Kein Ehemann und trotzdem glücklich?

Rezension von Nicole Kramer

Kirsten Plötz:

Als fehle die bessere Hälfte.

„Alleinstehende“ Frauen in der frühen BRD 1949–1969.

Königstein/Taunus: Ulrike Helmer 2005.

357 Seiten, ISBN 3–89741–053–2, € 34,90

Abstract: Kirsten Plötz untersucht die Geschlechternormierungen der frühen Bundesrepublik und gewinnt überraschende Erkenntnisse über ein Thema, über das fast alles gesagt zu sein schien. Auf der Basis von Interviews mit zehn alleinstehenden Frauen kann sie zeigen, wo das Primat der Gattenfamilie an Grenzen stieß, stellt jedoch auch fest, dass sich selbst Frauen, die ohne Ehemann lebten, an diesem Lebensmodell orientierten.

Alleinstehende Frauen als Problem

Der Mann als Ernährer, die Mutter als Hausfrau und mindestens zwei Kinder, so sah das Modell der „Normalfamilie“ aus, das von der westdeutschen Politik der Nachkriegszeit als Idealvorstellung etabliert wurde. Abweichungen von dieser Norm, wie alleinstehende Frauen, wurden von politischen und kirchlichen Vertretern sowie in Wissenschaft und medialer Öffentlichkeit als Problem gesehen. Das Heer von Kriegerwitwen, der Anstieg von Ehescheidungen und der demografische „Frauenüberschuss“ führten in der Realität dazu, dass solche „Abweichungen“ nicht die Ausnahme waren. Diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist in der Forschung längst bekannt und in politik-, sozial- und rechtsgeschichtlicher Perspektive zum Teil untersucht.

Kirsten Plötz eröffnet eine neue Perspektive und stellt die alleinstehenden Frauen als Akteurinnen in den Mittelpunkt ihrer Dissertation. Sie sucht den Blick von unten und zeigt auf der Basis von Interviews mit alleinstehenden Frauen, wie diese die westdeutschen Geschlechternormierungen der Jahre zwischen 1949 und 1969, vor allem das Primat der Ehe, deuteten und sich aneigneten. Der alltagsgeschichtliche Ansatz kann dabei freilegen, dass und auf welche Weise die Akteurinnen in Auseinandersetzung mit normativen Zuschreibungen von außen sowie materiellen Gegebenheiten sich ihren „eigenen Sinn“ suchten.

Alleinstehenden Frauen auf der Spur

Als alleinstehend galten in Kriegs- und Nachkriegszeit viele Frauen, ob verwitwet, geschieden, ledig, mit und ohne Kinder. Allein waren die meisten von ihnen jedoch nicht, wie Plötz gleich zu Beginn mit Hinweis auf die „Onkelehe“ oder die Bedeutung der Herkunftsfamilie für viele Frauen herausstellt. Alleinstehend bedeutete lediglich, dass sie ohne Ehemann lebten und ihre Lebensform sich damit deutlich von der Idealvorstellung der „Normalfamilie“ unterschied. Wie diese nach 1945 bewusst auf den Ebenen von Regierungspolitik, Wirtschaft und Medien überhaupt erst durchgesetzt wurde, wird im ersten Kapitel nachgezeichnet. Plötz macht dabei deutlich, dass dies kein geradliniger und unausweichlicher Prozess war, sondern hebt demografische sowie normative Gegenevidenzen hervor. Letztlich kann sie nur ein schmales Zeitfenster – und zwar Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre – abstecken, in dem das Primat der Gattenfamilie konkurrenzlos galt.

Umso spannender ist die Frage, wie sich die interviewten Frauen mit den gar nicht so eindeutigen Geschlechternormierungen arrangierten. Der Kern der Studie umfasst die Auswertung der einzelnen Interviews – gegliedert nach Zivilstand (Witwen, Geschiedene, Unverheiratete). In den zehn Fallanalysen geht es jeweils um die Aneignung geschlechtsspezifischer Normen, Beziehungen zu verheirateten Personen, die Bedeutung von Erwerbsarbeit und das Verhältnis zu anderen alleinstehenden Frauen. Plötz zitiert die Interviews in langen Passagen, vermerkt Besonderheiten der Sprechweise und beschreibt genau die Gesprächssituation. Sie ermöglicht den Leser/-innen auf diese Weise, den Prozess der Quelleninterpretation nachzuvollziehen und auch eigene Schlüsse zu ziehen. Der Abdruck ihres Gesprächsleitfadens hätte die Transparenz noch erhöht; dies ist umso nachdrücklicher anzumerken als sie selbst die Bedeutung der Interviewerin im Prozess des autobiografischen Erzählens reflektiert.

Die Vielfalt des Alleinstehendendaseins

Freilich kann auf der Grundlage von zehn Einzelfällen keine Repräsentativität beansprucht werden, das will die Autorin auch gar nicht. Dennoch zeigt ihre Dissertation das Erkenntnispotential von oral history-Quellen auf, wenn beispielsweise eine der Gesprächsparterinnen ausführt, wie sie und ihr Ehemann – gebunden durch das strikte Ehescheidungsrecht von 1961 – einen offiziellen Ehescheidungsgrund vereinbarten, der dem gesellschaftlichen Ansehen beider möglichst wenig schaden würde. Solche Einsichten werden sich in den Scheidungsakten kaum gewinnen lassen.

Geschickt liest Plötz immer wieder zwischen den Zeilen und bindet die Aussagen ihrer Gesprächspartnerinnen in größere Kontexte ein. Bisweilen hätte es jedoch nicht geschadet, Interpretationen in ihrer Absolutheit einzuschränken, um konkurrierende Deutungen zuzulassen. Es ist nämlich durchaus wahrscheinlich, dass die seit 1964 verwitwete Elisabeth Nemitz ihre Erfahrung als ledige Mutter – die wohlgemerkt den Zeitraum von nicht mal einem Jahr betraf – im Gegensatz zu ihrem Leben als Witwe nicht thematisiert, weil letzteres allein zeitlich dominiert. Dies nur auf die damals vorherrschenden sittlichen Vorstellungen zurückzuführen, ist zu einseitig.

Besonders überzeugend gelingt hingegen die Auswertung der Interviews dort, wo die Narrative herausgestellt werden, derer sich die befragten Frauen bedienen, um ihre Lebensgeschichte zu schildern. Während beispielsweise Gisela Lippke die Scheidung von ihrem Ehemann als einen wichtigen Schritt auf ihrem Weg zu persönlicher Autonomie deutet, sieht Helga Wiebusch die Auflösung ihrer Ehe dagegen als Fehlentscheidung, die ihr Leben bis heute überschattet. Auch der Status als Witwe wurde von den Betroffenen ganz unterschiedlich wahrgenommen: Was für die eine ein Leben voller Leid und Einsamkeit symbolisiert, ist für die andere eine Herausforderung, der sie sich stellen musste und die sie mit Erfolg bewältigte. Der Zivilstand, das wird in der Untersuchung herausgearbeitet, ist keine feststehende Kategorie, die klar ein Lebensmodell und eine Identität beschreibt, sondern ein biografischer Bezugsrahmen, der von den Akteurinnen mit einem jeweils eigenen Sinn versehen wird.

Die frühe Bundesrepublik als Land der Eheleute und der Alleinstehenden

Die Studie von Kirsten Plötz lenkt den Blick auf die Vielfalt von Lebensentwürfen, die sich hinter dem Begriff „alleinstehend“ verbergen. Vermeintliche Gewissheiten über die Geschlechternormierungen der frühen Bundesrepublik werden auf der Basis der Interviews in ein neues Licht gerückt und geraten gehörig ins Wanken. So fällt auf, dass das Ernährer-Modell und die Vorstellung von der Ehe als Versorgungsinstitution in den Erzählungen der befragten Frauen kaum zum Ausdruck kommt. Solche Widerspenstigkeiten und Ungleichzeitigkeiten setzten dem Primat der Gattenfamilie Grenzen, wie das Leben als Alleinstehende überhaupt in Konkurrenz dazu stand. Und dennoch erkannten die alleinstehenden Frauen dieses Modell auch an, was wohl das überraschendste Ergebnis der Untersuchung darstellt. Die Normalfamilie als Ideal prägt sowohl die Bewertung des eigenen Lebens als auch die Charakterisierung von befreundeten und verwandtschaftlich verbunden Ehefrauen. Diese Widersprüchlichkeit – die Anerkennung des Primats der Gattenfamilie einerseits und die Bemühungen, ein gutes Leben ohne Ehemann zu führen, andererseits – charakterisiert den Wandel der Geschlechternormierungen der frühen Bundesrepublik. Plötz lehnt mit Recht ab, hierin Beispiele für eine Restaurierung oder umgekehrt gar eine Modernisierung zu sehen, vielmehr stellt sie beides auf der Grundlage ihrer Ergebnisse infrage. Die Konzentration auf die Ehe als konkurrenzloses Lebensmodell war weder eine Rückkehr zu alten Traditionen noch ein Prozess der Individualisierung bzw. Pluralisierung. Doch wie lässt sich die Entwicklung hin zu einem Primat der Gattenfamilie, wie ihn Plötz beschreibt, dann einordnen? Eine Antwort bleibt sie schuldig, und man kann ihr vorwerfen, ihre Argumentation hier nicht konsequent zu Ende geführt zu haben.

Das Gesamturteil über die Dissertation fällt dennoch positiv aus. Plötz gelingt es, die Geschlechterverhältnisse der frühen Bundesrepublik in doppelter Hinsicht– in der Perspektive alleinstehender Frauen und auf der Grundlage von Interviews – neu zu beleuchten. Ihre teils überraschenden Ergebnisse werfen neue Fragen auf: Wo manifestierte sich das Primat der Gattenfamilie außerhalb der diskursiven Ebene, z. B. in der Interaktion von Renten- oder Arbeitsämtern mit Frauen? Inwieweit orientierten sich Alleinstehende bei ihren Entscheidungen und Handlungen tatsächlich an einem Idealbild von Ehe und Familie oder nimmt dieses nur in der Retrospektive eine solch dominante Rolle ein? Nicht zuletzt wäre zu klären, wie die Homogenisierung von Lebensentwürfen in die Zeit der 1960er Jahre passt, für die gemeinhin von einem Liberalisierungsprozess gesprochen wird.

URN urn:nbn:de:0114-qn073209

Nicole Kramer M.A.

München/Institut für Zeitgeschichte München

E-Mail: kramer@ifz-muenchen.de

Die Nutzungs- und Urheberrechte an diesem Text liegen bei der Autorin bzw. dem Autor bzw. den Autor/-innen. Dieser Text steht nicht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann ohne Einwilligung der Rechteinhaber/-innen nicht weitergegeben oder verändert werden.