In kleinen Schritten und mit leisen Tönen

Rezension von Ingrid Kurz-Scherf

Annette Henninger, Helga Ostendorf (Hg.):

Die politische Steuerung des Geschlechterregimes.

Beiträge zur Theorie politischer Institutionen.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005.

263 Seiten, ISBN 3–8100–3914–4, € 34,90

Abstract: Der von Annette Henninger und Helga Ostendorf herausgegebene Sammelband basiert auf einer Tagung des Arbeitskreises Politik und Geschlecht der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft im Mai 2001, die – so betonen Henninger und Ostendorf in ihrer Danksagung – als „legendär“ (S. 7) in die Geschichte des Arbeitskreises eingegangen sei. Der Band enthält 11 Beiträge mit empirischen Befunden der „feministisch-politikwissenschaftlichen Institutionenanalyse“ (S. 9). Vorangestellt haben die Herausgeberinnen den Einzelbeiträgen eine einleitende Abhandlung, in der sie deren Ertrag für die Weiterentwicklung der theoretischen Auseinandersetzung mit politischen Institutionen insbesondere im Hinblick auf ihre geschlechterpolitische Fundierung und Wirkungsweise reflektieren. Gleichzeitig werden Chancen und Barrieren institutionalisierter Frauen- und Geschlechterpolitik ausgelotet.

Feministischer Institutionalismus

Die Institutionalisierung einer Bewegung in Form der Einwirkung auf und des Eindringens in etablierte Institutionen und in der Form der Herausbildung neuer Institutionen wie etwa der Gleichstellungspolitik ist ein ambivalenter Prozess, der einerseits den Erfolg einer Bewegung signalisiert, mit dem sie aber andererseits oft auch ihren Bewegungscharakter, ihre Radikalität und Spontaneität verliert. Insbesondere in der Frauenbewegung entzündeten sich an der Frage „Autonomie oder Institution“ immer wieder heftige Kontroversen, galten doch Institutionen vielen ihrer Aktivistinnen gleichsam per se als versteinerte Organisationsform männlicher Herrschaft (Bourdieu) und hegemonialer Männlichkeit (Connell). Das Genderregime etablierter Institutionen wird geradezu von einem ‚Gesetz‘ der „hierarchisch zunehmenden Männermacht“ (Rainer Geissler) reguliert, und es wirkt in diesem Sinn auch nach außen auf die Struktur der Geschlechterverhältnisse in den modernen Gesellschaften. Institutionen basieren auf dem Prinzip von „Männlichkeit als System“ und gerieren sich als „Männerbund“ (Eva Kreisky).

Diese Sicht von Institutionen erscheint den beiden Herausgeberinnen des vorliegenden Sammelbandes als schon immer problematisch und der tatsächlichen Komplexität politischer Institutionen unangemessen, wie aber vor allem auch mittlerweile als veraltet. Die alte Streitfrage um „Autonomie versus Institution“ lösen sie in ihrer Einleitung in einem sehr weiten und komplexen Verständnis von Institutionen auf, in dem auch die Grenzen zwischen Institution und Bewegung fließend werden. Sie plädieren für eine „komplexere Theorie politischer Institutionen“ (S. 29) – einerseits im Hinblick auf die hier skizzierten Ansätze feministischer Institutionenkritik, andererseits und vor allem aber auch im Hinblick auf den politikwissenschaftlichen mainstream der Institutionentheorie und Institutionenforschung. Darin werde die Kategorie gender nach wie vor weitgehend ausgeblendet – mit ebenso weitreichenden wie nachteiligen Folgen sowohl für die Theoriekonstruktion als auch für das Forschungsdesign der politikwissenschaftlichen Institutionenforschung.

Zur Genese von Geschlechterregimen

In dem Sammelband wird die feministische Analyse politischer Institution in drei Abteilungen untergliedert. Die erste Abteilung ist der „Genese von Geschlechterregimen“ gewidmet. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche geschlechterpolitischen Leitbilder politischen Institutionen „eingeschrieben“ sind, wie diese einerseits die Strukturen und Handlungsmuster politischer Institutionen und damit andererseits auch deren geschlechterpolitische Wirksamkeit nach außen prägen und so gesellschaftliche „Herrschaftsverhältnisse aufrecht erhalten oder verändern“ (S. 10). Ursula Nissen befragt die Institutionen der politischen Sozialisation nach ihrem Verständnis des Zusammenhangs zwischen „Kindheit und Geschlecht“ und plädiert gleichzeitig für eine verstärkte Förderung der politischen Partizipation von Mädchen. Ingrid Reichart-Dreyer befasst sich mit den vorherrschenden „Geschlechtsleitbildern“ in der Programmatik der CDU. Sie kommt dabei zum Ergebnis, dass das christdemokratische ‚Verständnis vom Menschen‘ (S. 62) au einem männlichen Geschlechtsleitbild beruhe, d.h. „aus dem männlichen Prototyp abgeleitet wurde“ (S.69).

Regina-Maria Dackweiler befasst sich in ihrem Beitrag mit der „Konstruktion von Geschlechter-Wirklichkeit durch den Wohlfahrtsstaat“. Sie wendet sich dabei gegen die „methodologische Geschlechtsvergessenheit politischer Institutionenanalyse“ (S. 75), die maßgeblich zu einem gravierenden Defizit an kritischer Distanz zum Gegenstand der Forschung beitrage. Einer feministisch inspirierten, „kritischen Institutionenarchäologie“ (Kreisky) müsse es einerseits um „die Rekonstruktion von Prozessen der Institutionalisierung von Herrschaftsverhältnissen und –ideologien“ (S. 77) gehen; andererseits gehöre aber auch „die Untersuchung der Möglichkeiten und konkreten Prozesse […] [ihrer] De-Institutionalisierung […] zu den Aufgaben politischer Institutionenanalyse“ (S. 77). Am Beispiel des österreichischen Wohlfahrtsstaats zeigt Dackweiler die paradoxe Wirkungsweise seiner politischen Institutionen für die Gestaltung des Geschlechterverhältnisses: „Das hier konstituierte Geschlechterverhältnis ist mehr und mehr paradox und inkonsistent: Es ist geprägt von einem widersprüchlichen Neben- und Ineinander von Gleichheits- und Differenzdiskursen im Kontext von Frauen – trotz aller Reformen – anhaltend strukturell benachteiligender Regelungen und Maßnahmen“ (S. 80).

Das widersprüchliche Neben- und Ineinander von Angleichung und Differenz ist ebenfalls Gegenstand des Beitrags von Dorian R. Woods; allerdings geht es hier um den internationalen Vergleich von Geschlechterregimen. Am Beispiel der sozialen Unterstützung von alleinerziehenden Müttern in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland zeigt Woods, dass wohlfahrtsstaatliche Politik zwar in beiden Ländern von neoliberalen Paradigmen geprägt ist, dass dadurch aber dennoch die Spezifik der jeweiligen Geschlechterregime nicht außer Kraft gesetzt wird.

Die Frauenpolitik politischer Institutionen

Die zweite Abteilung des Sammelbandes enthält Beiträge zur „Frauenpolitik etablierter politischer Institutionen“. Helga Ostendorf und Annette Henninger präsentieren hier empirische Befunde der feministischen Institutionenanalyse auf dem Feld der Berufs- und Arbeitsmarktpolitik. Ostendorf analysiert die politische Steuerung des Geschlechterregimes „durch Symbole und Verfahrensweisen“ (S. 115) am Beispiel der „Mädchenpolitik der Berufsberatung“. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit „der beruflichen Segmentation der Geschlechter nicht entgegen wirkt, sondern sie verursacht sie mit“ (S. 133). Ostendorf betont die relative Autonomie der Institution, denn nach ihren Befunden erwies sich die institutionelle Binnenstruktur der Bundesagentur in diesem Zusammenhang als bedeutsamer als „Werte und Normen des Personals und als die von der Umwelt gesetzten Rahmenbedingungen“ (S. 134). Annette Henninger setzt sich in ihrem Beitrag – aufbauend auf ihrer Dissertation – mit der Berliner Arbeitsmarktpolitik in den Jahren 1991 bis 1996 auseinander. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den „selbstgebauten Barrieren“ (S. 139) der Frauenpolitik in diesem Feld. Sie sieht diese insbesondere in „Netzwerkschließungen“ (S. 139) nach außen auf der Grundlage eines differenz- und identitätstheoretischen Politikansatzes (vgl. S. 154). Darin – so meint Henninger – komme u. a. auch ein Rezeptionsdefizit der praktischen Frauen- und Geschlechterpolitik gegenüber den auf konstruktivistischen Ansätzen beruhenden Erkenntnissen und Befunden der Frauen- und Geschlechterforschung zum Ausdruck. Zwar kritisiert Henninger auch die Praxisferne gerade konstruktivistischer Theorieansätze, aus ihrer Sicht tangiert dies deren potentielle Praxisrelevanz allerdings nicht.

Für strategische Allianzen zwischen frauenbewegten Akteurinnen und politischen Institutionen plädieren Heike Brabandt und Birgit Locher in zwei weiteren Beiträgen der zweiten Abteilung des Sammelbandes. Diese hätten sich sowohl auf dem Feld der „Politik gegen Genitalverstümmelung“ (Brabandt) als auch bei der „Politisierung des Frauenhandels in der EU“ (Locher) bewährt. Brabandt resümiert ihre Erkenntnisse im Hinblick auf die Herausforderungen der feministischen Institutionenforschung. Diese sei „von enormer Bedeutung, und zwar nicht nur, um die Möglichkeiten und Bedingungen einer Öffnung etablierter politischer Institutionen für frauenpolitische Belange zu untersuchen. Vielmehr sollte sie vor allem dazu dienen, engagierte Frauen, die darauf zielen, feministische Anliegen in politische Institutionen einzubringen und politische Veränderungen zu erreichen, zu unterstützen“ (S. 175).

Feministische Institutionalisierungen

Die dritte Abteilung des Sammelbandes ist dem Thema der „feministischen Institutionalisierungen“ gewidmet. Christine Färber analysiert „die Einführung von Gender Mainstreaming im Spannungsfeld von Gleichheit und Differenz“ (S. 199), Delia Schindler untersucht „das Beispiel Internationale Frauenuniversität“ (S. 223), und Stefanie Bock präsentiert empirische Befunde über das Zusammenspiel von „Karriere und Engagement“ in „frauenpolitischen Netzwerken“ (S. 241). In unterschiedlicher Akzentuierung oszillieren sowohl die feministischen Institutionalisierungen selbst wie auch deren Analyse zwischen Utopie und Pragmatik, zwischen Autonomie und Integration, zwischen Innovation und Assimilation – oder doch auch immer noch im Spannungsfeld zwischen Institution und Bewegung.

Insgesamt erweist sich der Sammelband als eine gute und fundierte Zusammenschau des bundesdeutschen „State of the Art“ empirischer politikwissenschaftlicher Institutionenanalyse in feministischer Perspektive. Es werden erhellende Einsichten über das wechselseitige Konstruktionsverhältnis von politischen Institutionen und Geschlecht auf der Makroebene des Staates, der Mikroebene der Individuen und der Mesoebene intermediärer Organisationen der Politik dargelegt. Die feministische Perspektive erweist sich dabei durchaus als eine Bereicherung und Erweiterung institutionenanalytischer Erkenntnisse. Umgekehrt scheint der Ertrag einer institutionenpolitischen Perspektive auf feministische Politik allerdings den etwas frustierenden Befund zu generieren, dass das Oszillieren feministischer Politik zwischen Autonomie und Integration, zwischen Innovation und Assimilation oder auch zwischen Gleichheit und Differenz als unterschiedlichen Leitbildern die Signatur des Feministischen auf umso kleinere Schritte und umso leisere Töne verschiebt, je weiter sich sein Gravitationszentrum in Richtung Institution verschiebt.

URN urn:nbn:de:0114-qn073218

Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf

Philipps-Universität Marburg/ Institut für Politikwissenschaft

E-Mail: kurz-scherf@staff.uni-marburg.de

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