Theologische Frauenforschung in Südeuropa – ein unbekannter Kontinent

Rezension von Marie-Theres Wacker

Valeria Ferrari-Schiefer, Adriana Valerio, Angela Berlis, Sabine Bieberstein (Hg.):

Theologische Frauenforschung in Südeuropa/ Theological Women’s Studies in Southern Europe/ Recherche théologique des femmes en Europe Méridionale.

Jahrbuch der Europäischen Gesellschaft für die Theologische Forschung von Frauen/ Journal of the European Society of Women in Theological Research/ Annuaire de l’Association Européenne des femmes pour la recherche théologique, Bd. 13.

Leuven: Peeters 2005.

255 Seiten, ISBN 90–429–1696–6, € 23,00

Abstract: Der 13. Band des Jahrbuchs der Europäischen Gesellschaft für die Theologische Forschung von Frauen ist Südeuropa gewidmet. Theologinnen aus Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland skizzieren ihren jeweiligen Kontext, in dem sich Ansätze einer frauenspezifischen Theologie herausgebildet haben, stellen exemplarisch Ansätze vor und machen Zusammenhänge und Hintergründe für die unterschiedlichen Entwicklungen deutlich, die weit über innertheologische Diskussion hinaus für die Einschätzung der Frauen- und Genderforschung aus den europäischen Mittelmeerländern aufschlussreich sind.

Ein Netzwerk von Theologinnen – die ESWTR

Vor genau 20 Jahren, im Sommer 1986, konstituierte sich die Europäische Gesellschaft für die theologische Forschung von Frauen (ESWTR) auf einer Versammlung von rund 80 christlichen Theologinnen in Magliaso/Schweiz. Aus der Frauenarbeit des Weltkirchenrates hervorgegangen, zielte die Gründungsversammlung auf die Etablierung eines Forums für den wissenschaftlich-theologischen Austausch, wozu von vornherein auch die Offenheit für jüdische und muslimische Theologinnen gehörte. Ihre Internationalität drückt sich schon darin aus, dass drei Konferenzsprachen (deutsch, englisch und französisch) beschlossen und die Selbstbezeichnungen der Gesellschaft ebenfalls in diesen drei Sprachen formuliert wurden. Die ESWTR ist in Ländergruppen organisiert, in denen der Austausch jeweils je nach regionalen Möglichkeiten stattfindet, sei es etwa in einer eigenen Jahreskonferenz oder auch in fachspezifischen Arbeitsgruppen. Im Zwei-Jahres-Rhytmus finden internationale Konferenzen statt (nach der Gründungskonferenz: 1987 in Helvoirt/NL; 1989 in Arnoldshain/D; 1991 in Bristol/GB; 1993 in Leuven/B; 1995 Höör/S; 1997 auf Kreta/Gr; 1999 in Hofgeismar/D; 2001 in Salzburg/A; 2003 in Soesterberg/NL; 2005 in Budapest/H; für 2007 ist ein Kongress in Neapel/I in Vorbereitung). Inzwischen sind gut 500 Frauen aus mehr als 30 Ländern in der ESWTR Mitglied.

Das ESWTR-Jahrbuch – Kommunikation nach innen, Darstellung nach außen

Auch die Jahrbücher der ESWTR spiegeln den Anspruch, Stimmen von Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern Europas Raum und Gehör zu geben. Jedes Jahrbuch steht unter einem Leitthema, das entweder dem der jeweils vorangegangenen internationalen Konferenz entspricht oder einem anderen jeweils aktuellen Themenschwerpunkt gewidmet ist. So setzte sich die Konferenz 2003 mit „Heiligen Texten“ und deren Autorität für Frauen auseinander (vgl. Bd. 12/2004), 2001 war die Konferenz der Frage gewidmet, wo sich feministische Theologie im Blick auf das Paradigma der gesellschaftskritischen Befreiungstheologie verortet (Bd. 10/2002). Bd. 2/1994 steht unter dem Vorzeichen des „Ökofeminismus“; Bd. 9/2001 behandelt das Themenspektrum „Frauen, Ritual and Liturgie“. Zwei Bände stellen jeweils eine theologische Disziplin unter frauenspezifischem Vorzeichen ins Zentrum (Bd. 6/1998: Pastoraltheologie; Bd. 8/2000: Geschichte und Religion).

Seit Ende der 90er Jahre konnten sich Theologinnen in den Ländern Osteuropas effektiver vernetzen und inzwischen auch mehrere länderübergreifende Kongresse veranstalten. Der 11. Band des Jahrbuchs (2003) macht diese Entwicklung einer „Theologischen Frauenforschung in Mittel-Ost-Europa“ sichtbar.

Theologische Frauenforschung in Südeuropa – Strukturen

Auf dieser Linie liegt auch der hier näher zu besprechende jüngste Band. Er stellt die Theologische Frauenforschung in Südeuropa in den Mittelpunkt. Neben diesem Themenschwerpunkt, der in sechs Beiträgen entfaltet wird (S. 1–124), steht die in jedem Jahrbuch vertretene Rubrik „Frauentraditionen in Europa“, (S. 125–152), das „Forum“ mit einem aktuellen Thema (diesmal der Auseinandersetzung mit Mel Gibsons Film The Passion of the Christ; S. 153–168), der „Länderbericht“ (hier mit einem Konferenzbericht aus Deutschland; S. 169–176), und der (ausführliche) „Büchermarkt“ mit Anzeigen von Neuerscheinungen und Rezensionen (S. 177–255).

Innerhalb Europas befinden sich die christlichen Theologinnen in den deutschsprachigen Ländern zweifellos in der privilegiertesten Position. Nicht nur leben sie in wirtschaftlich starken Kontexten, sondern sie finden die Theologie, konfessionell gegliedert, auch als Studienrichtung im Rahmen der staatlichen Universitäten vor; sie steht ihnen damit prinzipiell für Studium und Lehrtätigkeit offen. In den römisch-katholischen Ländern des Südens (Italien, Spanien, Portugal) dagegen wird Theologie an Päpstlichen Hochschulen studiert, die primär an der Ausbildung der Priesteramtskandidaten orientiert sind. Es gibt auch kaum Berufsmöglichkeiten für theologisch qualifizierte Frauen, weil sich an den staatlichen Hochschulen die theologische Lehre und Forschung nicht in entsprechenden Studiengängen wiederfindet und interessierte Frauen auf benachbarte Gebiete wie klassische Geschichte und Altphilologie oder Philosophie und Psychologie ausweichen müssen. Ähnlich ist die Situation in Frankreich. Einen besonderen Fall stellt Griechenland dar: die orthodoxen Kirchen- und Theologiestrukturen unterscheiden sich beträchtlich von denen des Westens, so dass sich auch kritische Theologinnen vor spezifischen Herausforderungen sehen.

Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland – Analysen

Die Beiträge der spanischen Theologin, Psychologin und Bibelwissenschaftlerin Mercedes Navarro Puerto und der italienischen Philosophin, Theologin und Bibelwissenschaftlerin Marinella Perroni sind eher innertheologischen Themen gewidmet: M. Navarro exploriert die Metapher der „Grenze“ zur Charakterisierung feministischen Theologietreibens, M. Perroni interpretiert die Figur Maria Magdalenas am Schluss des Johannesevangeliums in ihrer Bedeutung für die Kirche in der Nachfolge des Auferstandenen. Einen Überblick über die Entwicklung einer feministischen Theologie in Spanien gibt die Bibelwissenschaftlerin Pilar de Miguel aus Bilbao. Die stark von nordamerikanischen Ansätzen inspirierten Anfänge sind nun einer feministischen Theologie mit spanischer Identität gewichen; es gibt seit 1992 eine eigene Asociación de Teólogas. Alessandra Cislaghi, die philosophische Hermeneutik an der Universität Triest lehrt, zeichnet die Ansätze feministischer Theologie in Italien in den Kontext philosophischer Debatten um „weibliche Differenz“ ein, wie sie ausgehend von S. de Beauvoir und L. Irigaray geführt wurden. Die Strasbourger praktische Theologin und lutherische Pfarrerin Elisabeth Parmentier analysiert die eher geringe Rezeption der feministischen Theologie deutschsprachiger oder nordamerikanischer Provenienz in Frankreich, ein auffallendes Phänomen auf dem Hintergrund berühmter Namen von französischen Feministinnen wie etwa Simone de Beauvoir oder Luce Irigaray. Ihre – sehr plausible! – Vermutung läuft darauf hinaus, dass der stark säkularisierte Kontext Frankreichs eine andere Art feministisch-religiöser Positionierung notwendig macht, die weniger die Kritik und stärker die geteilte Verantwortung und Partnerschaft von Frauen und Männern betont. Aus Griechenland stammt der Beitrag von Eleni Kasselouri-Hatzivassiliadi und Georgios Hatzivassiliadis. Autorin und Autor untersuchen den „Gender-Faktor“ in der griechisch-orthodoxen Bibelwissenschaft und stellen eine bisher eher vorsichtige Öffnung orthodoxer Theologie für die als westlich und der eigenen Tradition nicht entsprechende feministische Theologie fest. Das „weibliche Gesicht“ der eigenen orthodoxen Tradition, so halten sie abschließend fest, sei bisher weithin unbekannt und noch zu erforschen. Dass dabei jedoch zunächst aus westlicher Sicht sehr traditionell wirkende Geschlechterstereotypen in den Blick kommen, bestätigt indirekt der Beitrag von Evanthia Adamziloglu aus Thessaloniki zur Geschlechterfrage in der Gemeinde des neutestamentlichen Korinth. Eine spannende Frage wird deshalb die sein, ob es orthodoxen Theologinnen gelingt, ihre weiblichen Traditionen als „anders“ so zu konturieren, dass sie ein Widerlager gegen solche Klischees bilden, oder ob sie sich auf die Dauer doch stärker den westlichen kritischen Anfragen öffnen – um der Klärungen in ihrer eigenen Tradition willen.

URN urn:nbn:de:0114-qn072263

Prof. Dr. Marie-Theres Wacker

Katholisch-Theologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster

E-Mail: femtheo@uni-muenster.de

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