Leben im emotionalen Kapitalismus

Rezension von Martin Spetsmann-Kunkel

Eva Illouz:

Gefühle in Zeiten des Kapitalismus.

Adorno-Vorlesungen 2004.

Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006.

170 Seiten, ISBN 978–3–518–58459–0, € 14,80

Abstract: Die israelische Soziologin Eva Illouz geht in ihrem Buch Gefühle in Zeiten des Kapitalismus von der These aus, dass der Kapitalismus eine emotionale Kultur ausgebildet hat, die sich sowohl am Arbeitsplatz als auch in intimen Beziehungen finden lässt. Die vermehrte Rationalisierung des emotionalen Lebens und die gleichzeitige Emotionalisierung von Arbeitsabläufen charakterisieren den „emotionalen Kapitalismus“.

Die gegenseitige Durchdringung von Emotionen und ökonomischem Kosten-Nutzen-Kalkül im gegenwärtigen Kapitalismus ist Gegenstand des glänzend geschriebenen Buches Gefühle in Zeiten des Kapitalismus von Eva Illouz. Dem Buch liegen drei Vorlesungen zugrunde, die Illouz 2004 am Institut für Sozialforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main gehalten hat. In diesen ‚Adorno-Vorlesungen‘ analysiert Illouz sehr anschaulich den von ihr so genannten „emotionalen Kapitalismus“, den sie wie folgt definiert: „Der emotionale Kapitalismus ist eine Kultur, in der sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig formen, um so jene breite Bewegung hervorzubringen, die Affekte einerseits zu einem wesentlichen Bestandteil ökonomischen Verhaltens macht, andererseits aber auch das emotionale Leben – vor allem das der Mittelschicht – der Logik ökonomischer Beziehungen und Austauschprozesse unterwirft“ (S. 13).

Die Psychologisierung der Arbeitswelt und die Rationalisierung der intimen Beziehungen

In der ersten im Band dokumentierten Vorlesung beschäftigt sich Illouz mit der Wirkung der Freudschen Psychoanalyse auf die Gestaltung des Lebens in Beziehungen und Arbeitsprozessen. Ihrer Psychologisierung der Arbeitswelt liegt dabei der Gedanke zugrunde, dass die Emotionen des Arbeitnehmers und sein emotionales Wohlbefinden zunehmend mitberücksichtigt werden. Emotionale Kompetenzen, die traditionell als weiblich angesehen werden beziehungsweise wurden – wie beispielsweise Teambereitschaft und die Unterordnung unter fremde Entscheidungskompetenzen, Empathie sowie Kommunikation über individuelle Bedürfnisse – werden zunehmend zu vom Arbeitsmarkt geforderten Kompetenzen sämtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Illouz spricht in diesem Zusammenhang von einer emotionalen „Androgynisierung der Frauen und Männer“ (S. 60) in der Arbeitswelt. Im Privaten entdeckt Illouz demgegenüber einen vermehrten „Prozess der Rationalisierung intimer Beziehungen“ (S. 51). Der therapeutische, aber auch der feministische Diskurs haben – so Illouz – das Ideal der Intimität geprägt und führen zu einer fortwährenden kritischen Prüfung und Bewertung hinsichtlich der Qualität und des Gelingens einer Beziehung. Strategien für die glückliche und auf Gleichberechtigung fußende Partnerschaft werden gesucht und bewusst in der Beziehung angewendet und kommuniziert. „Sexuelle Inkompatibilität, Wut, Streit um Geld, ungleiche Verteilung der Hausarbeit, Inkompatibilität der Persönlichkeit, verborgene Emotionen, Kindheitsereignisse: das alles sollte verstanden, verbalisiert, diskutiert und kommuniziert werden, um dadurch, ganz im Sinne des Kommunikationsmodells, aufgelöst zu werden“ (S. 56).

Leiden an der Emotionalität

In der zweiten Vorlesung wendet sich Illouz zunächst dem Leiden an der Emotionalität zu. Der therapeutische Diskurs der Selbstdiagnose und -hilfe, der Produktivität in der Arbeit und Glück in der Beziehung verspricht, ist ein normalisierender Diskurs, wobei das Ziel des selbstverwirklichten, normalen und gesunden Menschen nie vollkommen erreicht werden kann: „Das therapeutische Narrativ setzt Normalität und Selbstverwirklichung als Ziel des Selbstnarrativs fest, aber weil dem Ziel nie ein klarer und positiver Inhalt gegeben wird, kann es de facto eine ganze Reihe nicht selbstverwirklichter und daher kranker Menschen hervorbringen“ (S. 75 f.). Die Orte des therapeutischen Narrativs der Selbstverwirklichung sind heutzutage unter anderem Selbsthilfegruppen, Talkshows, Beratungsgespräche, Therapiesitzungen und das Internet. Selbstfindung an diesen Orten ist aber immer verbunden mit einer „Erinnerung an eigenes Leiden“ (S. 84). Das Narrativ der Selbstfindung und Selbstverwirklichung ist somit immer gekoppelt an die Erinnerung und das Narrativ des Scheiterns, Leidens und der Krankheit: „Wir können die Narrative des Leidens nicht von denen der Selbsthilfe trennen“ (S. 96).

Das emotionale Kapital als Ressource

Im zweiten Teil dieser Vorlesung prägt Illouz den Begriff des „emotionalen Kapitals“, den sie mit dem Begriff der „emotionalen Intelligenz“ in Verbindung bringt. Emotionale Intelligenz meint „Selbstempfinden; Emotionsmanagement; Selbstmotivation; Empathie und die Gestaltung von Beziehungen“ (S. 100) und dient als wichtige Ressource in der Arbeitswelt und im Privaten. Dass innerhalb einer Gesellschaft emotionale Kompetenzen – das emotionale Kapital – unterschiedlich verteilt sind, ist Illouz bewusst, wird aber von ihr, die sich auf die Gruppe der „Mittelschicht“ fokussiert, nicht weiter verfolgt. Die anzunehmende Existenz einer gesellschaftlichen „Hierarchie des emotionalen Wohlbefindens“ (S. 111) wird zwar von ihr benannt, aber leider nicht weiter analysiert.

Partnersuche via Internet

In der dritten und letzten Vorlesung schließlich wendet sich Illouz der Frage zu, wie die Internettechnologie Emotionen gestaltet. Der Gegenstand ihrer scharfsinnigen Betrachtung ist hier die Partnersuche via Internet. Anhand einer Befragung von insgesamt 25 Personen, wobei ihr genaues methodisches Vorgehen nicht näher dargelegt wird, analysiert sie das Prozedere der medialen Partnersuche. Die Voraussetzung zur Teilnahme ist im Internet die vertextete Veröffentlichung eines psychologischen Profils. „Im Internet wird aus dem privaten psychologischen Selbst ein öffentlicher Auftritt“ (S. 119). Dies bedeutet, dass vor der eigentlichen Kontaktaufnahme, dem ersten Sich-Begegnen die Partnersuche mittels Internet die Veröffentlichung von Eigenschaften und Eigenarten der Personen voraussetzt. Dies ist somit anders als im nicht-virtuellen Raum, wo zunächst das Kennenlernen durch körperliche Präsenz erfolgt und dann das schrittweise Kennenlernen des Charakters der oder des Anderen. Dieses Erstellen eines eigenen psychologischen Profils setzt ein hohes Maß an Introspektion voraus, bedient sich dabei aber oft kulturell tradierter Skripte der wünschenswerten Persönlichkeit (vgl. S. 124). Die eigentliche Körperlichkeit beziehungsweise physische Erscheinung kommt im Internet erst dann zum Tragen, wenn ein eigenes Photo veröffentlicht wird (vgl. S. 122 f.). Dieses Photo hat einen hohen Marktwert auf dem Markt der Partnersuche (vgl. S. 123). In beiden Fällen aber – sowohl beim Profil als auch beim Photo – unterwerfen sich die Nutzer/-innen standardisierten Vorstellungen von Attraktivität. Die Partnersuche im Internet folgt also der Logik der Konsumkultur: Man wählt aus einer Fülle an Optionen (vgl. S. 130). Dennoch werden die Erwartungen beim ersten Date dann überwiegend enttäuscht (vgl. S. 142 f.), denn: Das konstruierte Selbstbild entspricht nicht dem Bild, welches die anderen wahrnehmen. Der Unterschied zur romantischen Liebe ist für Illouz offensichtlich: „Ließ sich romantische Liebe als eine Ideologie der Spontaneität charakterisieren, verlangt das Internet erstens einen rationalisierten Modus der Partnerwahl, was der Vorstellung von Liebe als einer unerwarteten Epiphanie widerspricht, die gegen den eigenen Willen und gegen die eigene Vernunft ins Leben einbricht. Zweitens beruht das Internet, wo die traditionelle romantische Liebe – im Normalfall ausgelöst durch die Anwesenheit zweier physisch-materieller Körper – aufs engste mit sexueller Anziehung verbunden war, auf einer entkörperlichten textuellen Interaktion“ (S. 134). Der Kontaktaufnahme und der Beziehungsbildung über das Internet fehlen folglich die emotionale und körperliche Basis (vgl. S. 164).

Illouz beschließt ihre bestechende Interpretation des emotionalen Kapitalismus mit einem pessimistisch klingenden Fazit: Wir werden, nein wir sind „hyperrationale Idioten“ (S. 167), denn die ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse durchdringt jetzt auch das emotionale Leben, so dass sich von einer „Dominanz der Hyperrationalität“ (S. 168) auf Kosten der Emotionalität sprechen lässt.

URN urn:nbn:de:0114-qn082279

Dr. Martin Spetsmann-Kunkel

FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Interkulturelle Erziehungswissenschaft

E-Mail: martin.spetsmann-kunkel@fernuni-hagen.de

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