Fußball als Identitätsversicherungsinstrument?

Rezension von Kathrin Hönig

Eva Kreisky, Georg Spitaler (Hg.):

Arena der Männlichkeit.

Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht.

Frankfurt am Main: Campus 2006.

371 Seiten, ISBN 978–3–593–38021–6, € 34,90

Abstract: Pünktlich zur Fußball-WM erscheint ein Sammelband, der nach dem Verhältnis von Fußball und Geschlecht fragt, genauer, nach der Funktion von Fußball bei der Aufrechterhaltung und/oder Herstellung der männlichen Geschlechtsidentität. Entstanden ist ein Kaleidoskop geschlechtersensibler kritischer Fußballforschung aus sozial-, politik- und kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Fußball wird weltweit, mit Ausnahme der USA, die einen Sonderfall darstellen, überwiegend von Männern gespielt und rezipiert. Fußball ist also klar ein Männersport und eine Männerfreizeitbeschäftigung. Ist er deshalb auch ein männlicher Sport? Diese Frage bejahen würde wohl nur, wer davon ausgeht, dass das, was Männer de facto tun, Männlichkeit definiert. Ganz abwegig ist der Gedanke nicht, würde es sich bei dem Wort „männlich“ um einen rein deskriptiven Begriff handeln, d. h. wären damit nicht auch bestimmte Erwartungen, Gebote und Verbote verbunden. Nun ist „Männlichkeit“, ebenso wie sein Pendant „Weiblichkeit“, erwiesenermaßen ein normativer Begriff. D. h. er beinhaltet gewisse Verhaltenserwartungen an Männer, er normiert in seiner jeweiligen historischen und kulturellen Ausdeutung die männliche Geschlechtsidentität. Wie bringt man nun den normativen Begriff „Männlichkeit“ und die empirische Feststellung, dass Fußball mehrheitlich von Männern gespielt und rezipiert wird, zusammen? Die Antwort könnte lauten: Indem man das Fußballspiel als funktional ansieht sowohl bei der Definition von Männlichkeit als auch bei der Aufrechterhaltung und/oder Herstellung der männlichen Geschlechtsidentität. Dies jedenfalls scheint die leider nirgendwo explizit artikulierte These der Herausgeberin sowie des Herausgebers des Sammelbandes Arena der Männlichkeit zu sein.

Aufbau

Zwanzig Texte von sehr unterschiedlicher Länge und Textsorte enthält der Band. Er ist in vier Teile gegliedert. Teil I enthält unter dem Titel „Das Geschlecht des Fußballs – Männliche Fußballkultur in der Wissenschaft“ „einen Überblick über bestehende Zugänge und Theorien zum Verhältnis von Fußball und Geschlecht“ (S. 15), Teil II zielt auf „drei zentrale Ebenen des sozialen Phänomens Fußball“ (S. 15), d. h. auf „Spieler, Fans und TV-Konsument/innen“, in Teil III wird die wirtschaftliche und politische Dimension von Fußball behandelt und in Teil IV „Fußball, Männlichkeit und Nation in verschiedenen regionalen Kontexten“ (S. 16) beleuchtet. Einige Beiträge sind vom wissenschaftlichen Anspruch und Niveau her hochstehend und auch inhaltlich informativ und gehaltvoll. Andere (wenige) Beiträge sind zum Teil allzu kolummnenhaft geraten, so etwa „The Making of Männlichkeit in der Kabine“ von Klaus Walter, oder sie haben wenig bis nichts mit dem Thema Fußball und Männlichkeit zu tun, so José Sérgio Leite Lopes’ biographischer Text über den brasilianischen Fußballer Manuel Francisco dos Santos, genannt „Garrincha“, oder Eduardo P. Archettis Überlegungen zu „Fußball und Nation in Argentinien: ‚Kreolischer‘ Stil und der ‚goldene Junge‘ Maradona“. Insgesamt bietet der Band eine enorme Materialfülle, aus der ich im Folgenden nur einzelne Beispiele herausgreife.

Fußball à la Japonaise

Interessant ist Wolfram Manzenreiters Beitrag über die Transformationen japanischer Männlichkeitsbilder, welche sich vom Ideal des körperlich (bu) und geistig (bun) gebildeten Samurai über verschiedene Stufen hin zum Salaryman (sarariiman) des pazifistischen Nachkriegsjapans entwickelten. Mit der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre gerät das Leitbild des bun-orientierten sarariiman jedoch in eine Krise. Manzenreiter deutet die erfolgreiche Einführung des kulturfremden Profifußballs in Japan in den 1990er Jahren als ein Angebot, welches die Nachfrage des in die Krise geratenen Männlichkeitstypus sarariiman zu befriedigen wusste. Begleitet wurde die Einführung von systematischen Marketingmaßnahmen, bei dem das Fußballspiel „gezielt als lokalpatriotisches Identifikationsobjekt aufgebaut“ (S. 300) wurde. Es kam zur Entwicklung einer Fankultur, die, obwohl sie europäische Vorbilder bewusst kopiert, in einigen entscheidenden Punkten auch davon abweicht. Die Marketingstrategie für das Produkt Profi-Fussball umwarb nämlich gezielt auch Frauen, was eine „eigenständige ‚feminisierte Fankultur‘“ mit „Fetischisierung der Spieleridole, Starkult und sexuellen Fantasien“ (S. 300) hervorbrachte – von der sich männliche Fans selbstverständlich distanzieren. Trotzdem ist in Japan der Frauenanteil auf den Tribünen sehr hoch und die Codierung von Fußball als männlich weniger starr.

Imagination des Nationalen in Ex-Yugoslavien

Überzeugend sind auch Vedran Dzihics „Erkundungen zwischen nationalistischem Wahn, heroischer Männlichkeit und scheinbarer Normalität einer Region im Umbruch“. Es ist die Rede vom Balkan. Dzihic weist in seiner politikwissenschaftlichen Analyse nach, wie das „Feld des Fußballs oder des Sports allgemein […] als eines der wirksamsten Instrumente zur Aktivierung und Pflege von Wir-Bindungen sowie zur Schaffung kollektiver Imaginationen des Nationalen“ (S. 239 f.) in Ex-Yugoslavien wurde. Insbesondere auf der Rezipientenseite, d. h. bei den Fans, die laut Dzihic „allesamt durch einen starken männlich-machistischen Habitus geprägt“ (S. 236) sind, kippte die Imagination des Nationalen mitunter auch in para-militärisches Engagement: „Insgesamt war es […] nur ein kleiner Schritt vom gewalttätigen Symbolismus des Fan-Verhaltens in den Stadien hin zu militärischen Handlungen und der Metamorphose zum Krieger“ (S. 248). Die Hoffnung, dass die Bedeutung des Fußballs „als Arena des Politischen und Nationalen“ (S. 251) mit dem Ende der Kriegshandlungen zurückgehen würde, hat sich gemäß Dzihic nicht erfüllt. „Sowohl Bosnien-Herzegowina mit ungebrochen starker und in alle Lebensbereiche hineinreichender Ethnisierung, als auch Kroatien und Serbien mit einer konservativ-national(istisch)en – und hier weiterhin männerdominierten – Politikauffassung sind Gesellschaften, in denen das Nationale von ungebrochener Aktualität ist. Das Nationale – und weiterhin das Gewalttätige – wirkt somit auch im Feld des Fußballs fort.“ (S. 252)

Hegemoniale Männlichkeit und Gewalt

Die meisten Beiträge des Bandes rekurrieren auf Robert Connells Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“, oft ohne diesen inhaltlich genauer zu spezifizieren. Obwohl „hegemoniale Männlichkeit“ ein relationaler Begriff ist, sich also auf weitere Männlichkeitstypen bezieht und epochen- und kulturrelativ zu verstehen ist, hätte man doch gerne den einen oder anderen Hinweis, welche Merkmale hegemoniale Männlichkeit aufweist, insbesondere da sie ja von den meisten Autorinnen und Autoren als vom oder im Fußball repräsentiert verstanden wird. Esther Lehnerts Beitrag über sozialpädagogische Arbeit mit Fans bildet eine löbliche Ausnahme. Sie nennt Heterosexualität ein konstituierendes, Gewalt ein inhärentes Merkmal hegemonialer Männlichkeit. Zudem macht sie darauf aufmerksam, dass die dem Fußball zugeordnete Männlichkeit in der Regel eine proletarische Männlichkeit ist, die ebenfalls genauer spezifiziert werden muss (vgl. S. 85). Ihr geht es jedoch um den inhärenten Zusammenhang von Gewalt und Männlichkeit und die mangelnde Berücksichtigung des Themas Männlichkeit in der gewaltpräventiven Arbeit mit Fans. Deshalb fordert sie: „Vor dem Hintergrund des von mir beschriebenen Zusammenhangs von Männlichkeiten und Fußballkultur halte ich es für zwingend erforderlich, soziale Praxen von Männlichkeiten endlich auch in der Fanarbeit zu reflektieren.“ (S. 94)

Hegemoniale Sportkultur

Einen anderen Weg bei dem Versuch, den Zusammenhang zwischen Fußball und Männlichkeit zu erklären, geht Andrei S. Markovits in seiner Analyse der Gründe für den Erfolg des Frauenfußballs in den USA. Statt von hegemonialer Männlichkeit spricht er von der hegemonialen Sportkultur im Sportraum eines Landes. Dies ermöglicht es ihm, den scheinbar inhärenten Zusammenhang zwischen Fußball und Männlichkeit zu entflechten: „Es ist […] nie die inhärente Gestalt der Sportart selber, die ihre Männlichkeit definiert, sondern vielmehr ihre Position im jeweiligen ‚Sportraum‘ des Landes bzw. seiner hegemonialen Sportkultur. Einfach gesagt: Wenn ein Sport in dieser Hinsicht zentral ist, wird er – unabhängig von seiner jeweiligen Form und seinem Inhalt – männlich sein, unter Ausschluss von Frauen stattfinden und ihnen vielleicht sogar feindlich gegenüber stehen.“ (S. 259) Hegemonial sind in den USA American Football, Baseball, Eishockey und Basketball. Frauenfußball konnte sich deshalb in einer von Männern nicht besetzten Nische erfolgreich entwickeln.

Fußball als Kollektividentitätsversicherungsinstrument

Die zwanzig Beiträge des Bandes sind zu disparat, so dass eine umfassende Einschätzung schwierig ist. Allerdings wird eines im Überblick deutlich: Fußball hat mindestens ebenso viel mit Nationalismus, Ethnozentrismus oder Rassismus zu tun wie mit Männlichkeit. In diesem Sinne ist Fußball als ebenso funktional für die Aufrechterhaltung und/oder Herstellung nationaler Stereotypen wie für die Aufrechterhaltung und/oder Herstellung männlicher Geschlechtsidentität zu deuten. Vielleicht lässt sich Fußball besser beschreiben als ein kollektives Identitätsversicherungsinstrument – ein Kollektividentitätsversicherungsinstrument sozusagen, das nur zufälligerweise hauptsächlich von Männern gespielt und rezipiert wird. Die gegenwärtige WM, bei der weitherum im öffentlichen Raum kollektiv mitgefiebert und –gelitten wird, von Frauen und Männern gleichermaßen, scheint mir dafür ein zusätzliches Indiz zu sein.

URN urn:nbn:de:0114-qn072158

Dr. Kathrin Hönig

Universität St. Gallen, Kulturwissenschaftliche Abteilung, Philosophie

E-Mail: kathrin.hoenig@unibas.ch

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