„Die klatschende Theesipschaft unserer nervenschwachen, schreibenden Damen (Gutzkow)“

Rezension von Aleksandra Bednarowska

Gudrun Loster-Schneider, Gaby Pailer (Hg.):

Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900).

Tübingen u.a.: A. Francke Verlag 2006.

492 Seiten + CD-Rom, ISBN 978–3–7720–8189–7, € 128,00

Abstract: Mit dieser umfassenden Darstellung von meist unbekannten literarischen Texten von 170 deutschsprachigen Autorinnen aus den Jahren 1730–1900 leisten die Herausgeberinnen des Lexikons deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen einen bedeutenden Beitrag nicht nur zur Frauen- und Geschlechterforschung, sondern auch zur Germanistik. Dabei gelingt es ihnen, zu zeigen, wie bemerkenswert das Schaffen der Frauen im 18. und 19. Jahrhundert war.

Grundlegendes

Die Frage nach der Rolle des Geschlechts in Bezug auf den schöpferischen Prozess hat Schriftstellerinnen schon immer beschäftigt. Seit den Anfängen der Frauenliteratur haben sie sich mit den Einschränkungen bei der Ausübung ihrer literarischen Tätigkeit, die ausschließlich durch ihr Geschlecht begründet waren, auf unterschiedliche Art und Weise auseinandergesetzt. Im Akt des Schreibens entdeckten sie eine Möglichkeit, ihre Gefühle und Erfahrungen auszudrücken, was ihnen die innere Kraft zur Herausbildung einer eigenen weiblichen Identität verlieh.

Das Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900) bietet einen Überblick über die bemerkenswerte Vielfalt literarischer Tätigkeit von Frauen. Entgegen der Einschätzung Karl Gutzkows, deutsche Schriftstellerinnen mit Ausnahme von Therese Huber seien „die klatschende Theesipschaft unserer nervenschwachen, schreibenden Damen“ (Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart 1836, Bd.1, S.228), zeigt die Lektüre des vorliegenden Lexikons, dass die Autorinnen sich nicht nur dem Tee widmeten, sondern auch eine Vielzahl bedeutender literarischer Texte veröffentlichten.

343 epische und dramatische Werke, die der breiten Leserschaft nahezu unbekannt sind, da sie nicht zum „Kanon“ zählen, werden in diesem Lexikon vorgestellt, kommentiert, analysiert und eingeordnet in den zeitgeschichtlichen, kulturellen und literaturgeschichtlichen Zusammenhang. Das Lexikon befasst sich dabei ausschließlich mit den deutschsprachigen gedruckten Originalwerken. Die Beiträge wurden von führenden deutschen und ausländischen Germanisten und Germanistinnen verfasst. Ein ausführliches Namen- und Werktitelverzeichnis und ein Verzeichnis der Verfasser und Verfasserinnen beschließen den Band. Die beiliegende CD-ROM ermöglicht eine Volltextsuche und verschiedene Suchkombinationen, die auf schnelle Weise Zusammenhänge zwischen den Werken herstellen können.

Die Auswahlkriterien der Beiträge

Die Auswahl der Autorinnen und ihrer Werke erfolgte anhand dreier Kriterien. Der Zeitrahmen (1730–1900), der durch das Publikationsdatum der Werke gesetzt wurde, umfasst 170 Jahre – von der Frühaufklärung bis zum Fin de siècle. Zwei Gründe werden für die Wahl dieser Zeitspanne genannt: erstens die hohe Bedeutung, die dem Medium Literatur in dieser Zeit zukommt, zweitens die begrenzte Verfügbarkeit der meisten Texte, da nur relativ wenige Werke von Autorinnen dieses Zeitraumes in den letzten Jahren neu veröffentlicht wurden.

Das zweite Kriterium betrifft die Auswahl der Gattungen. Das Lexikon wurde auf anerkannte Gattungsformen der Epik und Dramatik (Komödien, Tragödien, bürgerliche Trauerspiele, Legendendramen, Novellen, Romane, Ritter- und Schauerstücke, Salonstücke, Epen) beschränkt. Dies benachteiligt Schriftstellerinnen, die sich vor allem der Poesie, autobiographischen Texten (einschließlich Briefen) oder Sachtexten widmeten. Aus diesem Grund wurden zum Beispiel Rahel Levin von Varnhagen, Henriette Herz oder Anna Luisa Karsch nicht berücksichtigt.

Das dritte Kriterium betrifft das Ziel, eine Vielfalt von Autorinnen vorzustellen. Entsprechend wurden maximal fünf Werke von je einer Autorin besprochen. Dadurch, dass bekannte kanonisierte Texte neben unbekannten Werken stehen, wird die beeindruckende Spannweite der Themen und Motive, mit denen sich die Schriftstellerinnen befassten, gezeigt. So wird beispielsweise erkennbar, dass deutsche Schriftstellerinnen sich als aus dem kulturellen Feld Ausgeschlossene und zu den „internen Anderen“ gehörend mit Themen der Geschlechterdifferenz, des Anderen und der kulturellen Fremdheit auseinandersetzten.

Situierung in der Forschung

Obwohl alle Kriterien im Vorwort ausführlich begründet werden, vermögen einige nicht zu überzeugen. Der für die Auswahl festgelegte zeitliche Rahmen des Lexikons, für den jeweils das Publikationsdatum der Werke maßgeblich ist, führt manchmal dazu, dass Schriftstellerinnen nicht mit ihren bekanntesten Werken vertreten sind, sondern nur mit denjenigen, die vor 1900 veröffentlicht wurden. Eine ausführlichere Werkbibliographie und eine kurze Biographie der Autorinnen (dafür könnte man die beiliegende CD-Rom nutzen) wäre für die Benutzer und Benutzerinnen sehr hilfreich. Der im Lexikon fehlende Überblick des literaturgeschichtlichen und kulturellen Hintergrundes, in dem die Autorinnen wirkten, kann es zum Beispiel Studierenden der Germanistik erschweren, bestimmte Zusammenhänge herzustellen.

Die Lektüre dieses Lexikons und zahlreicher anderer Lexika zur Frauenliteratur wirft die grundlegende Frage auf, warum in der deutschen Germanistik im Gegensatz zum Beispiel zur amerikanischen weiterhin Literatur von Frauen (aber auch von Minderheiten) als „Spezial“-Gebiet der Forschung behandelt und in den Mainstream-Germanistiklehrbüchern beziehungsweise Werk- und Autorenlexika nur am Rande erwähnt wird. Das vorliegende Lexikon reagiert auf diese Ausgrenzung, schreibt sie aber auch weiter fort.

Fazit

Diese grundlegende Darstellung der meist unbekannten literarischen Texte von deutschsprachigen Autorinnen aus den Jahren 1730–1900 ist eine Weiterführung der bereits bestehenden Genderforschung auf dem Gebiet der deutschen Literatur. Die Leistung die Herausgeberinnen des Lexikons deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900) besteht darin, einen hervorragenden Überblick über eine Vielzahl literarischer Werke von Frauen zu bieten. Dabei gelingt es ihnen zu zeigen, wie bemerkenswert das Schaffen der Frauen im 18. und 19. Jahrhundert war. Dieses Lexikon ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Mechanismen der Kanonbildung.

URN urn:nbn:de:0114-qn091025

Dr. Aleksandra Bednarowska

Krakow (Polen), Pädagogische Hochschule, Neophilologisches Institut

E-Mail: abednaro@yahoo.com

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