Standortbestimmung: Wo befindet sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft?

Christiane Eifert

Für eine Zwischenbilanz zum jetzigen Zeitpunkt gibt es gute Gründe: Viele Initiatorinnen und Wegbereiterinnen der Frauen- und Geschlechtergeschichte haben in den letzten fünf Jahren die Universitäten und ihre Professuren verlassen, um in den wohlverdienten bürokratiefernen Ruhestand einzutreten, der ihnen endlich mehr Zeit für eigene Forschungen gibt. In welchem Stand ließen sie „ihr“ Projekt zurück, welche Entwicklung hat die Frauen- und Geschlechterforschung in der Geschichtswissenschaft genommen? Salopp formuliert wie in der an mich gerichteten Anfrage: Ist die Frauen- und Geschlechtergeschichte im „Mainstream“ angekommen oder nicht und wenn nicht, worin liegen die Gründe?

Aus etwas Distanz zum tagespolitischen Geschäft betrachtet muss der Frauen- und Geschlechtergeschichte ein bemerkenswerter Erfolg zugesprochen werden, denn sie hat erhebliche Veränderungen in der Geschichtswissenschaft bewirkt. Hierzu gehört an erster Stelle, dass sie die Vorstellung von der Einheit in der Geschichte aufgebrochen, das behauptet Universale als Kategorie der Herrschaft aufgezeigt und die den Konzepten vom Allgemeinen und vom Besonderen, vom Zentrum und der Peripherie impliziten Hierarchien benannt und kritisiert hat. Exakt hierauf beruht der innovative Impetus der Frauen- und Geschlechtergeschichte, die sich nicht damit begnügte, Frauen in das bestehende Bild der Vergangenheit nachträglich einzufügen, sondern die auf der grundlegenden Neukomposition von Gemälden bestand.

Doch der Reihe nach. Anhand welcher Kriterien kann man den Erfolg oder das Scheitern der Frauen- und Geschlechtergeschichte mit Blick auf die Geschichtswissenschaft insgesamt überprüfen? Die klassischen Parameter für den Grad der Etablierung sind die Anzahl der einschlägig ausgewiesenen Professuren und die Verankerung im Lehrkanon. Eine Zukunft kann der Frauen- und Geschlechtergeschichte außerdem attestiert werden, wenn innerhalb des Gebietes Dissertationen geschrieben werden, wissenschaftliche Verlage einschlägige Publikationsreihen unterhalten und Fachzeitschriften bestehen, in denen die wissenschaftliche Auseinandersetzung geführt werden kann. Zur Sichtbarkeit und somit dem Erfolg der Frauen- und Geschlechtergeschichte trägt weiter bei, ob deren Erträge breit rezensiert werden, wobei sich Rezensenten nicht länger verpflichtet fühlen, zusätzlich zur Darstellung des Buches über die Feminismusnähe der Autorin oder des Autoren zu räsonieren. Schließlich ist nach eigenen Netzwerken zu fragen, nach der Integration von Frauen- und GeschlechterhistorikerInnen in den Verband und seine Gremien sowie danach, wie das Thema bei Tagungen und Konferenzen behandelt wird. Ich will diese Aspekte im Folgenden knapp aufgreifen und dann zu einer Bewertung kommen.

Die Anzahl der Professuren an deutschen Universitäten, die ausdrücklich der Frauen- und Geschlechtergeschichte gewidmet sind, liegt gegenwärtig bei sechs, darunter eine Juniorprofessur.[1] Von diesen sechs Professuren befinden sich drei in Berlin, eine in Magdeburg, eine in Bielefeld und eine in Bochum. Sie sind zudem der Wissensgeschichte, der alten Geschichte und je zwei der Frühen Neuzeit und der Moderne zugeordnet. Dieser Bestand von eigentlich fünf Professuren ist nicht sonderlich üppig (insbesondere im Vergleich zu den 25 Professuren in der Soziologie), war allerdings auch nie größer. Das Bild verändert sich, wenn man diejenigen ProfessorInnen mit einschließt, deren Stelle zwar keine entsprechende Denomination aufweist, die aber in ihren Forschungen und in ihrer Lehre Frauen- und Geschlechtergeschichte betreiben. Eine Reihe von Universitäten nördlich und südlich der Strecke Bochum-Berlin kommen dann in den Blick: zum Beispiel die Universitäten in Bremen, Göttingen, Hamburg und Oldenburg, in Freiburg, München und Konstanz. Zähle ich statt der einschlägig ausgewiesenen Stellen die entsprechend aktiven StelleninhaberInnen, ergibt sich mithin ein sehr viel dichteres Netz von Universitäten, an denen Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Lehre angeboten wird. Auf die Frage, inwiefern Frauen- und Geschlechtergeschichte in den universitären Studiengängen verankert ist, lautet entsprechend die Antwort, dass es weniger auf die Institutionalisierung ankommt (Studiengänge sind Moden unterworfen, sie kommen und gehen, wie gerade der Bologna-Reformprozess zeigt) als auf die über Personen garantierte Präsenz der Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Lehre.[2]

Schauen wir auf die Forschung. Dissertationen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte sind heute keine exotischen Qualifikationsvorhaben mehr, deren Betreuung und Finanzierung aufgrund des Gegenstandes prekär wären und die der Kandidatin den Weg in eine garantiert unsichere Zukunft wiesen. Vielmehr ist die Frage nach Geschlecht inzwischen eine der „klassischen Fragen“ geworden, die ähnlich wie die Frage nach der Klasse beim wissenschaftlichen Nachwuchs vielerorts unverzichtbar ist. In Kombination mit postcolonial studies, Körpergeschichte oder auch der historischen Erforschung von Bildern ist Geschlecht als analytische Kategorie fest etabliert. Nicht allein in der Historiographiegeschichte, sondern generell in der Wissenschaftsgeschichte, also in der Geschichte der Pharmazie und der Genetik beispielsweise, wird inzwischen mit großem Erfolg geschlechtergeschichtlich gearbeitet. Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass diese Offenheit gegenüber neuen Fragestellungen nicht an allen Historischen Seminaren gleichermaßen verbreitet ist. Gerade angesichts der mancherorts beharrlichen Ignoranz ist die beispiellose Breite geschlechtergeschichtlicher Untersuchungen als ein großer Erfolg zu bewerten.

Publiziert werden geschlechtergeschichtliche Studien unter anderem in der Reihe „Geschichte und Geschlecht“, die seit nunmehr 15 Jahren von wechselnden Herausgeberinnen getragen wird. Die Zentraleinrichtung Frauen- und Geschlechterforschung an der FU Berlin hat eine Reihe „Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung“ publiziert, die jetzt ausläuft. Auch das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel, das u.a. die Zeitschrift Ariadne herausgibt, unterhält eine Publikationsreihe. Eingeführte sozialgeschichtliche Reihen wie beispielsweise die „Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft“ nehmen inzwischen ebenfalls geschlechtergeschichtliche Arbeiten auf. Für StudienanfängerInnen liegen „Einführungen in die Geschlechtergeschichte“ vor, in neuen „Einführungen in das Studium der Geschichtswissenschaft“ wird die Frauen- und Geschlechtergeschichte selbstverständlich behandelt. Eigene Zeitschriften wie „L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft“ (1. Jg. 1989) oder „Ariadne“ (1. Heft 1986) werden ergänzt von deutschsprachigen interdisziplinären Zeitschriften wie den „Feministischen Studien“ (1. Jg. 1982) oder den „Querelles Jahrbuch“ (1. Ausgabe 1996) und bieten ein breites Spektrum an Themen. Jüngere Zeitschriften wie WerkstattGeschichte (1. Heft 1992) oder „Historische Anthropologie“ (1. Jg. 1992) sind offen für geschlechtergeschichtliche Forschungen. Alle diese Zeitschriften enthalten einen Rezensionsteil, in dem geschlechtergeschichtliche Arbeiten regelmäßig vorgestellt werden. Damit wird es immer schwerer, die Ignoranz geschlechtergeschichtlicher Forschungsergebnisse weiterhin zu pflegen.

Ein wichtiges Netzwerk für HistorikerInnen, die zur Frauen- und Geschlechtergeschichte arbeiten, ist der 1987 gegründete Arbeitskreis für historische Frauen- und Geschlechterforschung. Dieser Arbeitskreis gibt einen regelmäßig erscheinenden elektronischen Newsletter heraus, pflegt eine Datei der einschlägig arbeitenden Historikerinnen und Historiker, organisiert Tagungen auf regionaler und nationaler Ebene. Er ermöglicht mit diesen vielfältigen Aktivitäten den wissenschaftlichen Austausch und trägt viel zur Lebendigkeit der Geschlechtergeschichte bei. Die Verantwortung für die Organisation des Arbeitskreises wandert, womit auch die Bekanntheit des Arbeitskreises wächst.

Im Historikerverband haben sich ebenfalls erhebliche Veränderungen vollzogen, wie die Umbenennung in Verband deutscher Historikerinnen und Historiker e.V. signalisiert. Auch die Vergabe eines Preises, der nach der Historikerin Hedwig Hintze benannt wurde, kann als Zeichensetzung bewertet werden. Bei der Besetzung der Gremien des Verbandes wird darauf geachtet, dass Frauen (zumindest mit einer Alibifrau) repräsentiert sind. Hier wie in den Sektionen des zweijährig stattfindenden Historikertags ist man von einer Parität von Historikerinnen und Historikern, wie sie etwa in den USA praktiziert wird, jedoch noch weit entfernt. Die Fortdauer hierarchischer Wertungen kann man auch beobachten, wenn man den Besuch der Sektionen auf dem Historikertag untersucht. Sektionen mit Themen der Frauen- und Geschlechtergeschichte stoßen beim männlichen Publikum auf große Zurückhaltung, dort finden sich zur Diskussion überwiegend Historikerinnen ein. Dies ist allerdings kein Spezifikum des Historikertages, sondern gilt allgemein. Veranstaltet etwa die keineswegs unter Feminismus-Verdacht stehende Gesellschaft für Unternehmensgeschichte eine Tagung über Unternehmerinnen, ist das Publikum fast ausschließlich weiblich. Trotz solcher Bemühungen seitens der wissenschaftlichen Organisationen reagiert die wissenschaftliche Öffentlichkeit noch immer sehr stereotyp.

Resümierend überwiegt bei allen Vorbehalten in einzelnen Punkten dennoch der Eindruck, dass die Frauen- und Geschlechtergeschichte innerhalb einer Generation einen erstaunlichen Weg ins Zentrum der Geschichtswissenschaft zurückgelegt hat. Dieser Erfolg ist deshalb mit dem anderer historiographischer Forschungsansätze (wie etwa der Kulturgeschichte) nicht zu vergleichen, weil es ja nicht nur darum ging, neue Themen, neue Fragestellungen, neue Quellengruppen in den Kanon der Wissenschaft einzuführen, sondern weil auch die Personen, die all dies taten, Neulinge waren, die diesen Weg ohne große Unterstützung aus dem historiographischen Establishment gingen. Geholfen hat hierbei die andauernde Nachfrage nach Ergebnissen der Frauen- und Geschlechtergeschichte, die von außerhalb der Wissenschaft tätigen Multiplikatorinnen kam, etwa von den stadt- und regionalgeschichtlich interessierten Frauen, die sich als „Miss Marples Schwestern“ zusammengeschlossen haben.

Angesichts der laufenden Ökonomisierung der Universitäten und der gleichzeitigen Neuorientierung historischer Forschung auf Globalgeschichte (beide reflektieren allgemeine politische Diskussionen über Globalisierung) scheinen die Zukunftsaussichten für die Frauen- und Geschlechtergeschichte nicht sehr strahlend zu sein. Die Verankerung in der Geschichtswissenschaft ist allerdings so weit vorangeschritten, dass das spurlose Verschwinden von Frauen- und Geschlechtergeschichte kaum unvorstellbar ist. Und der Prozess der Auflösung einer politikgeschichtlich dominierten und Periodisierungen wie Themen vorgebenden Allgemeinen Geschichte ist gleichfalls unumkehrbar. Wie der „Mainstream“ in der Geschichtswissenschaft von wem definiert wird, ob überhaupt noch von ihm gesprochen werden kann, ist gegenwärtig offen. Stattdessen konkurrieren und fusionieren viele Forschungsansätze und Themen miteinander. Dies ist kein kleiner Erfolg, an dem die Frauen- und Geschlechtergeschichte maßgeblich beteiligt ist.

Anmerkungen

[1]: Siehe Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin, http://www.fu-berlin.de/zefrauen/datensammlung/genderprofessuren v. 6.12.2007

[2]: Auch hierzu bietet die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der FU Berlin eine Auflistung: http://www.fu-berlin.de/zefrauen/datensammlung/studiengaenge/chronologisch.html v. 6.12.2007

URN urn:nbn:de:0114-qn091408

PD Dr. Christiane Eifert

Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Homepage: http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/ceifert/index.html

E-Mail: christiane.eifert@uni-bielefeld.de

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