Biographien von Frauen – eine Frauensache?

Rezension von Lena Correll

Sabine Brombach, Bettina Wahrig (Hg.):

LebensBilder.

Leben und Subjektivität in neueren Ansätzen der Gender Studies.

Bielefeld: transcript 2005.

308 Seiten, ISBN 3–89942–334–8, € 26,80

Abstract: Der von Sabine Brombach und Bettina Wahrig herausgegebene Sammelband LebensBilder. Leben und Subjektivität in neueren Ansätzen der Gender Studies enthält dreizehn Beiträge aus den Kultur-, Sozial-, Geistes-, Kunst- und Naturwissenschaften. Untersucht werden die Lebenswege von (mehrheitlich) Frauen aus verschiedenen Berufsfeldern, z. B. im Bereich der Naturwissenschaften oder im Kunstsektor. In dem interdisziplinär angelegten Band wird das breite Spektrum der Biographieforschung in den Gender Studies sichtbar, leider stehen die Beiträge teilweise unverbunden nebeneinander.

Die Beschäftigung mit Lebensgeschichten und Lebensverläufen von Frauen ist seit den Anfängen der Frauenbewegung und der Frauenforschung von zentraler Bedeutung. Sie dient der Selbstvergewisserung, der Sichtbarmachung sowie der Selbstermächtigung. Vor dem Hintergrund (de-)konstruktivistischer Kritik am Subjekt und am monolithischen Verständnis der Kategorie Frau stellt sich die Frage, welche Rolle Biographieforschung heute in den interdisziplinären Gender Studies noch spielen kann und soll. Welche Ergebnisse liefert individual- und kollektivbiographische Forschung, und welche politische Bedeutung hat dieser Forschungsansatz?

Mit diesen Fragen setzen sich die Beiträge in dem von Sabine Brombach und Bettina Wahrig herausgegebenen Sammelband auseinander. Der Titel Lebensbilder „steht für eine Auswahl unterschiedlicher […] Beiträge, die sich auf verschiedene Weise mit dem Thema Biographie bzw. dem Leben einzelner Menschen“ (S. 8) beschäftigen. Aus Sicht der Kultur-, Sozial-, Geistes-, Kunst- und Naturwissenschaften werden die Themen Subjektivität und Biographie in den Gender Studies behandelt. Eine Besonderheit stellt die Auseinandersetzung mit der Bildhaftigkeit von Biographien anhand zahlreicher Abbildungen dar. Der Band ist das Ergebnis einer gleichnamigen Tagung, die vom 15. bis 17.01.04 vom Braunschweiger Zentrum für Gender Studies durchgeführt wurde.

Frauen in Männer- und Frauendomänen

In der Einleitung der Herausgeberinnen wird das interdisziplinäre Konzept des Sammelbandes vorgestellt und herausgehoben, dass es ein „Verdienst der Frauenforschung“ sei, „individuelle Lebensgeschichten von Frauen […] zum Forschungsgegenstand erhoben zu haben“ (S. 9). Die ersten vier Beiträge beschäftigen sich mit Berufsbiographien. Zwei Beiträge beleuchten die Schwierigkeiten von Naturwissenschaftlerinnen in Männerdomänen. Renate Tobies analysiert dabei anhand von Berufsverläufen die Geschlechterverhältnisse in der Mathematik seit dem 19. Jahrhundert, wobei sie das soziale Umfeld mit einbezieht. Beate Ceranski leitet aus den Lebensverläufen der ersten weiblichen Physikerinnen in der Radioaktivitätsforschung kollektivbiographische Einsichten ab. Mit einer weiteren, wenn auch vollkommen anderen Männerdomäne, der Musikkomposition, beschäftigt sich Erika Funk-Hennings in ihrem Beitrag über das Leben der britischen Komponistin und Schriftstellerin Ethel Smyth (1858–1944). In diesen ersten drei Beiträgen werden die Schwierigkeiten von Frauen im 19. und 20. Jahrhundert, die als erste versuchten, sich in Männerwelten beruflich zu etablieren, lebendig beschrieben. Den Blick auf einen Frauenberuf – die Sozialarbeit –, dessen Machtpositionen jedoch großenteils mit Männern besetzt sind, lenken Sabine Brombach und Claudia Schünemann. Anhand von empirischen Ergebnissen ihres Forschungsprojektes zur Sozialarbeit arbeiten sie verschiedene Typen von Frauen heraus, die es in Führungspositionen geschafft haben.

Wissenschaftshistorie

Im wissenschaftsgeschichtlichen Artikel von Bettina Gockel wird das Phänomen untersucht, dass die Mystifizierung von Künstlern historisch oftmals eng an eine Pathologisierung gekoppelt war. Die Charakterisierung z. B. von Hölderlin und van Gogh als schizophren bestätigte dabei deren „angenommene Genialität“ (S. 130) statt sie zu unterlaufen.

In einem weiteren historischen Beitrag analysiert die Herausgeberin Bettina Wahrig die Habitusbildung von Ärzten und Apothekern im 18. Jahrhundert. Der Habitusbegriff erlaubt es laut Wahrig, „das individuelle Leben als verleiblichten/verleiblichenden Effekt kollektiven Handelns zu verstehen“ (S. 153).

Biographieforschung und die Theorie

In ihrem theoretisch orientierten Artikel fragt Ute Frietsch nach der gegenwärtigen Faszinationskraft von Biographien. Sie legt dar, warum Foucaults „Kritik an der Erfassung des Individuums“ (S. 11) keinesfalls zu einer allgemeinen Ablehnung von Biographieforschung führen muss. Bettina Dausien analysiert in ihrem anspruchsvollen (teilweise voraussetzungsvollen) theoretischen Beitrag einige der zentralen Kritikpunkte an der Biographieforschung. Problematisch gewordene Identitätsannahmen und Reifizierungen können nach Dausien durch das von ihr eingeführte Verständnis von „Biographie als diskursivem Format“ (S. 195) und durch die Konzeptionierung von Biographieforschung als Verfahren der Re-Konstruktion vermieden werden.

Lebenswege in Bildern

Die Bildhaftigkeit von Biographien ist das Thema der drei letzten Beiträge.

In ihren ansprechend illustrierten Artikeln beschäftigen sich Sabine Kampmann und Alma-Elisa Kittner mit Pipilotti Rist bzw. Hannah Höch. Bei Höch steht die Fotokollage Lebensbild – identisch dem Titel des Sammelbandes – als visuelle Autobiographie im Vordergrund, bei Rist wird das Spannungsfeld zwischen Künstlerin und Person ausgelotet. Der Artikel von Regina Henze zeichnet anschließend mit Hilfe von Bildmaterial anschaulich nach, wie die Begleitausstellung zur Braunschweiger Tagung geplant und umgesetzt wurde. In der Ausstellung mit dem Titel „Wo ist Minerva“ werden dreizehn weibliche Vorbilder – mehrheitlich Professorinnen – und ihre Wege zum beruflichen Erfolg vorgestellt.

Interdisziplinarität in den Gender Studies fruchtbar machen?

In dem abschließenden Beitrag von Stephanie Zuber wird die Gesamtkonzeption des Bandes reflektiert, insbesondere die Herausforderungen des interdisziplinären Ansatzes, der zu einer gewissen Heterogenität der dreizehn Beiträge aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen führt. Dieser interdisziplinäre Ansatz stellt zugleich den Reiz und die Schwierigkeit des Sammelbandes dar. So macht es z. B. die nicht begründete Reihenfolge der Artikel, die nicht in inhaltliche Blöcke zusammenfasst werden, den Leser/-innen schwer, einen roten Faden herauszufinden. Hochvorzuheben ist jedoch, dass sich die Herausgeberinnen der Schwierigkeiten bewusst sind und diese sowohl in der Einleitung und besonders im abschließenden Artikel angesprochen werden. Der Reiz des Bandes besteht darin, dass er einen guten Überblick über eine große Bandbreite von biographischen Fragestellungen in den Gender Studies bietet und dabei nicht versucht, gegensätzliche Forschungsinteressen und Ansätze zu glätten oder einzuebnen, sondern diese teilweise widersprüchliche Vielfalt zulässt. So gelingt ihnen der Nachweis, dass Biographieforschung in den Gender Studies nach wie vor von großer Bedeutung ist. Das Autorinnenverzeichnis belegt allerdings, dass die Beschäftigung mit Geschlecht immer noch mehrheitlich – in diesem Fall sogar reine – Frauensache ist.

URN urn:nbn:de:0114-qn073020

Lena Correll

Marburg

E-Mail: correll@staff.uni-marburg.de

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