziologie

E-Mail: danielaheitzmann@web.de

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