Frauenforschung sinologisch?

Rezension von Mechthild Leutner

Jianfei Kralle, Dennis Schilling (Hg.):

Schreiben über Frauen in China.

Ihre Literarisierung im historischen Schrifttum und ihr gesellschaftlicher Status in der Geschichte.

Wiesbaden: Harrassowitz 2004.

362 Seiten + XVII, ISBN 3–447–05116–7, € 52,00

Abstract: Jianfei Kralle und Dennis Schilling präsentieren in diesem Tagungsband acht, zum Teil umfangreiche empirische Studien zum Status von Frauen im alten China mit einem Schwerpunkt im 1. vorchristlichen Jahrtausend. Es wird insgesamt ein differenziertes Bild von Sichtweisen auf Frauen und Handlungsspielräumen von Frauen gezeichnet, die das Bild von Frauen als Opfer revidieren. Damit werden in den vergangenen Jahren vorgelegte neuere Forschungsergebnisse bestätigt.

Programmatisch formulieren Jianfei Kralle und Dennis Schilling in ihrem Vorwort, dass sie mit ihrem Band „Impulse für eine historische Frauenforschung zu China geben“ wollen, und zwar für eine, „die sich des Wertes ihrer zugrunde liegenden Quellen kritisch versichert“. Nun mögen Leserinnen nach dem Subtext dieser Aussage fragen, denn historische Forschung, auch historische Frauenforschung, außerhalb einer kritischen Quellenanalyse ist kaum vorstellbar. Worauf zielt also dieses Programm, und was bedeutet es für die in diesem Band versammelten Beiträge?

Im Vorwort und mehr oder weniger umgesetzt in den einzelnen Beiträgen erschließt sich dann das Programm einer – wie Kralle und Schilling es nennen – „philologisch spezialisierten Sinologie“, als deren eine Aufgabe die „Kenntlichmachung des genderrelevanten Status und Werts der Quellentexte“ formuliert wird. Die philologischen Methoden sollen dabei an Fragestellungen der Sozialgeschichte, der Genderstudien und der Literaturwissenschaft anknüpfen. Zugleich erwarten Herausgeberin und Herausgeber, dass die Frauenforschung mit ihrer „Fokussierung der Aussagen auf die Lebenswirklichkeit der Frau“ ein wichtiger Anstoß für die Philologie ist, den Status von Texten neu zu überdenken.

Die Spurensuche Robert H. Gassmanns nach „Frau und Status im antiken China“ ist eine akribische Nachzeichnung der Namengebung von Frauen in der Zhou-Zeit (11.-3.Jh. v.u.Z.), die Aufschlüsse gibt über die soziale Differenzierung der Ehefrauen in den Herrscherhäusern und Adelsgeschlechtern. Auf diese frühe Zeit bezieht sich auch der Beitrag von Roderich Ptak. Sein Thema ist: „Die Dame Zhuang von Qi“. Er stellt die widersprüchlichen Textstellen zur Biographie Zhuangs zusammen und weist nach, dass ausgehend davon eine Symbolfigur für mütterliche Tugend konstruiert wurde, die in den folgenden Jahrzehnten im konfuzianischen Kanon als Verkörperung weiblicher Ideale eine zentrale Rolle spielen sollte.

Mit einem zentralen historischen Text dieser Zeit, dem Zuochuan (Überlieferung des Zuo), befasst sich auch Dennis Schilling. Er analysiert die Legende der Wanderung des Herrschers Chong’er und arbeitet heraus, dass die Frauenfigur in dieser Erzählung auf mehrfache Weise funktionalisiert wird. Er zeigt auf, wie die Erzählung eine Parallele von Staatsbeziehungen und Geschlechterbeziehungen konstruiert und eine Verkehrung der Geschlechterrollen, die jeweils stark typisiert sind, erfolgt.

Jianfei Kralles Untersuchung zu einigen Frauengestalten aus dem Lie nü zhuan (Buch der Frauenbiographien) stellt ebenfalls literarische Mechanismen zur Konstruktion eines Frauen-Ideals in den Mittelpunkt. Sie verdeutlicht auf diese Weise die Entstehungsgeschichte des bekannten Werkes von Liu Xiang (77–6 v. u. Z.), welches über nahezu 2000 Jahre das (Ideal-)Bild der Frau im alten China geprägt hat. Sie unterscheidet hier bei den positiven „Frauen-Typen“ zwischen „Erziehungskünstlerinnen“, „Keuschheitsfanatikerinnen“ und „Verteidigerinnen der erbschaftsrechtlichen Konventionen“. Diese Typen wurden durch eine bewusste Selektion der Stoffe und durch Ausblenden des jeweiligen historischen Hintergrundes konstruiert. Damit ergänzt Jianfei Kralle die reiche Forschungsliteratur zu diesem zentralen erzieherischen Werk um einen wichtigen Aspekt.

Kai Vogelsang thematisiert historische Stoffe und Motive und die Konstruktion von Geschichte insgesamt und beleuchtet das in verschiedenen Varianten auftauchende Motiv des gesellschaftlichen und staatlichen Ruins durch „verführerische“ Tänzerinnen in der zhou- und han-zeitlichen Literatur (1. Jahrtausend v. u. Z. bis 3. Jh. n. u. Z.). Er greift damit ein bekanntes Thema der Chinaforschung auf und weist (erneut) nach, dass dieses Motiv keinesfalls als historisches Faktum gewertet werden kann. Im Unterschied dazu behandelt Ulrike Middendorf in ihrer ausführlichen Studie die soziale Realität von Musikerinnen und Tänzerinnen in der Han-Zeit (2. Jh. v. bis 3. Jh. n. u. Z.). Damit widmet sie sich einem vielfach angesprochenen, aber bisher nicht umfassend behandelten Thema und dokumentiert in einer detaillierten Quellenanalyse zum einen den Beitrag dieser Künstlerinnen zur Erneuerung von Lieddichtung, Gesang und Tanz und zum anderen den Besitz und die Verfügungsgewalt über diese Künstlerinnen durch den Hof. Die Künstlerinnen prägten den Lebensstil der Elite. Ihre Musik, ihr Gesang und ihr Tanz dienten zugleich der Machtrepräsentation und Selbstinszenierung des Hofes.

Die Rolle der Prinzessinnen im Machtpoker zwischen Religion und Politik untersucht Silvia Freiin Ebner von Eschenbach am Beispiel von Immobilienbesitz und Klostergründungen vom 7. bis zum 9. Jahrhundert. Ausgehend von einer Untersuchung verwandtschaftlicher Beziehungen zeigt sie auf, wie religiöse Aktivitäten und vor allem Klostergründungen den Prinzessinnen wirtschaftliche Unabhängigkeit boten, die es ihnen wiederum ermöglichte, eine bedeutende gesellschaftliche und politische Rolle zu spielen.

Der Beitrag von Daria Berg behandelt den Kult um Tanyangzi, eine historische Persönlichkeit des 16. Jahrhunderts, die als daoistische Mystikerin lehrte und um deren Lehren und Leben eine intensive Legendenbildung einsetzte. Tanyangzi wurde als „Unsterbliche“ mystifiziert und zugleich wurden ihre Worte und Taten als Spiegel genutzt, die gesellschaftlichen Zustände der ausgehenden Ming-Dynastie (1369–1644) zu kritisieren. Die breite Rezeption der Werke über Tanyangzi erfolgte gerade auch in den Kreisen der zahlreichen gebildeten Frauen dieser Zeit.

Die Beiträge bereichern und ergänzen aus jeweils unterschiedlicher Perspektive das Wissen über den Status und die Lebenswirklichkeit von Frauen im traditionellen China. Sie demonstrieren erneut, wie bekannte Texte des alten China unter neuer Fragestellung auch neues Wissen generieren können. Und sie zeigen auch, dass mit literaturwissenschaftlichen Ansätzen zur Textanalyse einer sich traditionell verstehenden Sinologie ebenfalls neue Impulse verliehen werden können. Doch den Anspruch, eine philologisch spezialisierte Sinologie und Frauen- und Geschlechterstudien zu verbinden oder miteinander zu verknüpfen, lösen diese Beiträge nur zum Teil ein. Die Suche nach Frauen in der Geschichte und der Bedeutung ihrer Thematisierung in den Texten – wie in diesem Band geschehen – ist ein Anfang. Doch es geht darüber hinaus auch um eine Befassung mit Methoden und Theorien der Frauen- und Geschlechterforschung. Damit findet keine Auseinandersetzung statt und – was das Lesen der Beiträge erschwert – die erzielten Einzelergebnisse werden kaum in den neueren Forschungsstand der doch inzwischen beachtlichen Literatur zur chinabezogenen Geschlechterforschung eingeordnet. Dies hat die Leserin selbst zu leisten und dies mindert auch den Wert des Bandes für diejenigen, die keine Spezialisten für China sind.

URN urn:nbn:de:0114-qn071163

Prof. Dr. Dr. h.c. Mechthild Leutner

Berlin/Ostasiatisches Seminar, Sinologie/Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin

E-Mail: mleutner@zedat.fu-berlin.de

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