Ästhetisch-künstlerische Kaufanreize im späten Kaiserreich und während des Ersten Weltkrieges. Werbeplakate 1890–1918

Rezension von Cord Arendes

Deutsches Historisches Museum (Hg.):

Reklame.

Produktwerbung im Plakat 1890–1918.

Berlin: Directmedia 2005.

CD-ROM und Broschüre, ISBN 3–89853–504–5, € 29,99

Abstract: Die rasante industrielle Entwicklung führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bis dahin unvorstellbaren Anstieg der Güterproduktion. Schon ab der Jahrhundertwende war ein massenhafter und somit gewinnbringender Absatz von Waren nicht mehr ‚nebenbei‘ zu erzielen. Um die Gunst der potentiellen Kunden wurde im Vergleich zu heute allerdings auf einem ästhetisch und handwerklich höheren Niveau geworben. Namhafte Graphiker und Künstler schufen Plakate von teilweise zeitlosem Reiz. Die Konvergenz von Werbung und Kunst im Medium des Plakats, gepaart mit einer gesellschaftlichen Umbruchsituation, brachte auch ein spezielles Frauenbild hervor.

Die Rolle der Frau in der Werbung

Werbung orientiert sich immer am Zeitgeist. In Deutschland lässt sich ein bewusster Umgang mit Frauenbildern in der Werbung erst mit deren massenhaftem Aufkommen ab den 1890er Jahren nachweisen. In den frühen Anzeigen wurde ein festgefügtes und teilweise sogar überzogenes Rollenverständnis der Frau als Ehe- bzw. Hausfrau und Mutter gepflegt. Erotische Anklänge, welche die Frau als Produkt der Begierde neben das beworbene Produkt stellten, waren noch vergleichsweise selten anzutreffen. In der Zeit des Nationalsozialismus blühte, nach einer kurzen Phase der Emanzipation in den 1920er Jahren, dieses traditionelle Frauenbild wieder auf. Auch in den 1950er Jahren und 1960er Jahren blieb die Rolle der Frau oft auf die der patenten Hausfrau beschränkt. Veränderungen auf der visuellen Ebene, welche die traditionellen Plakate und Anzeigen zugunsten von Fotos, Filmen und Fernsehspots in den Hintergrund rücken ließen, ermöglichten der ‚Hausfrau‘ aber auch, zur Werbeikone aufzusteigen, wie das Beispiel der Klementine aus der Ariel-Werbung zeigt.

In den 1970er Jahren standen verstärkt auch erotische Aspekte im Mittelpunkt der Werbung, die sich die liberalere Einstellung zu Körper und Sexualität auf ihre Weise zunutze machte: Die zum Teil sexistische Darstellung nackter Haut beschränkte sich allein auf Frauenkörper. Dieses Bild der Frau als ‚Lustobjekt‘ oder ‚passive Dekoration‘ nahm eine zentrale Stelle im feministischen Diskurs ein; es galt als ein wichtiges Hindernis für ein gleichberechtigtes Verhältnis von Frauen und Männern.

In der historischen Forschung zu Frauenrollen und der Kategorie Geschlecht in der Werbung ist der Zusammenhang zwischen Frauenbild und zeitgenössischen Werbemedien bzw. Kunstformen bisher noch nicht ausreichend thematisiert worden. Gerade in gesellschaftlichen Umbruchphasen kommt es zu Überschneidungen und gegenseitiger Durchdringung von Kunst und Werbung. Diese scheinen sich auch auf die zu transportierende Rolle der Frau auszuwirken. Um die Jahrhundertwende bezog sich diese Konvergenz besonders auf das Medium des Plakates und die Kunstrichtung des Jugendstils.

Produktwerbung um die Jahrhundertwende: Die Sammlung Sachs

Bei der CD-ROM „‚Reklame‘ – Produktwerbung im Plakat 1890 bis 1918“ handelt es sich um den 104. Band der Reihe „Digitale Bibliothek“. Diese Ausgabe bietet die Möglichkeit, insgesamt 1081 digitalisierte Plakate aus dem Bereich der Produktwerbung am heimischen PC studieren zu können. Die Plakate stammen aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich und der Schweiz.

Die rasante industrielle Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu einem Anstieg der Warenproduktion und des Massenkonsums. Die Entstehung künstlerischer Bildplakate ist eng mit dieser Entwicklung verbunden: „Plakate als ‚Kunst der Straße‘ waren in den Augen [der] Gebrauchsgraphiker und Kunstgewerbler ein geeignetes Mittel zur ästhetischen Erziehung der Allgemeinheit, die sonst mit Kunst kaum in Berührung kam.“ (S. 5) Die auf der vorliegenden CD-ROM versammelten Plakate präsentieren einen Ausschnitt aus der Sammlung von Hans Sachs, die 1938 von den Nationalsozialisten enteignet worden war, nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚offiziell‘ verschollen galt und erst 1952 zu Teilen im Depot des Museums für Deutsche Geschichte aufgefunden wurde. Hans Sachs war zuvor bereits in der Bundesrepublik mit 225.000 DM entschädigt worden und überließ damals ‚angeblich‘ dem Museum die Sammlung. Seit Februar 2006 erhebt der Sohn des 1974 in New York verstorbenen Sammlers Ansprüche auf Rückgabe der künstlerisch inspirierten Plakate der Jugendstilbewegung sowie der Sachplakate und Gebrauchsgraphiken.

Wie hinsichtlich des Entstehungszeitraums nicht anders zu erwarten war, befinden sich unter den knapp über 250 „Entwerfern“ nur 6 Frauen. Frauen treten mehrheitlich nur als „Werbende“ auf den Plakaten in Erscheinung. Verglichen mit den heutigen Werbestrategien und ihren stark sexualisierenden Inhalten kann aber nahezu von einer zurückhaltenden künstlerischen Gestaltung gesprochen werden. Frauenbilder in der Werbung dieser Zeit sind verstärkt an Fabelwesen oder mythologische Gestalten angelehnt.

Die Reihe „Digitale Bibliothek“

Die „Digitale Bibliothek“ ist mit weit über 100 verschiedenen Bänden eine der wichtigsten Reihen elektronischer Text- und Bildsammlungen. Dementsprechend ausgereift ist die Software. Die rund 30 Seiten lange „Bedienungsanleitung“ bietet ausführliche Informationen zur Installation und zum Gebrauch. Das Seitenlayout bei der Präsentation der Inhalte ist zwar an einen festen Rahmen gebunden, das Programm verfügt aber über diverse Ansichtsoptionen (Veränderbarkeit von Farben und Schriftarten, fünf verschiedene Markierstifte).

Das Inhaltsverzeichnis ist äußerst übersichtlich gestaltet, es entspricht in seinem Aufbau der üblichen Baum- und Knotenstruktur der gängigen Produkte der Microsoft-Familie. Die Suche nach geeigneten Plakaten ist über ein Register und Tabellen, die detaillierte Angaben zu einzelnen Ordnungsgruppen enthalten, möglich. Die begleitende Broschüre behandelt in einer längeren Einführung die verschiedenen Such- und Filterfunktionen, mit denen gearbeitet werden kann, und erklärt die Benutzung von Fundlisten und Notizen sowie den abschließenden Ausdruck.

CD-ROM „Reklame“

Neben einem kurzen Vorwort, welches aus wissenschaftlicher Sicht in die Sammlung der Plakate einführen soll, verfügt der Textteil der CD-ROM auch über eine knappe Liste mit weiterführender Literatur (S. 9–13) sowie eine Einführung in die Benutzung des in insgesamt 22 Kategorien untergliederten Bildteils, der die 1081 Plakate enthält (S. 15–20). Im Rahmen des Bildteils stößt man auch auf die oben bereits beschriebenen weiteren Verzeichnisse, welche die Recherche entweder nach Künstlern oder nach Marken ermöglichen. Das Register verfügt über eine sehr präzise Form der Unterteilung nach „Künstlern“, „Plakaten“, „Marken“ und „Schlagwörtern“. Einen Überblick sowie eine einfache Suchmöglichkeit bieten die beiden zusammenfassenden Tabellen mit den Titeln „Plakate“ und „Entwerfer“. In der ersten Tabelle kann zuerst nach Kategorien gesucht werden, die sich nach verschiedenen Bereichen bzw. zugeordneten Sachgebieten unterteilen. Weitere, noch detaillierte Suchmöglichkeiten bestehen nach den Klassifikationen „Titel“, „Datierung“, „Künstler“, „Drucker“, „Hersteller“, „Entstehungsland“, „Drucktechnik“, „Maß“ und der jeweiligen „Inventarnummer“ im Verzeichnis des Deutschen Historischen Museums. Im Bereich der „Entwerfer“ kann nach „Namen“, „Tätigkeiten“ sowie „Geburts-“ und „Sterbedaten“ zu den einzelnen Künstler/-innen gesucht werden. Einen Überblick über alle Bilder in ausreichender Größe erhält man durch die Funktion „Abbildungsvorschau“.

Werbeplakate als Quelle der Frauen- und Geschlechterforschung

Hervorzuheben ist die übersichtliche Gestaltung der Programmoberfläche. Die Benutzung des durchweg bedienungsfreundlichen Programms ist auch für Computerlaien nahezu ohne weitere Erklärungen möglich. Die Übertragung von Daten und Bildern in die gängigen Programme zur Text- und Bildverarbeitung erfolgt – soweit die Urheberrechte der Plakate nicht von der Verwertungsgemeinschaft Bild-Kunst wahrgenommen werden – problemlos.

Die Konvergenz zwischen Werbung und Kunst in gesellschaftlichen Umbruchsituationen ist für den Übergang von den 1960er zu den 1970er, aber auch für die Wende von den 1980er zu den 1990er Jahren hinsichtlich vieler visueller Aspekte bereits untersucht worden. Diese gilt auch für die zeitgenössische Rolle der Frau als „Werbende“. Bilder- und Plakatsammlungen wie die vorliegende helfen uns, auch länger zurückliegende Perioden in der deutschen Geschichte in unser heute vornehmlich visuell geprägtes Gedächtnis zurückzurufen. Als historische Quelle sind sie für weiterführende Forschungen unabdingbar.

URN urn:nbn:de:0114-qn071027

Dr. Cord Arendes

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Zentrum für Europäische Geschichts- und Kulturwissenschaften (ZEGK), Historisches Seminar / Zeitgeschichte

E-Mail: Cord.Arendes@urz.uni-heidelberg.de

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