Die Sprache der Körper

Rezension von Ulla Bock

Gitta Mühlen Achs:

Geschlecht bewußt gemacht.

Körpersprachliche Inszenierungen – Ein Bilder- und Arbeitsbuch.

München: Verlag Frauenoffensive 1998.

142 Seiten, ISBN 3–88104–308–X, DM 34,00 / sFr. 33,00 / öS 248,00 öS

Abstract: Was ist Geschlecht? Diese Frage beantwortet Gitta Mühlen Achs vor dem theoretischen Hintergrund des „doing gender“, nach dem Geschlecht nicht etwas ist, was wir haben oder sind, sondern etwas, was wir tun. Natürlich gibt es Geschlecht, aber keine natürlichen Geschlechterkategorien, ist die grundlegende Aussage des Buches. Das Anliegen der Autorin ist es zu zeigen, wie wir mit unseren Körpern Geschlecht zum Ausdruck bringen und wie mit einer geschlechtsspezifischen Körpersprache Hierarchien (nicht nur) zwischen den Geschlechtern symbolisiert und gefestigt werden. Ihre Aussagen werden durch ein umfangreiches Bildmaterial im zweiten Teil des Buches erhärtet. Am Ende steht die Erkenntnis, daß Schweigen in der Körpersprache praktisch unmöglich ist, daß aber durch eine Sensibilisierung für die Sprache der Körper den traditionellen Verhaltensmustern entgegengewirkt werden kann.

„Soweit wir zurückdenken können, erscheint das Verhältnis der Geschlechter zueinander als ein wesentlich von Macht bestimmtes.“ (S. 9) Mit diesem Satz beginnt die Psychologin Gitta Mühlen Achs ihr Buch über die Körpersprache. Sie läßt keinen Zweifel daran, welch mächtigen Einfluß in unserer Kultur das persönliche Identitätsmerkmal Geschlecht auf unser alltägliches Verhalten, auf die symbolische Selbstdarstellung und Kommunikation hat; dabei wird deutlich, wie schwer es ist, das traditionelle Gefüge zu verändern. Dennoch folgt sie ihrem Mentor Erving Goffman – dem sie mit dankbarem Respekt eine ausgeprägte Sensibilität für abweichende Existenzen und Positionen attestiert – in der Überzeugung, daß wir letztlich den gesellschaftlichen Klischees nicht hilflos ausgeliefert sind.

Gitta Mühlen Achs ist inzwischen bekannt als Expertin für das Thema „Körpersprache und Geschlecht“. Bereits in ihren früheren Veröffentlichungen: „Wie Katz und Hund. Die Körpersprache der Geschlechter“ (1993) und „Geschlecht und Medien“ (1995) widmete sie sich diesem Thema. Die Stärke ihrer neuen Publikation, die hier vorgestellt wird, liegt weniger in der Theorie als vielmehr in seinem Nutzen als „Bilder- und Arbeitsbuch“, wie es auch im Untertitel des Buches heißt. Nach einem knappen und klar geschriebenen theoretischen Teil, in dem sie die Fragen, was Geschlecht ist und wie Geschlecht gemacht wird, beantwortet, legt sie nicht nur ein umfangreiches und gut aufbereitetes Bildmaterial vor, sondern berichtet auch von ihrer Arbeit mit Studierenden an der Münchener Universität. Sie beschreibt praktische Übungen zur „Dekonstruktion von Geschlecht“, mit denen eine erhöhte Aufmerksamkeit für das erlernte klischeehafte Verhalten der Geschlechter erzeugt werden kann. Damit zeigt die Autorin, daß sie nicht nur auf Sensibilisierung vertraut, sondern auch auf die reflexive Wirkung, die ein verändertes Verhalten auf die Akteure und Akteurinnen selber ausübt. Diese Übungen animieren zur Nachahmung, wodurch das Buch als Arbeitsgrundlage für Lehrende nicht nur an Universitäten, sondern auch in höheren Schulklassen wie in Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene genutzt werden kann.

Theoretischer Hintergrund

Der von der Autorin skizzierte theoretische Hintergrund des „doing gender“ ist nicht neu, aber für ihr Anliegen gut nachvollziehbar dargestellt. Bevor die Autorin zu der Beantwortung der Frage „Was ist Geschlecht“ kommt, stellt sie die Entwicklung der Frauenforschung zur Geschlechterforschung dar: Demnach ging es zu Beginn der Frauenforschung in den 70er Jahren darum, Frauen überhaupt erst einmal sichtbar zu machen, indem ihre systematische Verdrängung dokumentiert und Leerstellen im politischen und wissenschaftlichen Geschlechterdiskurs gefüllt wurden; dem androzentrischen Blick wurde eine „weibliche Perspektive“ gegenübergestellt. Aus der Frauenforschung hat sich in den 90er Jahren die Geschlechterforschung herausentwickelt. Deren bedeutendsten theoretischen Beitrag sieht die Autorin darin, „daß die bisherigen Grundlagen der Frauenforschung in einer bis dahin unbekannten Radikalität selbst in Frage gestellt wurden“ (S. 21), und zwar durch das Theorem, daß es die definitiv unterscheidbare Gruppe von Frauen und Männern nicht gibt. Diese These ist gegenwärtig Gegenstand einer Debatte, die hauptsächlich im akademischen Bereich geführt wird. Im Alltag erscheint sie denen, die sie überhaupt wahrnehmen, als absurd, laufen uns doch alltäglich deutlich erkennbare Frauen und Männer über den Weg. Es läßt sich nur schwer begreifen – und darauf will die Autorin auch hinaus –, daß die Unterschiede in der Körper(sprache) von Frauen und Männern keineswegs so natürlich sind, wie es scheint.

Was ist Gender?

Nachdem Mühlen Achs in ihrer Einleitung dargelegt hat, daß das Verhältnis der Geschlechter im wesentlichen ein durch Macht bestimmtes ist, kommt sie zu der Beantwortung der Frage: Was ist Geschlecht bzw. Was ist Gender? Mit ihrer Antwort gibt sie sich als Konstruktivistin zu erkennen, denn sie begreift Gender als die „Gesamtheit aller Vorstellungen und Erwartungen, die in einer Kultur in bezug auf das Geschlecht existieren und die – nachweislich – in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit biologischen Aspekten von Weiblichkeit und Männlichkeit stehen“ (S. 24). Im Rahmen neuerer konstruktivistischer Theoriebildung wird die Bedeutung der Biologie als Erklärungsvariable für geschlechtsspezifisches Verhalten weitgehend zurückgedrängt und letztlich sogar als vollkommen irrelevant verworfen, denn auch die körperlichen Erscheinungsformen – mit Ausnahme der Geschlechtsorgane – werden in diesem Kontext als kulturelle Konstruktionen aufgefaßt, die den Prozeß der symbolischen und sozialen Konstruktion von Geschlecht logisch vollenden und abschließen. Mit dieser theoretischen Position sieht die Autorin, die „vorläufig letzte Entwicklungsphase“ in der Geschlechterforschung erreicht. (S. 22) Sie folgt dieser Position weitgehend, hebt aber hervor, daß ihrer Meinung nach mit der „neuen“ Geschlechterforschung nicht die Existenz biologischer Faktoren geleugnet, sondern gezeigt wird, daß diese Faktoren an sich bedeutungslos sind und erst durch die klassifikatorischen Praktiken in der Gesellschaft bedeutsam gemacht werden. Unterstützt wird diese Annahme durch Erkenntnisse aus der biologischen und anthropologischen Forschung, die besagen, daß es menschliche Existenzen nicht nur in weiblicher und männlicher Form gibt, sondern in einer Vielzahl von Ausprägungen. (S. 26/27) Aus biologisch als männlich klassifizierten Individuen werden Männer gemacht, aus biologisch als weiblich klassifizierten Individuen Frauen. Dieses „Machen“ (doing gender oder auch gendering) ist ein hoch komplexer sozialer Vorgang, an dem eine Vielzahl von sozialen Instanzen beteiligt ist. (S. 27)

Der Körper als ein zentrales Beziehungsmedium

Nach Mühlen Achs ist der Körper ein wichtiges Kommunikationsinstrument, mit dem wir über 70% unserer sozialen Informationen austauschen. Es ist die Form des Körpers, die Stimmlage, es sind die Bewegungen, Blicke und Gesten, es sind die Kleider, mit denen wir den Körper bedecken, die Symbolcharakter haben und mit denen wir uns als weiblich oder männlich identifizierte Menschen zu erkennen geben. Der Körper ist für die Autorin ein Beziehungsmedium mit zentraler Bedeutung. Um das zu veranschaulichen, präsentiert Mühlen Achs ein umfangreiches Bildmaterial. Es sind Bilder überwiegend aus der Werbung, die unmittelbar sinnfällig machen, wie durch Körperhaltung und Kleidung nicht nur das Geschlecht kenntlich gemacht, sondern auch Hierarchien zwischen den Geschlechtern zum Ausdruck gebracht und gefestigt werden, und wie diese Zeichen an die jeweils nächste Generation weitergegeben werden. Die Zeichen und Symbole für die gesellschaftliche Überlegenheit des männlichen und die Nachrangigkeit des weiblichen Geschlechts tragen bereits die kleinen Mädchen und Jungen mit beeindruckender Sicherheit zu Schau.

Widerstand gegenüber Veränderungen

Mühlen Achs betont immer wieder, daß das Geschlecht nicht nur ein Akt der symbolischen Darstellung ist, sondern ein wesentlicher Teil der tiefverankerten Persönlichkeitsstruktur eines Individuums, und daß Geschlecht als verinnerlichte Struktur auf der Ebene des alltäglichen Handelns eine enorme ordnende Kraft entfaltet. (S. 110) Mit diesem Hinweis unterstreicht sie die Kritik an der soziologischen Rollentheorie: Das Geschlecht ist mehr als nur eine soziale Rolle. Wäre es nur eine Rolle, dann stünden Frauen und Männern, die eine traditionelle Rollenverteilung ablehnen, in unserer „vom postmodernen Vielfältigkeitsanspruch förmlich hingerissenen Gesellschaft“ auch einigermaßen ausreichende Möglichkeiten offen, alternative Lebens- und Arbeitsformen zu realisieren. Doch bislang, so ihr Resümee, zeichnen sich in dieser Richtung weder einschneidende Veränderungen noch revolutionäre Umwälzungen ab. Mühlen Achs führt das Beharrungsvermögen traditioneller Geschlechterarrangements darauf zurück, daß Geschlecht ein tief im Selbst, in der Identität und Persönlichkeit von Individuen verankertes Konstrukt ist, das scheinbar nicht von außen oktroyiert wird. (S. 128) Wenn Mühlen Achs die Möglichkeiten der Veränderungen auch nicht verneint, so bringt sie doch immer wieder ihre Erfahrung mit der Empirie zum Ausdruck, die zeigt, wie widerständig die Tradition ist. Sie formuliert sogar die These, daß Frauen letztlich in der direkten Konfrontation mit männlichen Konkurrenten nur verlieren können, entweder in bezug auf ihr konkretes Ziel oder darauf, als „richtige“ Frau anerkannt zu werden. (S. 111) Angesichts dessen sieht sie bereits einen Erfolg darin, wenn Gleichgültigkeit gegenüber dem Urteil, eine „richtige“ Frau oder ein „richtiger“ Mann zu sein, entwickelt werden kann, denn – wie Mühlen Achs mit ihrem Buch in der Tat bewußt machen kann –, die Frauen gibt es nicht und auch nicht den Mann.

„Geschlecht bewußt gemacht“ von Mühlen Achs ist ein klar strukturiertes und flüssig geschriebenes Arbeitsbuch, das im Unterricht gut eingesetzt werden kann. Zu erwähnen bleibt, daß die Rezensentin von den eigenen Studierenden, die gerne mit dem Buch gearbeitet haben, gleichwohl gesagt bekam, daß das von der Autorin ausgewählte Bildmaterial auf sie „altmodisch“ wirken würden. Was steckt dahinter? Mangelnde Sensibilität oder auch die Illusion, man selber habe als junger Mensch das traditionelle hierarchische Geschlechterarrangement älterer Generationen längst hinter sich gelassen, oder ist die heute junge Generation tatsächlich einen Schritt weiter, so daß sie sich von den traditionellen Darstellungen nicht mehr angesprochen fühlt? Es wäre interessant, sich daraufhin neueste Darstellungen aus Lifestile-Magazinen, die überwiegend für Schüler und junge Erwachsene produziert werden, anzusehen.

URN urn:nbn:de:0114-qn011036

Dr. Ulla Bock

ZE Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin

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