Editorial zu querelles-net 24 (2008)

Ulla Bock, Anita Runge, Marco Tullney

Liebe Leser/-innen,

dass nach gut zwei Jahren erneut der Themenschwerpunkt „Geschichte“ für eine neue Ausgabe von Querelles-Net gewählt werden konnte, dokumentiert, wie erfolgreich sich der Bereich Frauen- und Geschlechtergeschichte/feministische Geschichtswissenschaft auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt behaupten kann. Die im November 2005 erkennbaren Trends setzen sich dabei fort:

  1. Interesse am Feld der „Neueren Geschichte“: Untersuchungen zum Nationalsozialismus und seiner Vorgeschichte stehen im Mittelpunkt. Fragen nach der Beteiligung von Frauen (als Wissenschaftlerinnen oder politisch Tätige) am Nationalsozialismus bzw. nach ihrer Funktion als ideologische Wegbereiterinnen finden besondere Aufmerksamkeit.
  2. Biographisches Interesse: Geschichtliche Ereignisse werden zunehmend (wieder) mit Hilfe reflektierter biographischer Verfahren rekonstruiert. Das gilt nicht nur für einzelbiographische Darstellungen, sondern zeigt sich in der vorliegenden Ausgabe sowohl bei den rezensierten wissenschaftsgeschichtlichen als auch den politik-, religions- und literaturgeschichtlichen Untersuchungen.
  3. Inter- bzw. Transdisziplinarität: Disziplinengrenzen werden insbesondere zu den Sozialwissenschaften bzw. zur Literaturwissenschaft überschritten (vgl. auch den Projektbericht von Gudrun Wedel zu „Autobiographien von Frauen als historische Quelle“ im Forum).

Die Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft (L'Homme) hat eine Reflektion des Stands der gegenwärtigen Geschlechtergeschichte zum Schwerpunkt ihrer letzten Ausgabe gemacht. Die Herausgeberinnen kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Entwicklung der historischen Geschlechterforschung zurzeit in einer Phase der Konsolidierung befindet, verbunden mit einer Selbstvergewisserung und einer Kanonisierung: Es werden Einführungen publiziert und die polarisierten wissenschaftsprogrammatischen Debatten sind in den Hintergrund getreten. An ihre Stelle sei die „unaufgeregte Anwendung verschiedener Ansätze in einer thematisch weit gefächerten empirischen Forschung“ getreten (Editorial zu L’Homme, Jg. 18, H. 2, S. 7-8).

Die im Schwerpunktteil der vorliegenden Ausgabe veröffentlichten Rezensionen bestätigen ebenso wie die im Forum versammelten Tagungsberichte diesen Befund. In ihrer „Standortbestimmung“ im Forum betont auch Christiane Eifert, dass in der Vielfalt konkurrierender Forschungsansätze und Themen – und der damit womöglich verbundenen Auflösung eines geschichtswissenschaftlichen „Mainstreams“ – der Erfolg der langjährigen Bemühungen der Frauen- und Geschlechterforschung in den Geschichtswissenschaften zu sehen sei.

Ob sich diese Tendenz zur Konsolidierung durch Vielfalt fortsetzt oder ob zukünftig eher Kanonisierungsbestrebungen zu beobachten sind (z. B. durch fachdidaktische Publikationen, in denen die Geschlechtergeschichte als Lehrinhalt für Schulen konzipiert wird – auch dazu eine Besprechung im vorliegenden Heft), wird sich in den Rezensionen in Querelles-Net in den nächsten Jahren, vielleicht erneut in einer Schwerpunktausgabe, verfolgen lassen.

Im „offenen Teil“ wird erneut ein fortdauerndes Interesse an geschlechtertheoretischen Debatten, insbesondere im Bereich der Queer Theory, deutlich.

Die Redaktion wünscht Ihnen eine anregende Lektüre und erholsame Osterfeiertage.

Ihre Redaktion Querelles-Net

URN urn:nbn:de:0114-qn091019

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