Hegemoniale Männlichkeit auf dem historischen Prüfstand

Rezension von Angela Berlis

Martin Dinges (Hg.):

Männer – Macht – Körper.

Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute.

Frankfurt a.M., New York: Campus 2005.

232 Seiten, ISBN 3–593–37859–0, € 24,90

Abstract: Das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ des australischen Soziologen Robert William Connell hat seit Mitte der achtziger Jahre zunächst im englischsprachigen Raum und – mit Erscheinen seines Hauptwerkes Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten (1999) in deutscher Übersetzung – ab Ende der neunziger Jahre auch im deutschen Sprachraum erheblichen Einfluss auf die entstehende Männerforschung ausgeübt. Im vorliegenden Buch wird die „konkrete heuristische Verwertbarkeit“ (S. 22) von Connells Konzept für die historische Forschung und die historisch unterschiedlichen Ausprägungen von Männlichkeit untersucht. Der Sammelband ist als interdisziplinärer Beitrag zur Männlichkeitsforschung konzipiert und enthält insgesamt zwölf geschichts-, literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge sowie einen soziologischen Beitrag. Das Ziel, zur begrifflichen Präzisierung innerhalb der Männer- und Geschlechterforschung beizutragen und das Connellsche Konzept auf seine Brauchbarkeit für die historische Forschung auszuloten, wird in vielen Beiträgen des lesenswerten Sammelbandes verwirklicht.

Begriffliche Präzisierungen

In seinem einführenden, grundlegenden Beitrag stellt Martin Dinges das Konzept „hegemoniale Männlichkeit“ des australischen Soziologen Robert William Connell auf den historischen Prüfstand. Zunächst skizziert er das Entstehen des Konzepts vor dem Hintergrund der feministischen Patriarchatskritik und der Kapitalismuskritik sowie einer sich selbst als kritisch bezeichnenden Soziologie. Der Kernpunkt von Connells Konzept ist die Praxis, das Handeln. Connells Definition hegemonialer Männlichkeit lautet: „jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis […], welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)“ (S. 8).

Connell setzt den Beginn hegemonialer Männlichkeit um das Jahr 1450 an – für Historikerinnen und Historiker stellt sich hier sogleich die Frage, wie es um die Ausprägungen von Männlichkeit davor gestanden hat. Connell sieht erst im 19. Jahrhundert die vollständige Ausbildung eines Typus von hegemonialer Männlichkeit, dessen konstitutives Element die Abgrenzung von homosexuellem Verhalten und von Weiblichkeit darstellt und der auf der Annahme der grundsätzlichen Verschiedenheit der Geschlechtscharaktere beruht. Im Gegenzug dazu schlägt Martin Dinges vor, bei historischen Diskussionen über Modelle von Männlichkeit eine begriffliche Präzisierung vorzunehmen zwischen Modellen und Praxen „dominanter Männlichkeit“, „hegemonialer Männlichkeit“ (in der Frühmoderne) und der „modernen hegemonialen Männlichkeit“. Bei jeder Ausformung müsse zudem angegeben werden, welche inhaltlichen Aspekte aus welchem Grund für konstitutiv gehalten werden (vgl. S. 20). Auf diese Weise können Dinges zufolge unterschiedliche Phasen und kulturspezifische Unterschiede herausgearbeitet und die Andersartigkeit aufeinander folgender historischer Männlichkeitskonstruktionen deutlicher sichtbar gemacht werden. Der Vorteil einer derartigen Präzisierung ist die Erkenntnis, dass auch in der Zeit der modernen hegemonialen Männlichkeit daneben weiterhin viele Modelle „dominanter Männlichkeit“ bestanden. Die Existenz der heutigen, postmodernen unterschiedlichen Männlichkeitsmodelle erweist sich vor diesem historischen Hintergrund als weniger erstaunlich als bisher vielfach angenommen. Als Ergänzung zu Connells Ansatz plädiert Dinges zudem dafür, vermehrt auch psychosoziale Aspekte von Männlichkeit in den Blick zu nehmen.

Dominante Männlichkeiten: Kaiser, Ritter und Kleriker

Im Abschnitt über „dominante Männlichkeiten“ stellt Bea Lundt fest, dass die sexuellen Entgleisungen Karls des Großen seine Erhabenheit als Kaiser nicht in Frage stellten konnten – ein Zeichen dafür, dass hier bei der Männlichkeitskonstruktion konkrete Körperlichkeit noch eine geringe Rolle spielte. Andrea Moshövel untersucht die Brauchbarkeit von Connells Konzept für mittelalterliche Geschlechterentwürfe. Hildegard von Bingen (1098–1179) und Konrad von Megenberg (1309/11–1374) kennen zwei (nicht nur einen) positive Männlichkeitstypen, den Ritter und den Kleriker.

Frühmoderne und moderne hegemoniale Männlichkeiten

Unter das Kapitel über „Frühmoderne hegemoniale Männlichkeiten“ fällt der Beitrag von Nicole Grochowina, die das Ringen um Männlichkeiten im ersten täuferischen Martyriologium „Het Offer des Heren“ (1562) darstellt. Sie weist auf die Bedeutung von Umbruchsituationen wie die Reformation hin, in denen soziale und religiöse Ordnungsvorstellungen divergierten und es zur Ausdifferenzierung von Männlichkeiten kam. Der Beitrag verweist auf die Bedeutung von Religion, die im Konzept Connells nicht berücksichtigt wird.

Martin Füssel fragt sich, ob die Studentenkultur des 18. Jahrhunderts als Ort hegemonialer Männlichkeit bezeichnet werden kann. Seine Antwort fällt negativ aus. Bis zum Ende des Ancien Régime sei die ständische Position des Akademikers, nicht aber sein Mann-Sein das unterscheidende Merkmal gewesen.

Unter dem Abschnitt „Moderne hegemoniale Männlichkeit“ zeigt Christa Hämmerle die Relevanz von Connells Konzept im Hinblick auf Militär und Männlichkeit in der Habsburgermonarchie (1868–1914/18) auf. Die Autorin konzentriert sich dabei vor allem auf die Macht, mit der hegemoniale Männlichkeit durchgesetzt wird, und bestätigt diese vor allem für die Zeit des Ersten Weltkrieges, in der die idealisierte Verbindung von Militär und Männlichkeit durch Presse und Staat stark propagiert wurde und die Oberhand vor anderen Männlichkeitsidealen gewann.

Marc Schindler-Bondiguel behandelt das Thema koloniale Vaterschaft: Einerseits sei Vaterschaft ein wichtiger Aspekt der Männlichkeit gewesen, andererseits hätten die Kinder, die Franzosen mit eingeborenen Frauen zeugten, das gängige Vaterbild in Frage gestellt. Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes, von der in erster Linie die weißen, bürgerlichen Männer profitierten.

Marginalisierte Männlichkeiten?

Vier Beiträge sind dem Abschnitt „Marginalisierte Männlichkeiten?“ zugeordnet. Der Artikel von Miriam Rürup ist der Inszenierung von Männlichkeiten in jüdischen Studentenverbindungen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gewidmet; die marginalisierten jüdischen Studenten reagierten auf antisemitische Vorurteile, nach denen Juden per se unmännlich seien. Ihr Verbindungsalltag spiegelte ihre feste Einbindung in die Hegemonialkultur, führte jedoch auch zu einem verstärkten jüdischen Selbstbewusstsein. Rürup plädiert für eine genauere Untersuchung der Reproduktion von ethnischer Ungleichheit und der Mechanismen von Ein- und Ausgrenzung von Minderheitsgruppen und schlägt vor, den Connellschen Begriff durch das Habituskonzept von Bourdieu zu ergänzen (vgl. S. 154). Martin Lücke beschäftigt sich mit mann-männlicher Prostitution, die im Kaiserreich als besonders deviante Ausprägung von Sexualität angesehen und strafrechtlich sanktioniert wurde. Die beiden anderen Beiträge in diesem Abschnitt – der Artikel der Kulturwissenschaftlerin Almut Sülzle über den „Männerbund Fußball“ und die Überlegungen der Literaturwissenschaftlerin Monika Szczepaniak über den Gewaltdiskurs in Blaubart-Texten – beschäftigen sich mit dem 20. Jahrhundert. Sülzle zufolge handelt es sich bei Fußball-Männlichkeit nicht um hegemoniale Männlichkeit, sondern um „aussterbende Formen von stark proletarisch geprägter Männlichkeit“ (S. 189). Mit „männerbündische[m] Augenzwinkern“ könnten „beliebig widersprüchliche Dinge, Menschen, Bilder und Verhaltensweisen männlich“ gemacht werden (S. 190). Szczepaniak stützt ihre Untersuchung auf Michael Kaufmans These von der männlichen Gewalttriade (Gewalt gegen Frauen, gegen andere Männer und gegen sich selbst). Sie kommt zu dem Schluss, dass die maskuline Gewalt in den von ihr behandelten Geschichten als „eine Spielart der hegemonialen Männlichkeit“ (S. 205) aufgefasst werden könne.

Soziologische Perspektiven

Das Schlusskapitel des Sammelbandes bildet der Versuch von Michael Meuser und Sylka Scholz, zu einer Begriffsklärung aus soziologischer Perspektive zu kommen, indem sie Connells Konzept modifizieren, etwa durch Einbeziehung von Ansätzen Dritter (v. a. Bourdieu). Dabei greifen die Autorin und der Autor die Einsichten der anderen Beiträge dieses Bandes auf und verdichten diese auf soziologisch unterbaute Präzisierungen hin. Ein Ergebnis ist, dass hegemoniale Männlichkeit eine relationale Kategorie ist, die in Beziehung zu Weiblichkeit(en) und anderen Männlichkeiten Gestalt annimmt, insofern diese in einer sozial differenzierten Gesellschaft von sozialstruktureller Relevanz sind (vgl. S. 214). In der bürgerlichen Gesellschaft sei dies gegeben, weshalb deren männliche Protagonisten Idealtypen hegemonialer Männlichkeit seien (vgl. S. 215). Deren Anspruch äußert sich immer milieuübergreifend, über das jeweilige soziale Feld hinaus, und – sofern es um homosoziale Beziehungen geht – in einer Wechselbeziehung von Kameradschaftlichkeit und Wettbewerb.

Der Sammelband bietet thematisch breit angelegte und allesamt sehr lesenswerte Beiträge und gibt einen guten Überblick über den Stand der kritischen Rezeption des Connellschen Konzepts der hegemonialen Männlichkeit in der Geschichtswissenschaft.

URN urn:nbn:de:0114-qn072042

Prof. Dr. Angela Berlis

Utrecht/Niederlande

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