Kirchengeschichte als Ketzergeschichte

Rezension von Susanne Lanwerd

Daniela Müller:

„Ketzerinnen“ – Frauen gehen ihren eigenen Weg.

Vom Leben und Sterben der Katharerinnen im 13. und 14. Jahrhundert.

Würzburg: Religion und Kultur 2004.

287 Seiten, ISBN 3–933891–11–6, € 19,90

Abstract: Die katholische Theologin Daniela Müller spricht am Ende ihres Buches von der „Notwendigkeit der Ketzerei“ und begründet diesen Gedanken wie folgt: „‚Ketzer‘ und ‚Ketzerinnen‘ sind die dunklen Geschwister, ohne die man nicht so wäre wie man ist, die man deshalb so bekämpft, weil sie solch starke Gefühle mit uns teilen, weil sie die gleichen Eltern, den gleichen Ursprung haben wie wir und das gleiche Ziel: zur Familie Gottes zu gehören“; die Kirche als „Hüterin der Glaubenswahrheit“ solle daher die „Ketzergeschichte […] in den immerwährenden Prozess der Wahrheitsfindung“ einbeziehen (S. 233 f.). In diesen Prozess will auch die Autorin mit ihrer Studie eingreifen, und zwar am Beispiel der Katharerinnen, deren Geschichte sie für den Zeitraum von 1143 bis 1275 rekonstruiert; sie verfolgt das fragwürdige Ziel, die Geschichte der Katharerinnen im Modus einer emotionalen und identifikatorischen „Aneignung“ dem „eigenen Leben, der eigenen Sinngebung, der eigenen Verarbeitung“ integrieren zu wollen (S. 15).

Frauen gehen ihren eigenen Weg?

Die vier Kapitel des Buches (ohne einheitliche Struktur und ohne Numerierung) weisen sowohl qualitativ als auch quantitativ erhebliche Unterschiede auf. Gerahmt werden sie von einer „Einführung“ und einer „Schlußüberlegung“. Es gibt einige Abbildungen und ein Glossar.

Die Einführung bietet vergleichsweise knapp die basics der Geschichte des Katharismus. „Gute Christen“, „gute Christinnen“ nannten sich die Mitglieder der „wahren Kirche“, die circa ab 1140 den römischen Katholizismus herausforderte: „Zentrale Pfeiler der Klerikerkirche, wie Pfründenwirtschaft und Monopol auf Predigt“ gerieten ins Visier ihrer Kritik (S. 10). Beide Seiten, die katholische und die katharische, beschuldigten sich gegenseitig, „vom Teufel“ zu sein. Die Organisation der „guten Christen“ war zweigeteilt: Es gab die Namensgeber, die „guten Christ/-innen“, die nach ihrer „Geisttaufe“ nur noch „Gutes“ vollbrachten, und die Gläubigen, die „vor allem für den materiellen Unterhalt der guten ChristInnen verantwortlich waren“ (S. 12). Als wichtige Siedlungsgebiete gelten Köln, das Rheinland, Flandern, Norditalien, Nord- und insbesondere Südfrankreich. Die römisch-katholische Kirche bezeichnete die anderen Christen als „Katharer“, da sie davon ausging, dass der Teufel ihnen in Form einer Katze (lat. catta) erscheine. Sie setzte Disputationen, Kreuzzüge und schließlich die päpstliche Inquisition ein, um die Katharer zu verfolgen und zu töten; Ende des 13. Jahrhunderts war dieser blutige Prozess abgeschlossen. „Während Guilhelm Bélibaste, der letzte ‚gute Christ‘ Südfrankreichs, auf dem Scheiterhaufen starb, wurde sein Richter Papst Benedikt XII.“ (S. 13).

Im ersten Kapitel „Ketzerei – Die Schlange mit den vielen Schwänzen“ (S. 17–49) werden der historische Kontext, insbesondere die Reformen Papst Gregors VII. (1073–1085) und die Herausbildung eines umfassenden Delikts der Häresie reflektiert sowie die Methoden im Umgang mit den Quellen. Der Quellenkorpus umfasst kontroverstheologische Traktate, Anweisungen päpstlicher Legaten, kirchliche Chroniken, die Inquisitionsprotokolle sowie zwei als katharisch geltende Ritualanleitungen, überwiegend also Texte aus der Feder der Gegner. Zutreffenderweise interpretiert Daniela Müller daher die einschlägigen Quellen als „soziale Zuschreibung und weniger als Fakten“ (S. 33).

Das zweite Kapitel „Vom Leben der guten Frauen: die Katharerinnen“ (S. 51–184) hat die Geschichte des Katharismus in Deutschland, Nord- und Südfrankreich zum Gegenstand. Einer der Hauptvorwürfe der katholischen Kirche richtete sich darauf, dass die katharischen „Männer und Frauen in einer gemeinsamen Welt leben, arbeiten und beten, anstatt in jeweils verschiedenen Männer- und Frauenwelten“ (S. 71). Die Frauen konnten die Geisttaufe empfangen und auf diese Weise zur „guten Christin“ werden; sie unterwarfen sich strengen Speisevorschriften und langen Fastenzeiten und waren insgesamt, ebenso wie die männlichen und weiblichen „Gläubigen“, von einem starken Missionswillen geprägt. Dieses Kapitel ist in zahllose Unterpunkte gegliedert, offeriert dreimal ein „Fazit“ und ist in hohem Maße unsystematisch.

Das dritte Kapitel „Vom Sterben der Katharerinnen: Frauen vor Gericht“ (S. 186–217) ist den juristischen Voraussetzungen und Modalitäten der Verfolgung gewidmet. Zu unterscheiden sind die frühen Verfahren (Reinigungseid, „Gottesurteil“) von den Verfahren nach der offiziellen Einführung der päpstlichen Inquisition zu Beginn des 13. Jahrhunderts, in deren Verlauf den Frauen „eine dem Mann gleiche Stellung“ als Zeugin und Angeklagte zugestanden wurde (S. 195).

Im vierten Kapitel „Gemachte Ketzerei“ (S. 219–229) interpretiert die Autorin einige zeitgenössische Illustrationen des Sieges der streitbaren Kirche (ecclesia militans) über die Ketzer (vgl.S. 229).

Daniela Müller verfügt über reichhaltiges Material, das sie leider nicht gut präsentiert. Die meisten Bildunterschriften sind wenig informativ, ein Abbildungsverzeichnis fehlt. Das Glossar ist insofern hilfreich, als es im Gegensatz zum Text manche der wichtigen Daten kontextualisiert oder knapp und präzise darstellt. Mehrfach wird betont, dass sich das Buch an das „breitere Publikum“ richte (S. 286). Es geht aber weniger um die Frage, wer adressiert wird, als vielmehr darum, ob das Buch überzeugt. Der Verlag, der dem Text nur eine mangelhafte redaktionelle Bearbeitung gönnte (unzählige Rechtschreibfehler, Wiederholungen etc.), die katholische Universität Utrecht, die den Druck finanziell unterstützte, schienen immerhin angetan. Es bleibt das Privileg der Kritikerin, die Frage abschließend zu verneinen.

URN urn:nbn:de:0114-qn072181

PD Dr. Susanne Lanwerd

Freie Universität Berlin, Institut für Religionswissenschaft

E-Mail: s.lanwerd@gmx.de

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